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Geeignete Schubladen f�r Typen

Für viele Mediengestalter ist das Klassifizieren von Schriften ein Metier aus ferner Zeit – zu abstrakt, zu akademisch, zu veraltet. Die Entscheidung für oder gegen bestimmte Projektschriften kommt ohne Schubladen allerdings nur schlecht aus.

günter schuler Die aktuelle Situation an der Schriftklassifikations-front ist schnell erklärt. Im Wesentlichen koexistieren drei Arten Klassifikationsmodelle. Gruppe eins sind die offiziellen, in der Ausbildung nach wie vor vermittelten Schemata – in Frankreich das Schema nach Maximilien Vox, in Deutschland die DIN-Norm 16518 und in der Schweiz das Klassifikationsmodell nach Tschichold. Vorteil dieser «offiziellen» Normen: Die von ihnen vorgenommene Kerneinteilung für die grundlegenden Textschriftarten wird nach wie vor kaum infrage gestellt. Ihr Nachteil: Sie haben x Jahrzehnte auf dem Buckel und sind somit auf die Vielfalt der aktuellen Schriftenszenerie kaum noch übertragbar.

Auf die Veralterung der offiziellen Schriftklassifikationsnormen hat es im Wesentlichen zwei Reaktionen gegeben: a) Simplifizierung, b) den Versuch, neue, zeitgemässe Einordnungssysteme zu erstellen. Stark vereinfachte Modelle erfreuen sich vor allem bei Schriftherstellern grosser Beliebtheit. Angesichts der Tatsache, dass die alten, offiziellen Schemata überholt sind, fokussieren sie auf wenige Grossklassen. In der Regel sind dies: Serif, Sans Serif, Slab Serif, Script, Display, Historic und Dingbats. Vorteil dieser Art, Schriften einzuordnen: Die Anzahl der «Container» bleibt überschaubar. Nachteil: Die Unterschiede innerhalb der einzelnen «Container» sind zum Teil gigantisch. Für die Frage «Ist Schrift XY geeignet für mein Projekt?» sind Grossgruppen-Unterteilungen also wenig geeignet.

Wie sieht es bei Gruppe b) aus, den zeitgemässen Modellen? In den letz-ten Jahren gab es mehrere Initiativen, die Schriftklassifikation auf eine zeitgemässe Grundlage zu stellen. Rege diskutiert wurden vor allem zwei Vor-schläge: Erstens die so genannte Matrix Beinert, ein von dem Berliner Typografen Wolfgang Beinert aufgestelltes Rastersystem. Der zweite Vorschlag war ein stark auf Formeigenschaften fokussiertes Modell. Autoren: der verstorbene Typograf Peter Willberg und die an der Saarbrücker Design-Hochschule lehrende Professorin Indra Kupferschmid. Vorteil: Verglichen mit den alten Modellen, befinden sich die Matrix Beinert sowie das Formprinzipmodell von Willberg und Kupferschmid auf der Höhe der aktuellen Schriftentwicklung. Darüber hinaus betonen beide stark gruppenübergreifende Gemeinsamkeiten – die Matrix Beinert durch ihre Binnenunterteilung, das Formprinzipschema über die beiden zentralen Merkmale dynamisch und statisch. Das baukastenartige Raster, welches beiden Modellen zugrunde liegt, kommt heutigen Ansätzen zusätzlich entgegen. Fazit: Für Typo-Profis sind beide Modelle gleichermassen gut geeignet. Allerdings warten auch die neuen Systeme mit Nachteilen auf. Der grösste: Einfache User dürften mit der Aufgabe tendenziell überfordert sein, eine Antiqua als eher statisch, als eher dynamisch oder im Rahmen eines Matrixsystems einzuordnen.

