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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


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Gesch�ft f�r die Druckindustrie

Nicht der Inhalt entscheidet über das Medium, sondern die Gewohnheiten der Betrachter. In diesem Beitrag erfahren Sie, warum digitale Publikationen für die Druckindustrie geschaffen sind. Eine Momentaufnahme mit Blick in die Zukunft.

haeme ulrich Digital Publishing ist das, was nicht gedruckt wird. Publikationen also, die auf einem Bildschirm konsumiert werden: von der Firmenwebsite bis zum digitalen Roman. In diesem Artikel gebe ich der Welt der digitalen Publikationen Struktur. Nicht, dass ich eine offizielle Klassifikation erfunden hätte. Sie sollen sich damit – aus der klassischen Druckindustrie kommend – in der digitalen Publishing-Szene orientieren können. Und dabei sehen, welche digitalen Produkte in Ihr Portfolio passen. Denn mit Print im Rücken haben Sie gute Karten, in der digitalen Szene erfolgreich mitzumischen.

Klassifikation

Bis heute ist es mir gelungen, alle digitalen Medien einer Kategorie zuzuweisen. Es gibt auch Mischformen, wo Technologien aus mehreren Kategorien eingesetzt werden.

Web: Surfen im Browser. Das kennen Sie. Verwechseln Sie Web nie mit Internet. Internet ist das Fahrgestell, die Technologie darunter. Diese spielt bei allen digitalen Medien mit. Web ist das, was Sie im Webbrowser sehen. Mit Web wirklich Geld zu verdienen, ist noch keinem Verlag gelungen. Das hat mehrere Gründe. Zuerst wurde während Jahren der als Print verkaufte Inhalt im Web verschenkt. Dies konnte über die Dauer nicht mehr finanziert werden. Und was ist die Folge? 80 Prozent der Nachrichten im Web sind heute identisches Agenturmaterial! Wer sollte für so etwas bezahlen?

Zum Web-Publishing zähle ich auch E-Paper. Das sind Printlayouts, die über einen automatisierten Export für den Webbrowser aufbereitet werden. Solche sieht man häufig bei Zeitungen, auch die bekannten «Blätterkataloge» vertreten diesen Bereich.

News: Diese werden meist in Form von so genannten Feeds veröffentlicht. Echtzeit-Neuigkeiten, die in News­kanälen auf Websites und vor allem auch in Apps publiziert werden. Für uns Schweizer ist die 20-Minuten-App ein Klassiker. Newsfeeds gehören zum Datenbank-Publishing. Sie sind also hervorragend geeignet für Firmen aus dem Kataloggeschäft. Für Designer sind sie nicht spannend, weil vor allem Vorlagen (Templates) automatisiert abgefüllt werden.

ePUB: ePUB ist ein Standardformat für digitale Bücher. Es ist textlastig und vom Design her eingeschränkt. Die aktuelle Version ePUB 3.0 bietet mit JavaScript und CSS3 erstmals Möglichkeiten, aktiv in das Layout einzugreifen. Trotzdem ist das Ziel bei ePUB nicht das Gestalten von Magazinen. Ein ePUB ist ein digitales Buch, das sich dem Bildschirm des Lesegerätes anpasst. Es soll universal eingesetzt werden können und auch Anforderungen von Leuten mit Sehschwächen (Barrierefreiheit) abdecken.

Digital Magazine: Dem gegenüber steht das digitale Magazin. Hier geht es um das Design: seitenbasierte Layouts, typografisch und gestalterisch auf hohem Niveau. Meist werden die digitalen Magazine mit den gleichen Werkzeugen wie die Printprodukte erstellt.

Buch und Magazin

Leute mit Sinn für Design, die nicht vor allem in Automation und Entwicklung zu Hause sind, sind geschaffen für ePUB und Digital Magazine.

