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�Zeichen bedeuten mein Leben�

Warum erfindet einer heute noch Schriften? Worin liegt die Faszination, Abertausende von Glyphen zu digitalisieren? Ralf Turtschi fragte Dieter Hofrichter.

Dieter Hofrichter, wie schafft man es, in rund fünf Jahren 36 unterschiedliche Schriften zu zeichnen?

Nicht alle meine Schriften sind in den letzten fünf Jahren entstanden. Der Entwurf zur Cassia entstand vor ca. 20 Jahren und lag als Zeichnung über 10 Jahre in der Schublade, bevor ich ihn dann kräftig überarbeitet und digitalisiert habe. Der Entwurf zur Erato ist über 10 Jahre alt, und bei einigen anderen ist es ähnlich. Als ich begann, meine Schriften zu veröffentlichen, lagen schon 20 Entwürfe in der Schublade. Erst kurz zuvor hatte ich mir die Font-Technologie angeeignet, als Voraussetzung, um meine Schriften herauszubringen. Das heisst nicht, dass ich kontinuierlich einen Berg von Entwürfen abgearbeitet habe. Dazwischen habe ich immer wieder neue Entwürfe gemacht und diese meistens gleich produziert.

Ich habe nachgeschaut: Die 36 Schriften enthalten 488 Schriftschnitte und rund 205 000 Glyphen. Ist dieser immense Fleiss auf Dauer nicht eintönig?

Der Prozess zwischen Entwurf und dem fertigen Font ist langwierig, manchmal öde und wenig schöpferisch. Ich habe hier eine gewisse Strategie: Während der mühseligen Fertigstellung arbeite ich zwischendurch an neuen Entwürfen oder arbeite bestehende Entwürfe aus. Zudem verschaffe ich mir dadurch Distanz zu den aktuellen Projekten, um einer gewissen Betriebsblindheit zu begegnen.

Bei welcher Ihrer Schriften haben Sie Schmetterlinge im Bauch?

Gegenüber meinen fertigen Schriften bin ich da relativ immun, aber bei manchen meiner Entwürfe passiert das gelegentlich.

Bei der Zurichtung vieler Schriften fällt auf, dass die Buchstabenabstände zu eng sind und vor allem kleine Grössen auf dem Screen nicht gut leserlich sind. Zeichnen Sie Schriften primär für Screen oder für Print?

Ich versuche für beides zu denken. Die meisten meiner Schriften sind recht stabil in den Strichstärken, um sowohl den kleinen Schriftgraden zu dienen als auch der Webanwendung.

Viele Ihrer Fonts sind in den Stärken Thin, Extra Light, Light, Regular, Medium, Bold, Extra Bold und Black gezeichnet. Als Grundtext kommt in 8- oder 9-Punkt-Grösse eigentlich nur Regular infrage. Bei der Quant gibts zusätzlich die etwas stärkere Quant Text. Warum nicht auch bei den anderen Fonts eine etwas stärkere Variante, die zwischen Regular und Medium liegt?

Die Quant lebt aus dem starken Strichkontrast und erhält dadurch ihren Reiz. Für kleine Schriftgrade kann das natürlich kritisch sein, deshalb habe ich davon eine Textversion gemacht mit stärkeren Serifen und Haarstrichen und etwas breiteren Proportionen.

Sie haben einmal geäussert, dass Sie keine Repliken zeichnen. Woher holen Sie die Ideen, neuartige Fonts zu zeichnen?

Unterschiedlich, manchmal inspiriert mich eine vorhandene Schrift, manchmal eine eigene Schrift. Manchmal variiere ich spielerisch einen Entwurf, bis etwas Neues entsteht. Manchmal kommt eine Idee aus der Luft.

Die Civita (2012), die Corda (2012) und die Campan (2014) könnten Schwestern sein. Mal ehrlich, wie viel Civita steckt in der Campan?

Diese drei haben von ihrem Ursprung wenig miteinander zu tun. Die Civita habe ich aus einem früheren Entwurf entwickelt, der aus der Richtung Modern und Century kam, also grossen Strichkontrast, aber schon im frühen Stadium einen leicht dynamischen Drive hatte. Die Tropfenanstriche bei a, f, r usw. fand ich dann nicht mehr sehr originell und habe sie durch die jetzigen Formen ersetzt. Der Ursprung der Campan war das gemeine a, das in meinem Kopf entstanden ist und das ich dann aufs Papier gebracht habe, nebst ein paar wenigen Basiszeichen. Also hier habe ich erst mal skizziert; ein eher ungewöhnlicher Vorgang für meine Arbeitsweise. Die Idee zur Campan war eine lineare Schrift mit dynamischen Merkmalen und nur angedeuteten Serifen. Die Corda ist das Ergebnis der ständigen Modifikation einer vorhandenen Schrift, ist also auf spielerische Weise entstanden. Übergreifend kann man natürlich feststellen, dass alle drei aus dem gleichen «Stall» kommen.

Es fällt auf, dass Ihre Fonts 6, 8, 10, 12, 14 oder gar 16 Schnitte aufweisen. Weshalb diese Unterschiede?

Viele Schnitte innerhalb einer Familie mit befriedigendem Ergebnis zu realisieren, erschien mir anfangs nicht so einfach. Mit kleinen Kniffen habe ich es dann gewagt. Ich habe festgestellt, dass eine grosse Zahl an Abstufungen geschätzt wird.

Die Epoca Classic erinnert mich von ihrem Kontrast und ihrem Duktus ein wenig an die Optima von Hermann Zapf. Sie auch?

Ich sehe da wenig Verbindung. Epoca Classic ist die Epoca mit Strichkontrast wie bei klassischen Schriften. Die Epoca bezieht sich formal auf die Frutiger, welche ich wie alle Welt sehr verehre. Meine Absicht hier war mehr Linearität, also weniger Strichkontrast und mehr Robustheit. Durch die leicht ins Rechteck tendierenden runden Formen beabsichtigte ich einen ruhigeren Zeilenfluss. Hier handelt es sich also um eine primär konstruierte Geschichte.

Sie zeichnen Renaissance-Antiquas, Barock-Antiquas, dann wieder eine Slab und mit viel Gefühl eine geometrische Serifenlose im Retro-Look. Sie wechseln mit Leichtigkeit zwischen den Genres. Welche Schriften oder welche Designer haben Sie in Ihrem Schaffen zutiefst beeindruckt?

Die Schriften von Jensen und Manutius waren für mich, wie für viele Entwerfer, ein Schlüsselerlebnis. Von den späteren beeindrucken mich immer wieder die Drucke von Bullmer und Baskerville. Auch wenn ich meistens ganz andere Schriften mache, vertiefe ich mich immer wieder in diese Formen. Bei den Zeitgenossen fühlte ich mich immer zu Gerard Unger hingezogen, der mich sicher inspiriert hat, und natürlich Adrian Frutiger, der nun leider Geschichte ist.

Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen – wir freuen uns auf weitere Entwürfe.