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Polygraf � Fakten zum Berufsbild

Im letzten Publisher analysierte Ralf Turtschi die Ausbildung für Polygrafen. Heute geben wir Peter Theilkäs, Vizedirektor Viscom, verantwortlich für den Bereich Berufsbildung, Gelegenheit, sich über die Grundbildung zu äussern.

Peter Theilkäs Über 500 Jahre hat sich nicht viel bewegt im Ausgangsberuf, der die Welt revolutioniert hat. Seit Anfang der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts haben sich die Ereignisse aber überschlagen. Die Entwicklung vom Schriftsetzer über den Typografen zum Polygrafen mit den Fachrichtungen Text und Bild, weiter zum «NAK-Polygrafen», zum GVK-Polygrafen und schliesslich zum heutigen Berufsbild Polygraf/-in EFZ hat rund 30 Jahre gedauert. In dieser Zeit ist die einstige Beschaulichkeit in der schwarzen Kunst einer atemberaubenden Markt- und Technologieentwicklung gewichen. Das «Zeitalter der Haushöhen» (Wer weiss schon noch, was Haushöhen sind?) gehört endgültig der Vergangenheit an, und das ist gut so!

Die Ausgangslage

Kein Beruf in der Branche hat der­massen grosse Veränderungen erfahren wie derjenige des Schriftsetzers oder des Reprofotografen/Fotolithografen. Es soll hier nicht darum gehen, die Geschichte auszubreiten. Dennoch ist es angebracht, einige Details zu skizzieren, kann man die Gegenwart doch nur verstehen und die Zukunft nur dann richtig ausloten, wenn man die Vergangenheit kennt. Mindestens fünf Mal wurden die Ausbildungs- und Prüfungsreglemente dieser Berufe von 1970 bis 2002 umgeschrieben.

Einem Quantensprung kam 1997 die Einführung des «GVK-Jahres» bei der Neukonzipierung des Ausbildungs- und Prüfungsreglements für die Polygrafen gleich. Die stetig steigenden Anforderungen haben dazu geführt, dass man eine saubere theoretische Basis legen wollte, wo gleichzeitig die Praxis in geschütztem Rahmen eingeübt werden konnte. Wohlgemerkt: Dieses Anliegen kam nicht aus den Berufsschulen, sondern seitens der Betriebe. Um Synergien im Berufsfeld Medienvorstufe/visuelle Kommunikation schaffen zu können, haben seinerzeit die Verantwortlichen in Zusammenarbeit mit dem damaligen BIGA die Fühler zu Grafikerverbänden, den Fotografen und den Schrift- und Reklamegestaltern (heute Gestalter Werbetechnik EFZ) ausgestreckt. Leider war dem Unterfangen kein grosser Erfolg beschieden und es kam nie über die Anfangsphase hinaus, zu divergierend waren die Interessen der Betroffenen. Die Idee des GVK-Jahres vermochte sich dennoch zu halten und ist heute unumstritten (GVK = Grundschule für visuelle Kommunikation).

Die Forderungen des Marktes und der ausbildenden Betriebe

Parallel zur Erarbeitung der Bildungsverordnung Polygraf/-in EFZ mit den beiden Fachrichtungen «Mediengestaltung» und «Medienproduktion» hat Viscom 2004 eine Bedarfsanalyse für die grafische Branche/visuelle Kommunikation unter dem Titel «Arbeitsmarkt 2010» durchgeführt. In der Fragestellung ging man vom damaligen Polygrafenberufsbild aus. Die Frage nach dem Bedarf an Lernenden im Bereich der Polygrafie hat dabei klar ergeben, dass dieser auch in Zukunft gegeben ist. Die Einschätzung, wie sich die Zahl der Mitarbeitenden in der (damaligen) Polygrafie in den nächsten fünf Jahren entwickeln würde, ging allerdings von einem Minderbedarf von 24% aus. Dagegen wurde ein Mehrbedarf im Bereich Multimedia/Informatik von 94% erwartet. Heute stellt man fest, dass sich auch Werbeagenturen und Grafikateliers daran beteiligen. Ein wichtiges Ziel, das sich die Träger gestellt hatten, wurde damit erfüllt.

