Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Dossiers >> Photoshop >> Fachartikel >> Neue Wege zum Ziel

Neue Wege zum Ziel

Die aktuelle Photoshop-Version CS5 hat für Digitalfotografen und kreative Bildgestalter ein paar interessante Techniken in petto. Wie man optische Mankos beseitigt und aus einem Foto eine Bildkomposition macht, beschreibt der folgende Beitrag.

GÜNTER SCHULER Bildgestaltung – mehr als Bildoptimierung. Die Anforderungen an Bildbearbeitungssoftware sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Verursacht wurde diese Entwicklung vor allem durch die Digitalfotografie. Waren Bildbearbeitung und Fotografie vor zehn Jahren zwei weitgehend voneinander getrennte Bereiche, sind es mittlerweile vor allem Fotografen, die bei neuen Bildbearbeitungsfunktionen den innovativen Takt vorgeben. Entsprechend gewandelt hat sich Photoshop. Den Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Bildbearbeitungsklassiker verdeutlichen vor allem die beiden Zusatzeinheiten Camera Raw und Bridge. Wenn man partout will, geht es zwar auch ohne sie. Aber: Wer möchte das noch?

Das Verständnis von Bildbearbeitung hat sich im Zuge dieser Entwicklung deutlich verändert. Standen vor Jahren noch die klassischen Fragen von Bildkontrast, Helligkeit und Farbgebung im Vordergrund, tendiert man heute mehr und mehr dazu, Fotoaufnahmen nur noch als digitales Rohmaterial zu betrachten. Zusätzlich zu der klassischen Optimierungsprozedur rücken zunehmend Bildästhetikfaktoren in den Blickpunkt: Ist der vorliegende Bildausschnitt optimal? Sind Layoutbesonderheiten zu berücksichtigen – beispielsweise Ruhezonen, die mit Text oder Headlines belegt werden können? Wie sieht es mit der Aufnahmeperspektive aus? Ist sie okay oder sollten Optimierungen vorgenommen werden? Bei bestimmten Genres – wie zum Beispiel der Portrait-, der Glamour- oder der Titelcover-Fotografie – ist die gestalterische Nachbearbeitung am Rechner sogar der eigentliche Part.

Programmseitig korrespondieren die gestiegenen Gestaltungsansprüche mit immer ausgefeilteren Programmfunktionen. Betroffen davon sind natürlich längst nicht nur die Tools zum Retuschieren, zum manuellen Korrigieren der Perspektive oder zum Freistellen. Mit der neuen HDR-Pro-Sektion in Photoshop CS5, den neuen Camera-Raw-Features sowie dem bereits länger implementierten Detailhervorarbeitungstool Tiefen/Lichter stehen auch für die klassischen Kontrast-, Helligkeits- und Farbkorrekturen moderne Lösungsansätze zur Verfügung. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Neuerungen in Photoshop CS5 sind allerdings Funktionen zur Optimierung oder zur Modifizierung von Bildrohmaterial. Da sich im Arbeitsalltag oft ein Mix aus alten und neuen Programmfeatures anbietet, stellen wir ein Bildbeispiel vor, bei dem ein Querschnitt gängiger Eingriffe zum Einsatz kommt:

  • Korrektur von Weitwinkelperspektive und stürzenden Häuserlinien mit dem Filter Objektivkorrektur und den neuen Objektivprofilen.
  • Entfernen von Stromkabeln sowie weiteren störenden Bildelementen mit der neuen Inhaltssensitiv-Option.
  • Himmel beziehungsweise neuen Horizont einziehen. Hier bedienen wir uns der neuen Kantenerkennungsfunktion im Auswahl-Feature Kante verbessern.
  • Bildausschnitt wählen. Hier stellen wir das mit neuen Funktionen angereicherte Freistellungswerkzeug vor.
  • Objektivkorrektur: Bild­perspektive optimieren

    Die stürzenden Linien des Originalbildes fallen sofort ins Auge. Verursacht sind sie durch eine extreme Weitwinkeleinstellung des Objektivs (17 mm). Weitere Mankos der Aufnahme: objektivbedingte Verzerrungen (im konkreten Fall allerdings kaum ins Gewicht fallend) sowie ein leicht ungerader Horizont. Die aufgeführten Mankos lassen sich zwar auch mit eingeführten Bordmitteln korrigieren. Geeignete Tools wären beispielsweise die beiden Transformationsbefehle Drehen und Verzerren. Über eine leichte Drehung, eventuell mithilfe einer temporär eingezogenen Hilfslinie, liesse sich der Horizont begradigen. Ein Nach-aussen-Ziehen der oberen Anfasser würde vermutlich auch die Perspektivprobleme nachhaltig beheben. Zieht man einen der beiden Anfasser etwas stärker nach oben, kann man sich sogar den Drehen-Vorgang sparen. Die aufgeführten Methoden sind korrekt – allerdings bieten sie nicht gerade den grossen Bearbeitungsluxus. Konsequenz: Wer die Prozedur reglergesteuert vornehmen möchte, greift zum Filter Objektivkorrektur.

