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Der lange Weg zur Umweltschonung

«Grün» liegt im Trend, ganz besonders in der Druckindustrie. Der Grossformatdruck macht da keine Ausnahme: Es gibt viele Ansätze, aber derzeit nur wenige einheitliche Umweltstandards.

Sonja Angerer «Können Sie den Messestand auch mit grünen Mate­rialien anbieten?» Diese und ähnliche Fragen hören Druck- und Werbetechnikdienstleister inzwischen häufig von ihren Kunden. Doch «Grün» – was ist das eigentlich? Wenn man die Radikallösung «auf alles nicht absolut Lebensnotwendige verzichten» ausklammert, letztlich die einzige wirklich umweltfreundliche Option, kann die Antwort nur lauten: «Grün» sind Produkte, die während der gesamten Lebenszeit, von der Produktion bis zum Recycling, möglichst umweltschonend sind.

Mit den Tinten fängt es an

Umweltverträglicher Grossformatdruck beginnt bei den Tinten. Denn diese definieren, welche Materialien sich überhaupt verarbeiten lassen.

Sowohl lösemittelhaltige («Hard Solvent») wie auch «Eco»-, «Mild»- oder «Low»-Solvent-Tinten enthalten flüchtige organische Verbindungen (VOCs), die gesundheitsschädlich wirken, ausserdem Gewässer und Ozonschicht schädigen können. Es werden zwar, vor allem von Drittanbietern wie Bordeaux Digital Print Ink, auch «Öko»-Tinten mit Lösungsmitteln angeboten, die keine Luftschadstoffe (HAPs) freisetzen, diese haben sich jedoch bislang kaum durchsetzen können.

Mit lösemittelhaltigen Tinten lassen sich eine Vielzahl Folien-, Banner- und Netzgittermaterialien aussenraumtauglich bedrucken, sie gelten nach dem gegenwärtigen Stand der Technik jedoch als am wenigsten umweltfreundliche Technologie.

Mit UV-härtenden Tinten ist die Substratauswahl noch grösser, man kann etwa auch Plattenmaterial direkt bedrucken. Ein insgesamt deutlich geringerer Verbrauch, die schnelle Trocknung und die Tatsache, dass keine VOCs abgegeben werden, verbessern die Ökobilanz erheblich. Allerdings sind auch UV-härtende Tinten nicht völlig unproblematisch. Durch die hohe Energie der UV-Lampen entsteht Ozon, das bei längerem Einatmen in höherer Konzentration das Risiko von Atemwegs­erkrankungen erhöht. Zudem kann je nach Formulierung das Allergierisiko steigen. Nicht selten sind in den Tinten auch grundwassergefährdende Stoffe zu finden.

Wasserbasierende Tinten belasten Umwelt und Gesundheit am wenigsten, denn sie enthalten wenige oder keine VOCs oder andere bedenkliche Stoffe. Klassische wasserbasierende Tinten kommen jedoch vor allem im Innenraum zum Einsatz, zudem benötigen sie für hochwertige Drucke mit einer Tintenaufnahmeschicht versehene Spezialmedien.

Die Mitte 2008 vorgestellte HP-Latextinte fällt ebenfalls unter die wasserbasierenden, obwohl sie eine geringe Menge VOCs enthält. Die mit dem ersten Latexmodell Designjet L65500 hergestellten Drucke sind deshalb auch draussen bis drei Jahre haltbar, für hochwertige Ergebnisse müssen die Medien jedoch angepasst sein, was derzeit noch die Vielfalt einschränkt. Auch Textiltinten für den Direkt- und Sublimationsdruck sind in der Regel wasserbasierend, können jedoch nicht auf Folien oder Platten eingesetzt werden.

Da die meisten Druckdienstleister jedoch sehr viele Substrate anbieten müssen, ist die Frage nach der vielseitigen Verwendbarkeit eines Druckers nicht unbedeutend für eine möglichst «grüne» Produktion. Hinzu kommt, dass Tintenrezepte unabhängig von ihrer Klasse in ihrer Schädlichkeit für Mensch und Umwelt stark abweichen können. Fehlende Kontrollen bewirken, dass zum Teil auch Formulierungen importiert werden, die nach euro­päischen Richtlinien nicht erlaubt sind, weil sie etwa gesundheitsgefährdende Stoffe oder Schwermetalle enthalten.

Die Krux mit dem Druckmedium

Bei den Druckmedien gestaltet sich die Frage nach der grösstmöglichen Umweltschonung kaum weniger kompliziert. Substrate aus nachwachsenden Rohstoffen wie Karton, Faserplatten oder Holz eignen sich nicht für sämtliche Anwendungen. Textilien, die ganz oder teilweise aus Baumwolle oder anderen Naturfasern bestehen und damit zum Teil sogar kompostierbar sind, tragen das Risiko, mit ihrer Verwendung zerstörerische landwirtschaftliche Monokulturen zu unterstützen.

