Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Heft-Archiv >> 2012 >> Publisher 3-12 >> Publishing >> Wo ist der Ph�nix aus der Asche?

Wo ist der Ph�nix aus der Asche?

Desktop Publishing hat die Druckvorstufe revolutioniert wie kein anderes Satzverfahren zuvor. Die Hauptinitianten Adobe/Aldus und Quark, die bis heute die Klingen kreuzen, lassen heute aber echte Innovationen vermissen.

Jürgen Franck Der «Satz» (die Satzherstellung) wurde Mitte der 1980er-Jahre revolutioniert. Die bis dahin über viele Jahrzehnte führenden Anbieter wurden innerhalb von wenigen Jahren förmlich vom Markt gefegt. Fotosatzsysteme von Agfa (Compugraphic), Berthold (Diatype, Diatronic, ads), Monotype (Ferranti), Scangraphics (Scantext) oder Linotype haben sich entweder komplett neu orientiert, wurden übernommen oder sind verschwunden.

Gleiches hat auch die «Repro», die elektronische Bildverarbeitung (EBV), durchlebt: Die im Zeitraum zwischen 1980 und 1995 eingesetzten professionellen, aber auch sündhaft teuren und proprietären Bildsysteme von Anbietern wie Crossfield, Hell oder Scitex sind innert kürzester Zeit von der «grafischen Bildfläche» verschwunden. Sie mussten dem anfänglich verschmähten, weil leistungsschwachen Bildverarbeitungsprogramm Photoshop Platz machen.

Computermaus und Informatik verändern die Branche

Der heute als Druckvorstufe bezeichnete Bereich veränderte sich in der Folge gravierend. Nach und nach gelang es Quereinsteigern oder auch Berufsfremden, Lithos sehr viel günstiger zu erstellen, als dies die etablierten Reprofirmen mit ihren EBV-Systemen konnten. Grafiker stellten sich für relativ wenig Geld einen Mac ins Büro, anstatt den Fotosetzer im Satzbetrieb mit dem Absetzen zu beauftragen.

Mit den neuen Möglichkeiten in der Druckvorlagenherstellung, die der Macintosh und vor allem dessen grafisches Betriebssystem erschloss, wurde letztlich die von den Satzsystem- und EBV-Herstellern zaghaft, aber viel zu spät und inkonsequent begonnene Bild-Text-Zusammenführung beschleunigt. Begünstigt hat dies neben den tieferen Kosten eines solchen Arbeitsplatzes letztlich auch der konsequente Einsatz der Computermaus. Der Weg von den kommandoorientierten Satzbefehlen der Fotosatzanlagen und dem umfangreichen Tastaturlayout der Bildsysteme wurde nicht zuletzt auch von diesem kleinen elektronischen Bauteil beschleunigt. Dazu kam als grosser Vorteil die Originaldarstellung einer Seite, das ominöse «WYSIWYG» – What you see is what you get.

Redaktionssysteme treten in Erscheinung

Der Beginn der modernen Bild-Text-Integration, die heute als Desktop Publishing bekannt ist, geht auf die zwei US-Amerikaner Paul Brainerd und Tim Gill zurück. Mit QuarkXPress hatte das von Gill gegründete Unternehmen Quark Inc. ein exzellentes und auf die Bedürfnisse der Druckbranche ausgerichtetes Produkt entwickelt. Das Unternehmen aus Colorado verdiente mit seinem Layoutprogramm nicht nur sehr ordentlich Geld hauptsächlich bei Druckereien (weniger bei Grafikern), sondern es gelang dem Unternehmen auch, mit dem Quark Publishing System (QPS) die Verlage auf seine Seite zu ziehen. Dieser letzten Bastion der traditionellen Satzherstellung ging es damit ebenfalls langsam, aber sicher an den Kragen, wenn sich auch dieser Bereich lange als äusserst standfest erwies. Gerade in der Schweiz, die eine historisch hohe Zeitungsdichte aufweist, fiel QPS auf fruchtbaren Boden: Das Unternehmen A&F Computersysteme in Sursee stellte ein Verlagshaus nach dem anderen auf QPS um. QPS und damit letztlich Quark­XPress wurden innert kürzester Zeit zum De-facto-Standard im Publishing.

Doch Quark war nicht das erste Unternehmen, das Desktop-Publishing-Software produzierte. Dies darf Paul Brainerd für sich in Anspruch nehmen. Brainerd prägte auch den etwas eigenwilligen Begriff Desktop Publishing, als er 1985 mit seiner Firma Aldus die grafische Branche mit einer von einem Zeitungsredaktionssystem inspirierten Software auf den Kopf stellte.