    In Photoshop CS5 wartet dieser Filter mit einem zusätzlichen Reiter namens Auto-Korrektur auf. Im Wesentlichen präsentiert er ein paar Aufklappfelder zum Anwählen einiger wichtiger Kameramarken sowie gängiger Objektive. Wurde das Bild mit einer Canon oder einer Nikon aufgenommen, stehen die Chancen nicht schlecht, ein zum Aufnahmeobjektiv passendes Objektivprofil zu finden, mit dem sich objektivbedingte Verzerrungen korrigieren lassen. Alternativ kann über den Button Online-Suche eine Onlinesuche gestartet oder aber ein ähnliches Objektivprofil ausprobiert werden. Sinn der ganzen Prozedur: ein Profil auszuwählen, mit dem die Bildproportionen vorteilhafter dargestellt werden.

    Der Filtersektor Benutzerdefiniert enthält den bereits aus Photoshop CS4 bekannten Teil der Filteroberfläche. Hier findet sich das Instrumentarium für das Begradigen von Horizonten und stürzenden Gebäudelinien. Letztere lassen sich über die beiden Regler Vertikale Perspektive und Horizontale Perspektive richten. Um den Horizont zu begradigen, genügt es, das zweit­oberste Werkzeug in der Werkzeugleiste links oben anzuwählen und mit diesem eine Linie entlang des gewünschten Horizonts zu markieren. Auswirkung: Das Bild wird anhand der neuen Linie ausgerichtet und entsprechend gedreht. Da die beschriebenen Korrekturen die Bildgrösse mit tangieren und der Filter zusätzlich eine Funktion zum Vergrössern oder Verkleinern des Bildes beinhaltet, steht letztlich die Frage an, wie der Filter mit den Bildkanten verfahren soll. Praktisch hier: die Option Kantenerweiterung, gelegen im Reiter Auto-Korrektur unter Bild automatisch skalieren. Die durch die Bearbeitung verkleinerten Bildkanten werden damit bis zum Bildrand ausgedehnt. Während die Kantenerweiterung im Beispielbild links, rechts und oben passabel funktioniert, bedarf die Strasse im Vordergrund einer Nachbearbeitung – oder aber, wie später beschrieben, eines vorteilhafteren Bildausschnitts.

    An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass für einfache Horizontbegradigungen nunmehr auch das Linealwerkzeug verwendet werden kann. Neues Workflow-Tool hier: der Button Gerade ausrichten in der Optionenleiste unterhalb des Hauptmenüs. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass für komplexere Proportions- und Perspektivkorrekturen (das heisst solche, denen mit Transformieren > Verzerren oder dem Objektivkorrektur-Filter allein nicht beizukommen ist) zwei weitere Verzerren-Tools zur Verfügung stehen. Der Befehl Transformieren > Verkrümmen ermöglicht Verzerrungen mittels eines aus neun Zellen bestehenden Gitternetzes. Noch feinmaschiger funktioniert ein neuer CS5-Befehl mit dem Namen Formgitter. Er liefert nicht nur ein wesentlich feinmaschigeres Gitternetz als der herkömmliche Verkrümmen-Befehl, sondern ermöglicht darüber hinaus auch das Setzen von Anker- und Zielpunkten. Ideal ist dieses Tool vor allem dann, wenn man die Zielrichtung menschlicher Bewegungen verändern möchte.

    Inhalt bewahren: Kabelgewirr beseitigen

    Klein abgebildet, fallen die vielen Stromkabel im Beispielbild zwar nicht grossartig auf. Bei einem grös­seren Abbildungsformat wären sie allerdings deutlich zu sehen. Für das Wegretuschieren störender Bild­elemente hat Photoshop CS5 zwei neue Funktionen in petto: die neue Inhaltssensitiv-Option des Bereichsreparatur-Pinselwerkzeugs und die Inhaltssensitiv-Option unter Verwenden im Befehl Fläche füllen. Beide funktionieren ähnlich. Führen Sie den Bereichsreparaturpinsel beispielsweise über ein Stromkabel, wird dieses wegretuschiert und mit Umgebung wie beispielsweise blauem Himmel aufgefüllt. Bei grösseren Objekten empfehlen sich hingegen eher das grobe Einrahmen mit dem Lasso oder einem anderen Auswahlwerkzeug und das anschlies­sende Füllen mit Bearbeiten > Fläche füllen (Verwenden: Inhaltssensitiv).

