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Adobe schockt die Branche mit scharfem Richtungswechsel

Das plötzliche Ende der Adobe DPS ist für die Betroffenen ein Schock. Viele stellen die Verlässlichkeit Adobes grundsätzlich infrage, der Imageverlust ist gross. Das Schreckbild eines Monopolisten, der den Markt wie eine Zitrone auspresst, gibt vielen zu denken.

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Von der DPS zum Adobe Experience Manager: Das ist, wie wenn man einen VW Golf geleast hat und einem der wohlwollende Autoverkäufer zum Jahreswechsel einen Bentley statt des Golfs in die Garage stellt – mit lieben Grüssen und einer viermal höheren Leasing-Rechnung.

Martin Spaar Es kam Ende Februar für alle Betroffenen wie aus heiterem Himmel: Adobe verkündete am Mobile World Congress in Barcelona das Ende der Digital Publishing Suite (DPS), des InDesign- und cloudbasierten Tools fürs Tablet-Publishing. Die Technologie soll zwar weiterleben, jedoch nicht mehr eigenständig als DPS, sondern im Rahmen des Adobe Experience Manager (AEM) als Teil der Adobe Marketing-Cloud.

Damit bewegt man sich bezüglich Leistungen, aber auch bezüglich Preisen in einer ganz anderen Liga, die auf Grosskonzerne ausgerichtet ist. Allgemeine Preise sind schwer zu erhalten, da diese von vielen individuellen Faktoren abhängen. Über den Daumen gepeilt, ist jedoch mit einer Erhöhung um den Faktor vier zu rechnen! Damit ist DPS-Nachfolger von Adobe für einen Grossteil der Schweizer Kunden ausser Reichweite. Der Unmut bei den DPS-Anwendern ist denn auch entsprechend gross: Die DPS-Publishing-Infrastruktur ist für sie weg – quasi ausgeknipst. Das ist fatal für Leute, die ihr Business darauf gestützt hatten.

Von der Faust im Sack bis zum Klartext

Ein Betroffener beschreibt das anhand eines Vergleichs in die Old Economy so: «Unsere Situation ist vergleichbar mit einem Offsetdrucker, der fleissig Aufträge akquiriert und sich ein Geschäft aufgebaut hat; und nun fährt eines Morgens der Hersteller mit dem Lastwagen vor und lädt die Druckmaschine auf und transportiert sie ab.»

Viele Betroffene machen die Faust im Sack und wollen sich nicht öffentlich dazu äussern. Es gibt jedoch auch andere, die Klartext sprechen; so Patrick Müller, Managing Director des Studios Docmine, welches viele erfolgreiche DPS-Projekte realisiert hat. Für das Startup war die DPS eine Chance, ohne Programmierung hochwertige Apps zu erstellen, und die Firma wurde als begeisterter Anwender seitens Adobe sehr gut unterstützt. So konnte Docmine mit einem Videobook über Carl Lutz internationale Awards gewinnen (Best of App Store 2014, Deutscher eBook Award). Gemeinsam mit Adobe hat Docmine sogar ein Marketing-Video realisiert (See how the creative studio DOCMINE turned the print publication SWISS Universe with Adobe DPS 2015 into an engaging digital publication, siehe Publink am Schluss des Artikels).

Plötzlicher Schwenker als Vertrauensbruch

Verständlich, dass Docmine das Ende der DPS besonders überraschend trifft. Dazu Patrick Müller: «Wir waren von einem Tag auf den anderen mit dem Ende der DPS und den damit verbundenen Preismodellen konfrontiert. Die neuen Modelle sind um Faktoren teurer und ein wahrer Schock – vor allem auch für unsere Kunden, für die wir Projekte mit der DPS realisiert und diese Lösung empfohlen hatten. Damit ist das Ganze für uns eine sehr unerfreuliche Situation. Denn das Produkt selbst ist top und die direkte Zusammenarbeit mit Adobe war bisher hervorragend. Das Verhalten von Adobe widerspricht total unseren geschäftlichen Gepflogenheiten, die auf eine nachhaltige Kundenbeziehung aufbauen – für mein Empfinden ist das ein Vertrauensbruch. So geht man nicht mit Geschäftspartnern um. Adobe tritt hier mit der Marktmacht des Grossen auf. Immerhin wurde uns für eine befristete Zeit eine Zwischenlösung angeboten. Aber sollte Adobe an seiner Preispolitik festhalten, sind wir gezwungen, uns für einen Grossteil unserer Kunden nach einem neuen Partner für das Tablet-Publishing umzusehen.»

Damit spricht Patrick Müller wohl vielen Betroffenen aus der Seele. Der Fall DPS zeigt deutlich die Problematik der Kombination von Mietmodell und marktbeherrschendem Monopolisten. Die Abhängigkeit ist total und für Kundensegmente, welche vom Grossen plötzlich als uninteressant taxiert werden, kann es schnell sehr ungemütlich werden. Umso mehr, als eine auf Langfristigkeit ausgerichtete Geschäftsethik bei quartalsgetriebenen Firmen wie Adobe nicht sehr ausgeprägt zu sein scheint.

Evolutionär und natürlich?

Wir haben Adobe um eine Stellungnahme zu den Kundenreaktionen rund um das Ende der DPS gebeten. Diese ist schnell und ausführlich gekommen und drückt auch ein gewisses Verständnis für die negativen Reaktionen aus (siehe Link unten). Es zeigt aber auch, wie eng die Firma in ihrem Grosskundendenken gefangen ist. Da ist davon die Rede, dass die Software-Evolution ein natürlicher Prozess sei. Nun mag eine solche Preiserhöhung um Faktoren für einen Weltkonzern evolutionär wirken, weil man auch grössere fünfstellige Beträge locker aus der Portokasse zahlt. Für Schweizer KMU ist das ein unzumutbarer Schock.

Und wenn man hervorhebt, dass der neue Adobe Experience Manager die Kunden noch besser in die Lage versetzt, Workflows stärker zu automatisieren sowie den Erfolg transparent zu messen, dann hat das sicher seine Richtigkeit und mag für Grosskunden superattraktiv und sein Geld wert sein. Nur wäre den meisten der KMU-DPS-Kunden mit einer schlankeren und dafür erschwinglichen Lösung mehr gedient. Auch dazu ein Bild eines Betroffenen: «Das ist, wie wenn man einen VW Golf geleast hat und einem der wohlwollende Autoverkäufer zum Jahreswechsel einen Bentley statt des Golfs in die Garage stellt – mit lieben Grüssen und einer viermal höheren Leasing-Rechnung.» Und auch dabei geht es nicht um die Frage, ob der Bentley sein Geld wert ist ....

Zum Statement von Adobe im vollen Wortlaut sowie zu weiterem Material zu diesem brisanten Thema.