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Der Spielball des Monopolisten

Adobe stellt Muse Knall auf Fall ein. Das irritiert viele Anwender und wirft Fragen zum Monopol von Adobe auf. Wie will die Firma aus dem Silicon Valley uns arbeiten sehen und was machen eigentlich die Mitbewerber?

Andreas Burkard2003 wurden Adobes wichtige Meilensteine im Buch «Inside the Publishing Revolution – The Adobe Story» von Pamela Pfeiffner veröffentlicht. Im Vorwort schreiben die Gründer John Warnock und Chuck Geschke über Frustration, die lange Wartezeit, dass trotz intensiver Forschung und viel Pioniergeist keine ihrer Ideen handfeste Lösungen brachte. Als dann in den Jahren 1986 und 1987 mit Postscript die Seitenbeschreibungssprache auf den Geräten von Apple eingesetzt wurde, realisierten die Gründer, dass die Welt der Grafik, des Druckens und des Publizierens nie mehr dieselbe sein würde. Warnock und Geschke waren plötzlich die Haupteinflösser einer gesamten Industrie, die auf über 500 Jahre Tradition zurückblickt. Die Welt war bereit für ihre Erfindungen, die Revolution des Desktop-Publishing.

Die Entscheidungen der Firma beeinflussten die Form des Publizierens. Mit dem Wachstum Adobes wuchs auch deren Einfluss. Die Firma hat in kurzer Zeit entscheidend dazu beigetragen, die Welt der gedruckten Kommunikation von einem manuellen, mechanischen Prozess in einen vollständig digitalen Workflow zu transformieren. Da nach und nach sämtliche Kommunikationstechnologien auf digital umgestellt wurden, erweiterte Adobe ihre Produkte für Fotografie, Videoproduktion, Animation und das noch junge World Wide Web.

2003 folgte die Produktbündelung zur Creative Suite, zehn Jahre später wurde ohne Wenn und Aber auf das Mietmodell Creative Cloud umgestellt. Der Aktienkurs hat sich seither vervielfacht, die Einnahmen sprudeln nun kontinuierlich. Im Jahr 2017 betrug der Umsatz 7,3 Milliarden US-Dollar und die längst pensionierten Gründer sonnen sich in ihren Legenden.

Abhängigkeit durch Mietmodell

Zweifellos ist der Werdegang von Adobe aussergewöhnlich. Wir alle waren immer wieder beeindruckt von spannenden Neuerungen und Verbesserungen, etwa die verbesserten Retuschewerkzeuge in Photoshop. Am Anfang gab es nur den Kopierstempel, der die Pixel eines anderen Bereiches überträgt. Adobe erweiterte dann vor etwa zehn Jahren die Bildretusche durch die Bereichsreparatur und das Ausbessern. Bald wurde in diese Werkzeuge die inhaltsbasierende Methode integriert. Wie mit dieser Funktion eine nahtlose Überblendung mit dem umgebenden Inhalt möglich ist, das erstaunt noch heute so manchen professionellen Anwender.

Doch für viele Anwender hat Adobe den mit Postscript, PDF, Photo­shop und Co. erarbeiteten Bonus verspielt. Der Grund ist nebst dem polarisierenden Abomodell auch die zunehmende Missgunst gegenüber der Abhängigkeit, dem gesteuerten Arbeiten und relativ wenig Innovation in den Standardprodukten.

Das Bewusstsein nimmt zu, dass wir nebst den Produkten auch gewissermassen unser gesamtes Datenarchiv bei Adobe mieten: Ohne gültiges Abo sind unsere Dateien wertlos! Als Gegenargument lässt Adobe gerne verlauten, dass man mit der Creative Cloud die Softwarepiraterie in den Griff bekommen hat. Doch das ist wohl bloss die halbe Wahrheit. Man kann davon ausgehen, dass es mit krimineller Energie möglich ist, jede installierte Software zu hacken, auch die einer Creative Cloud.

Die Wahrheit liegt eher in den kontinuierlichen Einnahmen, die jetzt greifen. Und die bewusst herbeigeführte Abhängigkeit erlaubt, nach Gutdünken an der Preisschraube zu drehen. Solches lässt sich an den Type­kit-Mietschriften ablesen: Vermehrt entdeckt man Schriften oder Schriftschnitte, die mit zusätzlichen Gebühren verknüpft sind.

