Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Heft-Archiv >> 2012 >> Publisher 3-12 >> Design&Praxis >> Die vier Muskeltiere

Die vier Muskeltiere

Die neue Schrift des Schweizer Fernsehens ist ein Grund, sich mit dem eckig-runden Gestus zu beschäftigen. Hier werden die Fonts SRG SSR Type, Soho Gothic, Neo Sans und Akko vorgestellt.

Ralf Turtschi Im Publisher 1-06 beklagte ich mich bitter über die Typografie im Schweizer Fernsehen. Damals wurde die Frutiger (1976) durch die Helvetica (1957) ausgewechselt – mit nachteiliger Leserlichkeit auf dem Bildschirm. Sechs Jahre später hat sich das Fernsehen eines besseren besonnen und die Helvetica gekippt.

Im Lauf von Umstrukturierungenwurde das Designbüro Dalton Maag Ltd., London, beauftragt, eine neue Schrift zu entwerfen, welche den verschiedenen Kulturen der vier Landessprachen gerecht würde. Die bestehende Helvetica wurde von den Lateinern des Tessins und der Romandie als zu «germanisch» empfunden. Recht so. Der Typedesigner Bruno Maag beschreibt die neue Schrift «SRG SSR Type» wie folgt: «Für das Design­konzept, den eher als eckig empfundenen Ausdruck, haben wir uns von dänischen Schriftmodellen beeinflussen lassen. Dieses Konzept ist in Dänemark schon lange etabliert, zum Beispiel bei den dänischen Staatsbahnen. Die Schrift hat einen zeitgenössischen Charakter, ohne jedoch modisch zu wirken.»

Der typophile TV-Konsument atmet auf, denn die Helvetica mit ihren geschlossenen Innenräumen ist im heutigen Medienmix ein No-go, welche auf Bildschirmleserlichkeit in kleinen Grös­sen z. B. auf Smartphones keine Rücksicht nimmt. Es ist schlicht unerklärlich, wie Apple für iPad und iPhone genau dieselben alten Typen aufschaltet, die den Lesespass erschweren. Hört Design beim Gehäuse auf?

Wenn man diesem von Bruno Maag als «squarish» beschriebenen Charakter nachstellt, wird man bei verschiedenen Anbietern fündig. Entwickelt sich hier ein neuer zeitgenössischer Charakter, der dereinst als Genre gelten wird? Nun, dass Tendenzen unter Schriftgestaltern aufgenommen und variiert werden, zuweilen bis hin zum Plagiat, ist ein bekanntes Phänomen. Die Sabon war die Antwort auf die Garamond, die Helvetica sah der Akzidenz-Grotesk ähnlich, die Corpid ist die Tochter der Frutiger, die Avenir ist die bessere Futura, die Meta gleicht der Officina und die Unit ist die schlankere Meta. Untersuchen wir vier verschiedene Schriften, die den angesprochenen eckig-runden Gestus vertreten: Die SRG SSR Type, die Akko, die Neo Sans und die Soho Gothic.

SRG SSR Type

Obwohl die Schrift seit März 2012 eingeführt ist, fliegen noch immer Restposten Helvetica aus dem HD-TV-Gerät; zum Beispiel sind die Leuchttafel SF Meteo auf dem «Leutschendach» oder die Mikrofone mit dem roten Logo resistente Helvetica-Leuchttürme. Warum das alte Logo zur Zeit der Niederschrift dieses Textes am 3. Juni auf der Website noch immer nicht gewechselt wurde, erschliesst sich mir nicht. Ebensowenig wird man aus der Markenstrategie schlüssig: Wann und wie die neue Schrift eingesetzt wird, ist nicht logisch nachvollziehbar. Man bekommt das Gefühl, dass jede Sendeeinheit ein bisschen macht, was sie will. Texteinblendungen sind einmal so, einmal anders, der Gebrauch der Schnitte Bold, Regular, Light und Medium ist nicht einheitlich. Wird da Marke und Typografie verwechselt? Für die krakeligen Versalien kann Dalton Maag nichts, man scheint jedoch beim Fernsehen wie bei gewissen Werbeagenturen nach wie vor grosse Stücke auf Grossbuchstaben zu legen und zwar unabhängig von der Textmenge. Versalien in der Menge disqualifizieren entweder den Auftraggeber oder den Gestalter oder beide.

Denn wo es ums schnelle Erfassen von Texten geht, sind nun einmal Versalien das Ungewohnte. Ein ehemaliger Fachlehrer benützte das Wort Staggeli-Typografie dafür (mdal. für Stottern). So gesehen sind Texteinblendungen in Versalien eine arrogante optische Knebelung der Zuschauer.

