Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Heft-Archiv >> 2017 >> Publisher 6-17 >> Werbetechnik >> Werbetechnik im digitalen Wandel

Werbetechnik im digitalen Wandel

Die Branche ist gezwungen, die Digitalisierung voranzutreiben. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, erfolgreich am Markt zu agieren.

Simon WidmerUnmut und Klagen prägen die Gespräche zwischen Werbetechnikern, denn die Onlinedruckereien dringen zunehmend in ihre Domäne ein. Werbetechnische Erzeugnisse, die lange Zeit guten Umsatz generierten, sind zu Spottpreisen über die Onlineshops zu beziehen. Dazu gehören Werbebanner, Roll-up-Displays, Messewände, bedruckte Verbundplatten und vieles mehr. Zusätzlich leidet die Werbetechnikbranche unter der ausländischen Konkurrenz, die ihre Produkte und Dienstleistungen zu Dumpingpreisen anbietet und die erwähnten Werbetechnikprodukte auch noch günstig verklebt, an Messen montiert, oder gar Mega-Poster mit so genannten Sky Workers fachgerecht anbringt.

Dazu kommt, dass diese Wettbewerber im Internet sehr präsent und offensichtlich mit erheblichen Marketingbudgets ausgestattet sind. Der etablierte inländische Werbetechniker kann die Preisdiskussion mit der bestehenden Kundschaft kaum mehr umgehen.

Hausgemachte Probleme?

Der «digitale Wandel» hat auch vor der Branche der Werbetechniker und Werbemediengestalter nicht haltgemacht. Viele alteingesessene Betriebe haben sich diesem Wandel bis heute widersetzt und sind zu spät oder mit falschen Massnahmen auf den Zug aufgesprungen. So mangelt es an ansprechenden Auftritten im Internet und daraus abgeleitet ist der Kunde mit antiquierten Bestellwegen für Standardprodukte konfrontiert. Bei den Webshops können diese einfach, zeitsparend und rund um die Uhr geordert werden.

Die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung beginnt aber schon viel früher. Obwohl seit der letzten Bildungsreform keine Mühen gescheut wurden, die künftigen «Gestalter Werbetechnik» auf den Umgang mit den digitalen Medien vorzubereiten, hat sich das in den Betrieben recht bescheiden niedergeschlagen. Bei jungen Berufsleuten driften Erlerntes und im Arbeitsalltag tatsächlich Einzusetzendes in der Regel schnell auseinander. Dies kann fatale Folgen haben, wenn man dann erst noch mit Kunden konfrontiert wird, die in der Branche mit dem noch immer negativ belasteten Ausdruck «Digital Natives» bezeichnet werden.

Zurück auf die Erfolgsspur

Die auszubildenden oder frisch der Ausbildung entwachsenen Werbetechniker/innen hätte alle Werkzeuge und alles Wissen an der Hand, würde man es wagen, sie bei einer notwendigen Neupositionierung einzubinden. Auch müsste es zur absoluten Notwendigkeit werden, die Weiterbildung der bestehenden Mitarbeiterschaft zu thematisieren, damit eine Angleichung an das Wissen der jungen Werbetechniker/innen stattfinden kann.

Kommunikationskanäle wie die Firmenwebsite, Webshops, Kontaktformulare, E-Mail-Marketing, Social-Media-Plattformen und Auftragsvergabe-Portale gehören heute in den Vertriebs- und Marketingmix einer modernen Firma. Das Wissen, wie damit umzugehen ist, bringen die ausgebildeten jungen Fachkräfte mit.

Der Miteinbezug der jungen Garde bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle kann nur förderlich sein. Wenn es gar gelingt, den Vorwärtsdrang der jungen Generation mit dem vorhandenen Erfahrungsschatz zu vereinen, können ungeahnte Möglich­keiten entstehen.

Es ist unbestritten, dass die digitale Vorgehensweise die Geschwindigkeit der bestehenden Prozesse zu erhöhen vermag und allein dadurch Kosten senken kann. Eine digital auffindbare Firma wird das Angebot für bestehende Kunden erweitern und neue Kunden erreichen. Der altgediente Leitspruch, wonach der Ausbau des bestehenden Kundenstamms immer günstiger sei als die Suche nach neuen, wird damit obsolet.

Tipps für die Umsetzung

Um einen grösseren Sprung zu machen, empfiehlt es sich in der Regel, zuerst einen Schritt zurück zu gehen, die Vogelperspektive einzunehmen und bestehende Prozesse und Zusammenhänge zu analysieren und zu hinterfragen. Es muss nicht alles digital werden, aber nur mit einer neuen Website ist es nicht getan.

