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Geschenkte G�ule

Warum Software kaufen oder mieten, wenn es kostenlose Alternativen mit ähnlichem Funktionsumfang gibt? Open-Source-Raw-Konverter wie Darktable und RawTherapee jedenfalls fordern Lightroom und Capture One heraus.

Michael J. Hußmann Wer «Freibier!» ruft, muss nicht lange auf Interessenten warten. Kostenlose Open-Source-Software hat daher ihren Appeal, auch wenn Zweifler mit «you get what you pay for» argumentieren. Obwohl Raw-Konverter einen grossen Entwicklungsaufwand erfordern, gibt es neben dem Kommando­zeilen-Programm dcraw auch ausgewachsene Anwendungen, deren Features sich mit Lightroom und Capture One messen können. Wir haben uns die populären Open-Source-Anwendungen Darktable und RawTherapee daraufhin angeschaut, ob sie tatsächlich eine Alternative zu den etablierten Lösungen sein können.

Darktable

Die Entwicklung dieser Open-Source-Software begann 2009; zwei Jahre später verliess sie mit Version 1.0 die Betaphase. Die aktuelle Version 2.0.5 ist für Windows, OS X und Linux verfügbar. Darktable (www.darktable.org) orientiert sich in seinem Aufbau an Workflow-Software wie Lightroom oder Capture One: Es gibt einen «Leuchttisch» für den Import und die Verwaltung der Bilder, die «Dunkelkammer» für die Raw-Entwicklung, einen «Tethering»-Modus, eine «Karte» für das Geotagging der Aufnahmen sowie die Module «Diashow» und «Drucken» zur Ausgabe der Bilder auf Bildschirm beziehungsweise Drucker.

Die Unterstützung verschie­dener Betriebssysteme wird bei Darktable damit erkauft, dass die Benutzerschnittstelle an kein Betriebssystem vollständig angepasst ist. Bei der getesteten OS X-Version fällt bereits auf, dass sie keine eigenen Menüs hat; die Voreinstellungen lassen sich beispielsweise nur über eine Schaltfläche öffnen. Im Detail betrachtet gibt es einige Irritationen. So kann man in der Seitenleiste des Entwicklungs­moduls nicht mit dem Scrollrad scrollen (das dafür einige Regler beeinflusst) und Pop-up-Menüs reagieren nicht auf Mausklicks, sodass einige Einstellungen unzugänglich bleiben. In Version 2.0.5 ist das Fenster breiter als der Bildschirm des verwendeten MacBook Air und lässt sich auch nicht verkleinern, sodass wir auf Version 2.0.4 zurückgreifen mussten.

Darktable unterstützt die Raw-Dateien fast aller aktuellen und älteren Kameras einschliesslich einiger Mittelformatmodelle. Sigmas Kameras mit Foveon-Sensor bleibt der Support versagt, aber entgegen der überholten Auskunft auf der Darktable-Website kann die Software mittlerweile auch mit Fujis X-Trans und anderen Sensoren umgehen, die ein anderes Farbfiltermuster als das von Bryce E. Bayer nutzen. Die vollständige Unterstützung eines Raw-Formats würde auch erfordern, dass eingebettete Codes zur Korrektur von Abbildungsfehlern des Objektivs angewendet werden, wie es beispielsweise Lightroom tut. Dark­table ignoriert solche Informationen in den Metadaten, kann aber Korrekturprofile anwenden, sofern es solche für das verwendete Ob­jektiv gibt. Falls Sie allerdings ermitteln wollen, ob die vermeintlich hohe Abbildungsqualität eines Objektivs nicht bloss das Resultat einer digitalen Korrektur ist, können Sie es mit Darktable herausfinden – Lightroom wendet solche eingebetteten Korrekturanweisungen dagegen zwangsweise an, sodass Sie das unkorrigierte Bild nie zu sehen bekommen.

Vor der Entwicklung steht bei Dark­table der Import der Raw-Dateien, die im «Leuchttisch»-Modus verschlag­wortet und in Sammlungen organisiert werden können. Beim Import lassen sich Copyright-Daten und Schlagwörter automatisch hinzufügen und Geotagging-Daten aus einer GPX-­Datei anhand des Aufnahmezeit­punkts mit den Bildern verknüpfen. Geo­tagging wird auch durch das Modul «Karte» unterstützt.

In der digitalen «Dunkelkammer» steht Ihnen eine verwirrende Zahl von Operationen zur Wahl, aus der Sie sich eine überschaubare Teilmenge zusammenstellen sollten, die Sie für Ihren Workflow benötigen. Wohl aufgrund der Vielzahl unabhängiger Entwickler gibt es allein vier dem Entrauschen gewidmete und zwei Tonemapping-Panels. Es existieren aber auch Features, die andere Raw-Konverter nicht bieten, etwa eine Tonwertoptimierung nach den Regeln des Zonensystems.

