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Wenn die Nacht zum Tag wird

Lichtverschmutzung oder Lichtemissionen können wie Lärm oder Luftverschmutzung negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben. Zu den «Lichtverschmutzern» muss auch die Leuchtwerbung gezählt werden.

Josef Inauen Sie werden sich fragen, was Leuchtreklame in einem doch eher grafisch orientierten Magazin zu suchen hat. Grundsätzlich ist jedes grafische Produkt bei absoluter Dunkelheit nutzlos. Um es benutzen zu können, wird Licht benötigt. Dies ist bei einem Magazin, einem Buch oder einer Tageszeitung schnell gelöst, das Raumlicht wird eingeschaltet und das gedruckte Gut kann wie bei Tageslicht gehandhabt werden. Anders verhält es sich bei Aussenwerbung, diese muss entweder selbst leuchten oder sie muss mit entsprechenden Leuchtmitteln angestrahlt werden. Bei Dunkelheit sind Leuchtreklamen die beste Möglichkeit, für Produkte und Dienstleistungen zu werben. In Ballungszentren werden Firmen und Bürogebäude mit entsprechenden Leuchtlogos versehen. Plakatierungen werden hinterleuchtet, damit die tagsüber auf uns wirkenden Plakate ihre Aufgabe auch in der Nacht erfüllen können. Schaufenster werden nachts hell ausgeleuchtet, um die Auslage auch ausserhalb der Ladenöffnungszeiten optimal präsentieren zu können. Zu all diesen Leuchtkörpern kommt dann noch die normale Strassenbeleuchtung dazu – und jedes Fahrzeug, welches sich in der Nacht bewegt. Dieses ist von Gesetzes wegen verpflichtet, die vorgeschriebene Beleuchtung eingeschaltet zu haben. Somit machen wir, und dies verstärkt in Ballungszentren, die Nacht zum Tag.

Der Siegeszug des Lichts

Die erste praktische elektrische Glühlampe wurde 1854 von Heinrich Goe­bel in New York erfunden. Der in die USA ausgewanderte deutsche Uhrmacher und Erfinder schmolz einen verkohlten Bambusfaden in eine luftleere Flasche ein. Den Strom entnahm er einer Batterie von Zink-Kohle-Elementen. Mit dieser Glühlampe konnte Licht erstmals ohne offene Flamme produziert werden. Als Thomas Edison, fälschlicherweise als Erfinder der Glühlampe bekannt, 1879 die Kohle­faden-Glühlampe entwickelte, war der Siegeszug des nächtlichen Lichts nicht mehr aufzuhalten. Das primäre Ziel der Beleuchtung des öffentlichen Raums beschränkte sich zu Beginn auf die Sicherheit der Bevölkerung. In der Schweiz waren bereits Anfang des 20. Jahrhunderts viele Ortschaften mit elektrischem Strom versorgt.

Lichtverschmutzung oder Lichtemission?

Die Auswirkungen des künstlichen Lichts auf die Umwelt wurden in den letzten Jahren zunehmend thematisiert. In den meisten Fällen hat sich der Begriff Lichtverschmutzung durchgesetzt. Dabei handelt es sich zwar um eine einprägsame, jedoch falsche Wortbildung. Der englische Begriff «light pollution» wurde wörtlich übersetzt, wodurch im Deutschen der Eindruck entsteht, es würde sich dabei um verschmutztes Licht handeln. Die Quelle der Verschmutzung ist aber das Licht selbst. Die ganze Problematik basiert jedoch darauf, dass das Licht, wie eingangs beschrieben, im Übermass eingesetzt wird und zunehmend als Störfaktor auf den Menschen und die Natur wirksam ist. Deshalb wird nachfolgend der Ausdruck Lichtemission verwendet.

Ausmass der Lichtemission

Im Vergleich zu anderen Umweltbereichen wie Boden, Wasser oder Luft, bei denen die Emissionsquellen der Schadstoffe global erfasst werden müssen, ist die Herkunft des Lichts eindeutig und in der Regel ortsgebunden. Der Verursacher der Lichtemission ist in aller Regel bekannt. Bei der zunehmenden Belastung durch Licht handelt es sich um einen schleichenden Prozess. Welches Ausmass die Lichtemission bereits angenommen hat, zeigt der von Wissenschaftlern erstellte Weltatlas des künstlich erhellten Nachthimmels. Anhand von Satellitenbildern wurde errechnet, dass zwei Drittel der Bevölkerung in Westeuropa und Nordamerika in Regionen leben, in denen sie nie einen wirklich dunklen Himmel sehen. Nach Angaben der Wissenschaftler gibt es in der Schweiz keinen einzigen Quadratkilometer mehr, in dem noch dunkle Nachtverhältnisse herrschen. Metropolen wie London, Madrid oder Paris leuchten mindestens 27-mal heller als der normale Nachthimmel.