Die Schemata im Detail

Zugegeben, aus Anwendersicht können unterschiedliche Angebote durchaus vorteilhaft sein. Insbesondere die kundenbezogene Grossgruppen-Sortierweise hat sich in den Jahren immens fortentwickelt. State of the Art dürfte im Moment der Webauftritt von MyFonts sein. Das von Bitstream begründete und mittlerweile unter der Ägide von Monotype betriebene Portal offeriert für die Schriftsuche Tausende von Stichworten und Gruppenbegriffen. Ergänzt werden diese durch vier an herkömmlichen Gruppen orientierte Einsortier-Raster. Auch diese funktionieren stichwortbezogen. Für Spass beim Mitmachen sorgt der übliche Communityeffekt: Ähnlich wie bei Bilderportalen oder im iTunes Music Store können MyFonts-User Alben mit Lieblingsschriften, mit Projektschriften oder auch mit eigenen speziellen Gruppen anlegen. Ähnliche Verschlagwortungsmöglichkeiten sind auch im Funktionsumfang der beiden aktuellen Standard-Schriftverwaltungsprogramme Suitcase Fusion und Linotype Font Explorer enthalten. Das Einordnen von Schriften mittels Grobgruppen und Stichwörtern ist zwar zweifelsohne userfreundlich, kreativ sowie auf der Höhe der Zeit. Nachteil dieser Methode ist allerdings, dass der Mediengestalter und die Grafikdesignerin keine fixen Orientierungspunkte an der Hand haben. Im Klartext: Ob die unter «Art Déco» aufgelistete Schrift XY wirklich für ein Art-Déco-Layout geeignet ist, steht in den Sternen.

Die traditionellen Klassifikationsnormen hingegen warten zwar mit wissenschaftlich abgesicherten Schubladen auf. Hundertprozentig eindeutig sind diese allerdings nicht. Beispiel Antiqua-Schriften: Die Grobgliederung nach Vox, dem britischen System, sowie nach DIN-Norm unterscheidet zunächst zwischen «alt» und «modern» – sogenannten Old Faces (oft auch als Old Styles bezeichnet) und so genannten Modern Faces. In die Gruppe der Old Faces fallen weit über fünfzig Prozent aller klassischen Serifschriften. Am anderen Ende der Skala stehen die klassizistischen Schriften mit ihren Hauptexponenten Bodoni, Didot und Walbaum. Die Old-Faces-Hauptgruppe wird ihrerseits unterteilt in eine ältere, stark von den Druckschriften der Frühdruckära geprägte Gruppe (deutsche Bezeichnung: Venezianische Renaissanceantiqua) und eine nicht ganz so alte. In die zweite Gruppe (deutsche Fachbezeichnung: Französische Renaissanceantiqua) werden so gut wie alle klassischen Buchdruckschriften einsortiert – Bembo, Garamond, Granjon, und so weiter. Während die Schrifttypen des 15. und 16. Jahrhunderts halbwegs sicher klassifizierbar sind (jedenfalls, sofern sie nicht zu stark von der Norm abweichen), gibt es hinsichtlich der zwischen Old Faces und Modern Faces liegenden Gruppe der Barock- oder Übergangsantiqua Differenzen. Einerseits werden mit Caslon, Baskerville und Times drei zentrale Standardschriften in dieser Gruppe verortet. Andererseits gibt es über die Länge der Periode, die zwischen den Renaissanceschriften und den klassizistischen Schriften liegt, keine einheitliche Meinung. Die Caslon wird in der Folge gelegentlich der Renaissanceantiqua zugeschlagen. Die Baskerville wiederum ist für einige ein Parademodell des britischen Klassizismus – oder zuallermindest eine vorklassizistische Schrift.

Noch stärker treten die Mankos der traditionellen Normen dort zutage, wo sie historisch überholte Gewichtungen vornehmen. Detailliert in media res gehen die klassischen Modelle vor allem bei den gebrochenen Schriften. Die deutsche DIN-Norm liefert hier fünf Untergruppen: Textur, Rotunda, Schwabacher, Fraktur und Fraktur-Varianten. Für die grosse Gruppe von Schriften, die heute unter dem Oberbegriff Script firmieren, offeriert das DIN-Modell hingegen zwei Grossschubladen – Schreibschriften und Handschriftliche Antiqua. Basis dieser etwas künstlich wirkenden Unterteilung: die Frage, ob die Zeichen im Text miteinander verbunden sind oder nicht. Ähnlich sieht es bei den Display-Schriften aus. Gemeinhin sortieren Typografen in diesen Container all das ein, was a) sonst nirgends rein passt, b) irgendwie für die Headline-Gestaltung zuständig ist. Differenzen beim Einordnen kommen allerdings auch bei den Textschriften vor – konkret: bei den Schriften, die gängigerweise unter den Bezeichnungen Sans Serif und Slab Serif firmieren. Da die offiziellen Normen Serifenlose und Serifenbetonte nicht weiter untergliedern, behilft man sich in der Design- und Mediengestalterszene mit informell vorgenommenen Einteilungen. Für Groteskschriften sind gemeinhin vier gängig. Untergruppe eins (Akzidenz-Grotesk, Helvetica, Univers) entspricht dem klassizistischen Schema, Untergruppe zwei dem humanistischen, renaissancehaften (Gill Sans, Syntax, Frutiger), Untergruppe drei (Futura, Avant Garde) dem geometrischen Gestaltungsmuster. Die vierte Untergruppe schliesslich, die sogenannte Amerikanische Grotesk, orientiert sich ebenfalls am klassizistischen Muster – allerdings weniger eindeutig als Helvetica und Co. Für die Hauptgruppe der Slab Serifs haben sich ähnliche Binnenunterteilungen etabliert. In der Regel unterscheidet man hier zwischen alten Egyptienne-Schriften, Clarendon-ähnlichen Zeitungsschriften (vom Charakter her meist klassizistische Antiquas mit hervorgekehrtem Serifensockel), geometrischen Slab Serifs und humanistischen.