Immer häufiger dürfen Kunden von uns nebst dem gedruckten Buch auch das elektronische in Form eines ePUBs erstellen. Amazon verkauft weltweit mehr digitale als gedruckte Bücher. Zwar nutzt Amazon nicht ePUB, sie setzen auf das eigene .mobi- oder AZW-Format (http://wiki.mobileread.com/wiki/AZW). Über die freie Software Calibre (OS X, Windows, Linux) lassen sich ePUBs zu .mobi konvertieren. Adobe hat mit dem Upgrade auf CS5.5 in InDesign professionelle Werkzeuge und Funktionen für den ePUB-Export integriert (siehe letzte Publisher-Ausgabe). Ohne eine Zeile Programmcode ist es nun möglich, aus dem Printlayout auch das digitale Layout abzuleiten. Nein, das ist nicht ein Mausklick, wie Kunden und Chefs häufig glauben. Das ist Aufwand, den man aber zu Geld machen kann.

Das Beste aus Web und Print

Digitale Magazine wurden erst mit Tablets wie dem iPad möglich: Erst jetzt haben mobile Geräte so viel Rechenleistung, dass aufwändig gestaltete Magazine mit interaktivem Inhalt überhaupt dargestellt werden können. So gibt es diese Art Magazine seit gut einem Jahr, davor gab es keinen Tablet-Markt. Schon heute werden gemäss Statistiken digitale Magazine intensiver genutzt als Websites. Dies, weil sie Vorteile von Print und Web zusammenführen: Designqualität aus Print und Flexibilität wie Updates, Liveinhalt und Interaktivität aus dem Web. Konsumiert wird mobil, unterwegs oder bequem zuhause auf dem Sofa. Nicht am 27-Zoll-Monitor im Bürostuhl sitzend – spüren Sie den Unterschied?

Zum Erstellen von digitalen Magazinen kann auch InDesign verwendet werden. Adobe hat mit der Digital Publishing Suite eine Sammlung von InDesign-Erweiterungen und Webdiensten im Angebot. Damit kann der Inhalt mit dem gleichen Werkzeug wie das Printprodukt erstellt werden. Die Distribution, die Erstellung der Apps und die Analyse des Konsumentenverhaltens geschieht über verschiedene Webdienste in der Cloud.

Digitale Magazine lassen sich in die beiden Kategorien Einzelausgabe-App und Kiosk-App unterteilen. Bei Einzelausgaben starten Konsumenten die kleinen Programme (Apps) auf ihren Tablets oder Smartphones und sind dann im digitalen Buch oder Magazin. Bei Kiosk-Apps wird ein digitaler Kiosk – eine Art Bücherregal – gestartet, worin Magazine und ihre Ausgaben sichtbar sind und zum Download angeboten werden.

Was genau ist eine App?

Wenn Sie Apple fragen, sind das kleine Programme, die auf dem iPhone oder iPad installiert werden. Gekauft werden können diese ausschliesslich über Apples App Store. Wenn Sie Google fragen, so sind das entweder kleine Programme, die im Android Market bezogen werden, um auf Tablets und Smartphones mit dem Betriebssystem Android installiert zu werden. Oder es sind Web-Apps, die in Googles Chrome-Browser oder in Googles Betriebssystem Chrome OS gestartet werden, in Wirklichkeit aber mehrheitlich auf Webservern laufen. Wenn Sie mich fragen, sind Apps die logische Folge des mobilen Internets. Ich sehe Apps als geeignete Oberfläche, effizient mit mobilen Geräten wie Tablets oder Smartphones zu interagieren und damit Inhalte zu konsumieren. Konsumenten ist es egal, ob eine App mit Apples Xcode geschrieben und kompiliert wurde, um dann über einen fraglichen Review-Prozess im unendlichen Land der Apple Apps Einzug zu halten, oder ob die App mit Webtechnologien wie HTML5, JavaScript und CSS geschrieben wurde und über einen eigenen Store des Verlages vertrieben wird. Wenn die App funktioniert, ist das einerlei! Somit macht die Diskussion «App gegen Web» keinen Sinn. Die Zukunft gehört den reinen Web-Apps. Dies ermöglicht eine App für alle Betriebssysteme sowie für die Online- wie auch für die Offline-Verwendung.

