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Arial: ein Nekrolog

Schrift

Arial: ein Nekrolog

An dieser Stelle wurde schon viel über die Schrift Arial geschnödet. Spüren wir etwas fundierter der Schrift mit der international grössten Verbreitung nach.

RALF TURTSCHI Man kann es drehen und wenden wie man will, die Arial scheint unseren Kunden zu liegen. Kein Tag vergeht, trifft nicht ein Attachement namens .doc mit der Arial ein. Und dies nicht, weil ich keine Gelegenheit auslasse, darüber zu wettern. Nein, die lieben Anwenderinnen und Anwender scheinen die Arial wirklich zu mögen. Die Zeit scheint reif, Kreide zu fressen und die Arial wieder gut zu schreiben. Wagen wir den Versuch.

Ich suche über Google nach Arial und prompt erscheinen 440 000 Einträge, ein Traumergebnis. Da haben wirs. Arial wurde im Jahr 1982 von Robin Nicolas und Patricia Saunders für Monotype entworfen. Auf der Website liest man folgendes: «Die Arial hat als Serifenose humanistischere Züge als viele ihrer Vorgänger, sie nimmt die Stimmung Ende des letzten Jahrhunderts auf. Die Kurven sind weicher als in den meisten Schriften, die einen industriellen Charakterzug aufweisen. Die Endstriche sind diagonal geschnitten, was der Arial eine technische Anmutung verleiht. Arial ist eine extrem vielseitige verwendbare Schriftfamilie, die in allen Gebieten gleichermassen angewendet werden kann, als Textschrift, in Magazinen und Zeitungen, in der Werbung, in Displays und der Promotion.» Die Kreide bleibt mir bereits beim Lesen dieser Zeilen im Hals stecken, ich komme nicht umhin meiner Abneigung gegenüber diesem angeblich multifunktionalen Superprodukt verständlich darzulegen.

Geschichtlicher Teil

Ein paar weit verbreitete Schriften, die vor der Arial im Bleisatz und auf Fotosatzsystemen eingesetzt wurden, sind:

  • Akzidenz-Grotesk, gezeichnet um 1900 von Ferdinand Theinhardt
  • Franklin Gothic, Morris Benton, 1904
  • Futura, Paul Renner, 1928
  • Gill, Eric Gill 1931
  • Helvetica, Max Miedinger, 1957
  • Univers, Adrian Frutiger, 1957
  • Avant Garde, Tom Carnase, 1970

Mit «Vorgänger» ist wohl die Helvetica gemeint, 1983 vom Linotype Design Studio redigitalisiert und in Neue Helvetica umbenannt. Die Arial gilt als der Helvetica ähnlichste Schrift, wobei für einen Typografen wie mich himmelweite Unterschiede bestehen.

Am 24. Januar 1984 wurde der Apple Macintosh weltweit vorgestellt. Er kam mit einer Anzahl gratis mitgelieferter PostScript-Fonts heraus: Times, Palatino, New Century Schoolbook, Helvetica, Helvetica Narrow, Avant Garde, Garamond Condensed, Bookman, Optima, Courier, Zapf Dingbats. Weitere Fonts mit Städtenamen sorgten für Begeisterung: New York, Monaco, Chicago usw. Mit diesen Schriften konnte man im professionellen Bereich wenig anfangen, dafür waren die Heimanwender happy. Der Gebrauch von Schriften wurde auf einen Schlag «demokratisiert», auch andere sprangen auf den Zug und stellen Schriften zum Gebrauch lizenzfrei zur Verfügung. Allen voran Microsoft, welche massgeblich verantwortlich zeichnet, dass die Arial heute derart verbreitet ist.

Microsoft und Arial

Als Windows 3.1 1992 erschien, schaffte auch die Arial den internationalen Durchbruch. Dies, weil Microsoft einmal gegen ein Monopol kämpfte: Die neue Seitenbeschreibungssprache PostScript, welche Adobe sorgsam behütete. Microsoft und Apple entwickelten darauf den Schriftenstandard TrueType, bei der die Schriften nicht als Kurven, sondern als quadratische Splines berechnet wurden, was zu schnelleren Rechenzeiten führte. Gegen die antiquiert scheinende Times New Roman setzte sich die «modernere» Arial schnell durch. Auch deshalb, weil sie in einer Korrespondenzgrösse am Bildschirm besser lesbar ist.

