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REACH kann Transparenz schaffen

Nicht vollständig ausgehärtete UV- und Low-Energy-UV-Farben bergen neben positiven Eigenschaften auch Risiken. REACH erfasst chemische Stoffe und deren Gefährdungspotenzial. Wie wirkt sich diese Verordnung auf die Grafische der Schweiz aus?

josef inauen Mit der zunehmenden Bedeutung des UV-Drucks wächst auch die Verantwortung der Hersteller von Drucksystemen und der Anwender. Dem hat die Europäische Union mit der Kennzeichnung und Registrierung von Chemikalien Rechnung getragen. Als Teil des REACH-Prozesses werden die Stoffe gemäss ihrem Gefährdungspotenzial neu klassifiziert.

So haben ab Juni 2015 die MSDS (Material Safety Data Sheet) in der Regel mindestens 15 Seiten Umfang. Dem Schutz von Mensch und Umwelt wird ein höherer Stellenwert eingeräumt, indem die Kennzeichnung transparenter und damit nachvollziehbarer wird.

Stoffsicherheitsbeurteilung

Mit den neuen Material Safety Data Sheets (MSDS) kann auch ein Laie das Gefährdungs­potenzial von eingesetzten Tinten oder Farben eindeutig erkennen.

Wie sieht ein MSDS beispiels­weise für eine UV-Farbe für eine neue Low-Energy-(LE)-UV-Offsetdruckmaschine aus? Die so genannten R- und H-Sätze des MSDS listen unter anderem folgende Risiken auf: Haut- und Augenirritationen hervorrufend, Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit, kann das Kind im Mutterleib schädigen, gewässerschädlich …

Indem man aufzeigt, welches Ge­fährdungspotenzial UV-Farben oder UV-Tinten haben, führt dies hoffentlich dazu, dass die von den Herstellern empfohlenen Sicherheitsmassnahmen wie beispielsweise das Tragen von Handschuhen und Schutzbrillen beim Umgang mit ungehärteten Farben eingehalten werden. Die ordnungs­gemässe Entsorgung von Verbrauchsmaterialien versteht sich von selbst.

Damit hätte REACH schon einen wichtigen Aspekt der Einführung erreicht, nämlich: Personen, welche mit chemischen Stoffen umgehen, auf die mög­lichen Gefahren und Risiken hinzuweisen.

UV-Technologie als Allheilmittel

So verblüfft die völlig kritiklose Darstel­lung der neuen LE-UV-Technologie als neues Allheilmittel für kürzere Durchlaufzeiten in den Schweizer Medien «Viscom» Nr. 20/21 und «Druckmarkt» Oktober 2013. Titel wie «Veni, vidi, vici» und «Eierlegende Wollmilchsau» zeugen von einer herstellergeprägten Berichterstattung.

Unter dem Diktat der kurzen Durchlaufzeiten werden bewährte Produktionsprozesse und -mittel geändert, ohne an die langfristigen Folgen bei unsachgemässer Verarbeitung für die Mitarbeiter und die Umwelt zu denken. Die LE-UV-Farben enthalten im Gegensatz zu den lösemittelhaltigen Farben zwar keine flüchtigen organischen Verbindungen (VOC), dafür aber jede Menge andere Wirkstoffe, die zwar die Ozonschicht nicht schädigen, dafür aber das Potenzial besitzen, lebende Organismen zu schädigen.

Schwachpunkt unvollständige Polymerisation

Der Schwachpunkt beim UV-Druck ist der Polymerisationsprozess, also das Aushärten der Farbe. Bei wenig saugfähigen Materialien (beispielsweise Plastikkarten) kann man von einer hohen Aushärtungsrate ausgehen, aber bei ungestrichenen Naturpapieren, welche eine hohe Saugfähigkeit besitzen, wird sicherlich ein nicht unerheblicher Anteil der UV-Farbe in das Papier wegschlagen. Auch die Annahme, dass 100 Prozent der Farbe ausgehärtet werden, ist eine Wunschvorstellung. Die Aushärtzeit ist in hohem Masse von der Kontakt­zeit (Druckgeschwindigkeit) und dem Alter der LE-Röhren oder UV-Lampen abhängig. Bei UV-Lampen beispielsweise nimmt mit zunehmender Nutzungs­dauer die Wirkung ab, sodass die Aus­härtungsrate nachlässt.

