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Leserlichkeit (III): Zeilenl�nge und Zeilenabstand

Im dritten Teil dieser Serie wenden wir uns der Zeilenlänge zu, die einen direkten Zusammenhang zum Zeilenabstand aufweist.

Ralf Turtschi Der Begriff Leser-lichkeit wird von vielen Anwendern nicht umfassend wahrgenommen. Leserlichkeit erreicht man durch das Zusammenspiel von vielen Einflussfaktoren. Ein angenehmes und flüssiges Lesen ist bei Mengensatztexten wichtig, die als Grundtext bei Büchern, Zeitungen, Zeitschriften oder auch in umfangreichen Office-Dokumenten wie Berichten, Protokollen, Dissertationen usw. vorkommen. In der Marketingkommunikation ist die Leserlichkeit von untergeordneter Bedeutung, dort wird eher eine sofortige Erkennbarkeit der wenigen Schriftzeilen angestrebt. Bei einer Headline, einer Preis- oder Prozentangabe kommt es nicht auf das angenehme und flüssige Lesen an, man muss diese Angaben in ihrem Kontext sofort wahrnehmen.

Angenehmes Lesen wird dann er­reicht, wenn im Mengensatz die Wortzwischenräume optisch regelmäs­sig sind. Dabei sind vor allem grosse weisse Löcher störend, die dann entstehen, wenn die Spalten für die gewählte Schriftgrösse zu schmal angelegt sind.

Zeilenlänge

Regelmässige Wortzwischenräume werden grundsätzlich im Flattersatz erreicht. Im Blocksatz sind die Wortzwischenräume variabel, sie sorgen nach den entsprechenden Voreinstellungen in InDesign dafür, dass die Zeilen auf eine einheitliche Breite ausgeschlossen werden. Wenn im Durchschnitt 8 bis 9 Wortzwischenräume auf einer Zeile vorkommen, hat das Trennprogramm genügend Handlungsspielraum, um für ausgeglichene Wortzwischenräume zu sorgen. Wenn im 4-spaltigen Magazinsatz (wie beim Publisher) manchmal 2 oder auch nur 1 Zwischenraum vorkommt, muss das Trennprogramm zwischen Spationieren, Schrift verbreitern oder grossen Löchern entscheiden – alles ist wenig erstrebenswert.

Dazu eine Klammerbemerkung: Deutsch enthält relativ viele lange oder gekuppelte Wörter. Die Tendenz für weis­se Löcher im Blocksatz ist bedeutend grös­ser als im Italienischen, Französischen oder Englischen mit ihren kurzen Wörtern und mit weit weniger Versalien. Das Satzbild sieht also in diesen Sprachen schon wegen anderer Wortbilder ganz anders aus als im Deutschen. Es ist demzufolge ein viel praktizierter Unsinn, pseudo-lateinischen Blindtext oder Platzhaltertext in eine Spalte einfliessen zu lassen, um damit das Aussehen der typografischen Parameter Schrift, Zeilenabstand und Satzart zu prüfen. Solches Tun zeugt von wenig Verständnis für die Typografie.

Eine alte Schriftsetzerregel besagt, dass die optimale Leserlichkeit mit 50 bis 60 Buchstaben (inkl. Wortzwischenräume) pro Zeile erreicht wird. Dies entspricht in etwa der Satzbreite 9 bis 10 cm, die in Taschenbüchern vorkommt. Dabei ist selbstredend, dass die Buchstabenzahl pro Zeile nicht einfach mit einer zum Beispiel 6 Punkt gros­sen und schmalen Schrift erzwungen werden kann. An diesem Beispiel wird klar, wie sehr Leserlichkeit aus dem Zusammenwirken von vielen Faktoren erreicht wird. Als Faustregel für Zeitungs- oder Magazintext gilt: Die optimale Zeichenzahl pro Zeile entspricht 1,5-mal der Zahl der Buchstaben des Alphabetes. Dies ist in einem A4-Magazin bei 3-spaltigem Aufbau (Spalte = ca. 57 mm) der Fall.