Wenden wir uns jedoch der Schrift mit dem Namen SRG SSR Type zu. Um die Bildschirmleserlichkeit zu optimieren, liegt die Mittellänge bei 75% der Versalhöhe. Dies erlaubt bei den dreistufigen Kleinbuchstaben e oder a genügend Platz für Innenraum. Dalton Maag zeichnet dafür die Oberlängen etwas höher, um das Phänomen etwas abzufedern und um Weissraum für einen natürlichen Zeilenabstand zu gewährleisten.

Die kantige Ausprägung ist bei der SRG SSR Type moderat-unauffällig ausgefallen. Die Schrift wirkt um einiges moderner als die geschasste Helvetica, sie ist gefällig und deutlich besser leserlich. Als Betrachter sucht man für das Erkennen immer nach Auffälligkeiten, welche die Schrift unverwechselbar machen, so wie dies bei der Dax, der Rotis, der Futura oder der Optima der Fall ist. Die Fernsehschrift verfügt beim K, beim P und beim R über einen offenen Raum, wie es seinerzeit auch Hans Eduard Meier beim Redesign der Syntax zur Linotype Syntax gestemmt hat. Die «offenen» Buchstaben sind im normalen Satz eine alternative Bereicherung, in der Versalienflut des Fernsehens aber sind sie einiges zu dominant, sie drängen sich mit dieser Auffälligkeit zu sehr in den Vordergrund. Das sonst homogene Schriftbild zerfällt, wie dies rechts am Wortbeispiel KRAMPF zu sehen ist. Das Beispiel SF mit den Versalien zeigt, dass eine modern und reichhaltig ausgestaltete Schrift bei falscher Anwendung zu suboptimalen Resultaten führen kann. Die abgeschrägten Endstriche weisen bei verschiedenen Buchstaben andere Winkel auf: 4, 5, 9, 10 und 11 Grad. Solche Minimalunterschiede können in grösseren Graden optisch wehtun, im Lauftext und im Fernsehen sieht man sie nicht.

Die Laufweite ist für den Bildschirm erhöht, was durchaus auch im Printbereich passt. Die Strichstärke der Regular ist kräftig, deutlich stärker als die beispielsweise der Frutiger Next Regular. Die modernen Schriften gehen alle den Weg, die Stärken wieder kräftiger zu halten, weil die Light-Schnitte im Grundtext oft unleserlich sind. Der Kontrast der SRG SSR Type ist mit den anderen hier vorgestellten Fonts vergleichbar, ausser dass die Grossbuchstaben deutlich dicker ausgefallen sind.

Insgesamt hat Dalton Maag eine Type aufgelegt, die einer sanften Renovation der Konventionen entspricht. Bei gewissen Formen wie dem m oder dem s fehlt die Radikalität der Akko oder der Soho Gothic, das s ist schön geschwungen und das m entfaltet eine gewisse Symmetrie. Vielleicht etwas geschmäcklerisch, wenn das k als etwas zu breit empfunden wird. Da die Schrift für das Schweizer Fernsehen gezeichnet wurde, wo Bold, Regular und Medium in der Öffentlichkeit präsent sind, muss niemand eventuell noch Fehlendes vermissen. An sich eigentlich schade, die Schrift hätte eine grössere Verbreitung verdient.

Akko

Die Akko trägt den Namen des künstlerischen Leiters von Linotype, Akira Kobayashi, der sich seit Jahren mit Redesigns wie Avenir Next oder Optima nova von sich reden machte. Seit 2010 arbeitet Kobayashi an einer eigenen Schrift, die in ihrer eckig-runden Art in die hier auf­ge­griffene Design­schiene passt. Die Akko gibts in den sechs Schnitten Thin, Light, Regular, Medium, Bold und Black, zudem existiert eine Rounded-Linie. Kobayashi hatte zu Beginn eine Serifenlose mit abgerundeten Ecken im Sinn, daraus ent­wi­ckelte sich etwas in der Art der vertikal betonten DIN. Mich erinnert das Schriftbild etwas an die Fago. Buchstaben, die ins Auge stechen, sind das a mit der eigen­willigen Verjüngung. Wie bei allen den hier gezeigten Fonts sticht das S durch abgeflachte Bögen hervor, auch die Schräge ist begradigt – die Form nähert sich dem verkehrten Z. Im K ist beim Zusammenschluss eine kleine Brücke auszumachen, genau das Gegenteil von der SRG SSR Type, die dort eine Lücke aufweist. Wie bei der Dax fehlen die Anstriche bei a, g, r. Das l weist ein kleines Füsschen auf und die 3 ist eckig ausgefallen. Die Akko ist in der Normalversion schon «gerundet», spitze Kanten sucht man vergebens. Eine gelungene und perfekt getrimmte Corporate-Design-Schrift mit einem gros­sen «Aktionsradius».

