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Die komplett neue DPS

2010 kam das erste iPad auf den Markt und hat eine wuchtige Welle im digitalen Publishing ausgelöst. Die Welle ist flacher geworden, der Markt hat sich geändert. Adobe reagiert und bringt mit der Digital Publishing Solution eine total neue DPS.

haeme ulrich «Digitale Magazinefunktionieren eben doch nicht!» Diese Aussage ist häufig zu lesen. Ich sehe das anders. Wir durchschreiten jetzt gerade das «Tal des Todes» im digita-­len Publishing. Bevor sich lukrative Businessmodelle etablieren, muss etliches probiert werden, um herauszufinden, was überhaupt funktioniert. Diesen Prozess nenne ich «das Tal des Todes durchschreiten». Das erfordert Kraft, Mut und Kreativität. Wer jetzt durchhält, wird mit der Phase des Erfolgs belohnt.

Neue Smartphones, neue Regeln

Als die Tablets auf den Markt kamen, ging man von einer klaren Verteilung der Konsumgewohnheiten aus. Zeitkritischer Inhalt (Lean forward) würde über den Webbrowser und das Smartphone konsumiert, während aufwendig recherchierte Geschichten (Lean back) gedruckt oder über ein Tablet die Konsumenten erreichen würden. Tablet sei wie Print, einfach nicht gedruckt, wurde behauptet.

Die Entwicklungen – vor allem im letzten Jahr – zeigen jedoch einen anderen Trend auf. Auch auf Smartphones und Phablets wird Lean-Back-Inhalt konsumiert. Gemäss «Flurry Analytics» wurde im letzten Jahr der Verkauf von Phablets (Smartphones mit grossem Monitor wie das iPhone 6 Plus oder das Galaxy Note) um 148 Prozent gesteigert, während Smart­phones ein Plus von 38 Prozent erreichten. Seit die iPhones mit grösseren Bildschirmen bestückt wurden, verkauft Apple auch wieder deutlich mehr dieser Geräte. Tablets hingegen gingen erstmals weniger (minus 20 Prozent) über den Ladentisch.

Das beweisen auch Messungen. Es wird immer mehr auf dem Smartphone oder Phablet konsumiert, während das Tablet immer weniger benützt wird. Das heisst, wir sollten Lean-Back-Inhalt auch auf Smartphones und Phablets ausliefern, um dort zu sein, wo sich auch unsere Konsumenten aufhalten.

Diese Trends beeinflussen das digitale Publishing

Es sind noch weitere Trends sichtbar. Video wird immer bedeutender, für 16- bis 19-Jährige ist YouTube wichtiger als Facebook. Auch in digitalen Magazinen werden Videos immer be­liebter.

Weiter wird aktuell diskutiert, ob vollständige Artikel auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht wer­den sollten. Facebook hat ein entsprechendes Angebot im Portfolio, einige grosse Verlage sind aufgesprungen.

Schliesslich werden Messengers immer wichtiger, um auch die nächste Generation zu erreichen. In unserem Sprachraum ist es vor allem WhatsApp. Über whatsservice.de zum Beispiel ist bereits ein automatisierter Versand von Nachrichten möglich.

Und dann ist da noch eine weitere Gerätekategorie: Die Wearables wie die Apple Watch oder die Google-Brille. Gruner und Jahr publiziert bereits auf die Apple Watch, andere folgen.

Wenn ich jetzt mögliche Ausgabekanäle für das digitale Publishing aufliste, wird schnell klar, dass da heute mehr ist als das iPad: Browser, E-Reader, Messenger, native App, Smartphone, Phablet, EPUB-Reader-App, Tablet, YouTube, Social-Media-Plattformen und Wearables, um ein paar zu nennen. Herausforderung ist es, die richtige Info zur richtigen Zeit in den richtigen Kanal zu spielen.

