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Schau mir auf die F�sse, Kleines

Dynamisch, schwungvoll, wacklig, edel, hölzern; der Charakter einer Schrift kann wunderbar umschrieben werden. Doch woran liegts? Sehen wir uns einmal die Serifen an …

Ralf Turtschi In der Schriftgestaltung der letzten 500 Jahre hat sich eigentlich nichts Wesentliches getan, und doch ist viel passiert. Im Bleisatz bis Ende der Siebzigerjahre hatte eine «normale» Setzerei weniger als 10 Mengensatzschriften zur Verfügung, heute sind es Hunderte, und täglich kommen neue dazu. Da mutet es schon etwas gewagt an zu behaupten, es hätte sich nicht viel getan. Im Bleisatz war das Gestalten ­einer Schrift eine Zeichnungsaufgabe mit einer aufwendigen technisch-metallurgischen Herstellung. Heute hat sich die Aufgabe auf den Computer verlagert, die technische Herstellung ist einfach, doch die Zeichenvielfalt in einem Charakterset hat enorm zugenommen, weil fremdsprachige Zeichen in unserer globalisierten Welt ebenfalls verlangt werden. Ein Alphabet hat nicht nur 26 Buchstaben und ein paar Interpunktionen, der Zeichensatz besteht oft aus 1000 und mehr Zeichen, dies in vier oder sechs Strichstärken, gerade stehend und kursiv, von schmal bis breit. Vierzigtausend und mehr Zeichen, die gehintet und gekernt werden müssen – eine ge-waltige Fleissarbeit. Die bekannteste alte Serifenschrift ist wohl die Cicero, von Claude Garamond 1530 geschaffen, später in Garamond umbenannt. Die Garamond existiert heute in vielen Nachahmungen: Adobe Garamond, ITC Garamond, Simoncini Garamond, Berthold Garamond usw. Sie gilt auch heute noch als Vorbild an Leserlichkeit und Ausgewogenheit. Wie weit die Serifen damals als abgespeckte Antwort auf die Schnörkel und Anstriche gebrochener Schriften gelten können, weiss ich nicht. Die gebrochenen Schriften sind jedoch weitgehend aus unserem Alltag verschwunden, während sich die Serifenschriften bestens behaupteten. Oder doch nicht? Im Corporate Design grosser Gesellschaften finden sich grösstenteils serifenlose Schriften (Grotesk), die Werbung ist voll davon, im Fernsehen und im Internet sieht man kaum Serifenschriften (Antiqua). Die haben dafür eine starke Stellung, wenn es um Mengensatztexte geht, in Büchern, Zeitungen und Magazinen findet man vornehmlich Serifenschriften im Grundtext. Offenbar hält sich das Gerücht, Serifenschriften seien per se besser leserlich als serifenlose Schriften. Das wurde hingegen schon längst widerlegt. Neben der Form sind auch andere Faktoren wie Grösse, Buchstabenabstand, Zeilenbreite, Zeilenabstand, Schriftfarbe usw. wichtig. Es gibt sowohl bei Antiquaschriften wie auch bei Groteskschriften gut und weniger gut leserliche Typen. Im Mengensatz sind Serifenschriften jedoch Platz sparender, weil sie mit etwas weniger Zeilenabstand auskommen als Serifenschriften.

Neben dem Aspekt des Ausschmückens der Buchstaben sind Serifen auch für den Kontrast der Schrift verantwortlich, also das Verhältnis der dünnsten zu der dicksten Strichstärke. Eine kontrastreiche Schrift wirkt lebendiger als eine gleichförmige. Serifen dienen auch zur Differenzierung von Buchstaben. Beispielsweise können das grosse I und das kleine l in einer Serifenschrift besser auseinandergehalten werden. Oder die Buchstabenfolge rn kann in einer Groteskschrift eher als m interpretiert werden als in einer Antiquaschrift.

Wenn man in die Schriftgeschichte taucht und sich die Füsschen einmal näher betrachtet, dann findet man ein paar interessante Merkmale. Betrachten wir einmal die Unterseite des ­Fusses beim r. Fast alle Designer gestalten den Fuss horizontal, topfeben. Der Garamond-Vorzeigefuss ist aber etwas gebogen! Auch Frutiger hat mit seiner Meri­dien den menschlichen Fuss nachgebildet mit einer anatomisch anmutenden Kehlung. Doch die Plattfüs­se beherrschen das Feld. Interessant auch, wie die Gestalter mit Winkeln umgehen, die jede Schrift kantig machen. Auch der Vergleich der Anstriche oben links und der Tropfenform des r sind eine nähere Betrachtung wert. Kann man da und dort Opulenz oder Einfachheit herauslesen? Welche neuen Entwicklungen haben die Gestalter geleistet, was wurde nachinter­pretiert? Was wird auch heute noch als schön empfunden, was sind einfach Designmarotten und Stilblüten? Die abgebildeten Buchstaben sind alle 160 Punkt gross – wie haben sich doch auch die Proportionen mehrmals verändert!