Doch kehren wir zurück zum normalen Anwender. Die gute Frage, die sich nicht wenige stellen: Sind all diese Unterteilungen nicht überholt – obsolet geworden durch neue Entwicklungen wie zum Beispiel gruppenübergreifende Schriftsippen, Computerschriften und Ähnliches? Die zutreffende Antwort lautet: Jein. Das Überschreiten gruppenvorgegebener Grenzen (und somit Uneindeutigkeit) gehört zwar schon seit jeher zur Typografie mit dazu. Ein gutes Beispiel hierfür sind Hybridschriften wie zum Beispiel die Optima. Im strengen Sinn ist die Optima eine serifenlose Antiqua. Eingeordnet wird sie oft bei den Groteskschriften. Was tun? Eine eigene Klasse für Hybridschriften konnte sich bislang nicht etablieren. Weil Einordnungsschemen notgedrungen Stückwerk sind, gibt es x-Dutzende zusätzlicher, flankierender Spezialbegriffe. Auch Type-Designer verfügen über fundierte Kenntnisse der diversen Formen und ihrer Unterschiede – und wenden sie entsprechend auf ihre Schriften an. Praktische Auswirkung: Zumindest Textschriften basieren in den meisten Fällen auf einer der drei grundlegenden Gestaltungsarten – der humanistischen, der klassizistischen oder der geometrischen. Man kann sogar noch weitergehen: Möchte man Displayschriften mit abdecken und nimmt die Attribute dekonstruierend, expressiv und dekorativ hinzu, hat man fast das komplette Spektrum möglicher Schriftgestaltung abgedeckt.

Die Antwort auf die im letzten Absatz gestellte Frage: Weil jeder in der Typografie sich anhand der beschriebenen Modelle und Raster orientiert, ist es letztlich auch für den Anwender und die Anwenderin wichtig, sich entsprechend zu orientieren. Allerdings: Wer kann sich das (zeitlich) leisten? Sicher ist es für typo-versierte Anwender interessant, gruppenübergreifende Gemeinsamkeiten zu suchen. Ebenso, herauszufinden, ob eine bestimmte Textschrift eher dynamisch oder eher statisch gestaltet ist. Nichttypografen – also die überwiegende Mehrheit der Schrift-User – dürften mit derartigen Untersuchungen allerdings überfordert sein. In der Praxis basieren die Einordnungen der gängigen Satzschriften so auch auf Katalogisierungen, die andere bereits vorgenommen haben und die bereits mehr oder weniger lange vorliegen. Wer sich schlau machen möchte: Ausführlichere Listen finden sich sowohl in Fachbüchern als auch im Internet. Ein Grundrepertoire mit den wichtigsten Gruppen, Untergruppen und Epigonen steht so auch dem nicht ganz so versierten Teil der Schriftenanwender zur Verfügung.

Historische anstatt formale Einordnungskriterien?