Am Wendepunkt

Die letzte grosse Änderung in der Medienproduktion war der Einzug des Desktop-Publishing. Eingeführt 1985 von Apple, Adobe, Aldus und Linotype. Erinnern Sie sich an Page Maker 1.0? Erinnern Sie sich auch, wie Ihre Kollegen gelächelt haben, als Sie sich entschieden haben, in diese neue Produktionsweise einzusteigen? Erinnern Sie sich auch, wie Sie wenig später Mitleid mit diesen gleichen Kollegen hatten, weil diese Druckbogen immer noch von Hand montierten und die neuen Werkzeuge für die Layouterstellung nicht bedienen konnten? Diese Kollegen haben sich neuen Standards und damit dem Markt verschlossen.

Heute sind wir an einem vergleichbaren Wendepunkt: Wir haben wieder die Chance, in eine neue Produktionsweise einzusteigen: Inhalt und Medium zu trennen. Nehmen wir als Beispiel das Buch. Die Leser entscheiden, ob sie den Inhalt auf Papier, auf dem iPad oder dem Kindle-Reader konsumieren wollen. Diese Entscheidung liegt nicht beim Ersteller. Dieser soll aber alle Kanäle mit Inhalt beliefern können – gleichzeitig aber Inhalt und Medium trennen. Auf Neudeutsch heisst dies «Multi-Channel Publishing». Leute, die heute erfolgreich Printprodukte erstellen, sind auch für die Produktion digitaler Publikationen geschaffen. Das Werkzeug bleibt das gleiche, auch die Anforderungen an Qualität und Design bleiben die gleichen. Man muss einfach einsteigen – wie 1985 in das Desktop-Publishing.

Technologie-Konvergenz

Das war die Gegenwart, nun schauen wir in die Zukunft. Entwicklungen zeigen: Alles wird Web-Technologie. Dies sollte allerdings nicht mit Web-Publishing verwechselt werden. Es geht um die zugrunde liegende Technologie. Print- und Webtechnologien verschmelzen. Ein digitales Magazin, erstellt mit InDesign und den Tools der Adobe Digital Publishing Suite, ist bereits heute nichts anderes als eine ZIP-komprimierte Website. Zur Anzeige dieser Website kommt der Browser «Content Viewer» – im Alltag App genannt – zum Einsatz. Auch ePUB – das elektronische Buch – ist eine zu einer Datei komprimierte Website mit HTML-, CSS-, und JavaScript-Dateien. Somit heisst Webtechnologie auch nicht zwingend, ständig Zugang zum Internet zu haben.

Um hohen Designansprüchen gerecht zu werden, kommen heute zur Darstellung von Seiten häufig Bilder und PDFs zum Einsatz. Was Sie auf dem Tablet sehen, ist ein PDF oder gar ein Pixelbild, weil die Webtechnologie eben noch nicht kann, was wir vom Print her kennen.

Änderung naht: Adobe hat sich auf die Fahne geschrieben, bei der Weiterentwicklung von klassischer, offener Webtechnologie aktiv mitzuarbeiten. So sind spezielle Designfunktionen in Form von «CSS3 regions» in die HTML5/CSS3-Spezifikationen eingeflossen. Dies soll die Konturenführung und mehrspaltige Layouts wie im Print möglich machen. Und so folgt jetzt Funktion auf Funktion. Web- und Printtechnologie werden eins. Das Werkzeug ist zum Teil heute schon eins und deshalb werden auch die Leute eins, die damit arbeiten.

Was heisst das für Sie?

Setzen Sie auf Standards. Beobachten Sie den Markt und schauen Sie, was sich durchsetzt. Für die nächste Runde werden es Web-Technologien sein.

Trennen Sie Inhalt von Medium. Solange Sie ein Buch als auf Papier gedruckte Zeichen beschreiben, sind Sie auf dem Holzweg. Die Leser entscheiden, ob sie auf Papier oder am Bildschirm lesen wollen. Sie sollten beides anbieten können.

Prägen Sie mit! Sehen Sie die neuen Möglichkeiten als Chance, sich in neuen Märkten zu etablieren. Wie sage ich doch immer: «Print ist nicht tot – Print allein schon.»

Der Autor

Haeme Ulrich, ulrich-media, ist international unterwegs als Trainer und Berater für Print und Digital Publishing.

Website mit Tricksblog:www.ulrich-media.chE-Learning-Portal: www.e-college.chMailkontakt: ulrich@ulrich-media.ch