    Ob Kabel, Personen oder andere störende Bildbestandteile, in vielen Fällen erhalten Sie mit den beschriebenen neuen Features aus dem Stand zufriedenstellende Ergebnisse. Nichtsdestotrotz sollten Sie stets im Hinterkopf behalten, dass die Inhaltssensitiv-Option auf Computeralgorithmen basiert. Dies heisst: In einigen Fällen muss man sich Schritt für Schritt an das richtige Ergebnis herantasten – entweder durch eine grössere oder kleinere Werkzeugspitze, durch eine weitere oder engere Auswahl des Bereichs, der mit Umgebung aufgefüllt werden soll, oder indem Sie in mehreren Schritten retuschieren. Beim abgebildeten Bildbeispiel bieten sich zwei Verfahrensweisen an.

    1. Manuelles Wegretuschieren mit dem Bereichsreparaturpinsel.
    2. Sie aktivieren den Quickmask-Modus und malen mit einem Pinsel die Kabelbereiche aus. Zurück im Normalmodus, wird aus den ausgemalten Bereichen eine Auswahl. Die kehren Sie um und füllen sie anschliessend mit der Option Verwenden: Inhaltssensitiv.

    Nichtsdestotrotz sollten Sie bei komplexeren Retuschen flexibel vorgehen und die Retuschewerkzeuge je nachdem variieren. Anders formuliert: In vielen Fällen ist das klassische Stempel-Werk­zeug nach wie vor das adäquate Tool.

    Smart Radius in Kante verbes-sern: neuer Bildhintergrund

    Ein neuer Himmel sowie vergleichbare Motivoptimierungen sind Ziele, die bei der kreativen Bildoptimierung ebenfalls regelmässig anstehen. Aufgabe dabei: Der vorliegende Himmel beziehungsweise Bildhintergrund soll durch einen anderen ersetzt werden. Wird ein collagehaftes Endergebnis anvisiert, kann es auch sein, dass zusätzliche Bildelemente eingebaut werden sollen. Die Herausforderungen sind stets ähnlich; irgendwann im Workflow steht eine Freistellung an. Typische Prozedur am Beispiel Himmel: Als Erstes muss von den Himmels- bzw. Hintergrundpartien eine Auswahl erstellt werden. Gut dazu geeignet ist in vielen Fällen das Tool Auswahl > Farbbereich auswählen. Mit der Pipette wird ein repräsentativer Punkt im Himmel ausgewählt, mit dem Toleranzregler eine geeignete Tonwertbreite festgelegt. Im zweiten Schritt wird die getroffene Auswahl in einem Alphakanal gesichert und dort weiter optimiert. Typischerweise stehen hier ein Ausmalen noch freier Partien im Mittel- und Vordergrund des Bildes sowie ein Optimieren der Kante zwischen Bildmotiv und Hintergrund an. Im dritten Schritt schliesslich wird die optimierte Auswahl des Alphakanals auf das Bild angewendet. In der Regel verwendet man hierfür eine Ebenenkopie des Originalbildes, die nunmehr mit einer Ebenenmaske ergänzt wird. Ergebnis: Der Horizont/Himmel ist maskiert, der Rest ist noch da. Unter dieser oberen Ebene kann nun – im finalen Schritt vier – ein Bild mit dem vorgesehenen Himmel oder Hintergrundinhalt positioniert werden.

    In der Regel ist das Freistellen eines Himmels zwar einfacher als etwa das von Cover-Models. Die Problematiken ähneln sich allerdings.