Wir müssen unter dem Zwangsabo jede Entscheidung des Riesen aus dem Silicon Valley mittragen, auch wenn dienliche Produkte eingestellt werden. Jüngstes Beispiel ist Muse.

Das Schicksal von Muse

Adobe hat Muse erst noch vor acht Jahren gross angekündigt. Muse macht Webdesign für designorientiert denkende Menschen möglich. Bei der Bedienung hatte Muse InDesign als Vorbild. Die Werkzeuge und viele Vorgänge wie Seiten und Musterseiten sind daran orientiert. Anwender konnten sich auf Optik und Interaktion konzentrieren. Sie mussten sich nicht mit Code und Stylesheets befassen. Muse etablierte sich auch an den Berufsschulen schnell zum Ausbildungsinstrument für Webdesign. Zum ersten Mal ging gestalterische Kompetenz derart einfach online. Viele mit Muse gestaltete Websites sind beeindruckend.

«Erstellen Sie mit Adobe Muse grossartige responsive Websites ohne kreative Einschränkungen und ohne Programmierung» – diese Eigenwerbung klingt heute in manchen Ohren nur noch als Hohn. Kalt und unerwartet hat die Nachricht viele Anwender erwischt. Etliche Agenturen und manch ein selbstständig Erwerbender haben in den letzten Jahren Websites für ihre Kunden mit Adobe Muse gestaltet und veröffentlicht. Das bringt nun den einen oder anderen Leistungserbringer in Erklärungsnotstand. Manchen gar in existenzielle Bedrängnis.

Für Adobe ist Muse nun plötzlich am Ende des «Lebenszyklus» angelangt. Muse hätte ungenügende Schnittstellen. Als weitere Gründe nennt Adobe die «veränderten Anforderungen der Designwelt». Designer mit grossen, individuellen und komplexen Websites arbeiten laut Adobe zunehmend mit Entwicklerteams zusammen.

Die Tatsache, dass Muse kein natives Content-Management-System hatte, machte Adobe Business Catalyst wett, was nun ebenfalls eingestellt wird. Doch längst nicht alle Webprojekte beruhen auf einem CMS.

Adobe verweist bei Alternativen auf das teamorientierte UI/UX- und Proto­typing-Tool Adobe XD hin. XD steht für Experience Design. Dabei handelt es sich um ein vektorbasiertes Tool, mit dem Erscheinungswelten für Websites und mobile Apps entworfen und Prototypen dafür erstellt werden. Adobe XD erzeugt keinen webfähigen Code, wie dies Muse getan hat. XD ist eine Lösung für den Entwurf und die teamorientierte Arbeit mit Interessengruppen. Erst danach werden die Websites zum Leben erweckt. Viele werden dabei auf Dreamweaver zurückgreifen.

Im Abo der Creative Cloud ist weiterhin Adobe Spark enthalten. Spark orientiert sich am visuellen Storytelling für das Web und Social Media und richtet sich laut Adobe an Einzelunternehmer, Social-Media-Marketingfachleute und Studenten. Doch XD und Spark sind ein ganz anderer Ansatz und keine Alternative zu Muse. Wer jetzt nach Alternativen sucht, muss wohl auf WordPress, Webflow, RapidWeaver zurückgreifen und nach sonstiger Freeware Ausschau halten. Unzählige Plug-ins erweitern deren Möglichkeiten.

Muse hätte neben weitergehenden Lösungen durchaus seinen Platz gehabt. Ein weit entwickeltes, gut eingeführtes und mit anderen Adobe-Anwendungen bestens verzahntes Produkt lässt man nicht einfach fallen. Das Aufgeben von Muse ist verantwortungslos. Die damit erstellten Websites werden nun ihrem Schicksal überlassen. Technische Unterstützung gibt es noch bis zum 26. März 2020. Diese Geschichte wäre mit einer höheren Wertschätzung des Kunden anders verlaufen.

Muse wird fallen gelassen, weil Adobe sich von den Erstellern von «Do-it-yourself-Websites» bedrängt fühlte. Diese Baukasten-Websites können von Designern oder einem Kunden leicht geändert werden. Denkbar ist auch, dass die Weiterentwicklung von Muse nicht ins Budget passte. Neue Lösungen lassen sich wohl noch besser mit Services und Diensten verknüpfen. Think big! – nach diesem Mantra ist der eingeschlagene Weg mit Adobe XD gewinnbringender.

