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Cast: So muss Schrift aussehen

Man sollte meinen, Schriftzeichen seien endgültig erfunden. Die Cast des typo­grafischen Gestalters Dominique Kerber zeigt in Perfektion, wie eine moderne Schrift beschaffen sein muss.

Ralf TurtschiDie Suche nach Neuem hat die Menschheit schon immer umgetrieben. Im App FontBook zeigt FontShop Berlin über 620 000 Schriftmuster, da müsste man doch meinen, Schrift sei schon erfunden. Was treibt Menschen dazu, sich der «Geduldsprobe Schriftentwurf» zu unterziehen, im vollen Wissen, dass es davon schon mehr als genug gibt?

Dominique Kerber belegte an der Zürcher Hochschule der Künste den Kurs CAS Schriftgestaltung/TypeDesign. Als gelernter Schrift- und Reklamemaler hat er sich besonders dafür interessiert, welche optischen Korrekturen Schriften im Gros­sen wie im Kleinen erfahren müssen, um zu funktionieren. Leserlichkeit im Werksatz und Lesbarkeit auf Distanz sind eben zwei paar Schuhe. Kerber wollte diesem Problem während dem CAS 2007 mit einer Projektstudie auf den Grund gehen. Kerber zeichnete eigene Typen, schielte nicht nach Vorbildern und achtete dabei auf eine einheitliches Gesamtbild. Er entschloss sich, den Font fertigzustellen, bis er ihn nach vierjähriger Entwicklungsarbeit im März 2011 veröffentlichen konnte.

Den Namen Cast erklärt Kerber wie folgt: «Cast bedeutet im Englischen Besetzung, im Sinn einer Theaterbesetzung. Wie ein Schauspieler füllt jedes Zeichen innerhalb der Schrift seine Rolle aus. Die Bühne ist die Typografie, und wie im Theater wird eine Inszenierung erst durch die richtige Besetzung zum Erfolg.» Kerber flirtet nicht mit eigenen Spleens in der Formsuche, wie das andere Schriftschöpfer gelegentlich tun. Er verschreibt sich konsequent der klaren Sprache der Funktionalität. Leserlichkeit und die perfekte Form haben bei ihm eine dienende Rolle, wie dies Adrian Frutiger schon formulierte. Schrift darf beim Lesen nicht dauernd auffallen, sie hat sich unterzuordnen. Wie Frutiger hat Kerber alle Gemeinen von Hand auf Papier gezeichnet, bevor er sie dann in FontLab digitalisierte. Die Versalien stehen formal nahe bei den Gemeinen, um dem einheitlichen Gesamtbild zu entsprechen, was sich in Bogenansätzen oder Anschrägungen manifestiert.

Herausgekommen ist eine bemerkenswerte OpenType-Schrift aus 467 Glyphen, die aus meiner Sicht in ein professionelles Standardsortiment gehört.

Im Vergleich mit anderen Fonts fällt auf, dass die Mittellänge hoch ausgefallen ist, dass sie Platz sparend läuft und dass die Regular nicht zu stark gezeichnet ist, wie dies bei vielen andern Fonts der Fall ist. Regular ist als Grundschrift im Mengensatz verwendbar! Man staunt darüber, aber Regular-Schriftschnitte wirken vielfach einfach zu kräftig, darunter fallen zum Beispiel Fago, Meta, Frutiger, Helvetica, Franklin Gothic, Myriad u. a. m.

Zum Vergleich habe ich die Grundschrift hier so aufbereitet, dass sie exakt gleich läuft wie die im Publisher verwendete Schrift ITC Quay. Während die 8,25 Punkt grosse Quay aber auf 105% verzerrt und mit 10 Einheiten spationiert wird, ist hier die 8,2 Punkt grosse Cast unverändert gesetzt. Der Vergleich mit der Publisher-Grundschrift zeigt, dass sich die Cast besser lesen lässt, sie wirkt grösser. Der Stamm im Schnitt Regular ist zudem etwas stärker als bei der Quay, was in kleinen Graden ebenfalls ein Vorteil ist, da das Satzbild dadurch schwärzer wirkt. Die normale Laufweite ist dafür etwas weiter als bei älteren Schriften, dadurch gewinnt sie an Bildschirmleserlichkeit. Auf die etwas veralteten Kapitälchen hat Kerber zu Recht verzichtet, die Kursiven hingegen konnte der Designer aus Zeitgründen noch nicht realisieren. Die Schrift lässt sich jedoch ohne Probleme um etwa 11 Grad digital schräg stellen, wie dies auch bei anderen Schriften, z. B. der Unit, üblich ist.