    Wie stelle ich ein Motiv so frei, dass die Übergänge an den Kanten möglichst natürlich wirken? Für diese Aufgabe offeriert Photoshop CS5 eine neue Arbeitshilfe – die Option Smart Radius sowie den Regler Radius im Auswahl-Feature Kante verbessern. Aktiviert man eine einigermassen stimmige Auswahl des zu maskierenden Bereichs und schaltet die Smart-Radius-Optionen hinzu, gleicht die Kantenerkennung die aktivierte Auswahl mit dem Bild ab und erzeugt in den Kantenbereichen zusätzliche Nuancen und Übergänge. Aktiviert man den Ansichtsmodus Schwarzweiss, kann man im Bild sehen, wie die Kantenerkennung die aktuelle Auswahl modifiziert. Im Beispielbild wurde diese so verfeinerte Auswahl des Himmels dazu verwendet, eine Ebenenkopie des Originalbildes mit einer zusätzlichen Ebenenmaske zu versehen. Oberhalb der Hintergrundebene, aber unterhalb der Ebenenkopie mit der Ebenenmaske kann nun das Bild mit dem gewünschten Hintergrund einkopiert werden. Im konkreten Fall sind zwei Varianten dargestellt: einmal ein Himmel mit mehr Wolken, einmal ein Himmel mit einem zusätzlichen Stadtviertel, welches höher auf einem Hügel liegt. Ob «Himmel pur» oder kreative Collage: Damit sich neue Bildelemente auf realistische Weise in die Gesamtkomposition einfügen, müssen Vordergrund und Hintergrund miteinander synchronisiert werden. Im konkreten Fall wurde der Hintergrund mit dem zusätzlichen Stadtviertel etwas heller gehalten; für eine einheitliche Wirkung sorgt eine Farbbalance-Einstellungsebene, welche der ganzen Szenerie einen leichten Cyanschimmer verleiht.

    Finalisierung und Bild­ausschnitt

    Was noch fehlt, ist der finale Bildausschnitt. Dass sich die Schwerpunkte in einem Bild (und die dadurch getroffene Gesamtaussage) unterschiedlich variieren lassen, zeigen die abgebildeten Beispiele. Grundsätzlich eignen sich zur Festlegung des finalen Bildausschnitts zwei Werkzeuge: das Auswahlrechteck und das Freistellungswerkzeug. Unterschied: Während Freistellungen via Auswahlrechteck mit dem Befehl Bild > Freistellen abgeschlossen werden müssen, ist es beim Freistellungswerkzeug mit einem Doppelklick getan. Vergibt man für Bild > Freistellen einen anwenderdefinierten Tastaturbefehl, funktioniert allerdings auch die Vorgehensweise mit dem Auswahlrechteck recht mondän.

    Zusätzlich offeriert das Freistellungswerkzeug während des Aufziehens des Freistellungsrahmens interessante Optionseinstellungen. In Photoshop CS5 lässt sich über den Punkt Hilfslinien in der Optionenleiste ein Gitter mit neun Zellen aktivieren – was für die Bestimmung des Bildschwerpunkts eine nützliche Orientierungshilfe ist. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Freistellungswerkzeug und Auswahlrechteck: Legen Sie für das Freistellungswerkzeug Vorgaben mit festen Grössen fest, vergrössert oder verkleinert Photoshop den freigestellten Inhalt gemäss den Vorgaben. Anders verhält sich das Auswahlrechteck. Zwar ist auch hier das Festlegen von Vorgaben mit Festgrössen möglich. Vergrössert oder verkleinert wird beim Freistellen allerdings nicht.

    Fazit

    Die kreative Bildgestaltung ist ein weites Feld. Neben rein technischen beziehungsweise bildbearbeiterischen Erfordernissen kommt es zusätzlich stark darauf an, welchen Zweck man mit einem einzelnen Bild erreichen möchte – oder welche Bildwirkung man in den Vordergrund stellen will. Sicher ist es in den meisten Fällen nicht notwendig, eine Aufnahme mit allen Schikanen «hochzubrezeln». Die Frage beispielsweise, ob Weitwinkelperspektive, stürzende Linien und Kabelgewirr im Beispielbild wirklich stören, lässt sich durchaus unterschiedlich beantworten. Anwender, die naturbelassene, realistische Aufnahmen favorisieren, werden sie natürlich anders beantworten als Kreative, für die Bilder lediglich Rohmasse für eigene, kreative Entwürfe sind.

    Wie auch immer, die Möglichkeiten, Bildmaterial auf digitalem Weg zu modifizieren, sind mit der neuen Photoshop-Version noch grösser geworden. Dass auch die traditionellen Helligkeits-, Kontrast- und Farbeinstellungsfeatures verlockende Möglichkeiten beinhalten – beispielsweise diejenige, bestimmte Stylings wie etwa Cross- oder Tonemappingeffekte als Einstellung zu speichern und auf beliebig viele Bilder anzuwenden –, zeigt die nächs­te Folge dieser Workshop-Reihe.