Gelenktes Arbeiten

Die Liste der eingestellten Produkte ist lang. Dazu gesellt sich auch Fireworks. Dieser Photoshop fürs Web wurde trotz Protesten vieler eingefleischter Anwender ebenfalls eingestellt. Wenn etablierte Produkte zum Spielball von Unternehmensentscheidungen werden, so erschüttert dies das Vertrauen.

Demgegenüber sind bei den Standardprodukten seit Einführung des Zwangsabos wenige Neuerungen und Verbesserungen zu verzeichnen. InDesgin, Illustrator und Photoshop bekommen bei einem neuen Release tröpfchenweise da und dort ein paar Anpassungen. Gerade so viel, dass man das Gesamte als neue Version anpreisen kann. Wobei vieles überfällig ist. So verfügt beispielsweise Illustrator nach wie vor nicht über eine zufriedenstellende Diagrammfunktion und viele Filter sind in Photoshop nach wie vor ohne Vorschau. Produkte wie beispielsweise Animate CC werden kaum weiterentwickelt, obwohl eine Fehlerbeseitigung dringend nötig und Verbesserungsbedarf vorhanden ist.

Lieber widmet sich Adobe den Tendenzen und inszeniert auch mal Trends, nur um damit auf eigene Lösungen zu verweisen. Adobe will uns mit den eigenen Produkten so arbeiten sehen, wie dies dem Unternehmen dient. Erklärtes Ziel von Adobe war früh die Ausbreitung ihrer Produkte in Bereiche ausserhalb der grafischen Branche. Diese Zielgruppe wurde kräftig umworben. Längst arbeiten viele Marketingfachleute mit der Creative Cloud. Ihnen kommt die vermehrte Bereitstellung von Vorlagen sehr gelegen. Die Bezugsquelle für Bilder, Vorlagen und Videos über Adobe Stock ist schnell, einfach und wird rege genutzt.

Die Marketing Cloud

Das Portfolio von Adobe ist nicht auf die Creative Cloud beschränkt. Marketingfachleute haben wesentlich mitgeholfen, den Namen Adobe in die Entscheidungsetagen der Unternehmen zu bringen. Für viel Geld hat Adobe vor Jahren Firmen übernommen, die inzwischen als Experience Manager in Erscheinung treten. Adobe bietet Lösungen für digitales Marketing, die Marketing-Content organisieren, personalisieren und Einblicke in Massnahmen ermöglichen.

Der Adobe Experience Manager kann Erlebniswelten erzeugen, welche weit über klassische Websites hinausgehen. Dahinter steckt die Arbeitsweise der Erfassung der richtigen Zielgruppe. Dem Kunden werden für seine Produkte neue Erlebnisformen für Web und Mobile ermöglicht und durch permanente Überwachung der Online­aktivitäten segmentierte Zielgruppen bereitgestellt.

Alternativen entstehen

In den letzten Jahren hat der Ausbau des Monopols ernst zu nehmende Alternativen praktisch verunmöglicht. Entwickler waren lange erstarrt und zurückhaltend. Da und dort entstanden Freeware-Produkte. Die Unsicherheit beim Einsatz solcher Produkte in Bezug auf die Beständigkeit eines Entwicklers birgt ein gewisses Risiko. Das alles hat sich nun verändert. Wer heute für Grafikdesign nach Alternativen Ausschau hält, wird fündig und kommt an Namen wie Quark und Serif nicht mehr vorbei. Es werden dabei nicht alle Sparten abgedeckt, doch so mancher Kunde macht sich bereits heute Gedanken, dank dieser Alternativen das eine oder andere Zwangsabo zu künden.

Quark bringt mit XPress 2018 Print und Digital Design auf ein neues Niveau. Und dies ganz ohne Abo. Man sollte dabei den Fokus nicht auf den Funktionsvergleich mit InDesign richten. Der Funktionsumfang ist im Wesentlichen identisch, nun für manch einen Kenner gar bei XPress grösser. Entscheidender ist, dass XPress 2018 via IDML InDesign-Dokumente öffnen kann, über einen zuverlässigen PDF-Export verfügt und im Bereich Digital Design einen ganz anderen Ansatz verfolgt, als Adobe dies mit InDesign und der damaligen Digital Publishing Suite (DPS) machte.