Designmerkmale

Die Cast weist kein speziell auffälliges Merkmal auf, woran man sie sofort erkennen würde, wie das bei der Optima oder der Rotis der Fall ist. Das Nicht-Auffallen-Wollen, das dem Leser-Dienen, lässt in der Konsequenz keine auffällige Formgebung zu. Die Qualität der Cast liegt vielmehr in der formalen Konsequenz, mit der Designmerkmale durchgezogen werden. Wie die Figuren rechts zeigen, sind Anstriche, Schrägen und Rundungen konsequent einheitlich gestaltet. Die Innenformen der Zeichen sind «offen», wie dies mit der Frutiger 1976 erstmals präsentiert wurde, b, g und q zeigen die Rundung ohne Serifenansatz der «holländischen Schule». Das l bildet einen Serifenansatz als Rundung, die 1 gibt es als Tabellenziffer mit Serife und als proportionale Ziffer ohne Serife (1). Besonders begrüs­se ich das korrekte Malzeichen (×) und das @-Zeichen. Es sitzt bei den meisten Schriften auf der Schriftlinie, Kerber sieht es genauso wie ich anders: Es sollte unten optisch etwas über die Schriftlinie hinausragen. Wer sich als Typoliebhaber die Unterschiede von Cast und Helvetica allein an diesem Vorkommnis (s. Abbildung) vor Augen führt, der wird mit einem Helvetica-Visitenkärtchen seine Mühe haben.

Liebe zum Detail

Die Zeichen sind mit höchster Sorgfalt gezeichnet und zugerichtet, ein treffliches Beispiel schweizerischen Qualitätsverständnisses. Dies beginnt damit, dass die optischen Korrekturen, zum Beispiel Einkerbungen, mit zunehmender Fette grösser werden. Dominique Kerber hat die Zeichen also nicht per FontLab einfach interpoliert, sondern manuell Hand angelegt. Die Ziffern sind etwas kleiner als Versalhöhe gehalten, somit integrieren sie sich besser ins Satzbild. Und zuletzt ragen die Oberlängen etwas über die Versalhöhe hinaus. Diese Massnahme nimmt den Grossbuchstaben (in der deutschen Sprache wegen der Häufigkeit) ihre visuelle Dominanz.

Die Liebe zum Detail äussert sich zum Beispiel auch in der Stellung von Kupplungs-, Gedanken- und Geviertstrich oder bei runden, eckigen oder geschweiften Klammern. Es gibt dafür zwei verschiedene Höhen, die passend für Versalien oder Gemeine eingesetzt werden können. Dasselbe treffen wir beim @-Zeichen an, welches sich auf jeder Visitenkarte sehr schön bemerkbar macht. Bei Buchstabenkombinationen mit Mittellängen setzt man das tiefergestellte @-Zeichen, bei Kombinationen mit Oberlängen das etwas höher gestellte. Die oben stehende Abbildung zeigt den kleinen Unterschied. Solche Feinheiten offenbaren den perfektionistischen Ansatz, sie sind nicht augenfällig, aber optisch perfekt. Besser lässt sich Mikrotypografie nicht demonstrieren.

Fazit

Die Cast ist eine wunderbare Schrift, die sich als Leseschrift (auch in kleinen Graden), plakativ und sogar als Corporate-Design-Schrift empfiehlt. Man kann Dominique Kerber für sein Erstlingswerk nur gratulieren und uns wünschen, dass er noch weitere Kreationen auflegt. Download: www.myfonts.com. Einzelschnitt 50 $.

Der Autor

Ralf Turtschi ist Typograf, Gestalter und dipl. PR-Berater. Er führt in Adliswil die Agenturtschi, visuelle Kommunikation. Als Verfasser einiger Bücher, Broschüren und zahlreicher Fachartikel tritt er auch als Referent und Schulungsleiter auf.