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Produkte im besten Licht

Kaum beachtet, ist Produktfotografie eines der wichtigsten Ausdrucksmittel der Werbefotografie. Deshalb verdient sie mehr Aufmerksamkeit. Praktische Tipps zeigen, wie man Produkte ins beste Licht rückt.

wolfgang kolbeck Der An­spruch an Produktfotografien in Dokumentationen und Katalogen liegt meistens darin, das Produkt möglichst klar und gut erkennbar darzustellen. Der Betrachter soll Form und Beschaffenheit des Produkts deutlich erkennen und sich eine möglichst genaue Vorstellung davon machen können. Mit den heutigen technischen Mitteln der digitalen Fotografie und der Bildbearbeitung kann diesem Anspruch ohne grosse Fachkenntnisse der Fotografie relativ nahegekommen werden. Dies führt dazu, dass für einfache Produktfotografien heute in der Regel keine Fachperson mehr hinzugezogen wird, sondern viele Kataloge komplett inhouse produziert werden. Das dazu benötigte Equipment reisst auch nicht mehr ein grosses Loch ins Budget. In der Bildbearbeitung schliesslich lässt sich dann sogar noch aus einem missratenen Foto etwas Brauchbares zaubern. Damit wäre dieser Artikel nun zu Ende – wenn es denn wirklich so einfach wäre. Mit etwas Know-how lässt sich die Qualität von Produktaufnahmen deutlich steigern. Zudem lässt sich das Zusammenspiel zwischen Aufnahme und Bildbearbeitung optimieren, womit sich Zeit und Geld sparen lässt.

Kontaktaufnahme durch Bilder

Machen Sie einmal einen Selbstversuch. Wo sind Sie beim Aufschlagen dieses Artikels zuerst hängen geblieben? Mit grosser Wahrscheinlichkeit haben Sie zuerst die Bilder betrachtet, bevor Sie sich entschlossen haben, zu lesen, worum es in dem Artikel geht. Wo Bilder vorhanden sind, stellen diese in der Regel den ersten Kontakt mit dem Betrachter her. Bilder haben somit einen entscheidenden Einfluss darauf, ob ein Zeitungsartikel oder die Werbebotschaft wahrgenommen wird. Selbst in einem Katalog werden Sie eher bereit sein, sich für das Produkt zu interessieren, wenn Sie das Bild anspricht. Ein gut fotografiertes Produkt signalisiert dem Betrachter eine höhere Produktqualität als ein dürftig abgelichtetes.

Bei grösseren Firmen hat sich in den letzten Jahren wieder ein gesteigerter Qualitätsanspruch an die verwendeten Fotografien bemerkbar gemacht. Ein solcher ist auch auf den Onlineportalen festzustellen. Die Bildqualität bei kleinen und mittleren Unternehmen hinkt dieser Entwicklung jedoch häufig hinterher. Die Ursache dafür wird meist in einem zu kleinen Werbe­budget gesucht, wodurch alles, was nicht zwingend extern vergeben werden muss, selbst produziert wird. Da sich in praktisch jeder Firma jemand mit einem Fotoapparat finden lässt, wird bei den Bildern häufig auf teure Fachkräfte verzichtet. Technisch gesehen lässt sich dieser Entwicklung fast nichts entgegenhalten. Zurzeit wirbt ja ein bekannter Smart­phone-Hersteller mit gigantischen Plakaten damit, dass die darauf abgebildete Fotografie mit seinem Gerät fotografiert wurde. Ein Bild ist jedoch kein Produkt eines rein technischen Vorgangs. Die Person hinter der Kamera wird immer der entscheidende Faktor für das Gelingen von guten Bildern sein. Neben einer Sensibilisierung für die Unterscheidung von guten und schlechten Bildern fehlt häufig auch das Know-how, um mit den vorhandenen Mitteln die Bild­qualität positiv zu beeinflussen.

Ist die Sensibilisierung für gute Fo­to­grafie vorhanden, lässt sich das Know-how für einfache Produktaufnahmen mit einem vernünftigen Aufwand vermitteln. Eine grosse Bedeutung hat dabei der Umgang mit Licht.

