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Aaaarrr... Ariaaaal!!!

Schreiben mit Niveau

Aaaarrr... Ariaaaal!!!

Wie wir wissen, hat Gutenberg posthum den Man-of-Jahrtausend-Award abgesahnt. Die Nomination für die Auszeichnung des nächsten Jahrtausends steht bereits: Bill Gates, für Verdienste um die Schrift.

RALF TURTSCHI Bill Gates hat mit Microsoft die Entwicklung des gesamten Abendlandes derart beeinflusst, dass der Niedergang überhaupt erst möglich wurde. Weder Taliban, nine-eleven, Bush oder Saddam haben es geschafft, was Billy mit links vollbrachte. Die klassische Tellerwäscher-Karriere hat als Metapher ausgedient. Neu gilt der Schrotthändler als Traumberuf mit steilen Erfolgsaussichten im Milliarden-Olymp. Microschrott ist geradezu ein Synonym für excellente Worddateien, die mit viel Power zu pointen wissen. Die Sekretärin weiss es ebenso zu schätzen, Businessgrafiken zu erstellen, wie der Malermeister, der sein Logo und seine Visitenkarten jetzt selber ausdruckt, HP sei Dank. Einzig der neue Herr Bundesrat Blocher meint, ein Komputer komme nicht ins Haus. Er habe jetzt andere Prioritäten und müsse einmal richtig Deutsch sprechen lernen, damit die da oben verstehen, was er meine. Aber jetzt bin ich abgeschweift.

Nein wirklich, Billy haben wirs zu verdanken, dass auf jedem PC die Schrift Arial fest verankert ist. Und nur die Arial. Billy haben wirs zu verdanken, dass die Schriften auf all den Millionen von PCs nicht einfach so wie beim Mac zu installieren und zu verwenden sind. Es ist also besser, es kommt was Lesbareres raus als Wingdings. Ergo ist die Arial schon mal gut. Man stelle sich einmal vor: Firma A übermittelt Firma B Dokumente und statt in der Frutiger wird das Dokument plötzlich in Helvetica dargestellt. Eine Katastrophe. Also schreibt man in Arial, weil Arial überalial verbreitet ist. Arial auf dem Briefbogen, Arial auf dem Flyer (selbst gemacht), Arial im Google. Arial in der Anzeige, Arial auf der Speisekarte und als Gipfel der Geschmacklosigkeit Arial in der Buchstabensuppe. Arial liegt im aktuellen Font-Ranking knapp vor Avant Garde auf dem zweitletzten Platz. Es ist kaum mehr möglich, die beiden von da zu verdrängen. Das alles verdanken wir den Linken und Netten rund um Billyboy.

Ein einig Volk von gemainstreamten Usern. «Wie kann sich ein blind Geborener Farben vorstellen?», ist eine unfassbare Frage. Absolut vergleichbar ist: «Wie muss sich ein Microsoft-Benützer eine schönere Welt vorstellen?» Sagen Sie mal einem Excel-Anwender, er dürfe ab heute keine 1 Punkt dicken Linienrahmen mehr benützen! Er wird unter Protest die Europäische Menschenrechtskommission anrufen. Sagen Sie mal einer PowerPoint-Anwenderin, ein leuchtend blauer Hintergrund mit gelber Schrift sei tödlich! Sie wird den Exitus ins Auge fassen. Sagen Sie einer kaufmännischen Angestellten, Blocksatz im Brief ohne Trennprogramm mit 12 Punkt Arial sei eine Zumutung! Sie wird verständnislos um Fassung ringen.

Ja, Microsoft hat es geschafft. Wir haben ein Niveau bekommen. Es ist, wie beim Rechnen, der kleinste gemeinsame Nenner, der das Rennen macht.

Trotz aller Möglichkeiten des PC, trotz aller Möglichkeiten der Software werden die administrativen Belange so wie in der vorindustriellen Zeit gehandhabt. Man hatte zu der Zeit zwei Werkzeuge: eine Feder für schwarze Tinte und eine für blaue.

Die Vor-Compi-Zeit erinnert mich an meine alte Schreibmaschine: eine Canon mit Speicher und Zwanzig-Zeichen-Display. Die Gute hat neu damals vier Riesen gekostet, als Schnäppchen habe ich sie mir für zwei gesichert. Wissen Sie, wann dies war? 1985 war das. Dazu gabs Typenräder mit Letter Gothic, Orator, Elite und Courier, normal und kursiv. Bold schrieb das Ding, indem es einfach etwas versetzt zweimal anschlug. Die gleiche Vielfalt herrschte auch bei den IBM-Kugelköpfen. Für jüngere Leserinnen: Das ist kein ballistischer Fachbegriff, sondern ein Schreibmaschine-Utensil, bei dem die Typen auf einem kugelartigen Mantel aufgereiht waren. Auf den Punkt gebracht: Die Schriftauswahl mutete gegenüber heute geradezu exorbitant an. Und es kommt noch besser. Kein schwarz gewandeter Corporate-Design-Heini hat der Sekretärin damals eingehämmert, die Umsatzzahlen würden absaufen, wenn die Briefe nicht mit Courier rausgingen. Dafür hat man getippext, was das Zeug hielt. Die harten Chefs jedoch akzeptierten nur fehlerfreie Briefe, Tippex galt als minderwertig.

Und was haben wir heute? Die Chefs selber e-mailen, dass sich die Balken biegen, Fehler bleiben ungefunden stehen, obwohl man heute ohne drohendes Legasthenie-Outing korrigieren könnte. Laschere Chefs gabs erst, als sie selber tippen wollten. Und zur Arial, die man als Erstes auf dem Bildschirm liest, hat man eine zärtliche Beziehung. Ja, ja, so eine Art erste Liebe.

Es besteht kein Zweifel, die Managerkaste ist unberührbar. So wird denn die Arial auf den Fachhochschulen um 3500 n.Chr. als die Designschrift des beginnenden dritten Jahrtausends überliefert werden. Bill Gates wird dannzumal stickstoffgefroren wieder aufgetaut werden, um den Man-of-Jahrtausend-Award höchstselbst entgegenzunehmen. Es wird nichts Besseres mehr nachkommen.