Auf dem Weg der Digitalisierung lauern Gefahren, darum Vorsicht. Investitionen in digitale Abläufe können schnell tiefe Löcher in das Budget reissen. Unterstützende Angebote zur kritischen Selbstanalyse vor dem Schritt in die Digitalisierung werden von Fachhochschulen und Branchenverbänden angeboten. Man ist gut beraten, sich hier zuerst ein klares Bild zu machen und Kosten und Nutzen abzuwägen. Wie bereits erwähnt, kann der Miteinbezug der jungen Generation von zusätzlichem Nutzen sein.

Nicht alles über Bord werfen

An der zunehmenden Digitalisierung wird kein Weg vorbeiführen. Es gilt aber besonders in unserem Lande, bewährte Vorgehensweisen nicht über Bord zu werfen, sondern diese zu entstauben und weiterhin einzusetzen.

Was weder der Onlineanbieter noch der Werbetechnikbetrieb aus dem umliegenden Ausland anbieten kann, ist eine seriöse Beratung und den direkten Kontakt mit dem Kunden, um aus dessen Vorstellungen, gepaart mit der Kreativität und der Erfahrung des Fachbetriebs ein für den Kunden stimmiges Produkt herzustellen.

Eine grosse Chance liegt immer noch in der Fähigkeit zu beraten, nicht einfach Lösungen von der Stange anzubieten. Natürlich ist dieser Beratungsprozess zu entstauben und zu modernisieren. Heute stehen exzellente Tools zur Verfügung, um die Ideen des Kunden schnell und unkompliziert zu visualisieren. Angefertigte Produkte-Templates können vor dem Kunden individualisiert und personalisiert werden. Dies gibt dem Kunden eine grosse Zuversicht, dass das fertige Produkt sehr nahe an seinen Vorstellungen sein wird. Wir alle kennen bei Bestellungen über das Internet den zum Teil erheblichen Überraschungseffekt. Beratung hat viele Facetten und kann bis hin zu einem «Sorglos-Paket» für den Kunden gehen. Darin wird er den Unterschied zu Online- und Billiganbietern erkennen.

Zusatzdienstleistungen

Zusatzdienstleistungen sind ein probates Werkzeug, um sich vom beschriebenen Wettbewerb weiter zu distanzieren: Kombination mit anderen Dienstleistungen, die als Generalist übernommen werden können; Unterstützung bei Auf- und Abbau von Messen und grösseren Installationen; Lagerhaltung von mehrmals benötigten Produkten etc. Dies sind nicht nur grosse Pluspunkte gegenüber den oft im Ausland angesiedelten Onlinern, damit lassen sich meist auch die Preiseinbussen beim stark gedrückten Marktpreis wieder wettmachen. Denn Dienstleistung kostet, das weiss auch der Kunde.

Wer sich so positionieren will, braucht Wissen, das über die Produktion hinausgeht. Er muss die Position des Kunden verstehen und bereit sein, sich nicht nur auf den Produktwunsch des Kunden zu fokussieren, sondern auch den Mut und die Kompetenz haben, Verbesserungsvorschläge oder Alternativen einzubringen. Wer als Allrounddienstleister rund um das Projekt des Kunden aufzutreten gewillt ist, hat gute Chancen, eine Kundenbindung zu erreichen, die die Preisdiskussion um einige Stellen nach hinten verschiebt.

Kooperationen

Die Wünsche und Erwartungen der Kunden sind gestiegen – auch getrieben durch die vielfältigen Angebote im Internet. Hier greift die bekannte Vorgehensweise: Man informiert sich im Internet und will danach beim lokalen Anbieter kaufen und das Produkt von diesem liefern oder sogar montieren lassen. Das Ganze selbstverständlich zum im Netz angebotenen Preis. Hier kommt das Miteinander zum Tragen. Warum muss alles selbst gemacht werden, mit Arbeitsschritten, für die man nicht optimal eingerichtet ist und selten die nötige Wertschöpfung generieren kann? Dazu sind Kooperationen von mehreren Werbetechnikern im Verbund gefordert, die sich kollegial in verschiedenen Wissens- und Fachbereichen ergänzen können. Die Branchenverbände helfen hier bei der Vernetzung. ↑

Simon Widmer ist Inhaber der Siegel Reklame GmbH und designierter Nachfolger im Ressort Marketing des VWP. Seit nunmehr 13 Jahren führt er zusammen mit seiner Frau Kathrin Widmer die Werbeagentur mit eigener Werbetechnikproduktion in Appenzell.

www.siegel.ai
www.siegelreklamen.ch