Die Ink Academy der Huber Group bemerkt dazu: Die Eignung UV-här­tender Druckfarben und Lacke für den Bereich der Lebensmittelverpackung bezieht sich immer auf den vollstän­dig ausgehärteten Zustand. Dieser ist sehr von den Produktionsbedingungen (Produktions­geschwin­digkeit, UV-Strahlerleistung, Saugfähigkeit des Bedruckstoffs) abhängig. Unzurei­chend ausgehärtete UV-Farben und Lacke können, trotz theoretisch geeig­neter Rezeptur der Druckfarbe, dazu führen, dass die rechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden.

UV-Druckfarben mit einem nied­rigeren Migrationsrisiko, basierend auf nicht flüchtigen Fotoinitiatoren, werden angeboten und auch verwen­det. Wie die Ergebnisse einer Untersuchung zeigen, werden aber immer noch in grossem Umfang monomere Fotoinitiatoren eingesetzt, welche auf die Lebensmittel in toxiko­logisch nicht abgesicherten Mengen übergehen können. Des Weiteren sind migrationsfähige Abbauprodukte von Fotoinitiatoren und Monomeren sowie nicht umgesetzte bifunktionelle Acrylate zu beachten.

Verpackungsdruck für Lebensmittel

Die Schweiz war in Europa Vorreiter im Umgang mit gefährlichen Stoffen im Bereich des Verpackungsdrucks. Das Eidgenös­sische Departement des Innern gab gestützt auf die Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung vom 23. November 2005 schon früh eine «Positivliste» heraus.

Vorreiter war auch die «Guidance Note on Packaging Inks» von Nestlé, lange Zeit auch als «Swiss List» bezeichnet. In früheren Ausgaben dieser Liste wurden spe­zielle Tinten geprüft und freigegeben, doch seit April 2010 sind die Farben- und Tintenhersteller angehalten, die Inhaltsstoffe via ein Übereinstimmungszertifikat (CoC: Certificate of Compliance) zu deklarieren. Die Guidance List von Nestlé lässt zwar gewisse UV-Farben und -Lacke zu, aber nie im direkten Lebensmittelkontakt. Aus diesem Grund werden Labels teilweise mit UV-Farben gedruckt, aber nur wenn eine Barrierefolie eine Migration weitestgehend verhindert und gewisse Grenzwerte für nicht evaluierte Substanzen unterschritten werden.

Die Swiss List, die von der Erkenntnis der Lebensmittelindustrie ausgeht, dass nur bei prozesskonformer Produktion der Verpackungen eine Verunreinigung der Lebensmittel ausgeschlossen werden kann, war sicherlich ein Meilenstein für den Verbraucherschutz.

Auswirkungen

REACH hat zwar keine direkten Aus­wirkungen auf die grafische Industrie in der Schweiz. Aufgrund der umfangreichen Registrierungs- und Doku­mentationskosten sind aber Auswirkungen auf das Preisniveau der Lacke und Ver­brauchsmaterialien anzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass spezielle Lacke und Reinigungsmittel, die nicht zu den Umsatzstärksten gehören, von den Herstellern sukzessive vom Markt genommen werden, da die Pflicht zur Registrierung und Dokumentation zu aufwändig wäre.

Durch diverse Themen in den Medien wird REACH auch die Endver­braucher sensibilisieren. «Wie kommt das Erdöl ins Müsli?» oder «Wie kommt der Fotoinitiator in die Kindernah­rung?», um nur zwei Beispiele zu nennen. Damit rücken auch die Druckereien und ihre ökologische Ausrichtung stär­ker in den Fokus des Verbrauchers.

