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MyPod

Zurück zu den Wurzeln

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Den zurzeit erfolgreichsten Hype in der Szene lancierte Apple mit dem iPod. Musik in unseren Ohren.

RALF TURTSCHI Mein 16-jähriger Bruder besass eine tolle Schallplattensammlung, eine tolle schulterlange Haarpracht und eine tolle Sammlung Mädchen, die auf tolle Haarprachten und tolle Schallplatten standen. Ich, 15, trug einen quäkenden Transistorradio mit mir herum, hauste in einem kleinen Zimmer ohne Stereoanlage, weil unsere Mutter zwei nicht ertragen hätte, trug die Kleider vom grossen Bruder aus, derweil der clevere meine neuen Sachen aus dem Schrank klaute. Mein Quäker und die gelegentlichen Schulfeten öffneten meinen Zugang zur Welt der Musik. Kein Wunder, pendelten meine Singnoten zwischen 3 und 4. Was meine Eltern nicht weiter beunruhigte, verursachten Singversuche doch weniger Lärm als zwei Stereoanlagen. Stereo, eben erst erfunden, im Aufgeregtheitsgrad vergleichbar mit der ersten Mondlandung, Apple, CD, Handy, UMTS, Digitalfotografie oder DVD. Der Beatles-Song «Back in the USSR» – mit Düsenflugzeuggeräusch von links nach rechts. Das waren die wilden 60er und 70er.

Ein paar Jahre und Neuheiten später steht der iPod im Schaufenster. Nicht allein die Musik fasziniert so sehr, es geht auch darum, digitale Bilder im Fernsehen oder auf dem PC-Monitor anzuschauen. Die digitale Kette nie unterbrechen, das sagen ja immer alle. Der iPod photo kann das. Wahlweise mit 20 oder 60 GB ausgerüstet, speichert er zigtausend Songs und Bilder – genügend für den Lebensabend.

Für den absoluten Hype ist Apple nichts zu teuer: 469 Franken kostet das Teil und kann dabei nichts anderes als Musik und Bilder abspielen, halt wie ein stinknormaler Empedreipleier. Für gut das Doppelte bekäme man einen ausgewachsenen Mac. Lifestyle kostet, der Erfolg gibt Apple Recht. Laut «Computerworld» stieg der Umsatz 2004 auf 235 Mio. Franken, das sind 33% mehr gegenüber dem Vorjahr. Apple hat damit in der Spartenauswertung PC-Hersteller IBM überholt. Der iPod-Verkauf hat sich im letzten Quartal 2004 verfünffacht. Apple ist wieder eine Macht.

Eine ganze Zubehörindustrie profitiert von der Idee, Musik per MP3 günstig zu verbreiten. Angefangen bei zehn verschiedenen Stöpseln, Bluetooth-Kopfhörern, Armbinden, Kabelentflechtern, Ladestationen, Lautsprecherboxen, Adaptersystemen, Schutzhüllen, Skins bis hin zu Software fürs Runterladen, Raufladen, Raubtauschen und dergleichen. Das ist absolut nötig, denn der Kleine kann wirklich nur spielen.

Zum Geburtstag liegt nun so ein heiss ersehntes Ding auf dem Gabentisch. Meine Frau hats zusammen mit unserem iPod-erfahrenen Nachbarn ausgeheckt, bereits sind 600 Songs aufgespielt. Meine Freude ist gross. Kylie, Britney, Madonna, Shakira, Anastacia und wie sie alle heissen, ich vernehme, was man halt heute so spielt. Bei der Musik aus dem Radio wusste ich nie, von wem die Songs stammen. Jetzt ist alles anders, der iPod zeigt Titel, Interpreten, Album, Dauer, Cover, alles, was ein echter Fan wie ich wissen muss. Ich bin begeistert, meine Ohrgänge sind ob des Dauertragens von den weissen Steckern schon leicht gerötet. Weisse dauerverwickelte Käbeli um sich baumeln zu haben, ist reinweisses Wir-Gefühl. Wie Töfffahrer grüssen wir uns durch das Heben der rechten Hand mit dem iPod. So, wie in der Werbung.

