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Das World Wide Web und seine Auszeichnungssprachen

Der Begriff Sprache ist hie und da irreführend; so werden Auszeichnungs- beziehungsweise Markierungs­sprachen von keinem Menschen gesprochen. Und trotzdem nutzen wir sie als mächtige Kommunikationsform täglich – auf die eine oder andere Art.

Jürgen Franck Die Welt der gedruckten Kommunikation ist, um es mit den Worten von Theoder Fontane zu sagen, «ein weites Feld»: Von der Geburtstagskarte bis zum Familienbüchlein, vom Etikett bis zum Plakat, vom Flyer bis zum Kataloge verstehen wir darunter die Möglichkeiten, um Informationen oder Werbebotschaften zu vervielfältigen.

Print, wie dieser Bereich oft auch genannt wird, hat grosse Veränderungen hinter sich. Das zeigte auch die letzte Ausgabe des Publisher auf, die sich schwergewichtig dem Thema Drucksachen-Webshops widmete und dessen aktuelle Trends zeigte.

Doch nicht nur die Art und Weise, wie Druckerzeugnisse gefertigt wer-den, ist Veränderungen unterworfen. Der Umgang mit und die Bereitstellung von Informationen hat sich durch elektronische Medien verändert und damit auch verlagert. Drehen wir es anders herum: Es müsste heute viel mehr gedruckt werden, wenn die elektronischen Medien nicht zur Verfügung stünden. Dabei handelt es sich primär um diejenigen Medienkanäle, die kurzlebige Inhalte verbreiten, oder um solche, bei denen Anwender die Informationen nicht nur nach einem (vorgegebenen) Kriterium, sondern nach unterschiedlichen Kriterien suchen beziehungsweise abrufen möchten.

Verleger von Zeitungen und Zeitschriften oder Herausgeber von Katalogen, Nachschlagewerken und Lexika spüren diese Veränderungen seit Längerem. Die meisten dieser Informationsanbieter kommen nicht mehr um elektronische Pendants zu ihren klassischen Verlagsobjekten herum und bieten oft alle oder Auszüge ihrer Informationsangebote primär auf ihren Websites an.

Alles begann in Genf

Wie kam es dazu? Was hat dazu geführt, dass ein «Informationskanal» wie die Tageszeitung, ein vor mehr als 400 Jahren erstmals herausgegebenes Druckerzeugnis, heute zu einer gefährdeten Spezies gezählt werden kann ?

Wer die Eröffnung der Olympischen Spiele mitverfolgt hat, kann sich bestimmt an den Umbau des Stadions zur gigantischen Dampfmaschine erinnern. Wie kaum eine andere Maschine hat die von James Watt entscheidend verbesserte Maschine dem Menschen Schwerstarbeit abgenommen. Sie war nicht zuletzt dank ihres dahinterliegenden Konzepts für die Epoche der Industrialisierung von zentraler Bedeutung, weil sie auf faszinierende Art und Weise ermöglichte, unterschiedlichste Maschinen zu betreiben. Keine Maschine sollte in der Folge die Arbeitswelt nachhaltiger verändern.

Die Briten haben sich in der Eröffnungszeremonie vor allem selbst ge­feiert. Neben Rowan Atkins alias «Mr. Bean» und Fussballstar David Beckham wurde dann eine in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannte Person gezeigt: Tim Berners-Lee. Er sass vor einem riesigen Computer, sodass man im ersten Moment vermuten konnte, dass ihm die Erfindung des Computers zu verdanken sei. Getan hat er vor den Millionen weltweit vor den Fernsehern oder anderen Empfangsgeräten etwas, das heute pro Sekunde millionenfach stattfindet: Er hat einen Tweet mit der simplen Botschaft «This is for every­one» abgesetzt. Und tatsächlich ist seine Erfindung heute für jedermann: Damals war es nicht absehbar, aber seine Errungenschaften haben die Welt stärker geprägt und verändert, als uns vielleicht bewusst ist.

Zwischen Watt und Berners-Lee gibt es Parallelen – und auch Unterschiede. Die Bedeutung der Errungenschaften von Watt können wir heute nur noch erahnen; die ersten Entwicklungen von Berners-Lee haben viele Leserinnen und Leser miterlebt. Es geht um seine «Erfindung» einer Auszeichnungs- beziehungsweise Markierungssprache, die sich HTML nennt. Technisch betrachtet erledigt diese nur etwas fast schon Belangloses: HTML ermöglicht Verknüpfungen zwischen Inhalten. Berners-Lee wollte sich und seinen Kolleginnen und Kollegen damit die Arbeit am Kernforschungszentrum (CERN) in Genf erleichtern. Dort wurden Unmengen von Informationen generiert; sie waren aber dann – wenn überhaupt – nur rudimentär miteinander verknüpft. Die von Berners-Lee entwickelten Hyperlinks schlossen genau dieses Manko: Sie stellen eine «einzigartige» (unique) Verbindung zu einer «Ressource» her – und heissen daher auch Unique Resource Locator. Besser bekannt sind sie uns heute als URL.

