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Rastersysteme gestalten

Typografie heisst nichts anderes als zweckdienliche Gestaltung. Ein Buch soll angenehm gelesen werden können, eine Zeitung übersicht­lich gestaltet sein und eine Verpackung soll zum Kauf animieren. Dabei sprechen wir von typografisch strukturierter Ordnung.

RALF TURTSCHI Wir sind heute in einer medialen Welt der visuellen Umweltverschmutzung angelangt. Ein erster Grund dafür ist der Selbstverwirklichungstrieb, gepaart mit den gestalterischen Werkzeugen, die es zulassen, dass jedermann gestalterisch und typo­grafisch tätig sein kann, der es will. Ein zweiter Grund ist die mangelnde Zeit für die typografischen Grundlagen in der Ausbildung von gestalterischen Berufen aller Ausprägungen. Es wundert also nicht, dass die typografische Ordnung zulasten des Wildwuchses immer wieder zurückgedrängt wird. Auf Zeiten des Chaos folgen Dekaden der Ordnung, des Minimalismus. Beginnen wir damit.

Typografie hat, unter anderen Aufgaben, Übersichtlichkeit und Struktur mittels Gliederung zu schaffen. Eine Textstruktur kann beispielsweise aus Titel, Untertitel, Absätzen, Fussnoten und Quellennachweisen bestehen. Eine Tabellenstruktur aus Tabellenkopf, Tabelle und Tabellenfuss. Eine Magazinstruktur aus verschiedenen Geschichten, Rubriken, Seitenzahlen, Satzspiegel, Farbkonzept, Schriftkonzept usw.

Systematik

Alle Gliederungsprinzipien haben zum Ziel, Ordnung zu schaffen, Gleiches gleich zu gestalten, optische Achsen zu erzielen, Ruhe und Rhythmus aufs Papier zu bringen, ohne an Dynamik oder Flexibilität zu verlieren. Die Ruhe ist sozusagen die Grundlage für die Flexibilität. Wer innerhalb einer gewissen Systematik Flexibilität anstrebt, gestaltet bewusster und gekonnter als jemand, der drauflos wurstelt. Ein Regelbruch innerhalb der Systematik ist etwas anderes als der permanente Regelbruch ohne Grundlagen. Ein Satzspiegel ist zum Beispiel eine solche Anlage, aber auch ein Farbkonzept oder Absatz- und Zeichenformate. Betrachten wir einmal die Systematik ­eines Rastersystems. Ein Rastersystem ist die Ausweitung eines Satzsspiegels (der vertikal gliedert) in die Horizontale. Es besteht aus einer Anzahl Zellen horizontal und vertikal mit Zwischenschlägen. Rastersysteme werden bevorzugt dort verwendet, wo wiederkehrende Elemente gestaltet werden müssen, zum Beispiel bei Büchern, Broschüren oder Zeitungen. Sie sind nichts anderes als willkommene «visuelle Krücken», mit denen vor allem grössere Projekte einheitlicher gestaltet werden können.

 

Rasterzellen

Die Rasterzellen nehmen Bezug auf die Grundschrift. Eine Zelle aliniert unten mit der Schriftlinie der Grundschrift, oben mit der Oberlänge oder der Mittellänge. Die Rasterzellen sind also teilweise identisch mit dem Grund­linienraster. In der Waagrechten gesehen, entsprechen eine oder mehrere Zellen der Spaltenbreite der Grundschrift (s. Abbildung rechte Seite, oben). Je feiner das Zellennetz angelegt wird, desto mehr Möglichkeiten bestehen später, Bilder und Texte darin zu gestalten. Was nicht heisst, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollen, denn auch mit einem Rastersystem lässt sich ein Chaos anrichten.

 

Rasterzellen im Fotobuch

Das digitale Fotobuch ist sehr gut geeignet, mit Rastersystemen vertraut zu werden, denn beim Fotobuch spielt der an sich erschwerende Faktor Text eine untergeordnete Rolle. Die Webportale bieten Rastersysteme als Gestaltungsvorlagen an, oder man kann sie einfach konstruieren. Die Grundlage bildet sicher einmal das Format, welches die Kamera erzeugt. Es gibt dabei die schlankere Proportion 3:2 und das behäbigere 4:3.

 

 

 

 

 

 

Wenn der Raster so angelegt wird, dass die Fotos wenig beschnitten werden müssen, hat man die halbe Miete. In einem A4-Fotobuch führen 6 × 7 Zellen zu anderen Bildproportionen als 6 × 9 Zellen. Für jedes Endformat muss man ein passendes Rastersystem entwickeln, was auch mittels Zeichnung auf Häuschenpapier getan werden kann.

Beim späteren Layout hat man die Bilder und Texte nun immer in diesen vorgegebenen Raster einzupassen, was zu einer einheitlichen Gestaltungssystematik führt. Zusätzliche Restriktionen bringen Ruhe in die Anlage. Man kann sich zum Beispiel die Einschränkung auferlegen, dass die unterste und die oberste Reihe von Zellen keine Texte und Bilder enthalten dürfen. Oder man kann die äusserste Kolonne von Zellen als breiten Rand stehen lassen. In der Systematik bleibt genügend Spielraum, Flexibilität mit Ruhe und Ordnung zu kombinieren. Man kann acht Seiten mit einzelnen, gleich grossen Bildern gestalten, gefolgt von zwei Seiten mit je acht Fotos. Eine bestimmte Dramaturgie schafft erst Spannung.

 

Literatur

Zwei Werke über Rastersysteme, erschienen im Niggli-Verlag, Sulgen: Josef Müller-Brockmann, «Rastersysteme für die visuelle Gestaltung»; Hans Rudolf Bosshard, «Der typografische Raster».

Fotobücher gestalten

Die Broschüre «Fotobücher gestalten» von Ralf Turtschi zeigt Wege zu ansprechend gestalteten Fotobüchern auf. Dieser visuelle Wegweiser ist unabhängig von einem Webportal, er geht auf alle gestalterischen Aspekte ein. Die verschiedenen Kapitel führen durch Themen wie Auflösung, Bildkorrekturen, Anfängerfehler, Rastersysteme, Anordnung von Texten, Umschlaggestaltung usw. Die Broschüre ist für alle geeignet, die bessere Fotobücher herstellen möchten und die mit ihren bisherigen Ergebnissen nicht ganz zufrieden waren. «Fotobücher gestalten» zeigt, wie man es macht.