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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


RALF TURTSCHI Ein Blick zurück in unsere Urgeschichte zeigt, dass das Bild lange vor dem Text als kulturelle Leistung «erfunden» wurde. Kein Wunder, denn unser Sehapparat funktioniert auch ohne Text, er ist von Geburt an so eingerichtet, dass die Augen laufend Sehreize ins Hirn übertragen, die dort zu Bildern, Vorstellungen, Träumen, Erscheinungen verarbeitet werden. Das Bild ist uns Menschen weltweit «genetisch einprogrammiert», das Lesen müssen wir erst im Verlauf des Lebens mühsam erlernen, der Koreaner anders als der Grieche. Etwa drei Viertel aller Sinnesempfindungen empfangen wir von unserem Sehsinn. Es ist deshalb einigermassen erstaunlich, wie sich Bilder im Layout neben dem Text in den klassischen Zeitungen eher zögerlich entwickeln. Erstaunlich auch, weil das bewegte Bild das Fernsehen überhaupt zum Leitmedium gemacht hat. In Magazinen oder in den Pend­lerzeitungen ist das prominent platzierte Bild längst gelebter Alltag.

Das Bild ist der Seitenaufmacher schlechthin. Man sieht das Bild vor dem Text. Das Bild ist mit seiner Legende ebenso wichtig wie der Titel eines Artikels. Beim flüchtigen Durchstöbern einer Zeitschrift werden die Bilder und Legenden zusammen mit den Titeln zuerst gesehen und gelesen. Farbige Bilder werden als attraktiver empfunden als Schwarz-Weiss-Bilder. Aufgrund bestimmter Sehreize und Gestaltgesetze funktioniert der Informationskonsum bei allen Menschen gleichartig, egal, ob es sich um Manager oder um Handwerker handelt. Selbstverständlich gibt es individuelle Ausprägungen der Rezeption wie Alter, Geschlecht, Bildungsgrad usw. In der grossen Linie stimmen jedoch die oben gemachten Aussagen.

Bilder ins Layout einzubringen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Das Verhältnis der Bilder zum Text ist abzuwägen. Die Textgrösse und die Anordnung des Textes in den Spalten spielen eine Rolle sowie die Titelgrösse und die Anzahl Zeilen des Titels. Weitere Bilder, die im gleichen und in den benachbarten Artikeln untergebracht werden müssen, beeinflussen das Layout. Vielfach ist auch die Redaktion «schuld» daran, dass der Text bevorzugt wird. Eine Idee für einen Beitrag entsteht eben mittels Buchstaben. Über Fax oder E-Mail werden zuerst Texte formuliert und übermittelt. Wie die ganze Sache zu bebildern ist, folgt in einem nächsten Schritt. Es ist die Ausnahme, dass Bilder zuerst ausgesucht werden und dazu eine Story geschrieben wird, beispielsweise bei einer Modegeschichte.

Leider ist das Primat des Textes auch beim Layouten gang und gäbe, obwohl dann Bild und Text vorhanden sind. Man lässt den Wordtext in die vorgegebenen Spalten des Layouts ein­fliessen. Aufgrund des Platzbedarfs des Textes werden die Bilder als «Platzfüller» positioniert. Bei mehr Platz werden sie etwas vergrössert, bei weniger verkleinert oder sogar weggelassen. Das ist von der Kommunikation her gesehen falsch. Da ein Magazinlayout nicht vom Grundtext lebt, sondern von den ins Auge fallenden Elementen (Bild, Titel, Zitate, Kästchen, Tabellen, Grafiken, Visualisierungen usw.), sollte man mit diesen Elementen beginnen. Sie sind entsprechend ihrem Aussagegehalt aufzureissen, der Text wird anschliessend hinzugestellt. Wenn der Text zu lang oder zu kurz ausfiele, wäre er zu kürzen oder zu erweitern. Um den Text in der Layoutphase zu kürzen, braucht es die Redaktorin oder den Texter. Das Bild verkleinern kann die Layouterin hingegen selbst, was wesentlich weniger aufwendig und bequemer ist.

 

Wo soll das Bild hin?

Eine Layoutregel heisst: Text zu Text und Bild zu Bild. Wenn mehrere Bilder auf einer Magazinseite zu platzieren sind, dann kann man sie über die Seite streuen, dass die Leser mit Augensprüngen über die Bilder springen müssen, um den Text zu lesen. Solche Sprünge sind eigentliche Ausstiegshilfen, und wer möchte dies schon? Die Regel besagt also, dass die Bilder zusammengehören und en bloc gestaltet werden sollten. Das kann man mit dem Wäscheleinenprinzip tun: alle Bilder oben in einer Bildleiste, die Texte hängend darunter angebracht.