Nun will ich mich einen Schritt weiter wagen und meine eigenen Lieblingstitel auf den iPod kopieren. Die heutigen Liedermacher haben irgendwie komische Namen wie Kühler Vater, Dr. Fummel, Gewürz-Frauen, Wetter-Mädchen, Fetter Knabe, Gewehre und Rosen, Heisse Schokolade, Herr Präsident, Dorfbewohner usw. Früher war es einfacher, da gabs Conny Froboess, Gitte, Marianne Rosenberg und Peter Alexander. Sie hiessen eben Gildo, heute heissen sie Dildo. Von jenen und von CCR, The Who, Simon & Garfunkel, The Rolling Stones, The Beatles, The Temptations, Supertramp – und von Andrea Berg natürlich möchte ich auch was haben.

Als Nächstes hole ich einige meiner CDs aus dem Schrank und kopiere per Drag&Drop meine Favoriten ins jungfräuliche iTunes, das Verwaltungsprogramm. Beim ersten Anstecken passiert gar nichts. Die Bedienungsanleitung ist nicht zu gebrauchen, die Online-Hilfe ist mindestens ebenso unerträglich. Nur durch Zufall probiere ich einen zweiten USB-Anschluss auf der Hinterseite, und siehe da, plötzlich funktionierts, Schreck lass nach. Tatsächlich werden beim Anstecken des iPods alle Lieder automatisch «synchronisiert», oder was ich damit meine. Die 600 Titel meines Nachbarn werden unwiederbringlich durch meine 13 neuen ersetzt, welche nun auf meinem G5 in einer Ecke lagern. Bravo. Eine Nachtübung war umsonst. Nur niemandem was sagen.

Fotos auf den iPod zu laden, verlangt ein paar Zusatzschlaufen. Meine Freude über das schicke Stück vermag das nicht zu trüben. Quicktime – so ein Mac – sei veraltet und müsse durch die neuere Version 7 ersetzt werden. Ich lade sie auf der Apple-Website gratis herunter und versuche sie auf meinem Rechner zu installieren. Auch das geht nicht, der G5 ist bereits hoffnungslos eingerostet, Mac OS Version 10.3.4 wird für Quicktime 7 verlangt. Auch hier muss ich upgraden. Schon leicht düpiert, gönne ich meinem kleinen Liebling die Botox-Spritze, um endlich in den Bildgenuss zu kommen. Kürzlich habe ich das AV-Kabel für 34 Franken gekauft, um die Bilder auch auf dem heimischen Fernseher anzuschauen. Diesem fehlt leider der verlangte Clinch-Eingang, ich müsste die Stecker irgendwo reinwürgen, was der Bildqualität wahrscheinlich nicht so gut bekäme. Bei Verwandten und Bekannten ginge das Spiel von neuem los. In Gedanken lade ich den engsten Freundeskreis nächstes Mal beim ortsansässigen TV-Händler zum Betrachten der Familienfotos ein. Man gibt ja nicht einfach so 8000 Franken für eine neue Home-Cinema-Anlage aus, nur weil man mal seine Familienfotos betrachten will, oder? Ich bin doch nicht blöd. Heute war ich dafür beim Audi-Vertreter. Wollte den iPod audiautoaudiomässig anschliessen. Mit Titelanzeige im Audi-Display. Das gehe theoretisch schon, so der Händler, aber die Titel würden dann nicht mehr nach verschiedenen Kriterien sortierbar sein. Alle Titel, nummeriert von 1 bis zurzeit 1055, mit einem Drehknopf aufrufen? Danke, das wars dann vorläufig. Da bleibt noch der iPod Car Dock Adapter für 75 Franken mit Stromversorgung aus dem nicht vorhandenen Zigarettenanzünder.

Nach drei Monaten kann ich wenigstens Bilder auf dem Mac betrachten, meine Songs aus dem Internet herunterladen, halbwegs sortieren und verwalten. Mein Bubentraum wird wahr, Musik, so, wie ich es will. Keine auferzwungenen Füller, kein Bruder, den ich fragen muss. Mobiler Genuss von A bis Z. Direkt im Ohr. Ohne jegliche Fremdeinwirkung. Dauerparty und Stimmungsheber. Ich muss mich nie mehr schämen, Ziller­thaler Schürzenjäger zu mögen. Jawoll.