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Die kreative Software-Diktatur

Ein Auto können wir kaufen, leasen oder mieten. Unsere Arbeitsinstrumente können wir künftig nur noch mieten. Das Mietmodell ist für viele übergross und erheblich teurer. Besser wäre, wenn wir entscheiden könnten, in welchem Umfang wir kaufen oder mieten.

andreas burkard Praktisch alle Menschen, die in der Mediengestaltung und -produktion arbeiten, schätzen «ihre» Adobe-Produkte. Es ist auch gar keine Frage: Adobe hat die Mittel, die Ressourcen und den Zugang zu Wissen, um interessante Produkte zu lancieren und diese weiterzuentwickeln. Im Detail betrachtet, sind viele einzelne Funktionen in den Produkten letztlich Ansichtssache eines Anwenders. Doch Adobe hat bei jeder Weiterentwicklung seiner beliebten Produkte wenn immer möglich Anwenderwünsche berücksichtigt. So haben letztlich auch viele engagierte Anwender weltweit die Programme zu dem gemacht, was sie heute sind.

Doch nebst der Programment­wicklung gibt es auch andere Kräfte. Hier muss man berücksichtigen, dass die Entscheide der amerikanischen Firma Adobe an deren Hauptsitz in San José gefällt werden. Dort gilt die gleiche abgehobene Devise wie bei vielen amerikanischen Firmen: Was für uns gut ist, soll gefälligst auch für den Rest der Welt gut sein.

Damals war die Zeit nicht reif

Das Ausloten neuer Lizenzmodelle ist bei Adobe nicht neu. Im Jahre 2006 hat Adobe für kurze Zeit den Adobe License Manager (ALM) eingeführt. Der Adobe License Manager war eine neue, integrierte Lösung zur Lizenz­verwaltung für die am häufigsten verwendeten Desktop-Anwendungen. ALM wurde zunächst im Lieferumfang von Acrobat 8 für das Windows-Betriebssystem eingeführt und wäre dann auch in neuen Versionen der Desktop-Anwendungen, auch unter Mac, zur Verfügung gestellt worden. ALM hätte die Überwachung von Softwarelizenzen automatisiert und laut Hersteller Einsparungen von Ressourcen und Kosten für die manuelle Lizenzverwaltung gebracht.

Bereits nach kurzer Zeit musste ALM vom Markt genommen werden. Die Firmen waren nicht bereit, den administrativen Mehraufwand bei Einrichtung und Verwaltung zu tragen.

Mieten statt kaufen

Sieben Jahre später, im Zeitalter der sozialen Netzwerke, von Apple und Google angelangt, ist der Weg geglättet für einen weiteren Anlauf. Adobe hat sich von den unterteilten Boxprodukten verabschiedet. Künftige Weiterentwicklungen, wie beispielsweise eine CS7, werden demzufolge nur noch via Creative Cloud als Mietmodell angeboten. Die Programme werden nach wie vor aus der Creative Cloud heruntergeladen und auf unseren Rechnern installiert. Das Mietmodell und die Verwaltung der Lizenzen erfolgt über die Creative Cloud. Es stehen Abos für einzelne Programme, für einzelne Anwender oder für Teams zur Verfügung.

Die Programme sind mit Funktionen gesättigt. In der Cloud fällt ein Innovationsdefizit eines einzelnen Produktes weniger auf. Anwendungen und Dienste können beliebig hinzugefügt oder entfernt werden. Die Abhängigkeit steigt und wertvolle Auswertungen gibt es obendrauf kostenlos dazu.

Es ist unbestritten das Recht einer Firma, innovative Lösungen zu präsentieren. Anlass zur Kritik gibt die abgehobene Vorstellung, wie wir künftig die Adobe-Software beziehen müssen. In der Politik spricht man von einer Diktatur, wenn eine einzelne Person oder eine Gruppe mit uneingeschränkter Macht regiert und den Bürgern keine Entscheidungsfreiheit mehr lässt.

Überdimensioniert

Das Cloud-Abo beinhaltet die Programme Photoshop, Illustrator, InDesign, Dreamweaver, Audition, Premiere Pro, After Effects, Fireworks, Flash Pro, Acrobat, Edge, Muse, Audition, Speedgrade, Preludge, Flash Builder, Game Developer, Touch App und Lightroom. Dazu kommen Touch Apps, Sync-Angebote, Dienste und Share-Platz. Für das Publizieren von Apps und Webseiten gibt es Business Catalyst, Story Plus, Typekit, PhoneGap Build und die DPS Single Edition. Neue Produkte und Updates sind in der Cloud automatisch verfügbar.

Schön und gut, doch die meisten Anwender benötigen all diese Programme und Angebote gar nicht. Wesentlich besser wäre, man könnte die Cloud unterteilt mieten oder nach wie vor unterteilt kaufen.

