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Mehr als eine Allerweltsware

Der grafische Markt verliert einen namhaften Papierhersteller. Der steigende Preisdruck ist für die Schliessung der Papierfabrik Biberist mitverantwortlich. Einige Gedanken, ­weshalb die Allerweltsware Papier wieder in unser Bewusstsein zurückkehren sollte.

josef inauen Ohne grosses Medienspektakel wurde Ende Juli die endgültige Schliessung der Papierfabrik Biberist bekannt gegeben. Mit Biberist wird einer der letzten grossen Feinpapierhersteller in der Schweiz verschwinden und damit auch über 500 Arbeitsplätze. Ein trauriges Ende und ein Verlust für die grafische Branche in unserem Land. Was waren die Gründe, welche zu dieser Betriebsschliessung geführt haben? Überkapazitäten bei den Papierherstellern und der Standort weit weg von den benötigten Rohstoffen? Dies sind sicherlich Faktoren, welche die Entscheidung beeinflusst haben. In erster Linie waren es aber finanzielle Gründe, welche das Werk in die Knie zwangen. Dass Biberist nicht mehr mit der nötigen Rentabilität betrieben werden konnte, hat unmittelbar mit dem Papierpreis zu tun. Feinpapiere, wie sie in Biberist hergestellt wurden, stehen seit Jahren unter einem enormen Preisdruck.

Europaweit wurde das hochstehende Qualitätsmanagement von Biberist geschätzt, bezüglich Ökologie und Nachhaltigkeit nahm die Papierfabrik eine Spitzen­position ein. «Made in Switzerland» liess sich gut vermarkten, doch den entsprechenden Preis für diese Leistung wollten immer weniger bezahlen. Die moderne Leistungsgesellschaft hat die Fähigkeit verloren, Produkte zu verstehen, sie werden nur noch genutzt. Dies birgt die fatale Konsequenz, dass am Schluss tatsächlich nur noch der Preis die einzig bekannte Grösse ist, und dieser wird in Unkenntnis der Leistung fast immer als zu hoch angenommen.

In den letzten Monaten war in der Presse immer wieder zu lesen, dass die grafische Industrie in der Schweiz keine Lobby hat, von der Politik zu wenig wahrgenommen wird und erst noch zwei zerstrittene Berufsverbände aufeinander treffen. Wahrlich keine Erfolg versprechenden Zukunftsperspektiven. Aber daran kann gearbeitet werden. Beginnen wir doch beim Druckträger. Er ist die Grundlage einer gelungenen Printproduktion und sollte nicht nur über den Preis beurteilt werden. Das Produkt Papier verdient mehr Wertschätzung und könnte damit der ganzen Branche Impulse verleihen, um ihre Produkte mit mehr ideellem Wert zu versehen und dadurch aus der unseligen Preisspirale auszubrechen. Nehmen Sie sich die Zeit und schauen Sie vermehrt wieder hinter die Produkte. Es lohnt sich.

Allerweltsware Papier

Wir sind es gewohnt, Papier ganz selbstverständlich zu verwenden oder gar zu verschwenden, ohne darüber nachzudenken, woraus es besteht und woher es kommt. Dieses Schicksal teilt Papier leider mit vielen anderen Verbrauchsgütern. Dinge, welche jederzeit und überall verfügbar sind, bewegen unsere Fantasie und unseren Forscherdrang offensichtlich nicht mehr stark. Ganz anders die Reaktionen, wenn eine solche Allerweltsware einmal nicht verfügbar ist. Sie tippen den Lichtschalter und es bleibt dunkel, Sie drehen den Wasserhahn und er bleibt trocken, Sie wollen grillieren und haben weder Zündhölzer noch Feuerzeug, Sie wollen einen Gedanken festhalten, eine Telefonnummer notieren und Ihnen fehlt Papier.

Ich will versuchen, der Allerweltsware Papier wieder eine Identität zu geben, es vom langweiligen Selbstverständnis befreien und Ihnen aufzeigen, welche Rohstoffe zur Papierherstellung benötigt werden, in welchen Ländern oder Regionen diese Stoffe hergestellt oder abgebaut werden und Ihnen auch vertiefte Einblicke in die Kultur und Eigenheiten dieser Orte vermitteln.

