Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Dossiers >> Photoshop >> Fachartikel >> HDR-Techniken abseits des Effekts

HDR-Techniken abseits des Effekts

Seit einigen Jahren ist die HDR-Technik in aller Munde. Leider mit einem Ergebnis: ein schwül-expressiver Fotolook, der mit dem reklamierten Realismus oft wenig zu tun hat. Wie es auch anders geht.

günter schuler HDR-Bildbearbeitung ist längst kein exotisches Phänomen mehr. Der expressive Look kreativer HDR-Bildgestalter gehört längst zum Standard-Effektrepertoire.

Über die reine Effektgestaltung hinaus hat das Aufkommen von HDR auch die normale Fotoästhetik spürbar verändert. Waren vor 15 Jahren noch starke, deutliche Kontraste «state of the art», setzt man zwischenzeitlich stark auf detailkontrastige, insgesamt eher midkontrastige Bilder – zumindest im realistischen Fotobereich. Wie aber gehen Bildbearbeitungspraktiker und Fotografen mit diesen Widersprüchen am besten um? Oder anders gefragt: Bietet HDR auch abseits von Effektgestaltungen und Bildlooks brauchbare Ansätze? Die Antwort ist ein klares Ja.

Was passiert bei HDR?

Um die Unterschiede zwischen effektbezogenen und naturalen HDR-Ansätzen näher zu veranschaulichen, werfen wir zuerst einen Blick auf die Konstellation, bei der typischerweise HDR-Verfahren zum Einsatz kommen. Typische Kandidaten für HDR-Bilder sind nach wie vor Motive mit einem sehr hohen Kontrastumfang: Nacht- und Dämmerungsaufnahmen, Innenaufnahmen mit Blick ins Freie, Outdoor-Aufnahmen mit starken Lichtunterschieden sowie technische Aufnahmen, bei denen es auf jedes Detail ankommt. Die übergreifende Gemeinsamkeit all dieser Fotosituationen: Mit einem einzigen Foto sind die vorhandenen Kontrastunterschiede entweder gar nicht oder nur unzulänglich abbildbar. Weil dies so ist, behilft man sich in der HDR-Fotografie mit einem Trick: Anstelle eines einzigen Bildes werden mehrere Bilder mit unterschiedlichen Belichtungseinstellungen geschossen.

Diese Bildserien wiederum bilden die Basis für eine weitere Verarbeitung – entweder in Photoshop oder in einer eigenen, spezialisierten Anwendung. Das jeweilige Grundverfahren beinhaltet zwei Schritte. Im ersten Schritt werden die Bilder der Aufnahmeserie in einer Bilddatei mit hoher Farbtiefe (32 Bit) zu­sammengeführt. Dieser Zusammenführungsalgorithmus – in Photoshop etwa der Automatisieren-Befehl Zu HDR Pro zusammenfügen – ordnet die dunklen und hellen Töne der jeweiligen Aufnahmen dabei neu an und präsentiert diese in besagter 32-Bit-Datei.

Da 32-Bit-Bilder aktuell weder korrekt darstellbar sind noch ausgegeben werden können (und darüber hinaus so oder so einer Nachkorrektur bedürfen), findet abschliessend ein so genanntes Tone Mapping statt. Absicht dabei ist nicht nur eine Rückführung der überhohen 32-Bit-Farbtiefe auf eine ausgabefähige Farbtiefe von 16 oder 8 Bit. Userseitig lassen sich beim Tone Mapping eine Reihe Parameter einstellen, die für eine optimale Durchzeichnung des ursprünglichen Bildmotivs sorgen.

Einerseits sind es gerade die kreativen Optionen beim Tone Mapping, die für den anhaltenden Boom im Bereich HDR mitverantwortlich sind. Zur Anwendung kommen diese Verfahren allerdings oft auch dann, wenn keine wirkliche Intention vorliegt – also aus reiner Gestaltungsfreude. Umgekehrt bedarf nicht jedes hochkontrastige Bildmotiv zwingend einer HDR-Bearbeitung, im Gegenteil: Die Mehrzahl der Bilddefizite, die mit HDR-Techniken angegangen wird, lässt sich mit Detailkontrast-Techniken (wie etwa dem Photoshop-Befehl Tiefen/Lichter), Auswahlen und Ebenen kommod beheben. Der Vorteil beim Optimieren lokaler Kontraste: Aufnahmeserien wie bei «echten» HDR-Bildern (inklusive der entsprechenden Beschränkung bei der Motivwahl oder erforderliches Equipment wie beispielsweise ein Stativ) sind nicht vonnöten.