Für viele drei- bis viermal teurer

Das Creative Cloud-Abo kostet nach der Einführung rund 70 Franken pro Monat, die Team-Cloud knapp 100 Franken pro Monat und Teammitglied. Auf zwei Jahre gerechnet, was in etwa dem Produktzyklus der Adobe-Programme entspricht, sind dies 1680 Franken und etwa 2300 Franken für die Team-Cloud pro Anwender.

Als langjähriger Adobe-Anwender bin ich, wie viele andere auch, kontinuierlich mit den Produkten mitgegangen. Diese waren nach Veröffentlichung einer neuen Version upgradeberechtigt. So verwende ich beispielsweise auf meinen Windows-Rechnern die Creative Suite Design Standard und auf den Mac-Rechnern Design Premium. Die darin enthaltenen Programme reichen gänzlich, um meine berufliche Tätigkeit auszuüben.

Ein Upgrade kostete jeweils zwischen 400 und 500 Franken. Auf zwei Jahre gerechnet ist das Cloud-Abo für mich als Anwender drei- bis viermal teurer. Zudem muss ich mich ungefragt mit E-Mails auseinandersetzen, mich öfter in der Cloud anmelden und informieren, Updates herunterladen und hoffen, dass die Verwaltung der Seriennummern in der von den internationalen Hackern begehrten Cloud reibungslos funktioniert. Dies alles ohne einen für mich ersichtlichen Mehrwert.

Datenkompatibilität

Adobe liefert in der Cloud zusätzliche Funktionen auch zwischen den Versions­updates. Wie künftig Dokumente im Austausch mit anderen Beteiligten kompatibel sein sollen, lässt sich nur vermuten. Wenn beispielsweise für InDesign eine neue Funktion zur Verfügung gestellt wird, ein Anwender diese herunterlädt, danach ein Dokument speichert und mit jemandem austauscht, so kann man davon ausgehen, dass dieses Dokument bei einem Empfänger erst mal nicht kompatibel ist. Der Empfänger des Dokumentes muss zuerst sein InDesign aktualisieren. Dadurch entsteht Mehraufwand.

Erhöhter Wartungsaufwand

Mit dem Creative Cloud Einzelabo wird erst einmal der Zwischenhandel ausgehebelt. Nur die Team-Cloud wird (noch) über Vertriebspartner abgewickelt. Der Kunde erhält Tools für die zentrale Verwaltung der Lizenzen.

Mit einem Abo kann ein Anwender 30 Tage offline arbeiten. Dass ein Individuum vielleicht auch mal länger als 30 Tage offline arbeiten möchte, daran denkt im Zeitalter von Twitter & Facebook niemand mehr. Ein solches Verhalten ist ja bereits verdächtig.

Die lieben Dienste

Man kann in die Cloud Dateien und gezippte Ordner hochladen. Tatsache ist, dass das Up- und Downloaden von Files zeitintensiv und das Verwalten umständlicher ist als bei einem gewohnten Dokumentenaustausch.

Etliche in der Creative Cloud aufgeführten Dienste sind bei einer weitergehenden Nutzung kostenpflichtig. Es würde mich nicht wundern, wenn in Zukunft ausgewählte Programmfunktionen zu «Diensten» werden. So könnte beispielsweise das Erstellen von hochwertigen PDF-Dokumenten aus InDesign zu einem kostenpflichtigen Dienst werden. Utopie?

Eingriff in Entscheidungsfreiheit

Das Überspringen von Versionen ist dem Hersteller ein Dorn im Auge. Ich kenne Firmen, die produzieren nach wie vor mit CS3 oder CS4. Warum auch nicht? Es soll doch ein Recht bleiben, die Versionen so einzusetzen, wie diese zu den Anforderungen passen. Solche Firmen sind häufig sehr erfolgreich, weil sie die Kosten im Griff haben. Etliche Unternehmungen und Behörden erneuern ihre Bestände vielleicht alle fünf Jahre und eine Neuanschaffung wird genau geprüft. Geht es nach Adobe, soll damit nun Schluss sein.

Alternativen prüfen

Das Gute ist, dass Entwicklungen nicht zwingend linear verlaufen müssen. Die Cloud-Entscheidung kann die Konkurrenz aufwecken. Vielleicht wird sich eine OpenSource-Lösung abzeichnen, welche durchaus seine Anhänger findet. In einigen Bereichen gibt es bereits ausreichende Alternativen. Wie auch immer, es braucht heute eine Gesamtlösung, welche unterschiedliche Medienkanäle bedienen kann.

Das Beste wäre, wenn Adobe die Creative Cloud nochmals überdenkt und eine Lösung anbietet, welche Entscheidungsfreiheit zulässt.

Der Autor

Andreas Burkard arbeitet in der Mediengestaltung und in der Ausbildung. Er macht individuelle Trainings und Beratung rund um das Thema Publishing für Print und Tablets sowie PDF-Lösungen. Er ist Kursleiter und Fachbereichsleiter Publishing der Digicomp Academy AG in Zürich, Bern, Basel, St. Gallen und Luzern.

www.BurkardPublishing.ch