REACH – Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals

Durch REACH – zu Deutsch Registrierung, Bewer­tung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe – sind seit dem 1. Juni 2008 alle Chemikalien vorab zu registrieren. Sie sind danach, gestaffelt nach Risikopotenzial, durch die Her­stel­ler oder Importeure einer Risikobewertung zu unterziehen, zu registrieren oder vom Markt zu nehmen. Die Kunden in der Lieferkette sind über die Risiken der Stoffe zu informieren, wobei risi­komindernde Massnahmen Bestandteil des Sicherheitsdatenblattes und des neuen Stoff­sicherheitsberichtes sind. Als EU-Verordnung besitzt REACH gleichermas­sen und unmittelbar in allen Mitgliedstaaten Gültigkeit. Das bedeutet, dass die REACH-Verordnung vordergründig keine Auswirkungen auf die grafische Industrie der Schweiz hat, ausser es werden Chemikalien importiert oder exportiert. Obwohl die Schweiz Vorreiter im Verpackungsdruck für Lebensmittel war, wurde REACH am Anfang nur zögerlich umgesetzt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sowohl der VSD («REACH ist im Moment kein Thema für uns») und der Viscom («Druckereien sind so gut wie gar nicht betroffen von REACH») dem Thema keine grosse Aufmerksamkeit schenken. REACH bedeutet jedoch einen grossen Aufwand für alle Hersteller von Verbrauchsmaterialien und Stoffen bezüglich der Dokumentation und der Registrierung. Artikel 5 der REACH-Verordnung lautet: Stoffe dürfen als solche in Zubereitungen oder in Erzeugnissen nur dann in der Europäischen Union hergestellt oder in Verkehr gebracht werden, wenn sie zuvor registriert wurden.

Umkehr der Beweislast

REACH überträgt die Verantwortung für die Überprüfung der Chemikaliensicherheit von den nationalen Behörden auf die Hersteller und Importeure. Sie müssen künftig überzeugend dar­stellen, dass ihre Produkte sicher sind.

Grössere Transparenz

Anwender erhalten mehr Informationen über mögliche Gefahren und Risiken beim Umgang mit Stoffen, dies wegen der Pflicht zum so genannten Sharing of Data. Alle registrierungspflichtigen Unternehmen sind angehalten, Daten zu Stoffen gemeinsam zu verwenden, um Kosten zu sparen. Stoffe mit besorgniserregenden Eigenschaften sind zulassungspflichtig und müssen, wenn mög­lich, substituiert werden. Daraus folgt, dass auch die nachgeschalteten industriellen Verwender chemischer Stoffe stark von REACH betroffen sind. REACH betrifft nicht nur Chemikalien im übli­chen Sinne, sondern unter bestimmten Voraus­setzungen auch Gegenstände (Erzeugnisse wie Möbel, Fahrzeuge etc.). Diejenigen, welche Waren in Umlauf bringen, die unter Zuhilfenahme von Chemikalien produziert wurden, sind verpflich­tet, ihren Produktionsprozess lückenlos zu doku­mentieren und den Endverbraucher entsprechend aufzuklären. Diese haben ein Anrecht auf Auskunft über bestimmte besorgniserregende Inhaltsstoffe. Die Informationen müssen dem Kunden innerhalb von 45 Tagen unentgeltlich vorliegen.

Druckereien als nachgeschaltete Anwender

Druckdienstleister sind als nachgeschaltete Anwender definiert und unterliegen deshalb nicht dieser Auskunftspflicht. Sie haben nur sicherzu­stellen, dass der vorgesehene Verwendungszweck eingehalten wird und dass die Sicherheits- und Arbeitsschutzvorgaben eingehalten werden. Die Auswirkungen von REACH zeigen sich klar in den so genannten Material Safety Data Sheets (MSDS) von Farben und Tinten. Umfänge von zehn und mehr Seiten sind keine Seltenheit. Der erhöhte Dokumentations- und Arbeitsaufwand wird sich sicherlich auch auf die Kosten aus­wirken. Es ist auch davon auszugehen, dass ab 2018, wenn die letzte Stufe von REACH in Kraft tritt, die Herstellung vieler Stoffe, die bis dato in kleineren Mengen produziert wurden, einge­stellt wird, da der Prozess der Registrierung und der Evaluierung zu teuer ist. Etablierte Herstellungsschritte müssen dadurch geändert werde, weil beispielsweise gewisse Reinigungsflüssigkeiten oder Haftvermittler nicht mehr erhältlich sind. Hersteller müssen abklären, ob Produkte, die in die Europäische Union geliefert werden, verbotene Stoffe oder Stoffe der so genannten Kandidatenliste für zulassungspflichtige Stoffe enthalten.