HTML war nur der Anfang

Berners-Lee ist aber nicht nur ein cleverer Informatiker, sondern er ist auch ein guter Stratege. Es ist ihm gelungen, mit HTML einen weltweiten Standard zu etablieren und diesen in ein durch ihn gegründetes Konsortium einzubringen, das sich gleich noch der Weiterentwicklung des Standards annimmt. Das erst etwas mehr als zehn Jahre junge HTML spielt dank seiner Weitsichtigkeit heute bei der Aufbereitung und Verbreitung von Informationen eine massgebliche Rolle. Der HTML-Standard und dessen Vokabular wurden und werden laufend verbessert und wie heute üblich fortlaufend nummeriert: So ist heute die Version 4.01 aktuell; das derzeit hoch gehandelte HTML 5, dessen Grundzüge schon bekannt sind, wird für das Jahr 2014 in Aussicht gestellt.

Webpublishing – Publizieren für das Web

Die Anforderungen, um Informationen mittels HTML über den Kanal Internet zu veröffentlichen, sind relativ gering. Vermutlich hat dieser Vorteil HTML letztlich auch zum Durchbruch verholfen. Ein beliebiger Texteditor, der unformatierten Text ausgeben kann, genügt bereits. Dazu das aus den achtziger Jahren bekannte Client-Server-Prinzip, die Verkabelung samt TCP/IP-Protokoll, und schon lassen sich Texte weltweit und heute in Sekundenbruchteilen um den Globus versenden.

Neben diesen besseren Texteditoren gibt es heute eine grosse Spielwiese an WYSIWYG-Editoren, die den Ersteller von Websites von der Last der «Markierung» (oft als Programmierung bezeichnet) befreien. Mit diesen Programmen, bei denen zwischen der Codierung und dem Endergebnis gewechselt werden kann, wird das inzwischen technisch immer komplexere Erstellen von Websites vordergründig vereinfacht.

Mit PHP, einem so genannten Hypertext Processor, wurden weitere Pflöcke eingeschlagen, welche die Bedeutung von HTML stützen. PHP, das als serverseitige Skriptsprache konzipiert ist, erlaubt das dynamische Erzeugen von HTML-Seiten. Die im Browser dargestellten Seiten werden erst auf eine Anfrage hin erzeugt. Bekanntestes Beispiel ist hier Facebook: Erst das Anmelden in eine Facebook-Gruppe oder auf eine Facebook-Seite trägt die Datenbankinhalte zusammen und erstellt ein HTML-File, das vom Browser wiedergegeben wird. Mit den vergleichbaren Technologien ASP und JSP, den Active Server Pages von Microsoft und den JavaServer Pages von Sun, existieren Alternativen zu PHP. Das Ausgabe­format bleibt bei all diesen Technologien jedoch HTML.

Um abschliessend Gutenberg und Berners-Lee zu würdigen: Beide haben die Verbreitung von Wissen und Information stark gefördert. Zu unterschiedlich sind jedoch die Zeiten, in denen sie gewirkt haben und immer noch wirken, als dass sich deren Errungenschaften miteinander vergleichen liessen. Eines ist jedoch sicher: Die Welt wäre heute eine andere ohne den Urgrossvater der schwarzen Zunft und seinen Enkel, den Begründer des World Wide Web mit seiner simplen Auszeichnungssprache.

Johannes Gensfleisch: Bleiletter 1.0

Gutenberg erfand das Drucken nicht von Grund auf neu, wie es so oft behauptet oder vermutet wird. Das Stempelprinzip als Merkmal des Hochdrucks wurde schon lange vor Gutenberg in China eingesetzt. Gutenberg zu Recht zugeschrieben werden jedoch die Entwicklung eines Giessgeräts zur Herstellung von Bleilettern, das Setzen von Hand sowie die Perfektionierung des Druckens (er übernahm das Prinzip der Weinpressen von den Winzern). In jüngerer Zeit wurde Gutenbergs Gesamtwerk postum von Fernsehsendungen und Publikationen ausgezeichnet, darunter auch vom US-Magazin «Time-Life», das den von Johannes Gutenberg entwickelten Buchdruck als bedeutendste Erfindung des zweiten Jahrtausends bezeichnete.

Tim Berners-Lee: HTML 1.0

Berners-Lee war seinerzeit ein engagierter Forscher am Kernforschungszentrum (CERN) in Genf. Dort gelingt dem 1955 in London Geborenen etwas, das in seiner Konsequenz mit den Errungenschaften Gutenbergs vergleichbar ist. Wenn auch seine Erfindungen weniger handfest sind, so sind sie doch in ähnlichem Masse revolutionär. Seine Entwicklung der Auszeichnungssprache HTML führte letztlich zu dem, was wir heute als Internet bezeichnen. Sir Timothy John Berners-Lee darf sich also nicht nur als Erfinder von HTML, sondern auch als Begründer des World Wide Web be-zeichnen. Er steht dem World Wide Web Consortium (W3C) vor, das er am 1. Oktober 1994 mitgegründet hat.

Zum Autor

Der gelernte Schriftsetzer Jürgen Franck verfolgt seit vielen Jahren und mit sehr grossem Interesse die Entwicklungen rund um das «Digital Publishing». Der Autor ist hauptberuflich als Lehrperson an der Berufsschule für Gestaltung Zürich in der Grund- und Weiter­bildung tätig.