Dies ist nur über echtes Multi-Channel-Publishing finanzierbar. Da­ten müssen mehrfach genutzt werden, damit wir schlussendlich noch Geld verdienen. Dazu gibt es drei Ansätze: Gleicher Inhalt in unterschiedliche Medien ausspielen; einzelne Komponenten in anderen Medien wiederverwenden; einmal recherchieren und mehrfach aufbereiten.

DPS 2.0

Um mit all den Änderungen mitzuhalten, hat Adobe die nächste grosse Version der DPS (Digital Publishing Suite) angekündigt. Sie soll Adobe Digital Publishing Solution heissen und ab Sommer 2015 verfügbar sein.

Es ist jetzt genau fünf Jahre her, seit Adobe und Condé Nast das Wired Magazine für das erste iPad herausgegeben haben. Daraus entstand später die Digital Publishing Suite. Damit wurden bis heute hunderte Millionen Ausgaben (Folios) in tau­sende DPS-Apps ausgeliefert. Doch die DPS, wie wir sie bis heute kennen, kränkelt: Im Fokus stehen Tablets und da vor allem das iPad. Andere Plattformen werden eher stiefmütterlich behandelt. Mit der Digital Publishing Solution soll jetzt alles anders werden. Sie ist die logische Weiterentwicklung der DPS. Adobe hat integriert, was in den letzten fünf Jahren gelernt wurde.

Existierende DPS-Kunden werden automatisch Zugriff auf die Digital Publishing Solution als Teil ihrer Lizenz erhalten. Neue Kunden werden sowohl die Publishing Suite als auch die Publishing Solution nutzen können. Gemäss Adobe wird die Publishing Suite noch weiter gepflegt, damit genügend Zeit bleibt, den Umstieg auf die Digital Publishing Solution ohne Druck vorzunehmen.

Print-Denke umkehren

Was ist das grosse Neue an der Digital Publishing Solution? Adobe nennt es «Content-first Experience». Um das zu erfassen, muss ich etwas ausholen. Heute ist Digital Publishing vor allem ein Abbild des Drucks: Mehrere Artikel werden zu einer Ausgabe zusammengefasst und so vertrieben. Es gibt die Januar-­Ausgabe, die Februar-Ausgabe, die März-Ausgabe …

«Content-first Experience» dreht das um. Der Artikel steht im Zentrum. Er wird in verschiedene «Collections» gespielt. Ein Beispiel: Es gibt einen Artikel über eine Reise ans Mittelmeer. Dieser Artikel wird in der März-Ausgabe veröffentlicht. Er erscheint aber zusätzlich auch in der Spezialausgabe «Mittelmeerreisen» und im «Hotel­führer». «Content-first» eben, der Inhalt – im Beispiel der Reisebericht – steht im Zentrum und wird mehrfach verwendet.

Pilot-App von Fast Company

Die erste mit der Digital Publishing Solution erstellte App ist diejenige der Fast Company (bit.ly/fast-comp). Wie damals bei der DPS hat sich Adobe mit einem Publisher zusammengesetzt und das Produkt entwickelt.

Die Fast-Company-App hat die drei Bereiche «Our Picks» – eine Sammlung der Top-5-Artikel des Tages, «Latest Stories» – ein Newsfeed mit stets neuen Inhalten, und «The Magazine» – die gewohnten Ausgaben von Fast Company.

Die App ist für den Verlag eine eigenständige Publishing-Plattform: Lean-Forward-Info wird als Feed eingespielt, während Lean-Back-Artikel in den Ausgaben zu finden sind. Eine Anlaufstelle für alle Bedürfnisse.

Adobe-Digital-Publishing-Solution-Apps laufen auf den relevanten mo­bilen Plattformen: iOS, Android und Windows. Kein System wird vernachlässigt, wie dies bei der DPS der Fall war. Zudem läuft dieselbe App auf Tablets, Phablets und Smartphones. Layouts können responsive gebaut werden, Fast Company macht das schön vor. Anzumerken ist, dass die Layouts bei Fast Company mit HTML und nicht in ­InDesign erstellt werden.

