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Corpid, der Frutiger-J�nger

1976 hat die Frutiger vorgezeichnet, wie Groteskschriften der Zukunft aussehen werden. Offene Innenräume mit relativ hoher x-Höhe zeichnen moderne Schriften aus. Die Corpid von Lucas de Groot ist eine von der Frutiger inspirierte Corporate-Design-Schrift.

RALF TURTSCHI Der Frutiger ergeht es ähnlich wie der Helvetica (1957, Max Miedinger). Beide haben eine enorme Strahlkraft und sind als Klassiker weltweit zigtausendfach im Einsatz. Schriften sind immer ein Ausdruck des entsprechenden Zeitgeis­tes. Oft inspiriert von erfolgreichen Vorbildern. Schriftdesigner schaffen grundsätzlich keine neuen Zeichen, die Lesegewohnheit setzt die Rahmenbedingungen. Wer heute genau hinsieht, wird feststellen, dass die Frutiger in die Jahre gekommen ist, auch wenn sie 2002 als Frutiger Next einen Relaunch erfuhr. Das will nun nicht heissen, das die Frutiger nicht schön ist, sondern nur, dass man ihr die 70-Jahre anmerkt.
Das Niederländische Ministerium für Landwirtschaft, Umweltmanagement und Fischerei wollte im Rahmen eines Corporate-Design-Relaunches die Frutiger als Hausschrift auf allen Computern einsetzen. Die Lizenzkosten zogen Überlegungen nach sich, für weniger Geld gleich eine eigene Schrift entwerfen zu lassen. Der Holländer de Groot erhielt den Auftrag, im Sinn einer sanften Entwicklung den neuen Font Frutiger-ähnlich zu gestalten. Er sollte jedoch zeitgenössischer aussehen, mit mehr Spannkraft versehen. De Groot definiert „Spannkraft“ als Verhältnis der Aussenkonturen mit den Innenkonturen, als Dynamik des Strichverlaufes. Die erste Version hiess Agrofont, später wurde der Font in Corpid (ein Akronym für Corporate Identity) umbenannt. Es entstanden drei Strichstärken mit den Italic-Schnitten, die im Minis­terium eingesetzt werden sollten. Als Kommentar war angeblich zu hören, die Arial sei am Bildschirm aber besser lesbar ...

Man hört dieses Argument leider immer wieder, die Bildschirmtauglichkeit der Arial ist massstäblich – sie wurde durch manuelles Hinting in monatelanger Arbeit für alle Grössen in Regular und Bold erreicht. So liegt denn der Hauptteil der Arbeit an einer neuen Schrift nicht beim Zeichnen, sondern beim manuellen Hinting. Hinting bedeutet, dass die Buchstaben in allen Grössen und Kombinationen für die Darstellung in der Pixelstruktur des Bildschirms optimiert werden. Eine unbezahlbare Riesenarbeit bei einem Charakterset von über 1000 Zeichen in 30 Schriftschnitten.  Die meisten Fonts werden deshalb heute automatisch gehintet, mit der Konsequenz, dass sie am Bildschirm nicht in jeder Grösse optimal lesbar sind. Die Corpid wurde 1999 von LucasFonts herausgebracht, ergänzt um weitere Schnitte und Breiten. Heute liegt sie in einer normalen Breite vor, in Semicondensed und in Condensed,­ je in 5 Strickstärken, geradestehend und Italic. Die Fontpakete sind für den internationalen Gebrauch ausgelegt. Wir sprechen von Corporate Type.

De Groot hielt sich bei seiner Inspiration an die Frutiger: Schriftgrösse, x-Höhe, Oberlänge und Versalhöhe und auch die Strichstärke der Roman sind exakt identisch. Die Corpid benötigt etwa gleich viel Platz wie wie die Frutiger. Wobei als Vergleich hier die alte Frutiger herangezogen wird, nicht die neuere Frutiger Next, die 2002 durch Erik Faulhaber digitalisiert und von Linotype (mit echten Italic-Schnitten) neu aufgelegt wurde. Man kann es deshalb auch nicht leugnen, irgendwie erinnert die Corpid an die Frutiger. Mehr aber nicht, denn de Groot hat sehr viele Elemente eigenständig eingebracht, so dass sie die Vorzüge der Frutiger und einen neuen Zeitgeist auf sich vereint.

Die Laufweite ist perfekt für Lesegrössen abgestimmt, die Corpid lässt sich auch auf dem Bildschirm gut lesen. Die Italic-Schitte laufen geringfügig schmaler als die geradestehenden, wobei die Grauwirkung erhalten bleibt.

