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Publishing 3.0: Agile Workflows als Herausforderung

Datenbankgetriebene Lösungen mit einem hohen Automatisierungspotenzial prägen zunehmend die Publishing-Workflows. Durch die wachsende Medienvielfalt steigt deren Komplexität zusätzlich. Dies verlangt von allen Beteiligten ein neues Rollenverständnis.

Martin Spaar Nachdem das Desktop Publishing in den Neunzigerjahren vieles in der grafischen Industrie auf den Kopf gestellt hatte, schlich sich in den Nullerjahren eine neue Revolution auf leisen Sohlen und daher vorerst fast unbemerkt ein. Wir vom Publisher haben dafür den Begriff Publishing 3.0 geprägt. Triebfedern dieser Revolution sind IT-Standards wie XML sowie das Internet als Prozess­optimierungsplattform (siehe Kasten). Dies ermöglicht Lösungen, welche die Publishing-Prozesse schlanker und effizienter gestalten. Gespeist werden diese Lösungen aus Datenbanken; das heisst, die Assets wie Texte und Bilder fliessen direkt über Datenbank-Anbindungen in den Publishing-Prozess ein und nicht mehr in DTP-Manier als isolierte Dateien.

Der Kunde als Angelpunkt

Dadurch rückt der Kunde ins Zentrum der Publishing-Workflows, denn in seinen IT-Systemen liegen diese Assets, also die zu publizierenden Inhalte, in Form von Texten, Tabellen, Bildern und Grafiken. Er wird damit zur eigentlichen Drehscheibe der Publishing-Prozesse, welche immer mehr Kanäle und Medien zu bedienen haben. Es ist also nicht mehr wie früher so, dass der Kunde der grafischen Industrie seine Inhalte per Datenträger oder E-Mail zum Publizieren übergibt und sich dann aus den Workflows auskoppelt. Vielmehr bleibt er intensiv in die Prozesse eingebunden, sei es automatisiert über seine Datenbanken oder selbst aktiv über Webportale. Es ist offensichtlich, dass die grafische Industrie durch diese neuen Workflows gefordert ist und in vielen Bereichen ihre neue Rolle erst finden muss.

Single Source Publishing

Ein zentraler Ansatz von Publishing- 3.0-Lösungen besteht darin, die vielfältigen Kanäle aus einheitlichen Quellen zu speisen. Man spricht hier von Single Source Publishing; ein hehres Ziel, das wohl an den wenigsten Orten schon konsequent umgesetzt ist. Auch wir beim Publisher sind noch weit davon entfernt. So müssen wir die Produktbeschreibungen der Shop-Artikel für das Heft, wie hier zum Beispiel auf der zweiten Umschlagseite die Pantone-Fächer, und unseren Webshop je separat pflegen. Eine Lösung wäre hier ein Produkt-Informations-System (PIM), in welchem die Produktbeschreibungen in kanalspezifischen Versionen verwaltet werden. Von hier aus würden dann alle Medien und Kanäle mit den spezifischen Inhalten bedient. In unserem Beispiel würde das heissen, dass wir bei einer Sortimentserneuerung bei den Pantone-Fächern die Texte zentral im PIM-System anpassen würden und diese Änderungen dann automatisch ins Heft-Layout und in den Webshop einfliessen.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass in der Praxis immer mehrere Datenquellen im Spiel sind. In unserem Fall also eine Quelle für die Shop-Artikel und eine andere für die redaktionellen Texte. Single Source Publishing soll also nicht heissen, das alle Inhalte aus ein und derselben Quelle kommen, sondern nur, dass die selben Inhalte in den verschiedenen Kanälen immer aus einer einheitlichen Quelle stammen. Also die Bilder aus dem Media Asset Management System (MAM), die Produktbeschreibungen aus dem PIM, die Texte aus dem Redaktionssystem usw. Eine effiziente Publishing-3.0-Lösung wird also so aussehen, dass viel Quellen viele Medien über viele Kanäle bedienen, ohne dass es dabei zu Doppelspurigkeiten kommt. Es geht somit darum, Prozesse zu vereinheitlichen und zu koordinieren. Dafür hat der durch die Crossmedia-Publi­shing-Plattform K4 bekannte Anbieter vjoon den Begriff Unified Publishing Process geschaffen, der dies treffend umschreibt.