Es gibt drei Wege, Inhalt in die Digital Publishing Solution zu spielen: InDesign, wie wir es auch von der DPS kennen; HTML-Design-Werkzeuge wie Dreamweaver und Web-CMS-Systeme wie der AEM (Adobe Experience Manager) oder WordPress.

Auch Redaktionssysteme werden Schnittstellen zur Digital Publishing Solution erhalten. MEI hat eine solche für TruEdit bereits angekündigt. Somit ist die Positionierung klar: Adobes neue Publishing-Lösung ist eine Distributionsplattform, Inhalt wird mit anderen Systemen und Werkzeugen erstellt.

Inhalt in Apps der Digital Publishing Solution kann auch offline konsumiert werden. Was angezeigt wird, wird auch gleich heruntergeladen und lokal gespeichert. Die langwierige Wartezeit, wie wir sie von Folios in der DPS kennen, ist damit weitestgehend verschwunden.

Wichtig ist Adobe eine ausgebaute Administration des Systems. Benutzern können unterschiedliche Zugriffsrechte zugewiesen werden. In der Praxis könnte dies heissen, dass ein Marketing-Manager Zugriff auf die Analyse hat, während ihm die Publishing-Funktionen verborgen bleiben.

Und die kleinen Projekte?

Adobe hat Ende 2014 die kleinste DPS – die Single Edition – einge­stellt. Für kleine Projekte fehlt seither ein günstiger Ansatz, digitale Publikationen über eine App zu vertreiben. Längst sind Dritthersteller in die Bresche gesprungen. So sorgt beispielsweise Twixl Media mit dem Twixl Publisher für Aufsehen, es gibt aber unzählige andere Anbieter.

Auch InDesign selbst kann helfen. Muss die digitale Publikation nicht zwingend in einer eigenen App erscheinen, lassen sich Bücher und Magazine als EPUB Fixed Layout direkt aus einer aktuellen Version von ­InDesign exportieren. Fixed Layout meint pixelgenaues Design und jede Menge Richness. Einziger Nachteil ist, dass brauchbare EPUB-Reader für Fixed Layout unter Windows noch rar sind.

Weitere Infos

Ich habe versucht, Preise der Digital Publishing Solution zu erhalten. Ich bekam ein Angebot von einem Distributor. Der Preis entspricht in etwa dem der DPS Enterprise. Als ich Adobe direkt nach den Preisen gefragt habe, bekam ich zur Antwort, dass die Preismodelle noch nicht klar seien. Daher verzichte ich hier auf konkrete Zahlen.

Aktuell läuft eine geschlossene Betaphase der Digital Publishing Solution. Im Sommer dann soll die neue Lösung für alle zugänglich werden. Tages­aktuelle Informationen gibt das Adobe-Blog: bit.ly/dps-blog. Wenn die Lösung da ist, werde ich einen Praxisbericht nachreichen.

Der Autor

Haeme Ulrich arbeitet als Trainer, Berater und Speaker bei WeLoveYou. Daneben bloggt er unter www.publishingblog.ch Tipps und Tricks rund um das Thema Publishing.

haeme.ulrich@weloveyou.ch

www.weloveyou.ch

Tel. +41 31 818 01 10

Kosten der DPS

Über Topix haben wir Angaben zur Preisgestaltung erhalten. Seit Anfang Jahr hat Adobe neue Lizenzmodelle für die DPS eingeführt. Sie setzen sich einerseits aus einer Platform Fee und andererseits aus einer App Fee zusammen. Die Gebühren gewähr- leisten den Zugang zur aktuellen Digital Publishing Suite und der neu angekündigten Digital Publishing Solution. Verglichen mit der früheren DPS-Enterprise-Lizenz und den zusätzlich notwendigen Downloads ist das neue Basisangebot mind. 20 Prozent günstiger.

Die Adobe DPS Platform License Fee ist ab CHF 8800.– pro Jahr (exkl. MwSt), die DPS App I Fee beginnt bei CHF 4070.– (exkl. MwSt) pro Jahr für ein App-Projekt.

Details sind erhältlich bei Topix AG unter Telefon +41 71 313 80 40.