Sie werden denken, da will uns doch schon wieder einer beibringen, dass Papier aus Holz hergestellt wird, obwohl dies mittlerweile jeder Erstklässler weiss. Da wird aber auch landauf, landab von der «waldmordenden» Papierindustrie geschrieben, und ein grosser Teil der Bevölkerung glaubt diesen Behauptungen. Hier gilt es einiges in das rechte Licht zu rücken. Als erstes wollen wir uns den wichtigsten Papierrohstoffen Holz und Wasser zuwenden. Fünfzig bis sechzig Prozent eines Papierbogens bestehen aus dem Rohstoff Holz – in Form von Holzstoff oder Cellulose.

Zur Herstellung eines Kilogramms Papier werden im Schnitt einhundert Liter Wasser benötigt. Nun ist bei den Stichworten Wald und Wasser die Brücke zum Norden schnell geschlagen. Kanada, Schweden, Norwegen, und Finnland sind Länder, welche für ihren Reichtum an Wald und Wasser bekannt sind. Stellvertretend für die Länder des Nordens wollen wir Finnland etwas in den Fokus rücken.

Fakten über Finnland

Finnland liegt in Nordeuropa zwischen dem sechzigsten und siebzigsten Breitengrad. Ein Viertel der Landfläche befindet sich nördlich des Polarkreises. Etwa 75 Prozent der Fläche Finnlands sind mit Wald bedeckt. Dies entspricht 23 Millionen Hektar. 10 Prozent entfallen auf Gewässer, vor allem auf Seen. Die Zahl der Seen wird auf 190 000 geschätzt. Ausserdem gibt es etwa 180 000 Inseln. Die Rechnung ist nun schnell gemacht, der bewohnbare und kultivierte Landanteil entspricht etwa 15 Prozent.

Der Wald

Er ist die natürliche Grundlage der Papierzukunft. Der Wald ist die Sicherheit der Papierindustrie, ein nachhaltiger Rohstoff, der sich ständig erneuert. Unbestritten an erster Stelle steht Finnland hinsichtlich der volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung seiner Wälder. Landwirten und ihren Familien garantieren die Wälder seit vielen Generationen Arbeit und Einkommen. Im Unterschied zu vielen anderen Ländern ist die finnische Forstwirtschaft rentabel. Dieser wirtschaftliche Anreiz hat dazu geführt, dass private Waldbesitzer traditionell ein reges Interesse an einer nachhaltigen Pflege und Nutzung ihrer Wälder haben. Die Waldbewirtschaftung erfolgt unter gleichzeitiger Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte. Der jährliche Holzzuwachs liegt um einiges über den Einschlägen. Der finnische Wald wächst also im doppelten Sinne. Zwei Drittel der Wälder befinden sich im Privatbesitz und teilen sich auf 400 000 Waldbesitzer auf. Ungefähr 2,8 Millionen Hektar Wald, dies entspricht 10 Prozent der Landfläche Finnlands (fast die Grösse Belgiens), sind als Naturschutzgebiete ausgeschieden. Schutzgebiete werden möglichst in natürlichem Zustand belassen und sind in der Mehrzahl für Wanderer und Naturfreunde zugänglich. Finnische Wälder sind auch Lebensraum für Tiere, welche in unseren Breitengraden fast täglich eine beachtliche Zahl von Journalisten beschäftigen. Wolf und Bär sind in den nordischen Wäldern heimisch, ohne laufend für Schlagzeilen zu sorgen.

Das Wasser

Einhundert Liter Wasser um ein Kilogramm Papier herzustellen, scheint viel, und doch ist die Papierindustrie auch in hochmodernen Herstellungsprozessen auf diese Wassermengen angewiesen. Je nach Papiersorte bleiben zwischen drei bis fünf Prozent Wasser im Papierbogen. Die restliche Wassermenge wird in der Papierindustrie in geschlossenen Kreisläufen mehrmals eingesetzt und verlässt die Produktionswerke über mehrstufige Kläranlagen wieder in Trinkwasserqualität. Finnland ist mit einer grossen Anzahl von Seen und Flüssen gesegnet. Die meisten kleinen und grossen Seen sind labyrinthartig verästelt und mit einer durchschnittlichen Tiefe von nur sieben Metern sehr flach. Finnische Seen gelten im Vergleich mit Gewässern in vielen europäischen Ländern als sauber. Die Wasserqualität von 80 Prozent der Seen wird als gut bis ausgezeichnet eingestuft, was es sogar erlaubt, einige Becher unbedenklich daraus zu trinken. Mit einem Boot kann Finnland von Süden nach Norden fast in seiner ganzen Länge auf dem Wasser bereist werden. Das Leben der Finnen ist stark auf die Gewässer konzentriert. Wasser und die Bewegungsfreiheit auf diesem Element geniessen einen hohen Stellenwert. Von Staates wegen wurde Wasserfahrzeugen, gegenüber dem motorisierten Verkehr zu Lande sogar der Vortritt eingeräumt. Um also ein Boot, und sei es noch so klein, unter einer Hebebrücke durchfahren zu lassen, wird der gesamte Landverkehr, und dies auch auf Hauptverkehrsachsen, für diesen Zeitraum angehalten.

