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�Der Pizzaflyer�

Die mit allerlei Zutaten angereicherte Pizza ist ein beliebter team­bildender Sitzungslunch. Die Marktabdeckung tendiert gegen 200%, so recht­fertigt es sich, die fliegenden Botschafter der Pizzakuriere einmal zu würdigen.

RALF TURTSCHI Pizzakurierflyer sind so etwas wie fliegende Speisekarten, die man aus dem Briefkasten fischt, gleich, ob man einen Werbeverbotskleber angebracht hat oder nicht. Ich persönlich mag die Pizza beim Italiener, mit möglichst italienischer Bedienung in ebensolchem Ambiente. Aufgewärmte Pizzalappen sind nicht mein Ding, ich mags heiss direkt aus dem Holzofen. Knusprig und dünn der Teig, auf keinen Fall angesengt, der Käse nicht kaugummiartig und nicht zu salzig. Da sind wir gleich schon bei der berühmten Geschmacksfrage, der wir Gestalter uns immer wieder stellen. Bei einem Sortenreichtum von gegen 60 Pizzen sollte man meinen, einen ebensolchen Formatreichtum bei der Gestaltung anzutreffen. Dem ist aber nicht so – im Gegenteil. Der typografische Entdecker meint auszumachen: So wie Pizzen halt rund sind, so messen Pizzakurierflyer exakt 10 × 21 cm, es gibt kaum small, medium oder large. Dafür gleicht die Vielzahl geschmacksgebender Ingredienzen auf Pizzen jener Hundertschaft typografischer Ingredienzen. So wie man diese auf der Pizza nicht ordentlich serviert bekommen möchte, so siehts auch typografisch aus. Eigentlich herrschte eine wunderbare Symphonie zwischen Ankündigung und Angebot. Nun spielt der Faktor Ordnung geschmacklich im Mund eine etwas andere Rolle als visuell im Auge, und zudem scheint eine beabsichtigte visuelle Annäherung von Produkten und Flyern etwas weit hergeholt.

Wer sich diesen fliegenden Pizzabotschaftern typografisch zu nähern versucht, kann die Herkunft nicht feststellen. Sie können in InDesign, geradesogut wie in PowerPoint oder Word hergestellt worden sein. Denn oft sind Effekte zu sehen, bei deren Anblick sich InDesign geradezu schämen muss. Inwieweit es sich der Pizzabäcker himself nicht nehmen liess, die Speisekarte selbst zu gestalten, oder inwieweit es der ausführende Drucker nicht geschafft hat, den Schritt vom Olfaktorischen zum Visuellen durchzusetzen, bleibe dahingestellt. Trotzdem, ich muss es gestehen, bin ich ein leidenschaftlicher Sammler von diesen Flyern, denn sie haben etwas herrlich Destruktives. Der Alptraum jedes Typografielehrers, und trotzdem funktionierts! Ich bin Ihnen also dankbar für jede Zusendung an Originalprospekten, die Redaktions­adresse steht im Impressum, vielen Dank im Voraus.

Gestalterisch muss man unterscheiden zwischen den opulenten Titelseiten und den dreiteiligen Inhaltsseiten, die nichts anderes als eine tabellarische Auflistung der angebotenen Produkte enthält. Der italienischen Bedienung lässt man nur zu gern den Italoslang durchgehen, und im fröhlichen Flyer kann dementsprechend durchaus auch mal «Minerale mit oder ohne Kohlensäue» stehen.

Jede oberflächliche Würdigung wäre nur halb so träf, wenn nicht ein paar Hinweise folgten, die dem geneigten Typophilen im Alltag nützlich sind.

Bilder

Die Foodfotografie stellt eine eigene Disziplin dar. Wenn Speisen frisch, die Salate knackig dargestellt werden sollen, dann greift der Fotograf tief in die Trickkiste. Eine Pizza im Bild festzuhalten, ja sogar noch Unterschiede in der Belegung darzustellen, gleicht der Quadratur des Kreises. Auf zwei Zentimeter grossen Bildchen ist nicht ansatzweise zu erkennen, ob es sich um einen Flammkuchen, eine Fruchtwähe oder eine Pizza handelt. Vor allem, wenn das Bildchen mit dem eigenen Handy geknipst wurde. Bilder brauchen immer eine gewisse Grösse, damit die Details erkennbar bleiben. Bei einer Pizza liegt die Mindestgrösse bei etwa 3–4 cm.

Zahlen und Zeichensetzung

Eine Durchnummerierung der Produkte ist bei telefonischer Bestellung hilfreich. Die Aufzählungspunkte hinter den Ziffern (1., 2., 3. usw.) sind falsch und überflüssig, denn man bestellt ja nicht das «69. Stück Brot».

