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Zwar kleine, aber feine Neuerungen

Adobe hat Illustrator in die Version 16 überführt. Konturverläufe und eine verfeinerte Mustermethode sind die Highlights. Auch hat sich einiges unter der Haube getan. Die ineffiziente und ausgediente Diagrammfunktion rostet hingegen weiter vor sich hin.

Andreas Burkard Illustrator ist weit verbreitet, dennoch mögen nicht alle das Programm. Einige haben die Routine damit verloren, andere haben diese nie hinbekommen. Doch immer wenn das Auge ein «Made-by-Illustrator» ausmacht oder wenn man sich in die Funktionen vertieft, so ist man schlicht und einfach fasziniert, was dieses grossartige Grafikprogramm zu leisten fähig ist.

Nun ist es genau 25 Jahre her, seit Adobe mit Illustrator 1.1 auf den Markt gekommen ist. Aldus FreeHand und Corel Draw waren damals der Zeit voraus. Der Rest ist Geschichte. Seit Illustrator CS, der Version 11 aus dem Jahre 2003, hat Adobe das Programm mit jedem neuen Release sehr beeindruckend weiterentwickelt und stetig verbessert. Mit der neuen Version scheint der Schub hinter der Entwicklung auf den ersten Blick ein wenig ins Stocken zu geraten. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass unter der Haube ganze Arbeit geleistet wurde, und auch die Highlights lassen sich sehen.

Warten war gestern

Die Arbeitsgeschwindigkeit hat sich gegenüber den Vorgängerversionen enorm verbessert. Der Grund dafür ist die Anpassung an die 64-Bit-Prozessorarchitektur heutiger leistungsfähiger Rechner. Für den Programmhersteller war dieses Umschreiben und Anpassen unter der Haube ein schöner Brocken Arbeit. Den Geschwindigkeitszuwachs merkt man besonders bei den Effekten wie beispielsweise der weichen Kante, dem Gaussschen Weichzeichner, dem Schlagschatten oder den 3D-Effekten. Diese werden nun praktisch in Echtzeit gerendert. Auch die Nachzeichnungsfunktion ist in Bezug auf die Geschwindigkeit kaum wiederzuerkennen. Profitieren werden vor allem Anwender mit gewaltigen Datenmengen und komplexen Dokumenten, wie beispielsweise Kartografen, Stoff- oder Grafikdesigner.

Konturverläufe

Die Kontur rückte bereits in der Vorgängerversion mit dem Breitenwerkzeug und den Profilen in den Fokus der Neuerungen und Verbesserungen. Zwei Funktionen, welche bei Illustratoren sehr gut aufgenommen wurden. Doch einer Kontur einen Verlauf zuzuweisen, war bis jetzt ein No-go. Das hat sich in CS 6 radikal geändert. Man kann nun also tatsächlich einem Pfad einen Konturverlauf einfügen.

Die Konturverläufe, kombiniert mit dem Breitenwerkzeug, dem Werkzeug, mit welchem man eine Kontur an einer beliebigen Stelle verbreitern oder verengen kann, werten die Kontur nochmals ein schönes Stück auf. So benötigt man beispielsweise weniger Angleichungen oder Verlaufsgitter mit ihren nicht ganz pflegeleichten Optionen. Ein weiterer Vorteil ist, dass eine Kontur über die Konturstärke stetig veränderbar ist und sich optional via Aussehen in einen Grafikstil einbinden lässt. Die Kontur mit ihren vielfältigen Verwendungszwecken und Optionen lässt in Illustrator CS 6 nun (fast) keine Wünsche mehr offen.

Beim Speichern in tiefere Versionen entstehen aus Konturverläufen automatisch Flächen. Hier wird also eine Konturlinie erzeugt, wobei die Darstellung gewährleistet ist.

Mustergültig

Die Mustererstellung ist nicht neu, nun aber wesentlich komfortabler. Ein nahtlos repetierendes Muster benötigte in den Vorgängerversionen als hinterstes Objekt eine leere Form in der Kachelgrösse des Musterbauteils. Die für die Mustergestaltung verwendeten Objekte mussten numerisch über die Kanten gelegt werden, damit sich diese bei der Wiederholung nahtlos aneinanderreihen. Die Musterobjekte durften nicht an den Ecken platziert werden, ausser es handelte sich um geometrisch kongruente Formen. Der Aufwand war hoch, und es wurde einiges an Programmwissen abverlangt. Ein nahtlos repetierendes Muster benötigte einen durchdachten Aufbau der Musterteile.

Das ist nun plötzlich Schnee von gestern. Wählt man nun das Musterbauteil aus, so kann in den Musteroptionen zeitsparend ein nahtloses Muster erzeugt werden. Man kann Objekte anlegen und in Echtzeit verfolgen, wie diese die Mustergestaltung beeinflussen. In den Musteroptionen kann man unter anderem die Anordnung, die Grösse und die Überlappung der Musterbauteile steuern. Der Weg zum Ziel hat sich verkürzt, obwohl nahtlos repetierende Muster nach wie vor ein gestalterisches Flair erfordern.