Sie sehen, um Papier und dessen Rohstoffe gibt es interessante Details zu erzählen. Das Allerweltsprodukt Papier erhält ein Gesicht, wird lebendig und interessant, nimmt nicht nur Informationen auf, sondern vermittelt auch in unbedrucktem Zustand Geschichten und Emotionen. Denken Sie bei Ihrem nächsten Rendez-vous mit Papier an Wald und Wasser und Sie werden dieses einmalige Produkt bereits mit anderen Augen sehen.

Eine andere Geschichte ist die Verbindung zwischen Papier und Champagner. Dazu später mehr.

Der Füllstoff

Papier wird selten mit dem Begriff Stein oder «mineralisch» in Verbindung gebracht. Dementsprechend gross ist das Erstaunen der meisten Leute, wenn sie erfahren, dass zum Beispiel eine Hochglanzbroschüre aus bis zu 40 Prozent Mineralien besteht. Bei anderen Papieren ist es zwar etwas weniger, aber ganz ohne mineralische Zusatzstoffe wäre die heutige Auswahl um ein Vielfaches kleiner.

Füllstoffe werden eingesetzt, um die Zwischenräume im Papierfaserverbund zu füllen und die Papieroberflächen auszugleichen. Die mineralischen Stoffe haben wie die Faserstoffe (Zellstoffe) Einfluss auf die Blattbildung, den Feuchtigkeitshaushalt sowie die Entwicklung optischer und mechanischer Eigenschaften des Papiers wie Festigkeit, Färbung, Glätte, Opazität und Porosität. Funktionen also, welche den visuellen Aspekt und das Bedrucken eines Papiers entscheidend beeinflussen.

Beim Veredeln von Papier und Karton steht die Gestaltung der Oberfläche im Vordergrund, vorzugsweise durch das Aufstreichen mineralischer Rezepturen. So sind gestrichene Oberflächen homogener; sie sind glatter und besser bedruckbar als unbehandeltes Papier. Dies alles schlägt sich in einer erhöhten Druckwiedergabequalität dieser Papiere nieder, aber auch unbedruckt sind das Aussehen und der Griff anders als bei unbehandelten Naturpapieren. Auch im Bereich Verpackungspapier und Karton hat sich ein Trend herausgebildet, die Verpackungsoberflächen zusätzlich zu bedrucken und als Werbeträger zu nutzen – mit entsprechenden Anforderungen an die Papier- und Kartonqualitäten.

Auf und im Papier

Zum Füllen des Papierkörpers wie auch zum Veredeln der Papieroberflächen werden dieselben mineralischen Stoffe verwendet. Selbstverständlich kommen je nach technischen und optischen Anforderungen an das Papier andere Ausprägungen der Mineralien zum Einsatz. Entscheidend sind hier der Weisse­grad, die Feinheit, aber auch die Struktur der jeweiligen mineralischen Stoffe.

Calciumcarbonat ist heute einer der am häufigsten eingesetzten Füllstoffe. Calciumcarbonat ist eine einfache chemische Verbindung mit der Summenformel CaCO3. In der Natur bildet dieses Mineral drei Calciumcarbonat-Gesteine, die zwar chemisch identisch sind, sich aber in mancherlei Hinsicht unterscheiden.