Wenn schon alles irgendwo vorhanden und aufgeschrieben ist: Warum es nicht dabei belassen – und für alles weitere auf die Weisheit von MyFonts und ähnlichen Seiten vertrauen? Die Antwort: Weil mit dem «Repertoire» im Kopf auch die Kompetenz in Schriftentscheidungsfragen wächst. Not tut vielleicht weniger ein simplifizierendes Konzept, sondern vielmehr eine Landkarte mit Detailzeichnung – eine Art Grosskartografie der Schrift(en). Eine Landkarte der Schrifttypen macht allerdings nur dann wirklich Sinn, wenn man nicht nur formale, sondern auch historische Entwicklungen sowie Modefragen mit einbezieht. Anders formuliert: Ohne ein Gespür dafür, was eine Art-Déco-Schrift oder eine Schrift im Techno-Look ausmacht, wird eine entsprechende Schriftwahl unvollkommen, Glückssache oder Auswahl nach Schema Standardlösung (im Beispielfall: wahlweise Broadway oder Serpentine). Eine praxisbezogene, neuere (jugend)kulturelle Trends bewusst mit einbeziehende Gliederung des Schriftenbestands hatte ich 1999 in meinem Buch «Der Typo Atlas» vorgestellt. Andere Typo-Bücher – beispielsweise der vor einigen Jahren erschienene Titel «Retrofonts» – haben sich ebenfalls für eine historische Gliederung ihrer Beispiele entschieden. Ist eine derartige Feinuntergliederung aber nicht allenfalls bei Display-Schriften sinnvoll? Antwort: Nein, im Gegenteil. Eine gut strukturierte, den vielfältigen Anforderungen des Alltags gerecht werdende Vorsortierung kann auch bei Textschriften, Scripts oder historischen Fonts wertvolle Dienste leisten. Das Defizit: Leider liegt eine solche bislang nur in bruchstückhafter, patchworkartiger Form vor.

Wie könnte eine sinnvolle – und gleichzeitig aktuelle – Landkarte der Schrift aussehen? Von der Unicode-Logik her gedacht, müsste auf der allerobersten Ebene eine Unterteilung nach Alphabeten erfolgen. Ist die vorliegende Schrift eine lateinische Schrift? Oder eine arabische, chinesische oder kyrillische? Für eine solche Vorgehensweise spräche, dass sich die gängigen Klassifikationskriterien auch ausserhalb des lateinischen Alphabets anwenden lassen. Anders gesagt: eine kalligrafische arabische Schrift sieht anders aus als eine, die sich am globalisierten Modell der Grotesk orientiert. Praktisch gesehen dürfte es für die meisten Mediengestalter allerdings ausreichen, zu wissen, welche grossen anderen Alphabete es gibt, und wo man sich im Zweifelsfall die nötigen Schriften besorgen kann. Meines Erachtens wäre so folgende Hauptaufteilung sinnvoll: historische Schriften – Text – Display – Script – Fremde Schriften (siehe vorhergehende Bemerkungen) – Symbole – Sonstige.

Wie untergliedern? Als Erstes wäre die Hauptgruppe der historischen Schriften korrekt zu definieren. Einzuordnen wären hier nicht nur die obligatorischen Blackletter-Schriften, sondern ebenso auch Unzialschriften sowie Schriften, die auf alten römischen Versalschriften basieren. Bei den Textschriften hat sich die Unterteilung in die drei Hauptgruppen Serif, Sans Serif und Slab Serif ebenso bewährt wie die Feingliederung in die aufgeführten Untergruppen (venezianische Renaissanceantiqua, französische Renaissanceantiqua, Übergangsantiqua, klas-sizistische Antiqua, klassizistische, amerikanische, humanistische und geometrische Grotesk, Egyptienne, Zeitungsschrift, geometrische und humanistische Slab Serif). Rund wird das Schubladensortiment der Textschriften allerdings erst mit drei Anbauten – wenn man: a) als zusätzliche Gruppe Hybridschriften mit dazu nimmt (Semi-Serif-Schriften sowie serifenlose Antiquas), b) zwischen Einzelschriften und Schriftsippen-Mitgliedern unterscheidet sowie c) als zusätzliche Untergruppen «stilisierte Varianten» einführt. Ein Bodytype-Schema dieser Bauart hätte nicht nur den Vorteil, auf der Höhe des aktuellen Typedesigns zu sein. Stilistische Ähnlichkeiten (analog der Hauptstile humanistisch, klassizistisch und geometrisch) wären ebenso einfach nachvollziehbar wie Einordnungen anhand der Frage, ob sich Schrift XY eng an den Kanon «schmucklos und gut lesbar» hält. Oder, die andere Alternative, mit stilisierenden Design­attributen aufwartet.