Definition Zeilenabstand

Viele werden sich nun fragen, wie gross denn der optimale Zeilen­abstand eigentlich ist. Um die Frage zu beantworten, braucht es ein gewisses Verständnis für die Wirkungsweise von Zeilen. Jede Zeile wird durch den Weissraum oben und unten optisch abgesetzt. Er definiert sich von der Grundlinie der oberen Zeilen zur Mittellänge der nächstfolgenden Zeile (s. Abb.). Dieser Weissraum wird mit optischem Zeilenabstand bezeichnet. Der Zeilenabstand, den wir in InDesign einstellen, ist der Abstand von Schriftlinie zu Schriftlinie, was mit dem Grundlinienraster übereinstimmt. Wir können den optischen Zeilenabstand nicht direkt einstellen.

Das optisch wirksame Zeilenband besteht also aus der Mittellänge, die beim Zusammenkneifen der Augen zu grauen Bändern verschwimmt. Wenn man Spalten oder Buchseiten aus etwa einem Meter Distanz betrachtet, entsteht eine Grauwirkung. Optimalerweise sollten die einzelnen Zeilenbänder auch da gerade noch erkennbar sein. Wenn die Spalten zu einer einzigen grauen Masse verschwimmen, ist der Zeilenabstand zu klein gewählt.

Bezüglich Zeilenband ist die Mittellänge wichtig, Ober- und Unterlängen haben relativ wenig Einfluss auf die Leserlichkeit. Man sollte bezüglich Leserlichkeit die zu vergleichenden Schriften immer auf die x-Höhe nivellieren. Erst dann zeigt sich, welche Schrift grösser oder kleiner wirkt oder welche Schrift mehr Platz bean-sprucht.

x-Höhe

Ein guter optischer Zeilenabstand wird dann erreicht, wenn er etwa 1,5-mal grösser ist als die x-Höhe.

Je länger die Zeilen sind, desto eher besteht die Gefahr, dass das Auge beim Zeilenende den Zeilensprung auf die nächste Zeile nicht schafft und man um eine Zeile verrutscht. Je breiter die Zeilen sind, desto grösser muss der ­Zeilenabstand gewählt werden. Bei einem einspaltigen Office-Dokument in 10 Punkt Grösse wähle ich dann nicht den Zeilenabstand 120% der Schriftgrös­se (= «autom.» = 12 Punkt), sondern vergrössere ihn auf 15 bis 16 Punkt.

Vielfach werden in einem Magazin verschiedene Spaltenbreiten für unterschiedliche redaktionelle Gefässe angewendet. Dort stellt sich die Frage, ob nun die gleiche Schrift, die gleiche Schriftgrösse und der gleiche Zeilenabstand zur Anwendung kommen sollen oder nicht. In InDesign können leider nicht unterschiedliche Grundlinien­raster auf dem gleichen Dokument eingestellt und zugewiesen werden, was dazu führt, dass seitenübergreifend mit dem gleichen Grundlinienraster gearbeitet werden muss. In meinen Augen ein Mangel, den Adobe schon längst hätte beheben müssen.

Zusammenhang Schrift/Zeile

Je kompakter das Schriftbild ist, desto dunkler ist die Zeilenbandwirkung. Je dunkler die graue Bandwirkung ist, desto weniger Zeilenabstand braucht es. Das ist mitunter ein Grund, weshalb die meisten Mengensatzprodukte in einer eher kräftigen Serifenschrift gestaltet werden, ausserdem betonen die Serifen die Bandwirkung. Serifenschriften benötigen (in der Regel) weniger Zeilenabstand als serifenlose Schriften, sie sind platzsparender.

Wer also leichte Grundschriften einsetzt oder sie spationiert, der sollte den Zeilenabstand tendenziell etwas grösser halten. Wer kräftigere Schriften wählt, der hat Vorteile beim Zeilenabstand, er darf tendenziell eher kleiner sein. Ein grosszügiger Zeilenabstand tut optisch nie weh, ein zu klein gewählter hingegen sehr. Es ist schliesslich ein Abwägen der Werte – Ökonomie gegen Leserlichkeit.

Der Autor

Ralf Turtschi ist gelernter Schriftsetzer, Buchautor und Publizist. Er ist Inhaber von Agenturtschi, visuelle Kommunikation, in Adliswil und schreibt im Publisher seit Jahren praxisbezogene Beiträge zu Themen rund um Desktop-Publishing.

turtschi@agenturtschi.ch