Weshalb zwei Fachrichtungen?

Vor diesem Hintergrund und mit den Ergebnissen aus der gleichen Studie bezüglich der Berufsanforderungen, wonach Gestaltung, Multimedia- und Informatikkenntnisse sowie der Umgang mit Kunden immer wichtiger werden, sind die Fachrichtungsidee und der 12 Themen umfassende Leitzielkatalog, der sich damals in der Konzeptionsphase befand, eindrücklich bestätigt worden (s. Abb. 2).

Dass die Bildung von Fachrichtungen bei Berufen, die ein (zu) grosses Tätigkeitsfeld aufweisen, ein probater Weg ist, hat der Informatiker mit seinen vier verschiedenen Fachrichtungen aufgezeigt. So lag es auf der Hand, das wachsende Aufgabenfeld in der Polygrafenausbildung ebenfalls zu gliedern. Angedacht waren vorerst vier Fachrichtungen (Produktion, Gestaltung, Multimedia und Beratung). Erarbeitet wurden drei. Die Fachrichtung «Multimedia» wurde bereits in der Konzeptphase wieder gestrichen. Die Fachrichtung «Medienberatung» wurde dann im Laufe der offiziellen BBT-Vernehmlassung gestrichen.

Die Vorgaben des neuen ­Berufsbildungsgesetzes und die Verbundpartnerschaft

Bekanntlich ist die schweizerische Be-rufsbildung in Europa führend. Dies geht auch aus einer kürzlich veröffentlichten OECD-Studie hervor. Und bewiesen haben dies auch die Teilnehmer/-innen an den drei letzten Berufsweltmeisterschaften, wo man das beste europäische Team stellte. Dies dürfte Beweis genug sein, dass dieschweizerische Berufsbildung in ihren Strukturen konkurrenzfähig und praxistauglich ist. Neben den bereits bekannten Vorgaben ist neu für jedes einzelne Berufsbild eine Kommission für Berufsentwicklung und Qualität (BE + Q) einzusetzen. Diese hat die Aufgabe, den Beruf auf Praxistauglichkeit zu prüfen und die Inhalte permanent zu bewirtschaften. Die Kommission BE+Q für die BiVo Polygraf/-in EFZ umfasst 13 Namen, die einerseits die drei Lernorte, aber auch den Bund und die Kantone vertreten. Dies kommt nicht von ungefähr, basiert doch die schweizerische Berufsbildung auf der Verbundpartnerschaft gemäss dem Motto:

  • Der Bund (BBT) gibt die Strukturen.
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    Die Kantone überwachen und zeichnen für die gesetzeskonforme Umsetzung.
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    Die Organisationen der Arbeitswelt sind verantwortlich für die Inhalte.
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    Bereits im Rahmen der Erarbeitung eines Berufsbildes hat die dafür verantwortliche Reformkommission einige Hürden zu überspringen. So ist vor Inangriffnahme der Reformtätigkeiten ein Vorticket bei der Eidg. Berufsbildungskommission zu beantragen; dabei ist auch eine Tätigkeitsanalyse vorzulegen. Während des Prozesses und vor der offiziellen BBT-Vernehmlassung ist der Entwurf einer externen, von Bildungsspezialisten vorgenommenen Konsistenzprüfung zu unterziehen. Dabei geht es darum, die Plausibilität der Bildungsinhalte in sich, aber auch zwischen den drei Lernorten zu hinterfragen. Schliesslich sind Qualität und Mengengerüst der definierten und ausformulierten Leitziele (Bildungsinhalte) zu überprüfen.

    Aufbau und Inhalt der ­Polygrafenausbildung

    Bekanntlich rückt der Workflow in der grafischen Branche vom Bereich Premedia über Drucktechnologie zur Printmedienverarbeitung immer näher zusammen. Gleichzeitig schreitet die Automatisierung rasant voran und weitere, bis vor Kurzem unvorstellbar erscheinende Prozesse werden formalisiert, vereinfacht oder fallen ganz weg.

