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HTML5 � der neue Stern am Publishing-Himmel

HTML5 ist zum einen Nachfolger von HTML 4.1 und soll nebenbei noch XHTML integrieren. Zum anderen bietet die Hypertextsprache einen Funktionsumfang, der es ermöglicht, damit ein Betriebssystem zu bauen. Oder anspruchsvolle, multimediale Tablet-Apps …

Jürgen Franck Als aus den Setzereien und Reprofirmen DTP-Abteilungen oder Druckvorstufen wurden, fokussierten diese zuerst nach wie vor auf die Herstellung von Druckvorlagen («Print»). Das Ziel waren brauchbare beziehungsweise ausgabetaugliche Daten in der Seitenbeschreibungssprache PostScript. Das Dokumentformat PDF beherrscht heute, 20 Jahre nach seiner Einführung, die Ausgabe noch nicht wirklich besser; im Gegenteil mussten zuerst einmal ausgabesichere PDF-Subsets entwickelt werden, damit dieses für die Bürowelt konzipierte Format überhaupt professionellen Ansprüchen gerecht ausgegeben werden konnte.

Multimedia war anfänglich höchstens eine Zukunftsvision. Mit dem zunehmenden Interesse der «Printkunden» an weiteren Medienkanälen änderte sich diese Situation und das Desktop-Publishing entwickelte sich in Richtung Interaktivität weiter. So können heute Layoutdokumente mit Interaktivität versehen und als interaktive PDF oder intelligente Formulare ausgegeben werden. Der Nachteil: Die Hersteller der DTP-Programme haben voneinander kopiert und aneinander vorbei entwickelt.

Deutlich mehr Veränderungen ha-ben jedoch im Webpublishing stattgefunden. Dort hat im Gegensatz zum PDF von Anfang an ein Konsortium namens W3C den Lead übernommen. Die wichtigsten Webstandards werden dort verwaltet, weiterentwickelt und geregelt – um diese herum wird von den Entwicklern die Software gebaut. Das sind dann auch entsprechend offene Lösungen. Es stellt sich nun die Frage, welches dieser Standards dem Multichannel-Publishing am besten gerecht wird: das PDF oder die Webstandards?

HTML5 betritt die Bühne

Eine Antwort auf die Frage liefert vielleicht die fünfte Version der Markierungssprache HTML. Das Besondere an HTML5 ist die Tatsache, dass es zum einen die zwei bisherigen Standards HTML und XHTML zusammenführen soll und zum anderen, dass es das erweiterte HTML5-Vokabular ermöglicht, Animationen zu erzeugen. Wird dieser Weg für das künftige Publishing gewählt, dann dürfte dies mittel- oder langfristig das Ende des proprietären Formats Flash sein, auch das «animated GIF» könnte damit an Bedeutung verlieren. Ob und wie lange das PDF die Stellung halten kann, bleibt ebenso ungewiss.

Dynamik ist in die Diskussion um Standards wie HTML5 gekommen, als der damalige Apple-CEO Steve Jobs vor drei Jahren in einem öffentlichen Brief den Entscheid von Apple rechtfertigte, die «proprietäre Lösung Flash» nicht auf Apples (proprietärem) iOS zuzulassen. Neuen Standards wie HTML5 in Kombination mit CSS und JavaScript (siehe Kasten) gehörten nach Auffassung von Jobs die Zukunft. Doch HTML5 liegt bislang immer noch als noch nicht verabschiedete, aber in Ansätzen bereits funktionsfähige Version vor. Hat sich Jobs geirrt?

Vermutlich nicht. Wie der Versionssprung vermuten lässt, könnte HTML5 mehr verändern. Wie gross das Potenzial von HTML5 ist, zeigt die Open-Source-Foundation Mozilla, besser bekannt durch deren Browser Firefox. Dort wird an Firefox OS, einem vollständig auf HTML5 basierenden Betriebssystem gearbeitet – dieses soll «frei von den Regeln und Einschränkungen existierender Plattformen» sein. So positioniert die Foundation ihr jüngstes Projekt vollmundig auf ihrer Website.

Multichannel-Publishing

Soll das Potenzial von HTML5 auch im Printpublishing ausgeschöpft werden, dann muss ein Umdenken stattfinden. Die Ausgabe muss primär auf die digitalen Kanäle erfolgen – und damit die Ausgabe von Printdaten, technisch gesehen, in den Hintergrund treten. Es müsste zu jeder Zeit möglich sein, aus einem Layoutdokument heraus ein medienneutrales Dokument zu erzeugen und – mehr nebenbei als das derzeit der Fall ist – daraus auch noch eine Datei erzeugt werden können, die von Ausgabegeräten oder einem vorgeschalteten Interpreter (Rip) verstanden wird. Das kann weiterhin PDF oder PDF/X sein; das könnte aber auch ein anderes Format oder eine andere Technologie sein, die sich stärker auf Internetstandards ausrichtet. Konkret: statt dem Illustrator- und eps-Format könnte svg zum Einsatz kommen; statt internen indd- bzw. idml-Formaten könnte ein evtl. erweiterbares HTML5/XML-Konstrukt zum Einsatz kommen.

Erste Schritte in Richtung HTML5

Mit der Gesamtlösung AppStudio gibt es eine erste und vielversprechende HTML5-Lösung für den Bereich Tablet Publishing. Als Basis können die Layoutprogramme QuarkXPress (ab der aktuellen Version 9.5) und InDesign (erfordert kostenlose Erweiterung AppStudio Exporter) verwendet werden. Oder – und das ist besonders interessant – es können auch HTML- oder XML-Dokumente verwendet werden.