Zu klären wäre an dieser Stelle, was genau den substanziellen Unterschied ausmacht zwischen expressiven Kunst-HDR-Bildern und solchen, die naturalistische Ergebnisse anvisieren. Lapidar gesprochen sieht man naturalistischen HDR-Bildern die HDR-Bearbeitung nicht oder nur wenig an. Umgekehrt fallen die typischen Merkmale expressiver Kunst-HDR-Bilder deutlich ins Auge: ausgestülpte Konturbereiche, grelle, unnatürlich wirkende Farben, deutlich sichtbare Halos und schliesslich – trotz der deklarierten Detailhaltigkeit – ein eher flacher, unrealistisch wirkender Bildeindruck.

Zwischen konventionell bearbeiteten und schonend mit HDR-Verfahren bearbeiteten Bildern besteht allerdings ebenfalls ein Unterschied. In der Regel ist der Hauptunterschied der, dass erstere vor allem die Hauptkontraste des Motivs betonen. Die Eigenheit von Bildern, die gemäss der HDR-Philosophie bearbeitet wurden, sind hingegen: weniger harte Gesamtkontraste – dafür mehr Fokussierung auf die Detailhervorarbeitung. HDR expressiv, HDR natural, normalkontrastig: Wie die drei Bearbeitungsstrategien in der Praxis daherkommen können, zeigt die Bild-Gegenüberstellung auf der nebenstehenden Seite.

Übertriebenes HDR vermeiden?

Ausgangsbeispiel unseres Vergleichs ist ein typisches HDR-Bildmotiv: der Dom auf der Berliner Museumsinsel im Abendlicht. Für eine Belichtungsserie sprechen im konkreten Fall die künstlichen Lichter: Bei einer längeren Belichtungszeit ist Ausbrechen und eine damit einhergehende Überstrahlung unvermeidbar. Die Vorgehensweise: Über den Photoshop-Befehl Automatisieren > Zu HDR Pro zusammenfügen werden die fünf unterschiedlich belichteten Bilder in eine 32-Bit-Datei transferiert. Wichtig im Dialog sind die Optionen bezüglich der Weiterverarbeitung in der rechten Fensterspalte. Neben der Modus-Option 32-Bit bietet der Dialog zwei Tone-Mapping-Alternativen direkt vor Ort: einmal über den Dialog des Photoshop-Befehls HDR-Tonung und einmal über den von Camera Raw (Tickbox Tonung in Camera Raw abschliessen).

Da Photoshop eine ganze Staffel von Befehlen in petto hat, 32-Bit-Bilder zu bearbeiten (darunter auch die beiden aufgeführten), ist es in der Regel von Vorteil, das Bild zunächst in 32 Bit zu belassen. Ein weiterer Grund ist das abgebildete Histogramm. In der Regel unterbreitet Zu HDR zusammenfügen nämlich einen eigenen Vorschlag für die Setzung des Weisspunkts. Für vollumfänglichen Zugriff auf das komplette 32-Bit-Farbspektrum ist es allerdings vorteilhaft, diesen Vorschlag zu ignorieren und den Regler – nach Deaktivierung der Tickbox Tonung in Camera Raw abschließen – entsprechend ganz nach rechts zu ziehen.

Abhängig von der Belichtungskonstellation dürfte das Ergebnis erst einmal unbefriedigend ausfallen. Allerdings haben Sie nunmehr unterschiedliche Optionen, daran etwas zu ändern: Zu Werke gehen können Sie mit verschiedenen Filtern (beispielsweise Hochpass sowie Unscharf maskieren), mit einer Handvoll Befehlen unter Bild > Korrekturen, dem Camera-Raw-Filter sowie dem Tool HDR-Tonung. Vorteil: Der Farbtiefe-Status verbleibt bei all diesen Bearbeitungen in 32 Bit. Beim finalen Tone Mapping herunter auf 16 oder 8 Bit schliesslich (Bild > Modus > 16 Bit/Kanal oder 8 Bit/Kanal) steht wiederum der Dialog von HDR-Tonung zur Verfügung. Welche Optionen aber sind zweckmässig, wenn das Ergebnis möglichst natürlich daherkommen soll? Patent­rezepte gibt es hier nicht. Allerdings zwei Parameter, die für das Endergebnis bestimmend sind.