Selbst bei den Folien liegen die Dinge nicht so klar, wie manche Anbieter es suggerieren. Denn derzeit liegt zwar die Vermeidung von PVC im Trend: Hersteller wie etwa Madico Graphic Films, Neschen und Dickson Coatings bieten spezielle Produktlinien mit PVC-Alternativen wie PP an, zum Teil auch Bedruckstoffe, die nicht aus Erdöl gemacht sind. Das Argument, PVC liesse sich nicht wiederverwerten, trägt allerdings heute nicht mehr: Ferrari SA baut etwa mit Texyloop ein Sammel- und Recyclingsystem für PVC-Folien auf.

In der Papierproduktion gibt es mit dem FSC-Label und dem «Blauen Engel» Zertifikate für die umweltschonende Herstellung. Allerdings senken grössere Mengen inkjetbedruckter Papiere beim in Europa üblichen Flotationsdeinking die Qualität des rückgewonnenen Rohstoffes. «Zehn Prozent Inkjetdrucke ruinieren eine ganze Ladung Altpapier», erklärt etwa Axel Fischer, Pressesprecher von Ingede, der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Deinking-Technik.

Und das ist längst nicht der einzige Stolperstein beim Recycling. Viele werbetechnischen Produkte bestehen aus einer Vielzahl von Komponenten. Ein Display, das etwa aus einer Verbundplatte mit Selbstklebefolie besteht und mit einem Laminat geschützt wurde, eignet sich nicht mehr für die sortenreine Wiederverwertung und landet deshalb wahrscheinlich schlicht auf der Deponie oder in der Müllverbrennung.

Der Reiz des Neuen

Gerade Digitaldruckdienstleister stehen heute unter einem hohen Innovationsdruck – nicht selten werden jährlich neue Maschinen fällig. Dabei wird allerdings gerne übersehen, dass die Produktion jedes neuen Druckers erhebliche Rohstoffe verschlingt, sein Transport den CO2-Ausstoss erhöht und seine Unterbringung Platz benötigt – was die Versiegelung von Flächen beschleunigt.

Modulare Konzepte, die erlauben, eine Maschine noch nach Jahren an aktuelle Technik oder sich ändernde Anforderungen anzupassen, sind noch relativ selten: Die Durst Phototechnik AG etwa bietet die Möglichkeit, die Rho-700-Modelle mit Weissdruck, Lackoption und sogar mit mehr Köpfen für höhere Geschwindigkeit nachzurüsten. Auch das modulare Konzept der neuen Generation G3 der Zünd-Cutter hilft, Rohstoffe zu sparen. «Bis zu drei Halterungen für eine Vielzahl von Werkzeugeinsätzen können gleichzeitig montiert werden, sodass sich die Maschinen ohne grossen Aufwand jederzeit etwa neuen Druckmateria­lien anpassen lassen», erläutert Tibor Naphegyi, Marketing Services bei der Zünd Systemtechnik AG. Zudem hat das Unternehmen bei diesen Modellen den Stromverbrauch erheblich gesenkt.

Energiekosten sind auch bei vielen Druckern für UV-härtende Tinten ein Schwachpunkt, da konventionelle UV-Lampen sehr viel Strom benötigen. Die ersten Wide-Format-Modelle mit den wesentlich sparsameren LED-Lampen sind etwa von Gerber, NSK-Sun und Roland bereits auf dem Markt. Chuck Dourlet, Vice-President Marketing EFI-Vutek, sieht aber derzeit noch ein Problem darin, «die Tinten ganz genau auf die Wellenlängen der LEDs abzustimmen, sodass die Drucke wirklich auf jedem Substrat zuverlässig aushärten».

Bei den Grossformatsystemen mit Druckbreiten unter drei Metern ist der Stromverbrauch im Vergleich zu den superbreiten Produktionsmaschinen deutlich geringer. Doch hier gibt es kaum Möglichkeiten, bestehende Maschinen aufzurüsten, zudem forcieren Hersteller und Vertriebe nicht selten mit Trade-in-Programmen den besonders schnellen Austausch. Nicht immer ist jedoch klar, was eigentlich mit zurückgenommenen Maschinen passiert: Werden sie alle ordnungsgemäss wiederverwertet? Oder kommen etwa gebrauchte Lösemitteldrucker in Ländern mit weniger strengen Umweltauflagen in den Handel – von wo dann womöglich die Drucke zu Dumpingpreisen auf den zentral­europäischen Markt zurückkommen?

Konzepte noch uneinheitlich

«In Grossbritannien spüren besonders Dienstleister, die für globale Marken tätig sind, den wachsenden Druck ihrer Kunden, die sich grünen Konzepten verschrieben haben», erklärt Chris Smith, Projektleitung beim «Planet Friendly Guide» der FESPA. «Langfristig wird es deshalb für viele Druckhäuser schwierig werden, ohne eigene Umweltkonzepte solche Kunden zu halten.