Agiles Publishing

Die Herausforderung, unterschiedliche Kanäle und Medien zu bedienen verlangt nach neuen Workflows in der Vorstufe. Das Autorenteam um Georg Obermayr hat das mit dem Titel ihres neuen Buches prägnant auf einen Nenner gebracht. Sie sprechen hier von agilem Publishing. Das heisst, es sind dynamische Workflows gefragt. Anstelle der alten Wasserfall-Workflows treten neue Abläufe, bei denen es viel flexibler von Etappe zu Etappe (Sprints) vorwärts geht. Agil sein, also schnell und flüssig handeln können, dies ist nach Meinung der Autoren das neue Fundament für Publishing und Marketing. Das alte Silo-Denken, wo jeder sich auf seinen Bereich konzentrierte und kaum über den Tellerrand blickte, hat da keinen Platz mehr. Davon ausgehend haben die Autoren für das agile Publishing in der Vorstufe neue Rollen definiert. Diese reichen vom 360°-Medienproduktioner über den Storyteller bis zum Content-Strategen (siehe Publisher 4-13, Seite 16)

Tablets machen Druck

Selbstverständlich prägt Publishing 3.0 nicht nur die Vorstufe, sondern auch ganz entscheidend das Drucken. Was früher das Zentrum der grafischen Industrie darstellte, wird immer mehr zu einem Output-Kanal unter vielen degradiert. Auch beim Drucken werden die Workflows dadurch geprägt, dass der Kunde enger in den Prozess eingebunden wird. Drucksachen-Portale kommen dem entgegen, indem sich der Kunde damit in die IT des Druckdienstleisters einklinkt. Wie unser Interview mit Alex Sturzenegger von Printplus auf Seite 31 zeigt, eröffnet dies für die Druckdienstleister neue Chancen.

Nichtsdestotrotz wird Print immer mehr von den elektronischen Medien bedrängt, welche agiler sind und den heutigen Kommunikationsbedürfnissen oft besser entgegenkommen. In den letzten drei Jahren haben in diesem Bereich speziell die Tablets neue Akzente gesetzt. Hier entwickeln sich Software-Lösungen besonders dynamisch: Neben Adobe mit der Digital Publishing Suite (DPS) mischen hier viele Drittanbieter mit interessanten Lösungen mit (siehe Artikel Seite 24). Mit den Tablets lässt sich das Prinzip des agilen Publishing besonders schön umsetzen. Man kann rasch mit einem Sprint starten und die Publikation dann schrittweise aktualisieren und weiterentwickeln.

Ein wichtiger Vorteil des Publizierens via Tablets sind auch die Möglichkeiten, die Publikationen für unterschiedliche Zielgruppe anzupassen respektive zugänglich zu machen. Auch wir beim Publisher nutzen das bei unserer Kiosk-Lösung für das iPad. Über eine Benutzerverwaltung können wir die einzelnen Tablet-Ausgaben für Abonnenten gezielt freischalten, während Nicht-Abonnenten diese einzeln für 12 Franken erwerben können. Die Möglichkeit wollen wir künftig auch nutzen, um Goodies exklusiv für Abonnenten freizuschalten.

Agiler Digitaldruck

Bezüglich Agilität kann das Medium Papier noch am ehesten mittels Digitaldruck mit der elektronischen Konkurrenz mithalten. Print-on-Demand erlaubt es, Drucksachen nach Bedarf zu aktualisieren und mittels Print-to-Web können diese individualisiert Crossemdia-Kampagnen anstossen. Durch die grossen Entwicklungsschritte bei der Inkjet-Technologie wird der Digitaldruck jetzt nochmals zusätzlichen Schub gewinnen. Neben den grossen Rollendrucksystemen sind nun auch die ersten Bogen-Inkjetsysteme im Format 50 × 70 cm marktreif. Unser swiss publishing day am 20. Mai in Winterthur nimmt sich diesem Thema an und wird zeigen, wohin die Reise geht (siehe Kasten oben).

Publishing-3.0-Lösungen

Anwendungen und Lösungen mit Publishing-3.0-Funktionalität sind schon in grosser Zahl auf dem Markt. Dabei haben sich viele neue Begriffe und Schlagwörter herausgebildet. Hier ein Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit (Beispiele von Produkten in Klammern).