Mit Licht malen

Der Begriff Fotografie setzt sich aus den griechischen Wörtern photos und gráphein zusammen und bedeutet, im übertragenen Sinne, mit Licht zu malen. Dies streicht hervor, welche Bedeutung dem Licht in der Fotografie zukommt. Das Licht ist sozusagen der Pinsel der Fotografie. So wie es in der Malerei eine Vielzahl von Pinselarten und Formen gibt, stehen einem beim Fotografieren auch die verschiedensten Lichtquellen und Lichtformer zu Verfügung. Wer sich einmal in einem Fachgeschäft für professionelle Fotografie umgesehen hat, wird sehr schnell feststellen, dass für Licht ein Vermögen ausgegeben werden kann. Diese für den professionellen Einsatz konzipierten Geräte setzen jedoch ein fundiertes fotografisches Können voraus. Laien erzielen damit häufig schlechtere Ergebnisse, als wenn sie mit dem normal vorhandenen Licht fotografieren würden.

Das Stimmungsbild

Mit dem Einstiegsbild in diesen Artikel sollten Sie vor allem «gluschtig» gemacht werden. Das Dessert wurde hier, wörtlich genommen, vorweg serviert. Es handelt sich dabei nicht um eine klassische Produktfotografie. Hier soll in erster Linie eine Stimmung vermittelt werden. Das eigentliche Produkt, eine Stracciatellamousse, ist lediglich ein Teil des gesamten Arrangements. Wie bereits weiter oben erwähnt, dienen solche Bilder dazu, beim Betrachter einer Werbung oder in diesem Fall eines Artikels Interesse zu wecken. Das hohe gestalterische und technische Können, welches für die Realisation eines solchen Bildes gebraucht wird, setzt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie voraus. Vor der Umsetzung muss hier eine klare Bildidee entwickelt werden. Aus der Bildidee heraus, das Dessert eines Hochzeitsmenüs zu inszenieren, wurde das Styling mit einer weissen Tischdecke und den zwei gekreuzten Löffeln ausgesucht. Mit dem Licht wurde eine helle, sonnendurchflutete Stimmung simuliert. Erreicht wurde dies durch harte, kühle Schatten und warme, leuchtende Lichtflecken. In der Foodfotografie müssen die abgebildeten Lebensmittel frisch und appetitlich wirken. Dies wird in der Regel, wie auch in diesem Beispiel, durch ein gezieltes Gegenlicht mit hohem Glanz auf den Lebensmitteln erzeugt. Die Szenerie wurde mit einem grossflächigen Blitzlicht von oben aufgehellt, wodurch die Schattenpartien ihre kühle Stimmung erhielten. Für die Lichtflecken wurden mehrere kleine fokussierbare Halogenleuchten verwendet.

Natürliches Licht

Während bei der Stracciatellamousse mit viel Aufwand Sonnenlicht simuliert wurde, entstand die Aufnahme der Teller an einem sonnigen Tag mit direktem Sonnenlicht. Das Styling ist hier sehr einfach und reduziert gehalten. Als Hintergrund diente ein Brett in Eichenoptik, auf welchem die Teller arrangiert wurden. Das Arrangement wurde so positioniert, dass gegen die Sonne fotografiert wurde. Die Aufnahme entstand am frühen Nachmittag, wodurch die Sonne noch hoch am Himmel stand. Mit Sonnenlicht lassen sich auf einfache Art natürliche Stimmungen erzielen. Für aufwendige Aufbauten ist das Sonnenlicht jedoch nur beschränkt geeignet, da sich das Licht durch die Wanderung der Sonne ständig bewegt und somit schwer zu kontrollieren ist. Bilder, welche ausschliesslich mit Sonnenlicht fotografiert werden, wirken schon deshalb sehr natürlich, weil sie unseren Sehgewohnheiten entsprechen. Die Sonne ist in diesen Bildern die einzige Lichtquelle. Für den Betrachter ist eine klare Lichtrichtung erkennbar. Wenn das Licht auf einem Objekt aus verschiedenen Richtungen kommt, wirkt dies unnatürlich und meist irritierend. Auch Studioaufnahmen wirken einiges natürlicher, wenn für Objekte eine einzelne Lichtquelle verwendet wird. Aufhellungen mit weiteren Lampen können schnell zu irritierenden Effekten führen. Zum Aufhellen eignen sich hingegen sehr gut Styropor oder weisse Schaumkartonplatten.