Auch im deutschsprachigen Bereich gibt es bereits erste Unternehmen, die versuchen, umweltschonende Konzepte in den Produktionsalltag zu integrieren, etwa die Stiefel Digitalprint GmbH aus Lenting bei Ingolstadt. Die Basis des Stiefel-Konzepts ist der Latexdrucker HP Designjet L65500, zudem wurden spezielle Materialien ausgesucht, die PVC- und formaldehydfrei sowie schwer entflammbar nach B1/M1 sind. Durch leichtere Grammaturen werden zusätzlich Gewicht und Rohstoffe gespart. Das Konzept lässt sich, so der technische Leiter Rainer Schmid, zwar gut in den Produktionsalltag einbinden. Den Aufwand für Materialtests und die Profilierung der neuen Substrate beschreibt er dennoch als beträchtlich. Hinzu kommt, dass das Unternehmen auch konventionelle Produkte anbietet, immerhin gehört es mit mehr als 110 Mitarbeitern und 27 Druck- und Lackiermaschinen zu den grössten Dienstleistern im deutschsprachigen Raum.

Keine einheitlichen Umweltstandards

Das grösste Problem bei umweltschonenden Digitaldruckkonzepten besteht jedoch darin, dass es derzeit noch keine einheitlichen Standards gibt. Bedruckstoffe, Tinten und Weiterverarbeitung sind weitaus vielfältiger, als es zum Beispiel im Offsetdruck der Fall ist. So gibt es etwa von JM Junkers & Müllers Textilien, die nach Oeko-Tex-100-Standard zertifiziert sind. Die A. Berger GmbH hat dagegen ihre Stoffe vom Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West auf ihre Unbedenklichkeit beim Sublimations­prozess untersuchen lassen. Der Haken: Bei beiden wurden nur die unbedruckten Substrate getestet, nicht aber fertige Fahnen und Banner.

Und selbst der «Nordic Swan», ein strenges skandinavisches Öko-Label, mit dem sich die Durst-Rho-Tinten schmücken dürfen, garantiert noch nicht, dass im Zusammenspiel mit dem Trägermedium nicht doch Schadstoffe entstehen. Wie sollte dies auch möglich sein, angesichts der schier endlosenKombinationsmöglichkeiten von Material, Tinten und Weiterverarbeitung?

Die Probleme gehen aber noch weiter: Wo Absauganlagen aus Kostengründen gar nicht erst angeschafft oder nicht eingeschaltet werden, Abluft ungefiltert in Gebiete mit Mischbebauung geblasen wird, da kann keine nachhaltige Produktion stattfinden. Ebenso wenig dort, wo Arbeitsschutz kleingeschrieben oder Mitarbeiter regelmässig zu endlosen Überstunden und dauernder familienunfreundlicher Wochenendarbeit verpflichtet werden – egal, ob nun mit Solvent- oder schonenden UV- oder Latextinten gedruckt wird.

Die internationale Umweltmanagementnorm ISO 14001 beinhaltet den derzeit umfassendsten Ansatz für eine «grüne» Produktion, denn sie fordert den Aufbau eines betrieb­lichen Umweltmanagementsystems sowie dessen Umsetzung und laufende Verbesserung. Allerdings werden keine absoluten Anforderungen für die Umweltleistung festgelegt, sondern es wird innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen nur die Einhaltung der Verpflichtungen gefordert, die sich die Organisation selbst in ihrer Umweltpolitik auferlegt hat.

Trotzdem dürften mittelfristig selbst relativ kleine Dienstleister nicht an Umweltmassnahmen vorbeikommen, zu prominent steht die Druckindustrie – mit einem Anteil von elf Prozent gehört sie zu den grossen Stromverbrauchern in Europa – im Fokus von Gesetzgeber und Verbraucher. Inwieweit sich die zum Teil sehr kostenintensiven Massnahmen jedoch auf die Verkaufspreise überwälzen lassen, gerade in Zeiten einer vielerorts immer noch schwächelnden Wirtschaft, muss sich zeigen. Das Interesse an Umweltfragen ist in der Druckindustrie nach wie vor gross: Auch der im Rahmen der 1000-Tage-Kampagne zur Drupa 2012 eben erschienene erste Report widmet sich dem Thema «Green Printing».

FESPA Planet Friendly Guide

Zur Fespa Digital Amsterdam stellte die FESPA die überarbeitete und auf den Digitaldruck erweiterte zweite Version des PDF-Führers vor. Er wurde von Michel Caza von der FESPA in Zusammenarbeit mit dem Umweltschutzexperten Paul Machin erarbeitet. Die Projektleitung lag bei Chris Smith, dem Verantwortlichen für den Mitgliederservice. Die 100 Seiten starke englischsprachige Publikation wird laufend an die aktuelle europäische Gesetzgebung angepasst. FESPA-Mitglieder können ihn kostenlos von der Website herunterladen. «Wir wollen den Druckdienstleistern einen umfassenden, verständlichen und praxisnahen Führer für mehr Umweltverträglichkeit bei Sieb- und Digitaldruckverfahren an die Hand geben», so Chris Smith. «Bereits relativ kleine Veränderungen wie etwa die Nutzung einer Müllpresse oder von Bewegungsmeldern für Lichtschalter können eine Menge ausmachen.»

www.fespa.com