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Tradition und Moderne?

 

RALF TURTSCHI Das Corporate Design besteht aus unterschiedlichen visuellen Elementen, die sich im Markt entwickeln und verändern. Es handelt sich um die Marke (Logo, Signet), die Typografie, Farben und Materialien wie Bedruckstoffe oder Inneneinrichtungen. Corporate Design ist ein Teil der Corporate Identity und das visuelle Erscheinungsbild wiederum ist ein Teil des Corporate Design. Die Marktveränderungen bringen es automatisch mit sich, dass das Erscheinungsbild immer wieder angepasst oder neu definiert werden muss. Zum Beispiel, wenn ein Unternehmen oder ein Produkt übernommen wird, wenn die Firma neu strukturiert wird oder in neue Märkte vorstösst.

Das Erscheinungsbild zu erneuern, ist deshalb keine Aufgabe von gigantischer Bedeutung. Es passiert täglich, überall auf der Welt. Und trotzdem wird die «persönliche Visitenkarte» oft zur Chefsache erklärt. Die Motivation dazu ist die Verlustangst. Die Chefs kennen ihren Anzug, der ihnen lieb und teuer geworden ist, und scheuen den Gang ins Ungewisse.

Es gibt Marken wie Coca-Cola, die existieren in ihrem alten Kleid schon seit Ewigkeiten. Andererseits gibt es bedeutende Marken wie Nike, die sich den Luxus von verschiedenen Logos oder Schriftzügen leisten, ohne deswegen unter Umsatzrückgang zu leiden. Der in solchen Prozessen natürlich vorhandenen Angst vor dem Gesichtsverlust steht die Chance gegenüber, als innovativ zu gelten. Die Empfänger des visuellen Erscheinungsbildes gewöhnen sich in der Regel rasch ans neue Gesicht – kann sich jemand heute noch erinnern, wie die Logos von Credit Suisse, UBS, Coop, Raiffeisen oder Swisscom vor dem Redesign ausgesehen haben? Trotzdem steht beim Vorhaben, das Logo anzupassen, Wiedererkennbarkeit meist zuoberst auf der Wunschliste. Man möchte zuerst einmal sehen, ob es auch ganz sachte geht. Erst während des Gestaltungsprozesses lassen sich Kunden überzeugen, dass ein neues Logo nicht wehtut und unter dem Strich Vorteile bringt, sofern man es richtig anpackt. Der Spagat zwischen Tradition und Moderne ist schwer realisierbar, und ein Kompromiss ist in der visuellen Gestaltung nie so gut wie eine perfekt getrimmte Lösung. Deshalb sollte Unternehmertum und nicht zweiflerische Ängstlichkeit der Antrieb für das neue Erscheinungsbild sein.

Das hier vorgestellte Redesign wurde von der Agenturtschi, visuelle Kommunikation, Ende 2007 gestaltet und umgesetzt. Docucom AG, Rapperswil, (www.docucom.ch) ist ein renommiertes Beratungsunternehmen, welches IT-Lösungen mit Schwerpunkt für die Finanzindustrie anbietet. Es geht um Transaktionsdruck, um den Workflow von Kundendaten, Vermögensdaten, Aktienkursen, die aus den Datenbanken exportiert und zu Gutschriftsanzeigen, Kontoauszügen, Vermögensreports usw. konvertiert, gestaltet und ausgedruckt werden. Die digitalen Transformationsdrucke werden vollautomatisch kuvertiert und postsortiert in den Rechenzentren ausgegeben. Dass der Kontoauszug von Müller nicht bei Meier landen darf, versteht sich von selbst.