Im Studio

Die beiden Aufnahmen der Zeitschaltuhr wurden mit einer einzelnen Halogenlampe beleuchtet. Beim linken Bild stand die Lampe sehr nahe bei der Kamera. Dabei wurde ein Licht simuliert, das einem Aufsteckblitz mit Diffusionsaufsatz entspricht. Kameranahe Partien werden dadurch deutlich heller. Konturen gehen verloren. Sehr deutlich ist dies im oberen Steckdosenbereich zu erkennen. Der Hintergrund wird sehr schnell dunkler. Dadurch werden die transparenten Deckel nach dem Freistellen zu dunkel dargestellt. Um das Objekt in der Nachbearbeitung freizustellen, wird ein relativ grosser Zeitaufwand benötigt, da die Konturen nicht überall sauber vom Hintergrund trennen.

Bei der rechten Aufnahme wurde mit einem grossflächigen Gegenlicht gearbeitet. Von vorne wurde mit weissem Papier aufgehellt. Da die Lichtquelle nun genau in der Spiegelung der Plexiglasdeckel lag, mussten diese mit einem schwarzen Papier vor der Lichtquelle abmaskiert werden. Dabei wurde darauf geachtet, dass ein leichter Glanz erhalten bleibt. Obwohl hier mit einer sehr weichen Lichtquelle gearbeitet wurde, kommt durch die Positionierung der Lichtquelle Form und Kontur des Objekts deutlich zur Geltung. Das Objekt wirkt bei der Aufnahme schon praktisch freigestellt. Die Zeit für die Nachbearbeitung ist dadurch deutlich kürzer.

Was es braucht?

Für kleinere Produkte ist der Materialaufwand gering. Zwei Malerböcke, eine der Grösse der Produkte angepasste Arbeitsplatte, weisses und schwarzes Papier als Hintergrund und zum Aufhellen beziehungsweise zum Abmaskieren sowie Befestigungsmaterial für Aufheller und Maske. Als Lichtquelle genügen zwei Halogenleuchten, da bei unbewegten Objekten auch längere Verschlusszeiten möglich sind. Für weiches Licht eignet sich eine Softbox. Kalkpapier vor der Lampe erzielt den gleichen Effekt und ist dabei erst noch flexibler einsetzbar. Wichtig ist ein gutes stabiles Stativ. Eine genaue Kontrolle des Lichts, vor allem bei glänzenden Oberflächen, ist nur aus einer fixen Kameraposition heraus möglich. Zudem erleichtert das Stativ die Kontrolle des Bildaufbaus und der Perspektive. Die Kamera sollte die Möglichkeit der manuellen Belichtungssteuerung besitzen und das Rohdatenformat (RAW) unterstützen. Gerade bei Serienproduktionen ähnlicher Objekte hilft eine gleichbleibende, festeingestellte Belichtung in der Nachbearbeitung Zeit zu sparen. Als Standardobjektiv im Studio bewährt sich meist ein 100-Millimeter-Makroobjektiv. Auch Zoomobjektive mit langer Brennweite sind geeignet. Mit kurzen Brennweiten entstehen ungewollte perspektivische Verzerrungen und die Lichtführung wird erheblich erschwert. Wenn alles Material beisammen ist, fehlt eigentlich nur noch das Wichtigste: Know-how und Erfahrung. Dieses Know-how kann in Kursen erlernt werden. Für individuelle Anwendungen eignen sich Einzelschulungen, in welchen auf die speziellen Bedürfnisse eingegangen werden kann.

Die Produktfotografie ist ein viel zu wichtiges Werbeinstrument, als dass sie gleichgültig behandelt werden könnte.

Der Autor

Wolfgang Kolbeck absolvierte eine Fotografenlehre und arbeitete anschliessend als selbständiger Werbefotograf. Seit 15 Jahren unterrichtet er Fotografie an der Berufsschule für Gestaltung Zürich. Er ist dipl. Berufsschullehrer und schloss an der FHNW Basel das Studium Master of Fine Arts ab. Zusammen mit Patrick Rohner, einem der bekanntesten Still-Life-Fotografen, bietet er Kurse und Schulungen für professionelle Fotografie an.

www.foto-toolbox.ch 

Tel. +41 79 330 43 25