Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Dossiers >> Photoshop >> Fachartikel >> Photoshop aufger�stet

Photoshop aufger�stet

Das Bedürfnis von Photoshop-Anwendern, das Programm ihrer Wahl aufzutunen, ist so alt wie Photoshop selbst. Ob das noch Sinn macht, kommt auf die jeweilige Einstellung an.

Günter Schuler Für viele Freunde der kreativen Photoshop-Erweiterung dürfte der März dieses Jahres ein Highlight-Monat gewesen sein. Google, seit 2012 Eigner der mitt­lerweile unter dem Label Nik Collection zusammengefassten Filterreihen, stellte die komplette Edition kostenlos zur Verfügung. Mit enthalten in der frei downloadbaren Collection: die Module HDR Efex Pro, Color Efex Pro, Silver Efex Pro, Analog Efex Pro, Viveza, Sharpener Pro und Dfine. Über Googles Gründe mag man spekulieren. Die Annahme, dass der Internetkonzern das Marktsegment der Bildbearbeiter und Digitalfotografen enger an seine Social-Network-Plattformen anbinden möchte, ist sicher nicht abwegig. Ebenso bemerkenswert ist allerdings die Präzedenzfall-Wirkung: die Tatsache, dass ein vormals eher hochpreisiges Filterpaket nunmehr kostenlos zur Verfügung steht.

Braucht es aber angesichts der Vielseitigkeit von Photoshop überhaupt noch zusätzliche Module? Ist es nicht so, dass das Programm selbst mittlerweile alles zur Verfügung stellt, was des Bildbearbeiters Herz begehrt? In der Tat: Speziell die Einsatzgebiete, auf denen die Module der Nik Collection bislang glänzten, sind vom Mutterprogramm gut abgedeckt. Ob Einstellungsebenen, Filter oder Foto-Look via Lookup-Table – kaum ein Bereich ist von Photoshop so gut mit Funktionen bedacht wie das kreative Bilder-Hochstylen. Sonderbarerweise jedoch mindert die Funktionsfülle des Mutterprogramms die Freude an Drittanbieter-Plug-ins in keinster Weise. Im Gegenteil. Gerade im Bereich des Fotostylings ist das Angebot an Modulen so dicht wie nie.

Generalisten und Spezialisten

Ein Beispiel dafür: Color Efex Pro – das Hauptmodul der Collection-Reihe in der aktuellen Version 4. Die Oberfläche ist ganz auf stimmungsvolle Fotoverschönerung abgestellt. Der linke Bereich listet rund 50 Einzelmodule auf – darunter B/W Conversion, Bi-Color Filter, Cross Processing oder Indian Summer. Im rechten Bereich findet der Anwender die dazugehörigen Feineinstellungen. Flankiert wird das Ganze von einer zusätzlichen Palette, mit deren Hilfe sich getätigte Filter­effekte auf lokale Bereiche beschränken las­sen. Einen ähnlichen Funktionsumfang wie die Color Efex Pro liefern auch einschlägige Mitbewerber – beispielsweise Exposure X2 von Alien Skin. Ein weiteres Produkt mit vergleichbarem Funktionsumfang ist die Reihe Topaz Labs. Auch hier das bei Modulen weitverbreitete Bild: links eine Auflistung unterschiedlicher Funktionssektoren, im zentralen Fenster in der Mitte das Bild und rechts das Regler-Equipment für die Feinarbeit.

Die Crux: Die meisten Effekte der vorgestellten Reihen liessen sich mehr oder weniger auch in Photoshop aufbauen. Was Photoshop nicht mitliefert, ist allerdings der inuitive Zugang zur Welt der Color Looks und Farbstylings. Noch einfacher ausgedrückt: Man könnte zwar mit Photoshop «pur» loslegen. Mit Color Efex Pro und anderen Modulen macht die Chose jedoch mehr Spass. Noch deutlicher wird der Trend zum Modul in einem anderen Segment – dem der ambitionierten, profes­sionellen Glamour-, Mode- und Titelbildportraits. Auch hier könnten die Anwender mit einschlägigen Photo­shop-Techniken loslegen – beispielsweise den Dodge-and-Burn- sowie Frequenzmodulierungstechniken. Da Schnelligkeit und Effizienz in diesem Berufssegment jedoch zentral sind, hat sich auch hier ein kleiner Drittanbietermarkt herauskristallisiert.

Beispielsweise PortraitPro, aktuell in der Version 15, angeboten von der Londoner Firma Anthropics und erhältlich derzeit zum regulären Preis von rund 85 Franken. Das sowohl als Stand-Alone-Applikation als auch als Plug-in erhältliche Modul offeriert Portrait­optimierung quasi auf Kommando. Der User bestimmt eingangs lediglich das Geschlecht der portraitierten Person. Die Software erstellt flankierend Kennungskanten für Gesicht, Augen, Nase und Mund. Im linken Bereich finden sich unterschiedliche Voreinstellungssets (beispielsweise: Glamour weiblich) sowie ein reichlich mit Funktionen versehener Feineinstellungsbereich. Vom totalgestylten Glamourgirl-Look bis hin zu dezenter Nachbearbeitung ist alles drin. Bemerkenswert bei PortraitPro ist vor allem die Bündelung unterschiedlicher Bearbeitungsprozedere in einem Interface. Speziell in Kombination mit herkömmlichen Photoshop-Retuschen sind Plug-ins dieser Art ein Segment, das sicher nicht aussterben wird. Ein weiteres Tool in diesem Bereich ist Portraiture von Imagenomic. Funktionalität und Einsatzgebiet sind ähnlich, lediglich der Preis von Portraiture liegt mit rund 200 Franken deutlich höher.