Ausgangsvoraussetzung ist die Methode Lokale Anpassung – die einzige, die weitergehende Veränderungen zulässt. Parameter eins sind die Einstellungen für Radius und Stärke unter Leuchtkonturen. Da zu viel Radius ursächlich ist für die unangenehmen Halo-Effekte in vielen HDR-Bearbeitungen, empfiehlt es sich, auf einen niedrige(re)n Wert herunter zu gehen – auf 1 oder 2 anstatt der vorgegebenen 16. Stärke bestimmt die Kontrasterhöhung. Das vorgegebene Maximum (4,00) kann wahlweise beibehalten oder unterschritten werden.

Zweiter wichtiger Parameter ist die Gradationskurve im unteren Featurebereich, über welche globale Helligkeit und globaler Kontrast angepasst werden können. Der Rest ist Feinschliff. Einen Blick wert ist hier a) die standardmässig erhöhte Sättigung (Frage: Passt das zum anvisierten Ergebnis?) und b) die zusätzliche Scharfzeichnungsfunktion im Regler Detail. Sind alle Parameter eingestellt, können Sie das HDR-Bild zu einem 16-Bit- oder 8-Bit-Normalbild transferieren und im Anschluss weitere Optimierungen tätigen.

Detailkontraste mit Camera Raw und Photoshop

Abseits dieser Prozedur besteht die Möglichkeit, auf HDR-Verfahren ganz zu verzichten und die Belichtungsoptimierung komplett mit den Bordmitteln von Photoshop und Camera Raw vorzunehmen. Beim vorliegenden Bildbeispiel mit dem Dom auf der Berliner Museumsinsel etwa spricht wenig gegen diese Vorgehensweise. Zusätzlich versprechen normale Bearbeitungswege den Vorteil, dass man sich den Aufwand in Sachen Belichtungsserie sparen kann. Allerdings: Bei bestimmten Konstellationen – beispielsweise Innenräume mit Aussenblick – kann das Tonwertspektrum eines Bildes nur näherungsweise den Kontrastumfang konservieren, der in einer solchen Szene enthalten ist.

Sehen wir uns zunächst die Optionen in Camera Raw an. Für die Korrektur zu dunkler Tiefen und ausbruchsgefährdeter Lichter hat Photoshops RAW-Importmodul zwei Spezialisten in petto: die beiden Regler Tiefen und Lichter. Als globaler Regulator kommt zusätzlich Belichtung hinzu. Flankiert wird das Ganze von sechs zusätzlichen Einstellmöglichkeiten für Helligkeit, Kontrast und Farbe(n). Fazit hier: 16 Bit sind zwar keine 32. Anders als bei 8 Bit geht bei 16 Bit allerdings schon eine ganze Menge.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Belichtungsserien auch im 16-Bit-Modus auszuwerten. Die klassische Vorgehensweise hier: zwei Ebenen – wobei die obere eine dunklere, unterbelichtete Bildversion mit (weitgehend) intakten Lichtern enthält, die untere hingegen eine normal oder überbelichtete Bildversion mit ausreichend Zeichnung in den Tiefen. (Die Anordnung kann je nach Fall auch umgekehrt erfolgen.) Da von der oberen Ebene nur die Lichterbereiche übernommen werden sollen, erhält sie im Anschluss eine Ebenenmaske mit schwarzer Füllung. In dieser Ebenenmaske können Sie nunmehr die Lichterbereiche mit einem genügend grossen, weichen Pinsel herausmalen. Nach einer Helligkeitsangleichung der beiden Ebenen können Sie das Ergebnis auf eine Ebene flach rechnen und sich an die Finalisierung des Bildes machen.

Fazit

Auch wenn hyperdetailhaltige Bilder, Fine Art Prints und Ähnliches auf absehbare Zeit ein Nischenthema für Fotografen bleiben, wird das Thema HDR die Bildbearbeitungsbranche weiter begleiten. Die Techniken haben sich im Lauf der letzten Jahre perfektioniert. Adobe Photoshop gilt in dem Genre zwar nicht als Speerspitze der Entwicklung, allerdings als brauchbarer Generalist sowie unverzichtbares Programm für die Nachbearbeitung.

Ein erneuter «Dynamiksprung» könnte in diesem Sektor dann entstehen, wenn Druckverfahren mit mehr als der vier üblichen Farben-, farbkräftigere Monitore und kontrastrobustere Kameras aufeinandertreffen. Das mag zwar noch eine Weile dauern. Bis dahin jedoch sind bereits die aktuellen Tools so weit, dass bei Bildern mehr drin ist als lediglich «Kontrast von der Stange».