Moderne Lampen liefern bei gleichem Energieverbrauch wesentlich mehr Licht als ältere Lampen. Mit Kunstlicht wird in den letzten Jahren immer extensiver umgegangen. Häuser und Sehenswürdigkeiten werden teilweise mit flutlichtähnlichen Anlagen in Szene gesetzt. Bäume, Gärten und Skipisten werden beleuchtet, Reklametafeln und Leuchtschriften erhellen die Nacht bis in die Morgenstunden. Die Zunahme der Lichtemissionen in den kommenden Jahren wird für Mitteleuropa auf 6 bis 12 Prozent pro Jahr geschätzt. In Italien haben sich die Lichtemissionen in den letzten 30 Jahren verzehnfacht, und dies obwohl die Bevölkerung kaum gewachsen ist.

Die Folgen der Lichtemission

Aus menschlicher Sicht hat Licht vor allem positive Eigenschaften. So versetzt uns Sonnenschein in gute Laune. Künstliches Licht gilt als Zeichen für Fortschritt, Wohlstand und Prestige. Licht dient auch als Stimmungsmacher. Während der Weihnachtszeit kommt dies besonders deutlich zum Ausdruck. Städtische Beleuchtung vermittelt zudem das Gefühl von Sicherheit. Licht wird auch medizinisch eingesetzt, beispielsweise bei Winterdepressionen. Statistiken zeigen ausserdem, dass Patientinnen und Patienten, welche auf der Sonnenseite von Krankenhäusern untergebracht sind, früher nach Hause entlassen werden können. Diese positiven Seiten des Lichts sind wohl dafür verantwortlich, dass weltweit erst wenige Studien zu den Auswirkungen der grenzenlosen Lichtemission auf den Naturhaushalt und die Umwelt durchgeführt wurden. Die ersten Wissenschaftler, die sich über die Nebenwirkungen des künstlichen Lichts Sorge machten, waren die Astronomen, die auf eine freie Sicht zu den Sternen angewiesen sind. Dies ist mit ein Grund, warum bedeutende Observatorien in entlegenen und dünn besiedelten Gebieten (Chile, Hawaii oder Kanarische Inseln) errichtet wurden. Hier sind keine störenden Lichteinflüsse vorhanden, was eine «ungestörte» Sicht auf den Nachthimmel zulässt.

Beeinträchtigung von Wohlbefinden und Gesundheit

Licht kann zum Störfaktor werden, wenn wir es nicht erwarten oder nicht wünschen. Visuelle Überbelastung und Unbehagen werden von starken Wechseln bei der Beleuchtungsdichte ausgelöst. Wir empfinden daher grelles Licht aus punktuellen Lichtquellen oder bewegte, flimmernde und blinkende Lichter oft als unangenehm oder gar störend. Noch kaum untersucht sind die Auswirkungen der durch Kunstlicht verursachten Homogenisierung von Tag und Nacht auf die Gesundheit des Menschen.

Wissenschaftler weisen immer wieder darauf hin, dass der heutige Mensch am Tag zu wenig und in der Nacht zu viel Licht hat. Dadurch wird der Rhythmus von Schlaf- und Wachphase gestört. Immer geringere Teile der Bevölkerung arbeiten tagsüber im Freien. Büroarbeitsplätze sind meist zu dunkel und decken den täglichen Lichtbedarf des Körpers nur noch ungenügend ab. Die Nacht dagegen ist zu hell und damit tendiert die innere Uhr dazu, die Ruhephasen und damit das Einschlafen auf später zu verschieben. Die Folgen sind ähnlich wie bei einem Jetlag. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass Licht am falschen Platz und zur falschen Zeit zu Schlafstörungen und Herzschlagveränderungen führen kann und daraus abgeleitet auch ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko für den Menschen darstellt. Die diagnostizierten Schlafstörungen haben in den vergangenen Jahren, selbst beim jüngeren Teil der Bevölkerung, dramatisch zugenommen. Dem Licht ist gutzuschreiben, dass es nicht der alleinige Faktor für diese Entwicklung ist.