  • Datenbank-Publishing (DATAform von Gassenhuber; EasyCatalog von 65bit Software; InBetween; priint:comet von Werk II; Pageflex von Bit­stream; Xactuell von Codeware)
  • Web-Content-Management-Systeme (CMS) und Enterprise-Content-Mana­gement-Systeme (ECMS); datenbankgestütztes Publizieren (meist im Internet) mit anwenderfreundlichem Back-End zum Einspeisen und Aktualisieren der Inhalte (Drupal; DynPG; Joomla; OpenCms; Typo3; Typolight; WordPress).
  • Crossmedia Publishing, Single Source Publishing und Multi Channel Publishing, zum Teil auch einfach als Publishing-Systeme bezeichnet. Haben oft weitere, in diesem Kasten separat aufgeführte Funktionen wie Web-to-Print integriert (Author-it; Censhare; Contentserv; Flyer-Ex; ­publiXone; STEP von Stibo Systems).
  • Management-Informations-Systeme (MIS) mit JDF-Unterstützung für interne Workflow-Automatisierung und mit webbasierter Kundenanbin­dung zur Effizienzsteigerung bei externen Prozessen wie Revisionen und Gut zum Druck (Hiflex; Prinect Prinance von Heidelberg; Printplus; Syogra).
  • Web-to-Print zur Online-Erzeugung von Drucksachen (Chili Publish; iBrams von CDO; iBright der Kinetik GmbH; LeadPrint PrintLounge von Be.Beyond; one2edit von Kuhnert Mediasolutions; Pageflex von Bitstream; publiXone von Konzept-iX; trivet.net von G. Boretius).
  • Drucksachen-eProcurement, webgestützte Drucksachenbeschaffung.
  • Online Services wie Online Preflight oder Remote Proof (meinproof.de; proof-online.de; OneVision Asura Enterprise).
  • PIM-Systeme (Product Information Management) zum zentralen Ein­speisen von produktbezogenen Inhalten in die Prozesse. (CATS von ­Systemintegration; Hybris; insign; jCatalog; Noxum; priint:comet).
  • Media Asset Management zum Verwalten und Verteilen der Publishing-relevanten «Assets» wie Bilder, Grafiken, Videos usw. (Cavok von PEAK-14; Elvis von WoodWing; Picturepark von VIT; SixOMC).
  • Team-Publishing und Corporate Publishing mit Redaktionssystemen (vjoon K4; WoodWing Enterprise; Quark QPS).
  • Drucksachen-Webshops, siehe Marktübersicht Publisher 4-13.
  • Print-on-Demand mit Digitaldruck, Kurzfarbwerk- oder DI-Offsetdruck.
  • Variabler Digitaldruck und Transpromo zum Erstellen individualisierter Drucksachen auf Basis der Daten aus CRM-Systemen (Customer Relation Management).
  • Print-to-Web, Drucksachen als Brücken ins Web via Schnittstellen wie QR-Codes, Wasserzeichen oder Bilderkennung.
  • Tablet Publishing, Tablets als Publishing-Werkzeug oder als Medium, das aus Publishing-Systemen bedient wird (siehe Artikel Seite 24).

Was ist Publishing 3.0

Der Begriff Publishing 3.0 soll für eine neue Ära des Publishing stehen. Publishing 1.0 waren die Satz- und EBV-Systeme der 70er-Jahre, Publishing 2.0 war das Desktop-Publishing, und mit Publishing 3.0 kommen jetzt neue Publishing-Lösungen, welche einen hohen Grad an Automatisierung erlauben. Wir sehen Publishing 3.0 durch folgende Eigenschaften charakterisiert:

  • Prozessorientiert: Die althergebrachten Workflows funktionieren in der Regel als Einbahnstrasse. Publishing 3.0 basiert auf Prozessen, welche interaktiv ineinander verzahnt sind und die dynamische Aktualisierung von Inhalten an jeder Stelle des Prozesses ermöglichen.
  • XML-basiert: Bei der Interaktion zwischen den einzelnen Prozessen spielt XML als Basis für standardisierte Schnittstellen eine Schlüsselrolle.
  • Datenbankgetrieben: Inhalte (Assets) werden in Datenbanken verwaltet und von dort dynamisch in die Publishing-Prozesse eingespeist.
  • Internetgestützt: Das Internet wird als Prozessoptimierungsplattform für die Publishing-Prozesse genutzt.
  • Kundenzentriert: Der Kunde rückt ins Zentrum des Geschehens. Seine Datenbanken speisen die Publishing-Lösungen mit Inhalten, und über webbasierte Benutzerschnittstellen ist er fest in die Prozesse eingebunden.

Die Zeit ist reif!

Der Inkjet-Digitaldruck ist das Thema des swiss publishing day vom 20. Mai 2014 in Winterthur. Neben den drucktechnischen Aspekten kommen auch wirtschaftliche zum Zug, indem vielversprechende Geschäftsmodelle vorgestellt werden. Ein separater Themenblock zeigt auf, welche Chancen der Digitaldruck Prepress-Profis bietet und welche Kompetenzen künftig besonders gefragt sein werden.

Bis zum 31. März gilt für den Event ein vergünstigter Frühbucherpreis von CHF 190.–.

Weitere Infos unter: www.swiss-publishing-days.ch