    Als man 2004 mit der Ausarbeitung des neuen Berufsbildes startete, wurden 12 Leitziele, 35 Richt- und rund 160 Leistungsziele definiert. Klar war, dass dem Thema Typografie vermehrt Beachtung zu schenken sei sowie «Multimedia und Web» zwar nicht vertieft, aber im Sinne von «Wissen, um was es geht» einzubauen ist.

    Mit hoher Sachkompetenz sind die Inhalte definiert und nach Fachrichtung, Lernort, Lernzeitpunkt sowie Schwierigkeitsgrad (Taxonomie nach Bloom) zugeordnet worden. Was nie zur Diskussion stand, war der Einbau von Wahlpflicht- und frei wählbaren Modulen. Mit den zwölf Leitzielen, die man auch als Module bezeichnen kann, wollte man ein klar und eindeutig fassbares Berufsbild erarbeiten, wo aus dem EFZ klar ablesbar die vermittelten Kompetenzen hervorgehen und nicht wie z.B. in Deutschland, «dank» der Modularisierung, x-beliebige Varianten des Mediengestalters möglich werden.

    Bei Vorliegen der neu strukturierten Bildungsverordnung war allen klar, dass – wie bei der Installation neuer Hard- und Software – die ersten Updates nicht lange auf sich warten lassen würden und die Inhalte einer laufenden Bewirtschaftung unterzogen werden müssen. Erste Updates im Bildungsplan sind noch vor den Sommerferien zu erwarten, dabei wird auch klar herauskommen, dass es im Bereich «Multimedia und Web», nicht darum geht Prüfungsreife zu erreichen. Vielmehr sollen hier in der Schule und im üK (und wenn von der Auftragsstuktur her möglich im Lehrbetrieb) erste Basics vermittelt werden.

    Das Umfeld im Bereich der Grundbildung und ein Blick auf die Weiterbildungs­möglichkeiten

    Wie aus der Abb. 1, «Entwicklung der wichtigsten Berufe in der Medienvorstufe», hervorgeht, ist der Polygraf längst nicht mehr alleine im weiten Feld der visuellen Kommunikation von Text- und Bilderfassung, -bearbeitung und -gestaltung. Mit der vor rund zehn Jahren lancierten Bildungsinitiative, wo die eidgenössischen Räte insgesamt 160 Mio. Franken für die Berufsbildung gesprochen haben, sind diverse Berufsbilder neu kreiert worden; so auch der Multimediagestalter, der Informatiker und der Mediamatiker. Dem Grafiker, dem Fotografen, dem Gestalter Werbetechnik, aber auch dem Polygrafen ist Konkurrenz erwachsen. Zusammen mit seinen Partnern kämpft Viscom dafür, dass der Polygrafenberuf auch in Zukunft in der visuellen Kommunikation/grafischen Branche eine Hauptrolle spielen kann. Dies ist aber nur dann möglich, wenn das Berufsbild ein Profil hat, in Fachrichtungen ausgestaltet werden kann und wenn – wie dies heute der Fall ist – neben einem umfassenden Angebot in der freien Weiterbildung auch ein attraktives und umfassendes Angebot im Bereich der reglementierten beruflichen Weiterbildung besteht. Mit insgesamt vier Berufsprüfungen in den Spezialisierungsbereichen Sprache (Eidg. geprüfter Korrektor EFA), Gestaltung (Typografischer Gestalter EFA), Informatik/Koordination (Techno­polygraf EFA) und Sachbearbeitung (Druckkaufmann/-frau EFA) bietet Vis­com zusammen mit seinen Partnern ein wohldurchdachtes, offenes Bildungskonzept in der Polygrafie an.

    Die Diskussion geht weiter: Kommentare zu diesem Artikel finden Sie auf www.publisher.ch –> Aktuelle Ausgabe. Auf www.hilfdirselbst –> Foren –> Was die Branche bewegt –> Ausbildung Polygraf 2007 läuft ein Diskussionsforum. Auf www.mediaforum.ch finden sich ebenfalls Beiträge rund um die Berufsbildung.