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Lieb�ugeln mit Slab

Die Diskussion über die Funktion und Ästhetik von Serifen ist vermutlich steinalt: Die Monumentalis Capitalis ist verewigt in den Bauten des römischen Reiches. Die Bildschirmleserlichkeit hat vermutlich dazu beigetragen, dass heute serifenlose Fonts überwiegen. Zeit, sich mal über die dicken Füsse zu unterhalten.

Ralf Turtschi Dick und klobig hat wenige Designer so richtig in den Bann gezogen. Die Nacheiferer hatten eher die Eleganz der früheren Platzhirsche Garamond, Jenson, Bodoni, Bembo oder Baskerville im Sinn.

Technik bestimmt Aussehen

Das Aussehen der Schriften war schon immer von der jeweiligen Drucktechnik abhängig. So lassen sich die Stilepochen und Änderungen zum Teil an den Serifen ablesen. Der Schwung, die Kehlung und die Dicke der Füsse sind heute ein Merkmal für die Schriftklassifikation nach DIN. Dort heissen die Slab-Schriften «serifenbetonte Linear­antiqua». Die englische Bezeichnung Slab wird treffend als Platte übersetzt. Die Buchstaben der Slab stehen wie Walliser Chalets auf dicken Platten.

Die rechtwinklig angesetzten Serifen kommen ohne oder nur mit einer minimalen Kehlung aus, das Wesen der Slab ist das kontrastarme Schriftbild. Die Querstriche sind fast oder gleich dick wie die Abstriche. Die Slab hat eine bewegte Akzeptanzgeschichte hinter sich. Ursprünglich war sie beliebt bei Reklamemalern, weniger akzeptiert als Leseschrift. 1816 erschien in London die erste Schrift mit dem Namen «Egyptian», damals grassierte eine Begeisterung für alles Ägyptische, und so setzte sich der Begriff «Egyptienne» für das Genre «Slab» durch. Um 1850 kam in der Bauer’schen Giesserei die Clarendon heraus, die erste Schrift, die einen dreijährigen Copyrightschutz genoss.

Den damaligen Moden entsprechend kamen einige bizarre Spielarten heraus, die vor allem für die Reklame verwendet wurden.

Die Serifen dienten dazu, die Schriften mit einem monströsen Design auszustatten, welches vor allem in Titeln wirkte. So sind Slab-Schriften bis in die heutige Zeit vor allem beliebt bei Headlines. Die Clarendon hat sich bis in die letzten Setzkästen in Europa als Klassiker behauptet, heute wirkt sie veraltet. Nun gut, wer sich für Retro interessiert und entsprechend gestaltet, wird nicht um die Clarendon herumkommen. Aber als Titelschrift in einem Magazin oder in der Zeitung? – Undenkbar. Wie andere Schriften auch haben die Serifenbetonten die gleichen Veränderungen erlebt. Die Bauhaus-Zeit in den 1920er-Jahren brachte uns die geometrisch konstruierten Schriften, erkennbar an ihren fast kreisrunden o, e oder G. Bekannte Beispiele sind die Futura, die Gill, die Avant Garde Gothic oder die Century Gothic. Diese rundlichen Buchstabenformen hielten sich die Jahre durch bis Mitte der 1990er-Jahre, auch die Helvetica oder die Frutiger zeigen bauchige e oder o.

Rundlich oder schlank?

Die Rundlichkeit, zusammen mit den relativ eng stehenden Buchstaben, war lange Zeit das Mass der Dinge. Erst mit dem Aufkommen des Internets begannen die Designer die Buchstabenformen etwas schlanker und kantiger zu gestalten, dafür die Buchstabenabstände etwas weiter zu halten. Die Knacknuss bilden einmal mehr (wie auch sonst in der Gestaltung) die Zwischenräume. Je enger, desto eher laufen sie auf dem Bildschirm zu, bei fetten Schriftschnitten akzentuiert sich das Problem. Moderne Fonts zeigen offene Binnenräume, am besten erkennbar an den Buchstaben a und e, bei denen die Auslaufbogen offen sind und nicht geschlossen wie bei früheren Fonts.

Auch die Slab-Schriften kennen die Entsprechungen der damaligen Trends: Rockwell, Memphis oder Lubalin Graph, um drei Beispiele zu nennen. 1926 kam bei Mergenthaler die erste Slab-Zeitungsschrift heraus, die Ionic Nr. 5. Es gab seither immer wieder Versuche, die Slab-Schriften als Lesetext zu verankern, mit Zwischenlösungen, die zwar kräftige Serifen aufweisen, jedoch auch andere Merkmale beinhalten, wie zum Beispiel einen grösseren Kontrast. Die erste Serifenschrift Adrian Frutigers hiess Egyptienne F (1956), die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Univers nicht verleugnen kann, die Frutiger 1957 schuf. Die beiden sind wie Bruder und Schwester. 1968 folgte mit der Serifa eine weitere Serifenbetonte Frutigers.

Moderne Slab-Schriften stehen den klassischen Schriften bezüglich Leserlichkeit in nichts nach. Im Gegenteil, gerade im Zeitungsdesign sind heute wieder eher Schriften gefragt, die kräftige Serifen aufweisen. Diese Schriften lassen sich auch nicht klar in die Schriftklassifikation einordnen, weil sie Hybridformen aufweisen, wie rechts bei der Museo sichtbar.

Interessant ist die Entwicklung der Slab im Hinblick auf die Schreib­maschine. Die Buchstaben wurden per Hebel auf das Papier gehämmert, es waren eher dünne Buchstaben gefragt. Da kamen die Serifenbetonten als Vorbild gerade recht. Bei vielen Schreibmaschinenschriften wie Courier oder Prestige sind die Merkmale der Slab vorhanden, gleiche Strichstärke horizontal und vertikal. Diese Mono­spaced-Schriften erhielten neuen Auftrieb, als die Designer den alten Schreibmaschinenlook ins neue Zeitalter retteten. Schriften, die man so in der Office-Umgebung positionieren wollte, heissen zum Beispiel Info Office oder Officina.

Die neuste Entwicklung zeigt Fonts, die voller Experimentierlust stecken. Ohne stilistische Rücksichtnahme werden Stilepochen gemischt und kombiniert. Die Formsprache ist eindeutig holländisch. Die Niederländer sind die Könige, was Formgebung und Eleganz betrifft. Als Schriftenbeispiele nenne ich an erster Stelle die PMN Caecilia und die Thesis-Familie, die sich mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert sah. Das Erste Deutsche Fernsehen benützt die Thesis Sans und Serif, ein Beweis, dass Slab-Schriften auf dem Bildschirm bestens funktionieren. Beispiele der Soho, der Kievit und der Museo sind rechts abgebildet.

Der Autor

Ralf Turtschi ist gelernter Schriftsetzer, Buchautor und Publizist. Er ist Inhaber von Agenturtschi und Marketingleiter bei Speck Print AG, Baar. Der Autor schreibt im Publisher seit Jahren praxisbezogene ­Beiträge zu Themen rund um Desktop-­Publishing. turtschi@agenturtschi.ch

Lam, quibus alitatur, vollupt