Bei den Preisangaben ist eine Nullermanie festzustellen: Fr. 19.– ist nicht weniger als Fr. 19.00. Die vielen Nullen in der Preisliste verwirren das Auge eher, sie machen die Liste unübersichtlich. Viele Flyer verzichten auf die Währungsangabe Fr. oder CHF, da dies ohnehin klar ist. Dabei kann Platz gewonnen werden, um die Schrift grosszügiger und leserlicher zu gestalten. Die Nullermanie ist auch im Büro bei Datums- und Zeitangaben weit verbreitet: 06. 04.11, 10.00–04.00 Uhr ist nicht genauer als 6. 4.11, 10–04 Uhr, aber deutlich schwieriger zu lesen. 04 ist hier in Ordnung, weil 10–4 missverständlich wäre. Beim Datum fügt man zwischen den Punkten und der nächsten Ziffer einen kleinen untrennbaren Festwert ein, in InDesign unter Schrift → Leerraum → Achtelgeviert.

Zahlen stehen immer durch einen Zwischenraum von der Mengenangabe weg. Man setzt 33 cl und nicht 33cl. Liter wird mit l abgekürzt und nicht mit L. Als Dezimaltrenner wird ausser bei Währungen und Zeiten immer das Komma verwendet, nicht der Punkt. Es heisst also 0,5 l und nicht 0.5L.

Bei Preisen sieht man 20.--, 20.– und 20.—. Hier ist der Halbgeviertstrich üblich, der so breit wie eine Ziffer ist (Mac: Option-Strich, PC: Alttaste + 0150). Der normale Trenn- oder Kupplungsstrich (Divis) ist zu kurz. In der Schweiz wird ein Punkt gesetzt, um Franken und Rappen zu trennen: Fr. 21.50. Für den Euro wird das Komma verwendet: EUR 21,50.

Schriftart

Da Pizzakurierflyer wegen des Hochformates etwas an Platzmangel leiden, muss eine Platz sparende Schrift her, die schmal läuft und klein kräftig wirkt. Schriften mit zu feinen Serifen scheiden tendenziell eher aus, eine serifenlose ist besser geeignet.

Konturen, Verläufe, Wellenformen oder Versalien machen kunterbunt gemischt den typografischen Salat aus, nach dem das Genre aussieht. Oder tuts etwas mehr Ruhe auch?

Gewisse Schriftcharaktere passen besser zum Italiener als andere. Die Eckmann zum Beispiel ist dem Jugendstil zuzuordnen, die Times wurde für die Zeitung geschaffen, und die Bordeaux hat mit Pizzas wenig am Hut. An den Schriftmustern ist zu sehen, wie man sich durch eine breit laufende Schrift in einen gestalterischen Engpass manövrieren kann. Die versal gesetzte Century Gothic benötigt fast doppelt so viel Platz wie andere Fonts. Dieser fehlt dann in der tabellarischen Gliederung der Preisliste (Nummer, Produkt, zwei Zahlenkolonnen für 30-cm- und 40-cm-Pizzas). Die Folge davon sind zu kleine und unleserliche Schriften. Ich zeige oben aus einer Vielzahl von Möglichkeiten fünf Beispiele für gut geeignete Schriften, die kräftig sind und relativ schmal laufen. Zum Vergleich kann man die Arial oder die Helvetica heranziehen. Schriften mit abgerundeten Ecken (z. B. Calibri) passen besser zu Pizzas als spitze und kantige Fonts wie beispielsweise die ITC Quay, die in diesem Magazin als Grundschrift verwendet wird.

Farben und Hintergründe

So verlockend es aussehen mag, Bildhintergründe aller Art haben auf einem Flyer mit kleinem Text nichts verloren. Es gibt keinen Hintergrund, der die Leserlichkeit nicht herabsetzt. Besonders ungünstig sind Fotos mit Strukturen. Einfarbige Flächen oder allenfalls Verläufe bringen Farbe, «zerstören» aber nicht den Text. Schwarze Schrift auf hellem Grund ist am besten leserlich. Wenn die Zutaten auf der Pizza in 4-Punkt-Grösse rot auf schwarzem Hintergrund gestaltet werden, dann reicht die beste Sehhilfe auch nicht mehr … Überhaupt ist grüne, rote oder blaue Schrift auf grünem, rotem oder blauem Hintergrund allzu beliebig. Man wird das Gefühl nicht los, des Pizzaiolos farbige Vorlieben seien durch AC Milano, Juve oder AS Roma inspiriert, forza azurri.

Ränder und optische Achsen

Die meisten Flyer leiden an zu kleinen Rändern. 5 mm links und rechts ist einfach zu wenig, oft ist der Rand noch geringer. Die tabellarische Darstellung verliert so ihren inneren Halt, ihre Kompaktheit. Dasselbe muss man auch von Tabulatoren sagen. Man würde nicht glauben, dass eine Zahlenkolonne nicht untereinander stehen kann – aber es ist möglich. Ränder von etwa 1 cm sind dem Format angemessen. Wenn sie auf allen Seiten gleich gross sind, dann ist eine wichtige typografische Forderung erfüllt: Gleiches gleich gestalten.