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Ein Schriftzug und optische Gesetzm�ssigkeiten

In der Ausgabe 4-10 haben wir von geometrisch konstruierten Logos berichtet. Diesmal gehts um die Grenzen von konstruierten Buchstabenformen.

Ralf Turtschi Eines der typografischen Highlights ist sicher die Entwicklung eines Logos oder Schriftzuges. Es bieten sich zwei Wege an: aus bestehenden Schriften ein Logo zu entwickeln oder die Buchstaben selbst zu zeichnen. Die Konstruktion von Buchstaben habe ich im Heft 4-10 beschrieben, diesmal möchte ich aufzeigen, wo die Geometrie an die Grenzen der optischen Gesetzmässigkeiten stösst. Dazu zwei bekannte Beispiele zum besseren Verständnis: Die zwei gleichen Balken unten scheinen nicht gleich dick und gleich lang, wenn sie senkrecht oder waagrecht stehen. Der senkrechte Balken müsste etwas dicker und kürzer gestaltet werden, damit er gleich erscheint, wie rechts zu sehen.

Rundungen und Spitzen müssen über optische Achsen hinausgezogen werden, damit sie bündig erscheinen: Beim Beispiel oben ist der Punkt gleich gross wie die Rechtecke, unten ist der Punkt grösser, er erscheint aber mit der «Zeile» bündig. Solche optischen Gesetzmässigkeiten zeigen auf, dass geometrisch konstruierte Buchstaben niemals dem strengen Auge genügen.

Econimo ist ein Unternehmen in Cham, welches sich mit Energieproduktion und -verteilung beschäftigt (siehe Seite 86, www.econimo-drive.ch). Der Kundenwunsch an die Agenturtschi, die mit der Ausführung beauftragt wurde, war, etwas Rundes zu gestalten. Erste Papierskizzen führten zu einer eigenen Lösung, die ich hier vorstelle. Die Buchstaben e, c und o sind geometrisch rund, das i gerade, n und m hingegen sind Mischformen mit Bogen. Erste, rein geometrische Konstruktionen in Illustrator ergaben folgendes Bild:

Variationsmöglichkeiten bestehen zum Beispiel beim e, der visuelle Bezug zum Euro ist gewollt.

Die eckigen Endstriche lassen den Schriftzug noch normal und statisch erscheinen, deshalb werden die Endstriche angerundet, was bei den geraden kein Problem darstellt, bei den runden Buchstaben e und c aber schon ein gutes Auge für die Kurven erfordert.

Eine der Herausforderungen ist es, die Schriftlinie und die Mittellänge festzulegen, was nicht so eindeutig ist, weil es keine geraden Endstriche mehr gibt. Im vergrösserten Beispiel rechts sind zur Sichtbarmachung Hilfslinien angesetzt. Man kann erkennen, dass sowohl die Schriftlinie als auch die Mittellänge der runden Buchstaben anders ist als bei den Buchstaben n und i. Auch beim Bogen des n stellt man fest, dass er nicht mit den Rundungen von o, e und c bündig ist. Je flacher die Bogenform, desto näher steht sie auf der (fiktiven) Schrift­linie. Diese sowie eine fiktive Mittellänge für normale, gerade Buchstaben ist mit blauen Linien angedeutet. In dieser Höhe müsste ein normales, gerades i gezeichnet werden. Auch beim i-Punkt kommt das optische Gesetz zum Tragen, der Punkt muss grösser sein als der Abstrich, sonst würde er zu klein wirken. Wie stark diese optischen Ausgleichskorrekturen nun ausfallen, ist dem Gestalter überlassen. Es gibt keine Angaben, die man zu Hilfe nehmen kann. Ausprobieren und hingucken, heisst die Devise. Die Konstruktion hängt nun auch mit der Buchstabendicke zusammen. Zu Beginn hat man vielleicht eine Vorstellung, wie dick das Logo sein soll. Auch hier hilft nur Ausprobieren. Prägnanz heisst hier das Zauberwort. Je dünner, desto mehr Umgebungsraum benötigt das Logo, um sich später im Konkurrenzumfeld behaupten zu können. Die Buchstabenabstände sind ebenfalls wichtig, wer sein Logo auf Funktionstüchtigkeit überprüfen will, der sollte es ganz klein ausdrucken. Dann werden Fehler in der Dicke und bei den Abständen eher sichtbar. Je dicker die Strichstärke, desto grösser muss der Buchstabenabstand sein. Zuletzt wenden wir uns noch der Geometrie der Formen zu. Wir haben das o kreisrund belassen und uns mit der Innenform beschäftigt. Wenn die Innenform konzen­trisch ist, wirkt das o unten und oben verdickt, auch hier greift die optische Gesetzmäs­sigkeit, dass senkrechte Abstriche schmaler wirken als waagrechte. Bei der Kreisform heisst dies, dass die Innenform in Form eines stehenden Ovals angelegt wird, um eine gleichmässige Kreisform erscheinen zu lassen. Das Logo wird nun probehalber auf Geschäftsausstattung und anderen Anwendungen farbig, schwarz und weiss eingesetzt, um die Wirkung auch in der Perspektive zu überprüfen.

Das Zeichnen von Buchstaben setzt ein «kalligrafisches» Auge voraus, wer nicht bereit ist, mit Akribie um die optische Vollkommenheit zu kämpfen, der sollte es lieber bleiben lassen. Leider sind viele kostenlose Schriften im Internet erhältlich, denen gerade solche Details abgehen, die aber dennoch für Logos eingesetzt werden.

In der Ausbildung ist das Zeichnen eines solchen Logos eine wunderbare Augenschulung, die sehr viel mit Mikro­typografie zu tun hat.

Der Autor

Ralf Turtschi ist Typograf und dipl. PR-Berater. Er führt in Adliswil die Agenturtschi, visuelle Kommunikation. Der Verfasser von Büchern, Broschüren und zahlreichen Fachartikeln tritt auch als Referent und Schulungsleiter auf.