  • Kreide ist ein feines, mikrokristallines Sedimentgestein, das durch Ablagerungen der Schalen von fossilen Kleinlebewesen entstanden ist. Kreide wird an zahlreichen Standorten entlang des Europäischen Kreidegürtels – von Frankreich bis hin zur Insel Rügen in Norddeutschland im Tage- oder Halbtagebau gewonnen.
  • Kalkstein ist ebenfalls biogenen Ursprungs, aber stärker verfestigt als Kreide. Die eigentlichen Gesteinsbildner waren Schnecken und Muscheln. Die Grösse der Kristalle liegt zwischen derjenigen von Kreide und Marmor. Grosse Kalksteinvorkommen werden im französischen Orgon sowie in Burgberg (Deutschland) abgebaut.
  • Marmor ist ein grobkristallines, metamorphes Gestein, das entsteht, wenn Kreide oder Kalkstein unter dem Einfluss hoher Temperaturen und Drücke umkristallisiert werden. Grosse Marmorvorkommen finden sich in Nordamerika und in Europa beispielsweise in Österreich, Norwegen und im italienischen Carrara, der Heimat des reinweissen Statuario, aus dem Michelangelo seine Skulpturen schuf.

Aufbereitung der Füllstoffe

Nach dem Abbau wird das Gestein nass respektive trocken gemahlen. Die Feinheit, oder genauer die Korngrössenverteilung ist das wichtigste Kriterium für den unterschiedlichen Einsatz von Füllstoffen im Papier und auf dessen Oberfläche als Streichpigment. Die Lieferung zu den Papierproduzenten kann als trockenes Pulver oder auch als aufgelöstes Substrat in Fässern erfolgen.

Calciumcarbonat in anderen Bereichen

Calciumcarbonat ist aus unserer modernen Welt nicht mehr wegzudenken, in vielen alltäglichen Bereichen wird es gebraucht. In der Landwirtschaft als Mineraldünger, in der Forstwirtschaft, im Umweltschutz, in der Trinkwasseraufbereitung, zur Neutralisierung von übersäuerten Gewässern. In der Kosmetik, in der Putz- und Pflegemittelindustrie, in der Medizin und in der Nahrungsmittelindustrie. Neben der Papierherstellung wird Calciumcarbonat für die Produktion von Kunststoffen, aber auch in der Farbenindustrie als Füllstoff bei der Herstellung von Farben und Lacken eingesetzt.

Was haben Papier und Champagner gemeinsam?

Die Beschaffenheit des Bodens ist für die Qualität von Weintrauben ein zentrales Element. Die Erfahrung lehrt, dass Kreide beim Weinbau allen anderen Bodenarten vorzuziehen ist. So hat es sich ganz selbstverständlich ergeben, dass die kreidehaltigen Böden in der Champagne eine hervorragende Grundlage für den Weinbau sind und dieselbe Kreide auch abgebaut wird. Die Kreide der Champagne ist ein feines, mikrokristallines Sedimentgestein, welches in seiner Reinheit, Feinheit und vor allem in seinem hohen Weissegrad einen Füllstoff erster Güte darstellt. Und hier entstehen die ersten Parallelen. Der kalkhaltige Boden in der Champagne liefert die nötigen Nährstoffe, um den in aller Welt bekannte Champagner herzustellen. Gleichzeitig enthalten die Böden die Füllstoffe, um qualitativ hochwertige Papiere zu fertigen. Zahlreiche Champagner-Kellereien in der Region um Riems erinnern an die lange Tradition des Kreideabbaus. Hier in den alten Gruben lagern die berühmten Produzenten wie Taittinger, Piper-Heidsieck oder Pommery ihre Flaschen. Für die Gärung eines grossen Champagners gibt es nichts Besseres als das Klima in den Kreidestollen.

Wenn Sie beim nächsten Genuss eines Champagners einen Gedanken an Papier und dessen Gemeinsamkeiten mit dem berühmten Getränk verlieren, ist schon einiges erreicht. Papier hat bei Ihnen an Wertigkeit gewonnen. Sie transportieren diese Wertigkeit und vielleicht auch eine gute Geschichte auf das fertige Printprodukt. Schon steht der Preis nicht mehr an erster Stelle. Es hat lange gedauert, die Preise für grafische Produkte dorthin zu bringen, wo sie heute sind. Es wird lange dauern, sie wieder auf ein auskömmliches Niveau zu heben. Beginnen Sie mit einem guten Vorsatz und schreiben Sie ihn auf ein Blatt Papier.