Auf die Auswirkungen der Lichtemissionen auf Tiere und Pflanzen kann hier aus Platzgründen nicht umfassend eingegangen werden. Es versteht sich aber von selbst, dass Tiere wie auch Pflanzen ähnliche Mechanismen zur Steuerung von Aktiv- und Passivphasen besitzen wie wir Menschen und deshalb durch Lichtemissionen zur falschen Zeit erheblich gestört werden können.

Lösungsansätze zur Vermeidung von Lichtemissionen

Nachhaltige Lichtnutzung: Die Aussenbeleuchtung muss eine qualitative Verbesserung erfahren, die auf die Bedürfnisse von Mensch, Landschaft und Ökologie gleichwertig eingeht.

Begrenzung der Lichtquelle: Generell sollte jedes fix installierte Aussenlicht auf seinen Zweck und auf die möglichen unerwünschten Auswirkungen hin geprüft werden.

Notwendigkeit: Aussenleuchten, welche keinem objektiven Sicherheitszweck dienen, sollten auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden. Werbeleuchten sollten ebenfalls unter nachfolgenden Gesichtspunkten ge­prüft werden und sind mit einem strikten Zeitmanagement zu versehen. Konkret bedeutet dies:

  • Bedürfnisse aller berücksichtigen. Bevölkerungsteile, welche sich gestört fühlen, wie auch Tiere, Natur und Landschaft.
  • Vermeiden beziehungsweise Rückbau von überflüssigen Leuchten.
  • Verbot oder Einschränkung von exzessiven Beleuchtungsanlagen (Objektbestrahlungen).
  • Vermeiden von Beleuchtungsanlagen direkt in den Naturräumen.

Abschirmung: Leuchtkörper sollten eine Abschirmung enthalten, welche das Licht nur dorthin strahlen lässt, wo es einem klar definierten Beleuchtungszweck dient.

Ausrichtung: Vorzusehen ist grundsätzlich die Ausrichtung von oben nach unten. Absolut vermieden werden müssen Beleuchtungskörper, welche von unten nach oben strahlen (Objektbestrahlung).

Stärke und Qualität: Beleuchtungsstärke nur so stark wählen wie notwendig.

Zeitmanagement: Es soll eine Synchronisierung mit dem Nachtruhefenster (beispielsweise Lärmschutz) von 22 Uhr bis 6 Uhr angestrebt werden. Die Betriebsdauer von beleuchteter Reklame ist in der Nacht mit Zeitschaltuhren, Dimmer oder Bewegungsmeldern sinnvoll auf die Bedürfnisse abzustimmen.

Zukünftige Richtlinien für die Werbebranche

Lichtemissionen werden künftig einen immer grösseren Stellenwert in der gesamten Werbebranche einnehmen. Durch bereits bestehende Lichtemissions-Richtlinien und teilweise auch «Behördenwillkür» sind künftig alle Marktteilnehmer in diesem Bereich vermehrt gefordert. Selbst bei angestrahlten Objekten sind künftig Lichtemissionswerte einzuhalten, obwohl diese nicht unter den Begriff der Lichtwerbung fallen. Somit sind auch reine Werbetechniker mit der Einhaltung solcher Lichtemissionswerte konfrontiert.

Die gesamte Prozesskette von der Herstellung über die Installation bis zum Betrieb von Leuchtwerbung und Beleuchtungsanlagen sieht sich mit einem Dschungel von Vorschriften und Verordnungen konfrontiert und hat keine Möglichkeit, Anlagen während der Produktion und nach der Installation auf Vorschriftskonformität zu prüfen. Darum entwickelt der Verband Werbetechnik + Print (VWP) derzeit mit Hochdruck einfach zu handhabende Messverfahren sowie geeignete Messmittel für ein branchentaugliches und gesetzeskonformes Reporting. Weiter will der VWP verbandsübergreifende lichttechnische Werte erarbeiten, die in einer Verbandsempfehlung weisenden Charakter zugunsten von Planern, Designern, Bauämtern und fachbezogener Ausbildung erlangen sollen. Damit das ganze Projekt auch wissenschaftlich fundiert ist, besteht eine Zusammenarbeit mit einer Fachhochschule und weiteren anerkannten Fachkräften. Voraussichtlich kommt 2016 das entwickelte Messsystem in den Verkauf und hilft der gesamten Branche auf einfache Art und Weise, künftige Emissionsanforderungen zu erfüllen.