Das Anwenden vieler dieser Einstellungen lässt sich gezielt durch Masken steuern und ihr Effekt mit regelbarer Deckkraft und verschiedenen Mischmodi mit dem der übrigen Einstellungen verrechnen. Leider sind die Regler sehr klein und mit dem Mauszeiger nicht leicht zu treffen. Für die Bildberechnungen greift Darktable optional über OpenCL auf den Grafikprozessor zurück, was aber nicht verhindert, dass man auf langsameren Rechnern immer erst auf das Ergebnis einer Einstellungsänderung warten muss.

Obwohl Darktable wie jeder Raw-Konverter nicht-destruktiv arbeitet, ist es praktisch, dass Sie in einem Verlaufs-Panel jederzeit zu einem früheren Bearbeitungszustand zurückkehren können. Auch Schnappschüsse lassen sich speichern.

RawTherapee

Diese Anwendung wurde zunächst von dem Ungarn Gábor Horváth entwickelt und ist erst seit 2010 ein Open-Source-Projekt, das von einem Entwicklerteam gepflegt wird. Ebenso wie Darktable ist es in Versionen für Windows, OS X und Linux erhältlich. RawTherapee (www.rawtherapee.com) ist ein reiner Raw-Konverter, unterstützt also weder die Verwaltung noch die Präsentation der Bilder; Tethering wird ebenfalls nicht unterstützt.

Auch die Entwickler von RawTherapee bemühten sich kaum, die Konventionen der jeweiligen Betriebssysteme einzuhalten – die getestete OS X-Version zeigte aber weniger Fehler als Darktable und die Schnittstellengestaltung wirkt insgesamt kompetenter. Der Workflow wird oft unnötig gebremst, da die einzelnen Panels erst eingeschaltet werden müssen – wenn Sie an einem Regler ziehen, hat das sonst keine Wirkung, da sich das Panel nicht selbst aktiviert. Störend fällt auf, dass die Anwendung nicht, wie eigentlich vorgesehen, die Systemsprache berücksichtigt, sondern per Hand von Englisch auf Deutsch umgeschaltet werden muss. Ähnlich wie Darktable verwaltet auch RawTherapee einen Verlauf der Bearbeitungsschritte und erlaubt das Speichern von Schnappschüssen. Für die Bildberechnung nutzt die Software allein die CPU, ist damit aber nicht signifikant langsamer als Darktable. Der Export der Bilder erfolgt im Hintergrund.

RawTherapee kann mit den Raw-Dateien von Kameras mit Bayer-Sensor ebenso wie mit Fujis X-Trans-Sensor umgehen. Wenn die eigene Kamera noch nicht unterstützt wird, lässt sich das nötige Profil anhand von Referenzaufnahmen selbst erzeugen. Dabei werden allerdings nur die grundlegenden Parameter wie der Schwarz- und Weisswert, das Farbprofil des Sensors und die für die Bildberechnung zu berücksichtigenden Sensorpixel erfasst. Ebenso wie Darktable kann auch RawTherapee nichts mit eingebetteten Anweisungen zur Korrektur der Abbildungsfehler anfangen und ist auf Korrekturprofile für das jeweilige Objektiv angewiesen.

Vor der Entwicklung von Raw-Bildern ist kein Import nötig, was den Workflow beschleunigen könnte; die Auswahl der zu konvertierenden Bilder ist allerdings etwas umständlich. Laufwerke kann man nicht direkt, sondern nur über den Volumes-Ordner auswählen und Drag & Drop von ganzen Ordnern wird nicht unterstützt.

Für die Entwicklung stellt RawTherapee alle üblichen Einstellungen zur Verfügung, wobei die Ergebnisse aber nicht immer den Standard von Lightroom erreichen. Das gilt für die Lichterrettung ebenso wie für den Sättigungsregler, der anders als der «Dynamik»-Regler in Lightroom nicht vor Übersättigung schützt. Dafür bietet RawTherapee eine breite Auswahl an Demosaicing-Algorithmen, die zu der einen Grundfarbe, die jedes Sensorpixel liefert, die beiden fehlenden Grundfarben aus den Nachbarpixeln interpoliert.

Ein Alleinstellungsmerkmal ist der Wavelet-Modus, mit dem sich diverse Einstellungen in sieben Ortsfrequenzbereichen getrennt vornehmen lassen. Sie können beispielsweise nicht nur den globalen Kontrast und den Mikrokontrast zwischen benachbarten Pixeln regeln, sondern auch noch in fünf Frequenzbereichen dazwischen. Es handelt sich gewissermassen um eine siebenfache Frequenztrennung.