Bezug: www.linotype.com

Neo Sans

Die Neo Sans stammt vom englischen Schriftdesigner Sebastian Lester, Monotype brachte sie 2004 heraus. Sie wird bereits erfolgreich eingesetzt bei Intel Corporation, Labour Party UK, Kia Motors und diente als Corporate-Design-Schrift bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver. Wie bei der Akko sind alle Enden bei der Neo Sans gerundet. Bei E, F und L sind die Rundungen noch ausgeprägter. Etwas gewöhnungsbedürftig ist das g mit seiner asymmetrisch angehängten Schlaufe. Die Laufweite ist im Vergleich zur Akko deutlich enger, man sollte sie in Lesegrös­sen etwas weiter halten, um die Leserlichkeit zu verbessern. In der zweiten Spalte ist die Laufweite mit +20 Einheiten ver­grös­sert, urteilen Sie selbst. Verschiedene Ligaturen wie ffj, fk, fb zeigen, dass die deutsche Sprache mit ihrem Ligaturenwahn nicht allein ist. Das W weist einen heruntergezogenen Mittelsteg auf, im Gegensatz zum M besteht das W nur aus Schrägen. g, a und f warten in der Kursiven mit einer Formänderung auf (g, a und f), beim f wirkt dies etwas geschäcklerisch. Hingegen gibts (wie auch bei der Akko) Mediävalziffern: 1234567890. Für meine Begriffe zu spitz und zu breit sind die Anführungszeichen, die so enorm an Bedeutung gewinnen.

Bezug: www.linotype.com

Soho Gothic

Die Soho Gothic stammt wie die Neo Sans von Sebastian Lester, sie wurde 2007 von Monotype herausgebracht. Man darf wohl von der eckigen Schwester der Neo Sans sprechen, die beiden weisen eine grosse Ähnlichkeit auf. Weshalb die Neo Sans nicht als eine Rounded-Version der Soho Gothic herauskam, sondern als eine eigenständige Schrift ist wohl eine Marketing- oder Lizenzgeschichte. Die Soho ist eine grosse Schriftsippe, die ausser der Soho Sans noch die serifenbetonte Soho aufweist, die früher an dieser Stelle besprochen wurde. Auffällig sind die Tremas, die relativ weit auseinander auf ä, ö und ü sitzen, ein Vergleich mit den Tremas der Neo Sans ist angezeigt. Das besprochene schräge g ist bei der Soho Gothic wieder normal und unauffällig, ebenso sind L, F und E wieder kantig gestaltet. Die Soho Gothic läuft im Vergleich mit der Neo Sans deutlich breiter und die Buchstabenabstände sind weiter, was der Leserlichkeit auf dem Bildschirm Vorteile verschafft. Die Strich­stärken sind zudem anders ab­­gestuft, die fünf Textzeilen unten sind alle in Light gesetzt, der Unterschied zur Neo Sans ist deutlich. Als Familie ist die Soho Gothic eine klasse Schrift, die universell einsetzbar ist, sie hat auch schon den Boulevard erobert.

Bezug: www.linotype.com

SRG SSR Type

Die SRG SSR Type wurde im März 2012 beim Schweizer Fernsehen eingeführt. Die von der vom Schweizer Bruno Maag geführten Dalton Maag, London, stammende Schrift ist zurzeit nicht öffentlich erhältlich, sie wurde auf den zwei vorangegangenen Seiten gewürdigt. Im Vergleich ist die SRG SSR Type sicher als die «bravste» zu bezeichnen, wenn wir den eckig-kantigen Gestus als Vergleichsmassstab heranziehen. Das heisst nun nicht, dass diese Schrift deswegen am schlechtesten abschneidet. Im Gegenteil, sie ist für mich die sanfte Fortentwicklung der bekannten und eingeführten Schriften wie Helvetica, Frutiger, DIN & Co. Zu beobachten ist dies beim S, das weit weniger abgeflacht erscheint. Das rote quadratische Logo des Schweizer Fernsehens zeigt die flache Variante, das S wurde dafür separat gezeichnet. Der Auftrag, eine Schrift fürs Fernsehen zu entwickeln, ist nicht zu vergleichen mit einer frei verfügbaren Corporate-Design-Schrift, die allen möglichen Ansprüchen zu genügen hat. Der Vergleich zeigt zum Beispiel die Einkerbung, die beim Buchstaben a unten zu sehen ist, sowie die Verjüngung der Schrägstriche beim W oder der Bogeneinläufe in einen geraden Strich. Wer die Anführungszeichen betrachtet, kommt zum Schluss, dass sie bei Dalton Maags Schrift angemessener sind als bei ihrem Londoner Kollegen Lester.