Es müssen aber nicht immer nahtlos repetierende Muster sein. Auch eine Form kann ganz einfach im Menü Objekt > Muster in das Bedienfeld Farbfelder überführt und so als Muster verwendet werden. Dieser Vorgang ist nun sehr raffiniert: Es öffnet sich eine neue Musteroptionen-Palette und die Form ist automatisch im Isolationsmodus als Musterform aufgeführt. Wie im Isolationsmodus üblich, werden die nicht behandelten Objekte schwächer dargestellt. Nun kann man mit den vielen Einstellungen im Bedienfeld Muster-optionen experimentieren und die errechneten Designs in Echtzeit verfolgen. Ist man mit dem Resultat zufrieden, kann man den Isolationsmodus mit der ESC-Taste beenden, optional das neue Muster benennen und dieses in den Farbfeldern ablegen.

Nach wie vor ist beim Transformieren die Standardeinstellung so, dass sich nur der Rahmen ohne das Muster transformiert. Um dies zu umgehen, besitzen die Transformationsbefehle, wie drehen, skalieren, verschieben, verbiegen, die Option Muster. So unterliegt dann auch das Muster der Transformation. Über Voreinstellung > Allgemein > Muster transformieren kann das auch generell eingestellt werden.

Und ausserdem …

Das Menü Fenster scheint in Illustrator besonders fruchtbar zu sein. Auch diese Version bildet hier keine Ausnahme. Die Paletten sind auf mittlerweile 35 Stück angewachsen, Bestände nicht mitgezählt. Neu dazugekommen ist nebst der Musterpalette ein Bedienfeld für Bildvektorisierungen. Die Optionen sind wesentlich übersichtlicher als in der Steuerung unterhalb des Menüs auszuführen, und die Qualität der Nachzeichnungen ist besser.

Abgetrennte Werkzeugleisten kann man nun zu den übrigen Paletten andocken und optional als Arbeits­bereiche speichern.

Ebenen können wie in Photoshop umbenannt werden. Dazu genügt nun ein Klick auf die Ebenenbezeichnung.

Das hätte auch Platz gehabt …

In Illustrator fehlen nach wie vor weitreichende vektorbasierte Verzugsmöglichkeiten, wie beispielsweise Linseneffekte. Diese sollten auch vor Mustern nicht haltmachen.

Das Zeichnen in Perspektive sollte ebenfalls Konturen im Fluchtpunkt verengen können und unbedingt auch Muster berücksichtigen.

Die 3D-Effekte in Illustrator sind nun seit 10 Jahren nicht mehr angefasst worden. Auch da hätte frischer Code gut getan. Beispielsweise um 3D mit den booleschen Operationen, dem Pendant zum Pathfinder, aufzuwerten. 3D sollte ausserdem einen Workflow zu anderen Adobe-Lösungen enthalten.

Stillstand

Das meiste ist in Illustrator CS 6 sehr gut, vieles gar perfekt. Ein paar Sachen könnten jedoch besser sein, doch eines ist schlichtweg peinlich: die Diagrammfunktion! Diese ist seit dem Beginn im Stillstand. Hier wurde leider auch in CS 6 ein echtes Bedürfnis der Mediengestaltung und -produktion wieder nicht berücksichtigt.

Klar kann man in Verbindung mit Effekten nette Diagramme basteln, doch die Erstellung ist umständlich, zeitintensiv und bei der Daten­aktualisierung geht praktisch immer das Aussehen auf Weltreise. Die Methode, wie wir im Jahre 2012 in Illustrator mit den Diagrammen grafisch Daten und Informationen darzustellen haben, ist absurd. Sie ist eines so hochwertigen Grafikprogramms längst nicht mehr würdig und steht überdies auch völlig quer in der Adobe-­Landschaft. Dies trübt denn auch den Gesamteindruck des erneuerten Illustrator CS 6. Dass man noch länger warten muss, bis sich hier endlich etwas bewegt, ist absolut unverständlich.

Fazit

Lässt man das am Schluss Erwähnte beiseite, so kann man sich an einer soliden neuen Version des Grafikklassikers erfreuen. Die zwei Highlights überzeugen durchaus und ergänzen das Produkt sinnvoll. An kleine Neuerungen und Verbesserungen werden wir uns künftig wohl gewöhnen müssen. Zu ausgereift sind die Produkte mittlerweile.

Der Autor

Andreas Burkard arbeitet in der Mediengestaltung, der Medienproduktion und in der Ausbildung. Er macht individuelle Trainings und Beratung rund um die Themen Adobe-Programme, PrePress und ePublishing.

www.BurkardPublishing.ch