Eine zweite Regel nennt sich Henne-Küken-Prinzip. Sie besagt, dass grosse Bilder mit kleinen Bildern angereichert werden sollen, die grossen erscheinen dadurch umso grösser. Keinesfalls sollen die Bilder ungefähr gleich gross gestaltet werden. Es wirkt besser, wenn sie alle genau gleich gross sind oder dann merklich verschieden.

Ein Bild wirkt als Schwerpunkt, und so gilt: oben drückts, unten stützts. Oben wirken die Bilder dynamischer, sie scheinen eher zu schweben, unten wirken sie behäbiger, bodenständiger, stabiler.

 

Bildproportionen

Das Seitenverhältnis jedes Digitalbildes ist mit 3:2 normal und gewöhnlich, damit lässt sich kein Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Je extremer die Proportionen, desto spannender und ungewöhnlicher wirkt es. Dafür muss man natürlich das Bild beschneiden und einen Ausschnitt daraus wählen. Dieses Prinzip heisst «Bild im Bild», man suche die Kernaussage und schneide das Unwesentliche ab. Bei einem Picasso ist dies natürlich weniger zu empfehlen als bei einer ­Strassenszene. Leider grassiert bei einigen Fotografen und Redaktoren die Meinung, ein Bild dürfe als authentischer Beweis der Wirklichkeit nie und nimmer beschnitten werden. Wenn weder Text noch Bild verändert werden können, dann führt die Starre vom Kopf direkt ins Layout.

 

Bildbegrenzung

Normal ist ein rechteckiges Bild, weil alle Kameras ein solches liefern und InDesign automatisch davon ausgeht, dass ein rechteckiges Bild zu importieren ist. Das führt zu Ruhe, Ordnung und Stabilität, anderseits droht gähnende Langeweile. Freigestellte Bilder, kreisrunde, solche mit abgerundeten Ecken oder Bilder, die als Figur abgegrenzt werden, machens erst richtig interessant. Hier gilt aber «Weniger ist mehr», um keine PowerPoint-ähnlichen Zustände zu erhalten. Es braucht die Normalität, die mit Ausnahmen angereichert wird. Linien um Bilder zu ziehen, betrachte ich als veraltet.

 

Bildränder

Vor ein paar Jahren ist es in Mode gekommen, weisse Rahmen um ganzseitige Bilder oder auch Anzeigen zu gestalten, im Fachjargon Framing-Prinzip. Es ist produktionstechnisch nicht ganz einfach, weisse Ränder gleich­mässig zu halten, weil die Schnitttoleranz etwa 1mm gross ist und beim Falzen ein so genannter Schwund entsteht. Wer ein drahtgeheftetes Magazin in der Mitte ­öffnet, sieht, dass die Innenseiten 3–4 mm weniger breit sind als die Aussenseiten. Diese Differenz wird zwar beim Aus­schiessen der Bogen vorkompensiert, kleine Differenzen sind jedoch normal. Das heisst, dass der weisse Rand nie gleichmässig sein wird. Wenn ein regelmässiger, auf dem Desktop gemessener 5 mm breiter Rand nach der Produktion innerhalb der Toleranzen unten 6 mm und rechts 3 mm beträgt, dann ist nicht der Drucker schuld, sondern der unbedarfte Desktoper. Diese Schnitttoleranzen gelten auch bei Visitenkarten oder Flyern. Wenn von einem 3 mm ­grossen Rand 1mm abgeschnitten wird, ist das störend, wenn der Rand 10 mm beträgt, ist es nicht gar so schlimm. ­Weisse Ränder mögen ja zurzeit en ­vogue sein, sie machen jedoch jedes Bild kleiner, es verliert an Dynamik.

 

Bildlegenden

Eine weitere Regel besagt: «Kein Bild ohne Legende.» Als Layouterin sollte man sich immer für Bildunterschriften einsetzen, denn damit wird der Leser in der Interpretation des Bildes unterstützt. Ein Bild ist vielschichtiger als Text und es funktioniert blitzartig. Erst die Bildlegende steuert den Betrachter in eine gewollte Richtung. Dabei sollte man die Bildlegende intelligent verfassen. Anstatt zu beschreiben, was auf dem Bild eh zu sehen ist, kann man eine nützliche Zusatzinforma­tion mitgeben. «Die hochstehende Sonne hinter dem Matterhorn» ist eine dumme Legende. «Bei hochstehender Sonne steigt die Steinschlaggefahr am Matterhorn» bringt eine Zusatzinforma­tion, ohne dass deswegen das Bild «verraten» wird.