Der Rest? Wie eng oder weitläufig man bei den Display-Schriften unter-gliedern möchte, ist im Prinzip Ge-schmackssache. Ich präferiere folgende Unterscheidungen: 19. Jahrhundert / Historizismus – Jugendstil / Fin de Siècle – Neue Sachlichkeit und Avantgarde – Art déco / Jazz Age – Konservative Typografie / Dreissigerjahre – Hollywood und Bildhafte Typografie – Sechziger und Siebziger – Post­moderne – Grunge – Gothic – Techno. Da nicht alle Display-Schriften über die historische Schiene zu erfassen sind, wären darüber hinaus Kategorien für Fun-Schriften, Action-Schriften und exotische Schriften sinnvoll. Ebenso eine spezielle Kategorie für Deco-Schriften: Schriften, die eine opulente grafische Gestaltung im Angebot haben und fonttechnisch oft aus speziellen Layer Fonts bestehen. Das Gleiche gilt für die beiden Spezialmodelle Stencil und Monospace.

Résumé: Sicher sind im Bereich Display auch andere, weniger feine Untergliederungen möglich. Ganz ohne Retrokategorien oder andere Feinschubladen wird die Verständigung über Werbe- und Trendschriften allerdings zur Glückssache. Ähnlich sieht die Situation bei den Schreibschriften aus. Die Gruppe der Scripts ist zwar von Haus aus sehr heterogen. Die bei den Herstellern gängige Definition dieser Grossgruppe hat sich allerdings als recht praxistauglich erwiesen.

Wie unterteilt man nun, beziehungsweise, welche Unterteilung ist sinnvoll? Auch bei den Script-Schriften gibt es eine gewachsene historische Entwicklung – wobei insbesondere die nahe Verwandtschaft zu heutigen Kursivschnitten ins Auge fällt. Eine erste Untergruppe würde sich für die Vielfalt vorklassizistischer Schreibschriften und Formen anbieten – historische Modelle wie beispielsweise die aus der Früh­renaissance stammende (und für Wein­eti­ketten gut passende) Cancellaresca,die kursivähnliche Chancery oder auch moderne Weiterentwicklungen wie beispielsweise die Zapfino. Gruppe Nummer zwei wäre die der klassischen altenglischen Gravurschriften – also Künstler Script, Shelley Script und Co. Weitere mögliche Script-Untergruppen: Schulschriften, Upright und American Gothic, Reklamescripts, Designscripts (Beispiel: Futura Script), kalligrafische Scripts (Beispiele: Mistral und Pepita), Handschrift und Comic (Beispiel: Tek-ton) sowie Specials (Sketch-Schriften, Tattoo-like, Graffity).

Auch der Rest des Schriftbestands liesse sich über Untergruppen eindeutiger sortieren. Die wichtigsten Gruppen für fremde Schriften wurden bereits aufgeführt. Neben Alphabetgruppen wie Latein, Greek, Cyrillic, Arabisch, Hebräisch, Indische Schriftsysteme, Fernöstliche Schriftsysteme sowie Sonstige Schriftsysteme böte sich ein technisches Unterscheidungsmerkmal an: Bedient Schrift XY nur einen oder zwei Alphabetsektoren oder deckt sie, wie etwa die Arial Unicode, einen Grossteil des Unicode-Spektrums ab? Ein eigenes Terrain schliesslich sind Symbol-, Border- und Piktogrammschriften. Auch hier sind Untergliederungen denkbar – beispielsweise nach Fonts, die Standardzeichen enthalten (wie etwa die beiden Computer-Allrounder Zapf Dingbats und Wingdings), solchen, die Spezialzeichen enthalten wie Normiktogramme, Audiosymbole und Ähnliches, und solchen, die spezialisierte Clip-Art-Motive, Borders und Ähnliches offerieren. Last, but not least: Auch bei dem vollständigsten System fällt irgendwo ein Container an für Sonstige Schriften. Und wie bei anderen auch enthält er all jene Schriften, die woanders beim besten Willen nicht hineinpassen.

Fazit

Ich gebe zu, Feinuntergliederungen wie beschrieben sind zusätzliche Spezialisierungen – also das Gegenteil einer Vereinfachung. Andererseits ist die Typo-Welt auch ohne ordnende Landkarte hochgradig ausdifferenziert. MyFonts etwa wartet mit Spezialrubriken für Woodtype Fonts, Toskaniennes, ältere Groteskschriften, New Grotesques, Aldine und Garalden auf.