Ein unsicheres Bauchgefühl mit dem bisherigen Logo im Zusammenhang mit einem bevorstehenden Umzug gab den Ausschlag, über ein Redesign nachzudenken. Bisher wurden dafür die Schrift Neutraface verwendet und als Hausfarbe Panton Blue 072. In einem ersten Schritt wendeten wir uns dem Logo zu. Logos sind dann gut, wenn sie das Gesetz der Prägnanz erfüllen, deshalb dürfen sie nicht zu kompliziert gestaltet sein. Ein gutes Logo funktioniert auch in Schwarz. So beginnen wir wie bei jedem Logo ohne Farben zu arbeiten, die erst später hinzugestaltet werden. Die verschlungenen Buchstabenformen von D und C ergeben eine wenig harmonische Form. Wir ordneten die beiden Wortteile in möglichen Kombinationen neu an und stellen fest, dass die runden Innenformen von o und c auch bei den bisher grossgeschriebenen Anfangsbuchstaben vorkommen. Kleingeschrieben sieht das Wort dynamischer aus – o, d und c haben die gleiche Grundform. Weiter veränderten wir die Buchstabenabstände und die Farben, wir alinierten die beiden Wortteile links oder rechts. Als Vorlagenschrift kam die Avenir von Adrian Frutiger zum Einsatz, die in vielen Buchstaben und vor allem in den Zahlen eine markant bessere Qualität als die Neutraface aufweist, jedoch ähnlich aussieht. Im direkten Schriftvergleich fiel es Docucom nicht schwer, sich für die bessere Schrift zu entscheiden. Die Avenir ist für mich zurzeit die schönste der «konstruierten» Groteskschriften, zu denen auch die Futura oder die Avant Garde zählen. Passend zum Unternehmenszweck entwickelten wir ein Signet in Form dreier gestapelter Papierblätter. Als neue Hausfarbe entschied sich der Kunde für ein gebrochenes Blau, Pantone 280. Eine Zusatzzeile sollte ursprünglich die drei Unternehmensteile «Document Company», «Document Solutions» und «Document Migration» repräsentieren. Häufig ist aber eine solche «Markierung» eines Brand in der Praxis mit Komplikationen verbunden. Kleingedruckt kann man die Zusatzzeile nicht lesen und bei übergreifenden Anwendungen weiss man nie, welche Zeile nun eingesetzt werden soll. Deshalb gehören Zusatzzeilen nicht ins ­Logo, man kann sie ja in die Typografie integrieren. Der Entwicklung von Logo, Farben und der Schriftwahl folgten die Gestaltung von Geschäftsausstattung, Vorschläge für die Beschriftung, für eine PowerPoint-Masterfolie und die Website.

Bisher wurden Mainstreambilder von Bilddatenbanken verwendet. Bilder in ein Erscheinungsbild stimmig zu integrieren, ist schwieriger als die vorangegangenen Schritte, weil die neuronale Zuordnung eines bestimmten Bildes zum Unternehmen komplexer verläuft als beim Logo. In einer Bildsprache geht es um Konstanz und Variable. Bei Docucom kommen Fotos oder freie Bildkompositionen aus der Praxis zur Anwendung. Mit der Bilderwelt wird ein massgeschneiderter Bezug zum Unternehmen geschaffen. Bilder, die tausendfach im Umlauf sind, verwässern die Bemühungen, Unternehmen zu differenzieren. Bilddatenbanken sind deshalb zwar günstig, aber nicht treffend. Unsere Bildkompositionen und die sie umspielenden Linien sind die Variable, die blaue Farbgebung bleibt konstant. Eine Bildsprache muss so ausgelegt sein, dass sie frei für alle möglichen Zwecke weiterentwickelt werden kann. Es scheint nicht sinnvoll, beim Logo und bei anderen Bestandteilen des Erscheinungsbildes den Massanzug zu entwickeln und dazu die Bilder ab Stange einzukaufen.

Bei bestimmten Entwicklungsstufen kann sich der Kunde immer wieder äussern. Damit werden Leerläufe ausgeschlossen, Designs zu entwickeln, die sowieso irgendwann wieder verworfen werden müssen. Es kommt am Schluss nur ein Logo zur Anwendung. Nie soll die Menge an Vorschlägen über den Mangel an Qualität hinwegtäuschen. Der Kunde wählt lieber zwischen zwei guten Lösungen als zwischen zehn Fleissarbeiten. Am Schluss zählt das verwirklichte Resultat und nicht die Anzahl Vorschläge.

Die gewählte Lösung hat ihre Wurzeln im alten Erscheinungsbild, sie zeigt jedoch Emanzipation im Formalen und im Typografischen. Haben wir damit den anfänglich gewünschten Spagat geschafft? Nein, denn beim genaueren Hinsehen überwiegt das Neue.