Ist in den bislang vorgestellten Einsatzgebieten das (anwendergerechte) Bündeln von Funktionen das wesentliche Merkmal, sind in anderen Ergebnisse gefragt, die über das Vermögen von Photoshop hinausreichen. Paradebeispiel hierfür ist die Software HDR projects des deutschen Anbieters Franzis. Der gute Ruf dieser Software im Bereich High-Dynamic-Bearbeitungen ist sicherlich auch durch das angebotene Arbeitsinterface mitbegründet. Wesentlich sind allerdings die qualitativ hochwertigen Resultate an der Quelle – beim Zusammenführen unterschiedlich belichteter Bilder zu einem Bild. Ungeachtet dessen sind auch Fans hochwertiger HDR-Bilder nicht auf einen einzigen Drittanbieter zurückgeworfen. Auch in diesem Spezialsegment bieten unterschiedliche Anbieter zusätzliche Photoshop-Hilfen an – entweder in Plug-in-Form oder als Stand-Alone-Anwendung.

Der Markt ist vielfältig

Ähnliches gilt für die traditionellen Schwerpunkte von Drittanbieter-Modulen: etwa Freistellungen, das Hochskalieren von Bildern zu Postergrösse oder die professionelle Rauschentfernung. Ein paar Module – wie zum Beispiel Akvis SmartMask, PhotoZoom oder Neat Image – haben hier seit Jahren ihre kontinuierliche Nische. Der Markt für Photoshop-Hilfen im Gesamten jedoch hat sich in den letzten Jahren in geradezu extremer Weise ausdifferenziert. Zu dem klassischen Filter – abgelegt im Filter-Menü unter dem jeweiligen Herstellernamen – gesellen sich zunehmend weitere Formen der Photoshop-Nachrüstung: Sets mit Aktionen oder Feature-Presets, Scripts sowie Stand-Alone-Anwendungen. Beispiel: das Script Cloth Texture, das sich als Erweiterung im Befehl Fläche füllen einnistet. Flankiert wird das Angebot von einer Unmenge an zusätzlichem Material: Pinselspitzen, Muster, Texturen sowie sonstigen Gimmicks für die Bild- und Grafikverschönerung.

Auffälliges Merkmal ist die sich verfestigende Aufteilung in ein Billig- bzw. Umsonst-Segment am unteren Rand und ein tendenziell hochpreisiges am oberen. Selbst die Google-Suche nach passenden Modulen oder Hilfen führt entweder in die eine oder die andere Richtung. Zwar findet sich auch unter den «Billigheimern» gelegentlich Brauchbares; mitunter sogar das ein oder andere Highlight wie die eingangs beschriebene Nik Collection. Für gewöhnlich gilt jedoch: Qualität hat ihren Preis. Dem Zögern vieler Anwender, die Katze im Sack zu kaufen, tragen zahlreiche Hersteller mittlerweile Rechnung. In vielen Fällen stellen die Websites zu Tool XY limitierte Trial-Versionen zur Verfügung – wie beispielsweise die Portraitbearbeitungssoftware PortraitPro. Zusätzliche Einschränkung hier: ein Wasserzeichen, welches die volle Verwendung des Ergebnisses stark einschränkt.

Vor Jahren noch behalfen sich Fachmagazine, die zum Thema Photoshop-Plug-ins eine möglichst umfangreiche Marktübersicht liefern wollten, mit der fortsetzungsweisen Vorstellung. Angesichts der Masse an Modulen ist selbst diese Form mittlerweile nicht mehr möglich. Allein die Anzahl der Kaufmodule dürfte zwischenzeitlich im mittleren dreistelligen Bereich liegen. Entsprechend segmentiert fallen die Überblicke aus. Ob Fachportal oder Blog, einschlägige Rezensionen gibt es im Web zuhauf. Hinzu kommen Videos bei YouTube sowie mehr oder weniger hilfreiche Hinweise in den entsprechenden Foren. Einen Teilüberblick ­liefert Adobe zwischenzeitlich selbst. Auf einer Adobe-eigenen Webseite (bit.ly/PS-Plug-ins) findet sich ein breites Spektrum unterschiedlicher Add-On-Angebote – vom klassischen Filter bis zum Script, vom For-Free-Angebot bis zum hochpreisigen Tool.

Fazit

Leider listet selbst der Adobe-Überblick nur einen Ausschnitt in Sachen Add-Ons. Was letztlich eines beweist: Selbst in Zeiten der Krise, wo sowohl grosse Unternehmen als auch selbständige Kreativwirtschaftler verstärkt Einsparungen vornehmen, ist der Markt für Photoshop-Erweiterungen ein Segment, das stetig weiter in die Fläche geht. Die eingangs gestellte Frage, inwieweit diese Zusatzfunktionen nötig sind, erübrigt sich damit auf gewisse Weise. Das meiste, was Plug-ins können, bringen erfahrene Photoshop-Anwender sicher auch ohne zuwege. Allerdings: Ohne die kreative Erweiterung, die zusätzliche Spezialfunktion oder das angenehme Interface können sich viele User ihr Photoshop offenbar nicht vorstellen.

Der Autor

Günter Schuler, im Ausbildungsberuf Schriftsetzer, hat als Fachautor zahlreiche Bücher und Fachartikel zu Bildbearbeitung, Medien­gestaltung und Typografie verfasst. Bildbearbeitung rund um Adobe Photoshop ist eines seiner Kernthemen.