Die Arial fand nicht wegen ihrer Designqualitäten Verbreitung, sondern weil sie auf dem Trittbrett mitfuhr. Wenn damals Microsoft eine andere Schrift auserkoren hätte, würde sich die Welt heute auf einem visuell höheren Niveau drehen. 1992 hätte es durchaus Alternativen gegeben.

Doch es gibt Hoffnung – oder je nach Sichtweise ziehen neue dunkle Wolken auf: 1998 stellte Microsoft, aus welchen Gründen auch immer, die Entwicklung der Arial stillschweigend ein. Inzwischen entwarf der Arial-Designer, Steve Matteson von Monotype/Agfa, die Schrift Segoe, die in der nächsten Windows-Version «Vista» eingesetzt wird. In Microsofts Guidelines für neue Programmoberflächen wird empfohlen, dass die Segoe UI benutzt werden soll.

Die Geschichte wiederholt sich hier, Die Segoe lehnt sich sehr stark an die Frutiger von Adrian Frutiger, die sich in den 80er-Jahren zur Alternative der viel benutzten Helvetica anbot. Für Laien ist die Ähnlichkeit verblüffend, so dass man von Plagiat reden könnte. Hier springt Microsoft 20 Jahre zu spät dem vermeintlichen Lifestyle nach, und statt eine eigenständige Schrift zu entwickeln, kupfert die Branchenführerin eine der erfolgreichsten und schönsten Schriften ab. Man könnte ja auch eine bestehende Schrift ordentlich lizenzieren. Ein Trauerspiel.

Die Crux mit der Kompatiblität

Die Dominanz der Arial ist heute ebenso gross wie die der Times, 1931 als Zeitungsschrift von Stanley Morrison geschaffen. Sie zeichnet kräftig, weil damals feine Serifen im rotativen Zeitungsdruck ab den schweren Bleiformen Schwierigkeiten machten. Heute ist das kein Problem mehr, die Times hat sich trotzdem hartnäckig gehalten. Heute arbeitet die ganze Welt mit Times und Arial, weil alle Computer über diese Schriften verfügen, und sich die Bürodokumente in Microsoft-Produkten wie Word, Excel und Powerpoint problemlos austauschen lassen. Sind die Anwender bequem, gleichgültig, Banausen oder Ignoranten? Auch im Internet wurde und wird die Arial standardmässig eingesetzt, weil sie im Internet Explorer enthalten ist. Erst die Verdana von Matthew Carter, eine in den letzten Jahren speziell für den Bildschirm geschaffene Schrift, bietet eine echte Alternative zur Arial am Bildschirm. Als Druck- oder Korrespondenzschrift sind beide ungeeignet.

Die Arial

Wenden wir uns der Formensprache zu. Die Arial wirkt als Textschrift viel zu kräftig, der Grauwert ist zu dunkel. Eine unausgeglichene Laufweite, also die Proportionen und der Abstand zwischen den Zeichen, gibt der Arial ein unruhiges Bild. Der Kontrast, also das Verhältnis von Senkrechten und Waagrechten, lässt sie deftig und statisch erscheinen. Besonders hässlich sind die angeschräften Endstriche bei a, e, s und t. Die Proportionen und die Form des t sind eine Zumutung und das a sieht wie nach einem Hagelschlag verformt aus. Die geschlossenen Buchstabenformen von a und s zum Beispiel gebend er Arial ein ältliches Aussehen. Die Arial ist weder als Textschrift noch als Headlinschrift zu empfehlen, da fehlt einiges an Klasse.

Das Verdikt

Auch mit bestem Willen bleibe ich dabei. Die Arial ist lieblos, unausgeglichen und verbeult, sie hat mir noch nie Freude bereitet. Microsoft gab ihren Kunden damals wirklich keinen Anlass zum Jubeln. So wie es jetzt aussieht, tauscht Microsoft ein Plagiat gegen ein neues aus. Falls Sie heute Frutiger als Hausschrift verwenden, wie die Post, die UBS und wohl noch weitere, kann ich Ihnen nur raten, zu wechseln. Ungefähr 2007 werden alle mit dem Frutiger-Plagiat Segoe korrespondieren, das sind Milliarden Briefe, E-Mails und Webseiten täglich, und Ihre wunderschöne Unverwechselbarkeit wird dahin sein. Es sei denn, Sie erkennen den kleinen Unterschied und setzen auf eine neue Individualität. Alternativen gibts glücklicherweise genug.