Sorgenkinder im Schriftschaffen sind die fetten Schnitte, die sich in kleinen Graden nicht gut lesen lassen, weil die Innenräume zu stark zulaufen und je nach Drucktechnik nicht mehr optimal zu Papier gebracht werden können. Bei der Corpid Black verhält sich das auch so, sie eignet sich deshalb eher für Displays und Headlines. Die Heavy ist als fette Auszeichnungschrift so fett wie bei anderen Schriften die Bold. Sie ist hier bei Zwischentiteln eingesetzt. Auf der anderen Seite der Skala ist die Light nicht zu spitz gehalten, um als Leseschrift durchzufallen, wie dies bei der «alten» Frutiger 45 Light der Fall ist. Die Corpid Light ist in der Grauwirkung leicht und bildet zusammen mit Heavy-Zwischentiteln ein kontrastreiches Duo.

Schriftform

Am Augenfälligsten im Frutiger-Vergleich sind vielleicht die runden statt rechteckigen i-Punkte, Punkte und Kommas, der Serifenansatz beim i und l und die formal etwas „eckiger“ gehaltenen Rundformen von e, o, g, p, b, q und d. e und g wirken unten wie abgeplattet. Die 1 wurde je nach Ziffernart mit einer Serife ausstaffiert und bei schrägen Formen wie A, V, W und Y  ist der schräge Strich leicht nach aussen hin gebogen. Überhaupt nicht nach Frutiger sehen das t und das r aus. Beim G fehlt der Querstrich, bei R ist der schräge Abstrich nicht geschwungen.

Zeichenumfang und Technik

Die Corpid liegt als OpenType Font vor und unterstützt umfassend 32 europäische Sprachen mit einer Unzahl von Zeichen. Die Ziffern sind bis zu 9-fach ausgelegt, für den Lauftext und den tabellarischen Satz bleiben keinen Wünsche offen. Sogar das vielfach vergessene Multiplikationszeichen ist vorhanden. Eine Besonderheit ist das @-Zeichen, das man auch zu Versalien passend vorfindet: @. Dann gibts weitere typografische Feinheiten mit Verbindungsbögen, die sonst eher bei Serifenschriften vorkommen. Die OpenType-Features unterstützen Ligaturen, Bruchziffern und vieles mehr. Diese Features sind in der InDesign-Zeichenpalette –> Optionen –> OpenType –> Formatsätze abgelegt.

Corporate Type

Wie es sich für einen Font ziemt, der im Corporate Design eingesetzt werden will, gehört auch eine Officeversion dazu. Die Corpid hat eine solche auf Lager, mit einem reduzierten Charakterset. Die Office-Variante wird durch die Windows ClearType-Technologie unterstützt, die mit Windows Vista vorgestellt wurde. ClearType ermöglicht eine äusserst scharfe Abbildungsqualität von Schrift am Bildschirm, die seinesgleichen sucht. Dem Ersatz der Arial in der Bürokommunikation steht also nichts im Weg.

Beurteilung

Lucas de Groot hat mit der Corpid eine Schrift geschaffen, die alle Wünsche an eine moderne Corporate-Design-Schrift erfüllt. Sie kann beim Kleingedruckten eingesetzt werden, denn die Leserlichkeit bleibt bestehen. In Headline- und Displaybereich, wo die Schrift für ein Unternehmen visuell prägend ist, besticht die Corpid durch einen starken Charakterzug mit einen Hauch Aftershave, das nach Adrian Frutiger riecht. Die schmalen Schnitte sind nicht so übertrieben schmal, dass man sie nicht mehr lesen kann. Wer also viel Text in engen Platzverhältnissen unterbringen muss, ist mit der Corpid ebenfalls bestens bedient. Mit einem augenzwinkernden Paradoxon ausgedrückt ist die Corpid die humanistischere Frutiger. Da unter Windows Vista das Frutiger-Plagiat Segoe als Betriebssystemschrift auf jedem Laptop läuft, empfehle ich allen, die sich in Corporate-Type-Fragen differenzieren möchten, sich die Corpid einmal näher anzusehen.

Bezug

Die Corpid ist bei www.lucasfonts.com erhältlich, auf der Website finden sich PDFs zum Ansehen und weitere Informationen. Die Fonts sind einzeln oder im Paket erhältlich. Die Corpis E1s mit Griechisch und Kyrillisch kostet laut Website als 5er Lizenz € 912.–. Enthalten ist der Normalschnitt, Semicondensed und Condensed, geradestehend und Italic, total 30 Schriftschnitte. Wer weniger Zeichen und Sprachen abdecken möchte, für den gibts die abgespeckten Varianten C1s für € 639.– und C1 für € 456.–. Die Office-Variante mit speziell guter Leserlichkeit auf dem (Windows-)Bildschirm gibts für € 98.–.