Für Digital Design kann XPress 2018 nun direkt Single Apps für iOS- und Android-Geräte erstellen. Ausgestattet mit den nötigen Zugangsangaben dieser Stores, vermag XPress die Dokumente mit HTML5-Interaktionen ohne Umweg zu veröffentlichen. Zur Erinnerung: Mit InDesign ging dies nur umständlich über den Folio Builder, wo zu Beginn eine Single App für iOS kostenlos veröffentlicht werden konnte. Weitere Möglichkeiten verknüpfte Adobe mit kostenpflichtigen Modellen. Dann die Kehrtwende: Single Edition wurde eingestellt. Auch die DPS löste sich quasi in Luft auf. Rückblickend war das Ganze eine permanente Baustelle, die den einen oder anderen Anwender und wahrscheinlich auch die Entwickler fast zur Verzweiflung trieb.

Die im englischen Nottingham ansässige Firma Serif hat lange Software für Windows entwickelt. Unter dem Brand Affinity ist eine neue, plattformunabhängige Produktlinie professioneller Grafiksoftware entstanden. Diese Programme wurden von Grund auf komplett neu erstellt, tragen keine Altlasten mit sich und sind für den Workflow von Kreativprofis optimiert.

Serif hat die Zeichen der Zeit erkannt. Die Produkte werden als reine Kaufprodukte angeboten. Affinity Photo kostet 48 Franken und ist eine Alternative für die alltäglichen Arbeiten mit Photoshop. Affinity Photo kennt unter anderem Ebenen, Ebenenmasken, die professionelle Retusche, Tonwertkorrektur, Gradationskurve, Schwarz-Weiss-Abgleich, die Raw-Bildbearbeitung und auch eine Stapelverarbeitung. Und Affinity Photo kann das Photoshop-eigene PSD-Format bearbeiten.

Der Affinity Designer ist ein schnörkelloses Grafikprogramm, unter dem das Zeichnen mit dem Zeichenstift sogar angenehmer ist als mit Illustrator. Affinity Designer besitzt für alltägliches Arbeiten einen praktisch identischen Funktionsumfang wie Illustrator. Das Programm kennt zwar aktuell keine Bildnachzeichnung, doch selbst das nicht alltägliche Tracen von Bitmaps steht laut dem Hersteller bereits in der Agenda. Fehlendes soll rasch als Update nachgeliefert werden. Innovation scheint bei dieser Firma spürbare Leidenschaft zu sein.

Fehlt noch ein robustes Layoutprogramm. Und genau dies wird noch in diesem Jahr als Affinity Publisher geliefert, ebenfalls für 48 Franken und ohne Zwangsabo. Details zu Affinity Publisher sind im Moment noch vage, aber ein bereits auf YouTube veröffentlichtes Video ist vielversprechend. Weiter unterstützt Serif den kreativen Workflow mit Apps für das iPad.

Fazit

Solange man kommerziell mit der Adobe Creative Cloud arbeitet, ist der Abopreis (zumindest in unseren Breitengraden) in Ordnung. Auch ge­hört es bei vielen zum marktwirtschaftlichen Verständnis, dass eine börsennotierte Firma dem Gewinnstreben verpflichtet ist und letztlich die Teilhaber profitieren wollen. Aus dieser Sichtweise hat Adobe in den letzten Jahren alles frühzeitig erkannt und richtig umgesetzt.

Es gehört jedoch auch zu unserem marktwirtschaftlichen Verständnis, dass Fortschritt nur unter Wettbewerbsbedingungen gedeiht. Dass unterdessen fassbare Produkte ohne Zwangsabo entstanden sind, ist ein erfreulicher Fortschritt und wird hoffentlich noch einiges auslösen. Grafikdesign wird auch digital von vielen nach wie vor als Handwerk verstanden. Grafikdesign ist ein Seh- und Wahrnehmungsprozess mit Wissen und Erfahrung über Schrift, Bild, Form, Wirkung und zielgruppengerichteter Gestaltung. Es ist weit mehr, als bloss Ideen zu kopieren, Vorlagen abzufüllen, Bilder zu beziehen und nach der Pfeife eines US-amerikanischen Tech-Giganten zu tanzen. Vermehrt haben Kreativprofis heute auch ein anderes Verständnis für Veränderungen, als Adobe ihnen dies vorgeben will. Grafikdesign soll nicht noch mehr zum Spielball eines Monopolisten werden. ↑

Andreas Burkard erstellt als Grafikdesigner Konzepte für Print, PDF und interaktive Medien. Seit vielen Jahren ist er in der Publishing-Ausbildung und deren Workflow engagiert. Er unterstützt Firmen in Konzeption und Schulung beim Aufbau ihrer eigenen Projekte.

www.BurkardPublishing.ch