Der Haken bei HTML5: Die Auszeichnungssprache ist in Sachen Typografie noch sehr schwach auf der Brust. Möglichkeiten, um Versalien auszugleichen oder unterschiedliche Abstände zu verwenden, fehlen genauso wie die Erzeugung eines optisch ansprechenden Flattersatzes. Nun gäbe es die Möglichkeit, ganz einfach aus allen Seiten Bilddateien zu generieren; damit wäre das Problem gelöst. Damit würden aber wesentliche Vorteile von HTML5 zunichtegemacht: Das Dokument kann nicht mehr durchsucht und Text kann nicht aus dem Dokument extrahiert werden.

Aus diesem Grund bietet die vom amerikanischen Unternehmen Pressrunentwickelte Lösung beides an: Elemente, die in Pixeldaten umgewandelt werden sollen, werden einfach auf speziell benannte Ebenen gezogen. Beim späteren Export werden diese Elemente in gerasterte Bilddateien (im PNG-Format) umgewandelt, die zusammen mit den anderen Daten das HTML5-Ausgabe-File ergeben.

Damit können die Vorteile von HTML5 plus ein typografisch perfektes beziehungsweise ein pixelgenaues Abbilden realisiert werden. Im Gegensatz zu einem normalen Browser wäre damit Wysiwyg, die 1:1-Wiedergabe, auf dem Tablet möglich. Für Animationen und anderes können die bekannten Werkzeuge wie Objektstatus, Schaltflächen oder Hyperlinks verwendet werden – exklusive Flash- beziehungsweise dessen swf-Dateien.

Im Zentrum die Cloud

Wie bei der Digital Publishing Suite von Adobe kommt auch beim App­Studio die Cloud zum Einsatz. Sie wird auch hier zur Schaltzentrale des Tablet Publishing. In der Cloud werden die Artikel freigegeben, mit Metadaten versehen oder bei Bedarf Ausgaben gelöscht.

Die Erstellung von HTML5-Ausgaben ist auch aus Quark­XPress 9.5 möglich; das ist keine Überraschung, da die AppStudio-Entwicklerin Pressrun letztes Jahr von Quark übernommen wurde. Mit der Extension für InDesign hat Quark damit so etwas wie ein trojanisches Pferd im Stall. Denn nun kann das Unternehmen durch attraktivere Geschäftsmodelle Adobe in diesem Segment herausfordern.

Gratis ist auch bei AppStudio das Gleiche wie bei der Digital Publishing Suite: das Erstellen von einzelnen Ausgaben. Herausgeber oder Verleger von zum Beispiel wöchentlich erscheinender Periodika bezahlen für 2500 Downloads 429 Euro. Das beinhaltet ein dynamisches Update (Abonnenten werden auf neue Ausgaben hingewiesen), erfordert aber ebenfalls den einmaligen «Begutachtungsprozess» (Review) der ersten Ausgabe durch Apple; an diesem Prozedere ändert sich prinzipiell also nichts.

Eine Enterprise-Lösung von App­Studio erlaubt das Hosting der Dokumente auf einem eigenen Server; allerdings gibt es die Preise für eine solche Lösung nur auf Anfrage. Da der Download dann nicht mehr überwacht werden kann, dürfte dieses Preismodell wohl kein wirkliches Schnäppchen sein.

Etappensieg für HTML5

Firefox OS und AppStudio zeigen, dass HTML5 Potenzial für die Zukunft hat. Bereits gibt es Programme, die iOS-Apps in HTML5-Apps verwandeln. Die weiteren Konsequenzen sind daher noch nicht absehbar. Es ist spannend, wie in Zukunft die Hersteller von proprietären Systemen – allen voran Apple – mit den Konsequenzen von HTML5 umgehen werden. HTML5-basierende Apps würden letztlich auf sehr vielen Betriebssystemen laufen und könnten die Geschäftsmodelle von Apple und Amazon, aber auch von Google aushöhlen. Die Betriebssysteme könnten an Bedeutung verlieren. Die alte Schlagzeile «Content is King» würde wieder greifen.

HTML5, CSS, JavaScript und IDML & Co.

Print- und Webpublishing unterscheiden sich neben der «Ausgabeabsicht» vor allem bei den verwendeten Dateiformaten.

HTML entspräche in etwa dem InDesign- oder Quark-XPress-eigenen Format (also indd/idml beziehungsweise qxd). Der Unterschied besteht darin, dass diese Formate im Gegensatz zu HTML proprietär sind; genauso wie es die für die Ausgabe notwendige Seiten­beschreibung PostScript ist. Dies gilt, mit Abstrichen, auch für das Portable Document Format (PDF).

CSS (Cascading Style Sheets) ent​spräche beim Vergleich den Absatz- bzw. Stilvorlagen der Layoutprogramme. Die Vorteile liegen hier ebenfalls eher bei den Webstandards als bei den Absatz- und Stilvorlagen, weil die CSS wahlweise intern (im Dokument) oder extern gespeichert werden können. Bei der externen Verwendung kann mit geringem Aufwand das Aussehen einer ganzen Website schnell angepasst werden – ohne jedes Dokument einzeln anpassen zu müssen.

JavaScript kann innerhalb von InDesign, aber auch bei der Webprogrammierung eingesetzt werden. Die Möglichkeiten und der Funktionsumfang sind beim Einsatz im Webpublishing jedoch viel umfangreicher als bei der Verwendung in InDesign.

Der Autor

Der gelernte Schriftsetzer Jürgen Franck ver​folgt seit vielen Jahren ​und mit sehr grossem ​Interesse die Ent­wicklun​gen rund um das «Digital ​Publishing». Der Autor ist ​hauptberuflich als Lehrper​son an der Berufsschule für ​Gestaltung Zürich in der Grund- und Weiter­bildung tätig.