Das revolutionäre Produkt Page­Maker etabliert sich schnell, Aldus wird zur hochprofitablen Unternehmung worauf sich Brainerd von seiner CEO-Funktion zurückzieht. Danach geht das Geschäft zurück, QuarkXPress überrennt PageMaker; Brainerd kann das Unternehmen noch knapp retten, zahlt aber dafür mit der Aufgabe der Selbständigkeit.

PageMaker wird Adobes erstes Layoutprogramm

1994 wird Aldus in Adobe integriert. Mit der Übernahme von Aldus verfügt Adobe erstmals über ein Layoutprogramm im Produktportfolio. Der heutige Software-Gigant Adobe, der sich bis dahin der Ausgabe verschrieben und mit PostScript und später PDF wichtige Seitenbeschreibungs- und Dokumentenformate entwickelt hatte, hätte seine Erfolgsgeschichte ohne Zukäufe (Aldus [PageMaker, FreeHand], GoNet communications [GoLive] und Macromedia [Dreamweaver, Flash u.a.]) wohl kaum so eindrücklich umsetzen können. Dennoch kam Page­Maker bei Adobe nie so richtig zum Fliegen: Es waren auch nach der Übernahme vor allem die Agenturen und einige erste Inhouse-Publisher, die das Produkt am Leben hielten; dabei sollte es auch bleiben.

Die Druckvorstufe war damals aber bereits indirekt «gezwungen», sich mit dem dort als zu wenig professionell eingestuften Programm auseinanderzusetzen, weil Grafiker ihre Dokumente für die Belichtung anlieferten. Diesen hatte der intuitivere PageMaker von Anfang an besser zugesagt als das stark rahmenorientierte XPress. Durch die Verbreitung von PageMaker in den Agenturen haben sich schliesslich die Druckvorstufen mehr und mehr zu eigentlichen Datenübernahme-Abteilungen entwickelt; dieser Trend hat sich bis heute fortgesetzt.

InDesign – wichtige Adobe-Eigenentwicklung

Ende des 20. Jahrhunderts galt in etwa folgende einfache Gleichung: kreatives DTP = PageMaker, professionelles DTP = QuarkXPress. Doch wenn auch die Anwenderschaft in der Druckvorstufe XPress sehr schätzte, wurde das dahinterstehende Unternehmen damals als unbeliebt eingestuft. Der Kundendienst und die sehr eigenwillige Lizenzpolitik inklusive der Verwendung von Hardware-Dongles verärgerten viele. Dann ging auch noch das Gerücht um, dass Quark den neuen Konkurrenten Adobe übernehmen wollte. Diese Monopolstellung war so etwas wie der Albtraum der grafischen Branche – obwohl PageMaker aus kartellrechtlichen Gründen aus dem «Übernahmepaket» hätte herausgelöst werden sollen.

Es kam schliesslich nicht zur Übernahme; dafür entwickelte Adobe unter dem Codenamen K2 den «XPress-Killer» InDesign. Wenn auch die erste Version aus heutiger Sicht als technischer Irrweg bezeichnet werden muss – Adobe verlangte etwa den Weg über das In-RIP-Trapping und wollte damit indirekt die Anwender drängen, sich neue Ausgabe-RIP anzuschaffen –, so wurde InDesign zu einer gewollten Alternative, die PageMaker wohl nie hätte werden können. Es war aber nicht InDesign selbst, das letztlich Quark­XPress vom Thron stiess, sondern das Schnüren eines Gesamt­pakets. Die als «Creative Suite» bekannte Produktesammlung war ein aus Marketingsicht mehr als nur cleverer Schachzug: Wer Photoshop, Illustrator und Acrobat benötigte, bekam zum gleichen Preis der Einzelpakete InDesign quasi mit dazu. Und so war die Versuchung zuerst vor allem bei den Agenturen gross, das neue Werkzeug auch einzusetzen.

Quark, das damit an der Achillesferse getroffen wurde, versuchte sich noch verschiedentlich gegen diesen Marketingcoup erfolgreich zu wehren, brach diesbezügliche Anstrengungen wie etwa die Entwicklung einer Multimedia- und Bildbearbeitungssoftware dann aber ab.

