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Die modernere Antiqua

Es mag Gestalter geben, die meinen, die Garamond sei als Mutter aller Antiquaschriften unübertreffbar. Hier ist eine andere Meinung.

RALF TURTSCHI Ich sah die Collis in der «Gazzetta», einer Publikation der Pro Litteris. Initialen, Leads und Zitate zogen meinen Blick wie magisch an. Ein Anruf in der Druckerei brachte Klarheit, der bewunderte Font heisst Collis und wird von The Enschedé Font Foundry herausgegeben. Die Collis wird auf der Website www.teff.nl als typischer Font der Den Haager Schule vorgestellt. Die Holländer haben seit der DTP-Zeit unzählige hervorragende Leseschriften entworfen, darunter die PMN Caecilia (1991, Peter Matthias Noordzij), die Swift (1987, Gerard Unger), die Thesis (1994, Lucas de Groot).

DIE COLLIS

Die Collis wurde 1993 vom Typografen und Grafikdesigner Christoph Noordzij gezeichnet. Sie ist eine Mengensatzschrift, die einen kräftigen Strich aufweist, sie wirkt standfest und ist sehr gut leserlich. Der Kontrast innerhalb der Schrift ist zwar da, er zeigt sich jedoch nicht so stark, wie dies bei älteren Antiquaschriften oft der Fall ist. Die x-Höhe weist zur Oberlänge ein Verhältnis von 1 : 1,5 auf. Im Vergleich dazu liegt die Proportion bei der Adobe Garamond Pro bei 1 : 1,8. Die Mittellänge der Collis liegt also bedeutend höher als bei der Garamond, was sich durch offene Innenräume bemerkbar macht. Diese Innenräume sind bedeutend, wenn es um die Leserlichkeit geht, insbesondere in kleinen Graden oder auf dem Bildschirm. Die hier verwendete Grundtextgrösse ist 8,25 Punkt.

Wie alle modernen und guten Schriften ist die Laufweite der Collis nicht zu eng, sie ist perfekt ausgewogen, sodass die einzelnen Buchstaben auch auf dem Screen klar sichtbar bleiben. 800 Buchstabenpaare wurden individuell ausgeglichen. Die Serifen sind kräftig ausgebildet, unten ganz leicht gekehlt und zum Stamm hin schön gerundet. Die Serifen enden bei den Versalien eckig, bei den Gemeinen unten auf der Schriftlinie ebenfalls eckig, auf der Oberlänge und der Mittellänge halbrund auslaufend. Diese eckig-runde Kombination gibt der Collis eine phänomenale Ausstrahlung zwischen Stärke und Anmutung, zwischen kantiger und weicher Form. Dann diese neckischen Abweichungen von der Standardform: Die 4 und die 7 werden in Mediävelziffern schräg angeschnitten, ganz anders als die Tabellenziffern.

Die sonst oft gespiegelten Formen von d, p, q und b sind bei der Collis eigenständig gezeichnet, eine wohltuende Erscheinung. Die Schattenachse der Collis liegt bei 22°, dies gilt für Versalien und Gemeine. Im Vergleich dazu liegt die Schattenachse der Garamond unterschiedlich – bei Versalien beträgt sie 14°, bei Gemeinen nur 6°. Als Buchschrift existiert die Collis nur gerade in der Stärke Roman, dazu gibts die Italic. Das ist auch für die Buchgestaltung etwas wenig, man wünschte sich mindestens noch eine Strichstärke mehr. Das Versprechen, dass die Collis sich breit einsetzen lässt, klingt deshalb etwas vollmundig – Noordzij trägt aber den Gedanken, die Schrift weiter auszubauen. Wer aber eine perfekte Magazin-, Buch- oder Zeitungsschrift haben möchte und die Titel mit andern Schriften ergänzen kann, dem sei die Collis wärmstens empfohlen.