Die Qualitätsfrage

Ein Vergleich der mit verschiedenen Raw-Konvertern erreichbaren Bildqualität ist schwierig. Die Optionen sind dafür zu unterschiedlich und gerade Open-Source-Software wie Darktable und RawTherapee bietet so vielfältige Einstellmöglichkeiten, dass man sich nie sicher sein kann, ob man die optimalen Werte gefunden hat. Auffällig war allerdings, dass Darktable bei Spitzlichtern Interpolationsartefakte erzeugte, die sich selbst mit einer fünffachen Farbglättung nicht vollständig eliminieren liessen. RawTherapee zeigt dieses Problem trotz Wahl des Interpolationsverfahrens Amaze bei beiden Anwendungen nicht – eine Farbglättung ist bei dieser Software nicht einstellbar, aber das ist auch nich­t nötig.

Insgesamt liefert RawThera­pee konkurrenzfähige Bildergebnisse, nachdem man sich mit den Feineinstellungen der Entwicklung vertraut gemacht hat, und kann neben den kommerziellen Angeboten bestehen. Darktable erfordert dafür zumindest einen grösseren Aufwand.

Fazit

Die Entscheidung für eine Open-Source-Software scheint zunächst der vernünftigste Ausweg aus dem Dilemma zwischen Kauf- und Abo-Modell zu sein. Schliesslich müssen sich die Entwickler der kostenlosen Anwendungen durchaus nicht vor jenen im Dienst von Adobe oder Phase One verstecken. Kann man dem Kapitalismus nicht den Stinkefinger zeigen, indem man auf Open-Source-Software setzt? Leider ist das nicht ganz so einfach.

Mit dem Einsatz kostenloser Anwendungen verhält es sich so ähnlich, als hätte man einen Freund oder Verwandten, der stets seine unentgeltliche Hilfe anbietet, wenn Klempnerarbeiten im Haus zu erledigen sind. Es ist natürlich sehr praktisch, wenn man keinen Handwerker beauftragen muss, aber irgendwann bekommt man ein schlechtes Gewissen, wenn man sich nicht erkenntlich zeigen kann. Vor allem wird die Sache unangenehm, wenn die Qualität der Arbeiten einmal zu wünschen übrig lässt – darf man sich denn beschweren und eine Nachbesserung fordern, wenn die Hilfe doch gratis war?

Wer sich seine Arbeit entlohnen lässt, hat ein ganz handfestes Interesse daran, gleichbleibend gute Arbeit abzuliefern. Und wer für seine Software bezahlt, nach welchem Modell auch immer, der erwirbt sich damit auch ein Recht, zu meckern, wenn diese nicht den eigenen Anforderungen entspricht. Die soziale Einstellung von Entwicklern, die in ihrer Freizeit an Open-Source-Projekten mitarbeiten, ist lobenswert, aber erfahrungsgemäss erlahmt irgendwann der Elan, und dann müssen sich zeitnah Nachfolger finden, die für die Weiterentwicklung der Software sorgen. Ein weiteres Problem von Open-Source-Software ist, dass es oft an einer klaren Linie fehlt, denn jeder Entwickler arbeitet vor allem an den Features, die ihn interessieren und kann leicht das grosse Ganze aus den Augen verlieren.

Ob Sie sich also für eine kostenlose Lösung für Ihren fotografischen Workflow entscheiden, will gut überlegt sein. Davon unabhängig bieten die Open-Source-Projekte aber manches interessante Feature, das es bei den Anwendungen der kommerziellen Anbieter nicht gibt. Selbst wenn Sie bei Lightroom oder Capture One bleiben, sollten Sie Programmen wie Darktable und RawTherapee einen Platz auf Ihrer Festplatte geben, denn manchmal können sie dort aushelfen, wo kostenpflichtige Software versagt.

Wavelets

Wenn es darum geht, einen Signalverlauf – beispielsweise einen Schalldruckverlauf in der Musik oder einen Helligkeitsverlauf in einem Bild – in seine ­Frequenzen zu zerlegen, bedient man sich meist der Fourier-Analyse. Diese bildet den Verlauf durch die Kombination von Sinusschwingungen unterschied­licher Frequenz und Amplitude nach. Für Musik funktioniert das sehr gut, während Bilder oft unregelmässige Strukturen enthalten, die hierfür weniger geeignet sind.

Die Alternative sind Wavelets – ­einzelne Wellen statt Schwingungen, die passend verformt und mit weiteren Wavelets kombiniert werden, um einen Verlauf ­nachzubilden. Eine Wavelet-Transformation wird nicht nur in ­RawTherapee ­angewandt; sie ist auch ein guter Ausgangspunkt, um Bilder herauf zu skalieren oder sie ­effektiv aber verlustarm zu komprimieren – JPEG 2000 basiert beispielsweise darauf.

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Dieser Artikel ist erstmals in der Fachzeitschrift DOCMA erschienen. DOCMA erscheint alle zwei Monate und richtet sich an Fotografen, Bildbearbeiter sowie Grafiker, die wissen wollen, was mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen wie Photo­shop technisch machbar ist und vor allem wie es geht.

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