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Kalligrafie im Unternehmen

Im letzten Publisher wurde eine Auswahl von Scripten vorgestellt. Diesmal geht es um eine konkrete Anwendung im Erscheinungsbild des Hotels Morteratsch im Engadin.

Ralf Turtschi Die im letzten Publisher gezeigten Handschriften weisen allgemein darauf hin, dass Scripten in einigen Gestaltungsbereichen wie Karten, Flyer, Einladungen, Etiketten usw. eine starke und unverwechselbare Wirkung erzielen. Auch die besten Corporate Types mögen da nicht mitzuhalten.

Die Frage ist nun, wie man solche Handschriften in ein Erscheinungsbild einbauen kann, ohne auf die Annehmlichkeiten einer Serifenlosen verzichten zu müssen. Anhand des von Agenturtschi gestalteten Erscheinungsbildes für das Hotel und Restaurant Morteratsch, Pontresina, möchte ich dies veranschaulichen (Entwurfsphase).

Anlass für ein neues Corporate Design bildete ein Neubau des ehemaligen Touristenlagers. Dieser Neubau erhielt eine rote Holzfassade, für das Marketing sollte ein separates Logo geschaffen werden. Das neue Bettenhaus wurde rätoromanisch «Al Vadret», zum Gletscher, benannt. Nach einer ersten Präsentation des neuen Logos entstand der Wunsch, das bestehende (blau-gelbe) Logo des Hotels Morteratsch in der gleichen Art anzupassen. Die Bergkontur über dem Schriftzug stellt Bellavista in der Berninagruppe dar.

Nach der Gestaltung von Logo und Logofarbe folgten die Briefschaften, Beschriftungen, Gadgets wie Lippenstift, Kugelschreiber oder Lanyard, anschliessend wurde das Erscheinungsbild anhand weiterer Kommunikationsmittel wie Flyer, Broschüre, Speisekarten fortentwickelt.

Bei der Suche nach einer einprägsamen Handschrift wurden wir bei Fontshops App «Fontbook» fündig. Dort sind unter der Klasse «Scripten» 1363 Fonts aufgelistet, die es durchzustöbern galt. Eine Arbeit für einen ganzen verregneten Sonntagnachmittag, die nicht nur einen Treffer landete, sondern auch zahlreiche Favoritenvermerke eintrug. Je nach Gestalter ist die Ausrichtung eine andere: Manchen amerikanisch- oder spanischstämmigen Fonts fehlt das Verständnis für die deutsche Sprache und deren Bezug zu Schwungbuchstaben oder zu Ligaturen. Die Standardligaturen ff, ffl und ffi reichen bei Scripten nirgends hin, hier besteht die ganze Schrift aus Schwungbuchstaben und Ligaturen.

Die beiden Kandidaten für die Script der Wahl heissen Dulcinea und Ambassador Script Pro. Während die Dulcinea mit schwungvollen Grossbuchstaben glänzt, sonst aber bei Alternativformen der Gemeinen eher spärlich daherkommt, ist die Ambassador umgekehrt angelegt. Hier gibt es eher wenige Grossbuchstabenvarianten, dafür reichlich Varianten von Kleinbuchstaben mit An- und Endstrichen. Insgesamt sind es 2396 Zeichen, die der Font beinhaltet. Dies deshalb, weil die Schwungbuchstaben auch für Akzente angelegt sind, was die Schrift auch «international» anwendbar macht, zumindest in der Schweiz auch bei mehrsprachigen Dokumenten. Der Font wurde erstmals 1955 veröffentlicht, als Designer werden Aldo Novarese, Patrick Griffin und Rebecca Alaccari aufgeführt, die Foundry ist Canada Type.

Als OpenType Font ist die Ambassador ganz normal über die Tastatur «schreibbar», über die OpenType-Funktion (InDesign, Schrift Zeichen Optionen OpenType Schwung­schrift) ist aber auch Schwung­schrift anwählbar, was allerdings bei dem Umfang der Zeichen nicht zum gewünschten Resultat führt. Als ehemaliger Handsetzer oder Kalligraf fühlt man sich mit dieser Schrift sofort im Element. Die Glyphenpalette (Schrift Glyphen) ist ein Muss, um die Schrift zu beherrschen. Wer einen Buchstaben setzt, der findet benachbart in der Glyphenpalette eine Menge von alternativen Buchstaben mit Schwüngen. Die Ambassador verlangt Hingabe und Pflege der Details, sie ist keine Schrift für Schnellschüsse und keineswegs massentauglich. Man kann sie nicht automatisieren, weil dies unweigerlich zu dilettantischen Resultaten führen würde. Schriftverständige dürfen sich diese Aussage auf der Zunge zergehen lassen – sie schmeckt köstlich. Anfänger und «Beliebigkeitsgestalter» seien schon mal gewarnt. Schwungbuchstaben sind zwar schnell gesetzt, aber die Gefahr eines Totalabsturzes ist ebenso gross wie wenn man barfuss auf den Piz Bernina klettert. Wenn jeder zweite Buchstabe als Schwungbuchstabe gesetzt wird, dann sieht dies eben nicht nach kalligrafischem Schrei­ben aus. An- und Endstriche dürfen nicht beliebig mitten im Wort eingesetzt werden. Wer sich aber näher mit Formen und Schwüngen beschäftigt, der findet eine Fülle von Lieblichkeiten, die der nackte Satz von Helvetica oder Garamond nie bieten kann. Die Ambassador ist in ihren Bewegungen Natur pur. Sie stellt den Kontrast zu «Konstruktion» her, die sich in den Gebäuden, in den Dingen generell zeigt: Ein Briefbogen oder ein Kuvert sind nun mal rechteckig, die meisten Gebäude auch irgendwie. Die kalligrafischen Schwünge ranken sich an den Flächen hoch, man meint sich mitten in der Natur zu finden. Was könnte besser zu einem kleinen Hotelbetrieb fernab der Zentren St. Moritz und Pontresina passen?

Mit einer auffälligen Script können wir Unternehmen von anderen unterscheiden, um Marketingvorteile herauszuholen. Die Ambassador Script Pro ist für mich persönlich eine echte Alternative zur mittlerweile schon etwas verbrauchten Zapfino, die man einfach schon zu viel gesehen hat. Was in der Ambassador daherkommt, wird gelesen, wirkt glaubwürdig. Sie ist auffällig und gefällig zugleich, sie strömt Gemütlichkeit und Herzlichkeit aus, ist weder bieder noch traditionell, zudem auch noch gut leserlich. Kaum jemand, der sich ihrem Charme entziehen möchte.