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Kollektiv-Design

 

RALF TURTSCHI Zu den schönen Aufgaben eines Grafikdesigners gehört das Gestalten eines umfassenden Corporate Design: Logo, Farben, Typografie, Beschriftungen, Geschäftsausstattung, Printprodukte, Webauftritt, Werbung oder Signaletik sind anspruchsvoll und benötigen spezielles Fachwissen. Wie weit sich der Gestalter von Bestehendem beeinflussen lässt, hängt von seiner Erfahrung, seinem Können und seinem Berufsverständnis ab.

Wie kommt es aber, dass in einer Branche auffällig viele Designs von der gleichen Idee abstammen? Stösst, wer ein Logo für ein Spital gestaltet, automatisch auf die gleiche Idee wie ein Grafiker, der dies für ein anderes Spital tut?

Oder ist es vielmehr ganz einfach so, dass es heute nichts mehr gibt, was nicht früher schon einmal erfunden wurde? Wie in der Modebranche, in der alle 30 Jahre wieder etwas als chic gilt, was die ältere Generation früher auch schon trug?

Oder ist es die Faulheit der wenig kreativen Grafikdesigner, welche sich vor allem von Best-of-Büchern und Zeitschriften inspirieren lässt und so herdenmässig die immer gleich aussehenden Gestaltungen hervorbringt?

Oder folgen die Grafiker einem gewissen Trend, ausgelöst durch technische Erneuerungen wie zum Beispiel die einfache Erzeugung von Schatten in diversen Programmen? Nützt gleich jeder, der etwas auf sich hält, für alle möglichen Kunden und Anwendungen eine solche Neuheit?

 

Inspiration und Ideenklau

Obschon die Grafikerkaste selbst grosse Stücke auf Kreativität hält und die Unversehrtheit des eigenen Originals beansprucht, ist es der gleiche Berufsstand, der hemmungslos abkupfert, Originale rechtswidrig zweckentfremdet und für den eigenen Gebrauch einsetzt. So sieht man offensichtlich keinen Regelbruch, ein Design mit den gleichen Merkmalen auszustatten, wie bei der Konkurrenz schon mehrfach angewendet. Als designbestimmende Merkmale sehe ich Logo, Farben, Schriften, Typografie und grafische Elemente.

Zugegeben, es gibt keine scharfe Grenze zwischen Inspiration und bösartigem Ideenklau. Zudem kommt es darauf an, in welchen Märkten ein Unternehmen tätig ist. Wenn der Bauhandwerker seine als Unternehmensfarben Lila wählt, tut dies dem Schoko­ladefabrikanten mit der gleichfarbigen Kuh im Erscheinungsbild wahrscheinlich nicht weh. Wenn die schweizerische Swisscom die gleichen Farben verwendet wie die deutsche Telekom, ist dies ein ganz andere Sache. Es existieren verschiedene gesetzliche Bestimmungen wie Urheberrecht, Designschutz, unlauterer Wettbewerb, die aber von Fall zu Fall anzusehen sind und bei denen nur spezialisierte Juristen durchblicken.

Ganz normale Typografie ist nicht geschützt, weil sie im täglichen Gebrauch vorkommt und ein Schutz unsinnig wäre. Zum Beispiel kann man Mittelachse oder Blocksatz nicht schützen. Auch die Farben des CMYK- oder Pantonespektrums kann man als Anwender innerhalb des Immaterialgüterrechts frei verwenden. Bei den Schriften erwirbt man in der Regel durch den Kauf die Lizenz, auf bestimmten Arbeitsplätzen die Schrift kommerziell nutzen zu dürfen. Die Frage ist nun, ob das Unternehmen A etwas dagegen tun kann, wenn Unternehmen B die gleichen Farben oder die gleichen Schriften verwendet. Es kann, aber mit unsicherem Ausgang. Denn bei Streitigkeiten entscheidet ein Richter jeden Fall einzeln, weshalb sich das Urteil nicht automatisch auf andere Fälle übertragen lässt.

 

Genre-Design

Umgekehrt ist es natürlich interessant, zu sehen, wie sich ein Design oder ein Teil davon in einer ganzen Branche zu etablieren vermag. Zum Beispiel die farbigen Blenden, die sich über jeder Tankstelle zeigen, grün bei BP, gelb bei Aral, rot bei Avia, blau bei Tam­oil. Blendendesign oder blendendes Design?

Im Transportgewerbe sieht man oft Lastwagen, die farbige Balken zeigen. Die Balken sind vielfach zu einer Z-Form geknickt. Ob damit eine Strasse symbolisch dargestellt wird? Man könnte es so interpretieren, aber weshalb machen das gleich viele so? Gibt es einen Transportbranchengrafiker, dem es gelungen ist, die gleiche Idee allen zu verkaufen? Oder hat man es halt in den Achtzigerjahren so gestaltet, und die Transpörtler sind damit bis heute glücklich? Man wundert sich weiter, weshalb bei den beiden Grossverteilern Coop und Migros die Farbe Orange gewählt wurde, sodass sich die beiden farblich kaum differenzieren. Offenbar funk­tionieren andere Farben im Detailhandel ebenso gut, wie Denner oder Volg zeigen.

In der Baubranche haben sich Gelb und Schwarz breit durchgesetzt. Ist dies deswegen so, weil sich Gelb als Warnfarbe gut für Baumaschinen eignet? Man hört Erklärungen, dass der Baumaschinenhersteller Caterpillar ab 1931 seine Maschinen in Gelb auslieferte und die neuen Besitzer die Farbe Gelb gleich ins eigene Design übernahmen. Man weiss es nicht so genau. Der neue Bauriese Implenia ging halbwegs eigene Wege und liess ein Logo in Form einer (umweltfreundlichen?) Margerite gestalten. Weiss und Gelb auf Schwarz. Die Baumaschinen und Container hingegen sind in Beige gestrichen.

 

Differenzierung

Das kollektive Verständnis bringt einen visuellen Einheitsbrei. Um Unternehmen einzigartig zu positionieren, braucht es sicherlich etwas Branchenverständnis und die Beobachtung der Konkurrenz. Ein massgeschneidertes Corporate Design, welches marktabhebend wirkt, orientiert sich sicher nicht an der Masse.