Wie die Stecknadel im Heuhaufen finden? Fakt ist, dass nicht nur die numerische Anzahl der zur Verfügung stehenden Schriften von Tag zu Tag grösser wird. Auch die Stilvielfalt, die Traditionen, die mitschwingen, und die Speziallösungen für spezielle Fälle werden von Jahr zu Jahr mehr. Sicher wäre ein Suchkatalog, der dieses immense Œuvre auf sinnvolle Weise ordnet, eine feine Sache. Andererseits, da schon die bisherigen Schriftklassifizierungssysteme nicht mehr sind (und sein können) als Patchwork-Systeme auf Zeit: Was spricht dagegen, die Klassifizierung ganz dem User, der Userin zu überlassen? Sprich: Als Schriftanwender entsprechend bedarfsgerechte Systeme anlegen – entweder auf dem eigenen Rechner, im Kopf oder in Form anlassbezogen konsultierter Font-Tags bei MyFonts oder bei anderen, ähnlichen Portalen? Wie auch immer: Vielleicht ist die Klassifikationsfrage per se keine Frage, die in irgendeine Richtung gelöst werden kann. Vielleicht ist sie in Wirklichkeit ein Stachel. Ein Stachel, der uns Mediengestalter und Mediengestalterinnen auffordert, uns mit Schriften, den unterschiedlichen Typen und den Anlässen, für die sie sich besonders eignen, intensiver zu be­schäfti­gen.

Klassifikationsmodelle für Schrift

Französisches Schema nach Maximilien Vox

Gruppen: Humanes (Jenson, Centaur), Garaldes (Bembo, Garamond, Caslon), Réales (Baskerville), Didones (Bodoni, Walbaum, Didot), Mécanes (Clarendon, Rockwell), Linéales (Gill Sans, Helvetica, Futura), Incises (Optima, Albertus), Scripts (Englische Schreibschrift, Künstler Script), Manuaires (Mistral, Pepita), Charactères brisés ou fractures (Fette Fraktur u. a.)

Angelsächsisches Schema

Gruppen: Old Face Venetians (Golden Type, Centaur), Old Face (Garamond, Bembo, Caslon), Transitional (Baskerville, Times), Modern Face (Bodoni, Walbaum, Didot), Slab Serif (Clarendon, Rockwell), Sans Serif (Gill Sans, Helvetica, Futura).

Deutsches Schema (DIN-Norm 16518)

Gruppen: Venezianische Renaissanceantiqua (Stempel Schneidler, Centaur), Französische Renaissanceantiqua (Garamond, Bembo, Palatino), Barock-Antiqua (Caslon, Baskerville, Times), Klassizistische Antiqua (Bodoni, Wal-baum, Didot), Serifenbetonte Linearantiqua (Clarendon, Rockwell), Serifenlose Linearantiqua (Gill Sans, Helvetica, Futura), Antiqua-Varianten (Largo, Neuland), Schreibschriften (Künstler Script, Mistral), Handschriftliche ­Antiqua (Time Script, Post Antiqua), Gebrochene Schriften (Unterteilung in Gotisch/Textur, Rundgotisch/Rotunda, Schwabacher, Fraktur und Fraktur-Varianten), Fremde Schriften (Kyrillisch, Chinesisch usw.)

Matrix Beinert

Die neun Hauptgruppen: Antiqua, Egyptienne, Grotesk, Corporate Typography Fonts, Zierschriften, Bildschirmschriften, Gebrochene Schriften, Nichtrömische Schriften, Bildzeichen. Die Untergruppen für Antiqua, Egyptienne und Grotesk enthalten im Wesentlichen die im Hauptartikel beschriebenen Untergliederungen. Die Gruppe der Corporate Fonts unterteilt in duale und Trilogie-Schriftsysteme. Auch die restlichen Gruppen der Matrix enthalten mehr oder weniger viele Untergliederungen. Mehr unter www.typolexikon.de.

Willberg/Kupferschmid

Klassifizierung nach Formprinzip. Wesentliche Merkmale: dynamisches, ­statisches und geometrisches Formprinzip. Dem dynamischen entsprechen im Wesentlichen humanistische Schriften, dem statischen solche mit ­klassizistischen Merkmalen und dem geometrischen konstruierte Schriften. Als flankierende Elemente hinzu kommen dekorative und dekonstruierende Designmerkmale.