Der Font liegt in OpenType-Format vor, das OpenType-Feature sieht Ligaturen vor, aber keine automatschen Bruchziffern. Dafür glänzt die Collis mit Schwungbuchstaben, mit denen in der Titelei ein reizvoller bibliophiler Charakter erzeugt werden kann. Der Charakterumfang enthält selbstverständlich auch Kapitälchen und unterschiedliche Ziffern, Versalziffern und Mediävelziffern, die proportional gekernt oder für die Tabellengestaltung einheitlich breit sind.

DIE KURSIVE

Die Kursive ist lediglich um 5,1° nach rechts geneigt, sie liegt damit deutlich unter dem üblichen Neigungswinkel von 10–11°. Übrigens neigt sich die Adobe Garamond aus meiner Sicht mit 19° viel zu stark. Die Zeichen der Collis Italic sind erheblich schmaler geschnitten als jene der Roman, hier folgt Noordzij dem Standard der Antiquaschriften. Die Kursive ist jedoch weniger «handschriftlich» gezeichnet, die Buchstaben sind weniger rund und schwungvoll, wie dies bei bekannten Antiquas festzustellen ist. Ich persönlich finde dies begrüssenswert, weil die üblicherweise zu stark geneigten und erst noch zu schmalen und zu engen Italicschnitte deutlich schlechter leserlich sind. Die Collis Italic hingegen kann man wegen der Mässigung in Form und Lage auch in grösseren Textabschnitten gut lesen. Die Italic mutet noch weicher an als die Roman schon ist, die Kantigkeit in den Serifen entfällt, dafür gibt der Gestalter den Endstrichen bei r, n und u einen schrägen Anschnitt.

DIE STRICHSTÄRKEN

Die Lebendigkeit einer Schrift misst sich nebst an der Form an ihrem Kontrast, an ihren Neigungswinkeln und an den Strichstärken. Wenn wir die Stammstärke der Versalien im Schnitt Roman als 100% annehmen, so sind die Strichstärken der Gemeinen rund 10% dünner. Diesen Unterschied gibt es auch zwischen Roman und Italic, hier beträgt der Unterschied rund 12%. Auf der einen Seite ist die Italic schmaler, dafür dünner, die Grauwirkung im Satzbild entspricht somit der Grauwirkung der Roman. Typografisch gesehen fällt eine Auszeichnung erst dann ins Auge, wenn man darüber liest, nicht schon vorher.

EXTRAS

OpenType machts möglich, dass die Collis mit bis zu drei alternativen Schwungbuchstaben aufwartet, ein Feature für typo- und bibliophile Geister, welches allerdings dem Vergleich mit anderen Swoosh-Schriften wie der Poetica nicht standhält, es sind Staffel zu wenig Zeichen damit ausstaffiert. Ein anderes Zückerchen hingegen ist die Integration des mathematischen Malzeichens (x) oder von Bullets, die man für Aufzählungen verwendet. Dafür muss man nun nicht immer auf Sonderzeichen zurückgreifen.

EINE PERLE

Der Vergleich mit der «Mutter aller Serifenschriften» ist insofern nicht statthaft, als es viele Garamonds mit unterschiedlichen Qualitäten gibt. Die Collis jedoch überzeugt in vielerlei Hinsicht, sie entspricht modernen Bedürfnissen, ist mit hoher Mittellänge und grosser Laufweite auch auf dem Bildschirm besser leserlich als andere Antiquaschriften. Ein Vergleich mit der Adobe Garamond Pro zeigt modernere und elegantere Formen, die Collis läuft nicht so eng, die Kursive ist um Meilen besser. Wer bis anhin die Meinung vertrat, die Garamond sei das Mass aller Dinge, was Leserlichkeit betrifft, tut gut daran, die Augen zu öffnen.

Collis Roman und Italic kosten je 393 €, im Bundle 674 €, Mehrfachlizenzen auf Anfrage: The Enschedé Font Foundry, www.teff.nl .