Die Geschichte wiederholt sich

So spielt das Leben: Heute ist Quark in der Aussenseiterrolle, das Unternehmen wurde inzwischen an eine Investorengruppe verkauft, Tim Gill hat sich längst aus dem Unternehmen zurückgezogen. Im Desktop Publishing kann man heute von einer Umkehrung der Situation sprechen: Die Quasi-­Monopolstellung Quarks ist heute bei Adobe.

Das Unbehagen der Anwenderschaft ist heute ebenfalls bei Adobe. So war kürzlich an einem von Topix anlässlich der Vorstellung der Creative Suite 6 durchgeführten Seminar bei einer gestellten Überbrückungsfrage unter den eingeladenen Gästen zu erfahren, dass die von Adobe herausgegebenen Zwischenversionen (CS 5.5) nicht nur gerne gesehen sind. Damit, so der Tenor, setzt Adobe die «Halbwertszeit» seiner Suite deutlich herab – die Anwenderschaft ist offenbar über die ständige Auseinandersetzung mit neuen Funktionen und Funktiönchennicht nur glücklich.

Fehlende Revolution

Es fällt auf, dass die Entwicklung bei den Layoutprogrammen stagniert. Sichtbar wird das bei InDesign CS 6, das nicht einmal das neue, elegant wirkende Look & Feel der Creative Suite 6 spendiert bekommt. Grössere Neuerungen der eben erst lancierten Suite sind dann auch eher bei Photoshop und Illustrator zu finden als bei InDesign.

Weiter fällt auf, dass die grafische Branche für Quark wie auch für Adobe offenbar nicht mehr die gleiche Bedeutung hat. Erstmals seit Langem stellte keines der Unternehmen auf der diesjährigen Fachmesse Drupa aus. Irgendwie scheint Desktop Publishing kein grosses Thema mehr zu sein – es ist einfach da. Das ist schade.

Schade ist auch, dass beide Unternehmen die Entwicklung in der Informatik nur zögerlich aufnehmen. Cloud Computing wird, von CS Review abgesehen, ignoriert; die Creative Cloud ist nicht das, was sie sein könnte; sie ist kein webbasierendes Layoutprogramm. Die beiden Grossen sind schwerfällig geworden. So bietet sich die Chance für einen Neuanfang, für einen Phönix aus der Asche …

Von Oregon und Colorado in die Welt

Was wir heute als Desktop Publishing kennen, ist Paul Brainerd zu verdanken, der unweit der Grenze von Kalifornien im US-Bundesstaat Oregon auf­gewachsen ist. Er arbeitete als Student zuerst für einen Zeitungsverlag und war dort bei der Umstellung auf Offsetdruck und beim Wechsel von Zeilengiessmaschinen auf Fotosatzsysteme involviert. Durch die enge Zusammenarbeit mit Atex, das damals eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der Zeitungsproduktionsprozesse hatte, war er an vorderster Front der sich abzeichnenden Publishing-Lösungen dabei. Das Unternehmen wurde dann von Kodak übernommen. Daraufhin sprang Brainerd ab und gründete das Unternehmen Aldus. Dort leitete er die Entwicklung eines Software-Produkts, das er als ideal für die Integration in Adobes Seitenbeschreibungssprache PostScript und Apples Laserwriter ausmacht. Er nennt es PageMaker.

Ein Unternehmer von ähnlichem Kaliber wie Brainerd war Tim Gill. Gill, der in Colorado Informatik studierte und für die ersten Apple-Rechner Textverarbeitungssoftware programmierte, gründete 1981 das Unternehmen Quark und entwickelte dort das Layoutprogramm QuarkXPress, das 1987 erschienen ist. Gill beging einen unternehmensstrategischen Fehler, konnte diesen aber durch die Anstellung von Fred Ebrahimi wieder wettmachen: Dem von ihm eingesetzten CEO gelang mit einer neuen Version von QuarkXPress der Durchbruch. In der Folge wurde QuarkXPress bei Profis in der Druckvorstufe zum Inbegriff eines Desktop-Publishing-Programms.

Serie zu Publishing

In einer Serie stellen wir zuerst in diesem Teil die Hintergründe des Publishing vor. Die nächsten Artikel thematisieren unterschiedliche Publishing-Workflows, auch denjenigen des Digital Publishing.

Der Autor

Der gelernte Schriftsetzer Jürgen Franck verfolgt seit vielen Jahren und mit sehr grossem Interesse die Entwicklungen rund um das Thema Publishing. Der Autor ist hauptberuflich als Lehrperson an der Berufsschule für Gestaltung Zürich in der Grund- und Weiter­bildung tätig.