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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


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Ich clicke, du arbeitest. Deal?

Die Auslagerung von Jobs ins Ausland macht auch vor der grafischen Branche nicht halt. Möglich macht es das Internet. Schweizer Fachkräfte müssen deshalb ihre analogen Vorteile wie den direkten Kundenkontakt einsetzen. Anna-Barbara Winzeler

Was haben die Schweizer Post und gewisse ehemalige Kunden einer Grafikagentur gemeinsam? Sie haben im Jahr 2016 Leute in Vietnam beschäftigt.

In der Schweizer Wirtschaft sind «Digitale Transformation» und «Outsourcing» die Begriffe der Stunde. Jobs aller Art werden in Länder mit einem tieferen Lohnniveau ausgelagert, möglich macht es die Vernetzung durch das Internet: Ob die Buchhaltung von Herr Meier oder von Frau Nguyen gemacht wird, ist nicht mehr länger eine geografische, sondern nur noch eine ökonomische Frage. Und entgegen der landläufigen Meinung sind längst nicht mehr nur «einfache» Jobs betroffen.

Denn nicht nur der KV-Lehrling muss sich Gedanken um seine Zukunft machen, sondern auch Mitglieder der grafischen Branche. Im Gegensatz zu grossen Wirtschaftsbetrieben, die ganze Arbeitsbereiche nach Fernost verlagern, arbeitet die neue Konkurrenz der grafischen Branche über Crowdsourcing-Plattformen, also Plattformen, auf denen eine grosse Menge Leute (Crowd) ihre Arbeits- und Fähigkeitsressourcen zur freien Verfügung stellen. Diese gehören zu den neuen, disruptiven Wirtschaftsmodellen, sie sind quasi das Uber der Grafiker-Kunden.

Internationaler Wettbewerb

Es gibt zwei Arten dieser Plattformen. Die erste und benutzerfreundlichere ist die Wettbewerbsplattform: Bei Plattformen wie 99designs.ch, einem Online-Marktplatz für Design, kann vom Kunden ein Auftrag gegeben werden. Je nach gewähltem Paket bekommt er unterschiedlich viele Vorschläge und Dienstleistungen, aus denen er dann auswählen kann. Diese und ähnliche Plattformen sind eher teuer, bei 99designs starten die Preise bei 299 Franken, das Maximalpaket kostet 1199 Franken.

Die Website und das Unternehmen dahinter verstehen sich als Agentur für selbstständige Designer – wirkliche Einstiegshürden gibt es nicht, nach einer Registrierung und einer Identitätsbestätigung kann der Antragssteller sofort bei den Aufträgen der untersten Kategorien mitmachen. Da es sich allerdings bei jedem Auftrag um einen Wettbewerb handelt, ist ein Gewinn nicht garantiert. Die Qualitätssicherung erfolgt also nicht nur über die Plattform, sondern auch über die Nutzer selbst. Damit profiliert sich 99designs tatsächlich als mehr oder weniger ernst zu nehmende Alternative zum Grafikdesigner – allerdings nicht hinsichtlich des Preisniveaus. Die .ch-Domain ist übrigens irreführend, die Plattform agiert global, die Grafikdesigner sitzen über den Globus verstreut.

Kreative Fliessbandarbeit

Das Gegenteil von 99designs sind Websites wie fiverr.com. Wie der Name bereits antönt, erhält man dort praktisch sämtliche Dienstleistungen für fünf US-Dollar. Selbstredend gibt es auch hier die Möglichkeit, mehr Geld pro Auftrag auszugeben: Expressbestellungen, höhere Auflösungen und Ähnliches können zusätzlich Geld kosten, ausserdem wird bei jedem Auftrag eine Bearbeitungspauschale dazugerechnet. Statt einem ausgeschriebenen Wettbewerb gibt es hier Dienstleistungsvorschläge aller Couleur. Diese reichen von halbwegs ansprechend klingenden Angeboten wie «I will design a professional logo with unlimited revisions» über Angebote, für fünf Dollar einen positiven Benutzerreview über die Geschäftswebsite zu schreiben, bis hin zu Ausschreibungen, einen Ballon exklusiv für dich platzen zu lassen – in jeder gewünschten Art und Weise.

Im Bereich Publishing am interessantesten ist aber die allererste Unterkategorie im Fiverr-Menü: Graphics & Designs. Unter Photoshop-Editing finden sich Leute wie Daniel. Daniel ist Mazedonier, 19 Jahre alt. Nach eigenen Angaben hat er über acht Jahre Erfahrung mit Photoshop. Für fünf Dollar verspricht er, den Hintergrund von fünf beliebigen Bildern zu entfernen, also «Freistellen de luxe» – mit einer Garantie zu «maximaler Zufriedenheit».

Der Publisher gibt ihm das links abgebildete Porträt, er solle die darauf gezeigte Dame freistellen. Dazu wurde absichtlich ein Bild gewählt, das bereits als Ausgangsmaterial ungünstig ist, da die Freistellung sinnlos ist: Auf einer Website eignet es sich allerhöchstens dazu, es unten rechts zu plazieren, wenn man grosszügig darüber hinwegsieht, dass auch der linke Arm etwas angeschnitten ist.

Dasselbe Bild und dieselbe Aufgabe geht bei doopic.com in Bearbeitung. Doopic ist ein deutsches Pendant zu Fiverr, das sich allerdings nur auf die Bildbearbeitung beschränkt. Die Plattform geht noch einen Schritt weiter als Fiverr, hier müssen die Kunden nicht einmal einen Dialog führen, um zum Ergebnis zu kommen. Stattdessen muss ein nur spärlich erläutertes Formular reichen.

Phänomen Clickworking

Daniel und der unbekannte Doopic-Mitarbeiter sind sogenannte Clickworker. Der Begriff beschreibt einerseits, dass sie mit einem Click von ihrem Auftraggeber ausgewählt wurden. Andererseits steht der Ausdruck auch für die Digitalisierung, die diese Art der Arbeitsbeschaffung überhaupt erst möglich macht. Ohne Digitalisierung keine Clicks. Ohne Digital Transformation keine Aufträge aus der Schweiz für Daniel und Doopic.

Sie und ihre Kollegen von den Clickworking-Plattformen kommen primär aus Ländern mit einem tiefen Lohnniveau. Mit fünf Dollar bekommt man hierzulande eventuell noch ein Brot, in Mazedonien dagegen bekommt man dafür eine fertig zubereitete Mahlzeit, in anderen Ländern noch mehr. Für Daniel und Co. lohnt sich die Arbeit via Fiverr also, in gewissen Fällen verdienen sie damit sogar mehr, als sie sonst verdienen würden.

Und für die Nutzer? Fünf Dollar sind fünf Dollar. Selbst wenn gewisse Versuche, eine Dienstleistung via Fiverr zu erhalten, zu nichts führen, so sind die ausgegebenen Kosten verschmerzbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass Jobs, die auf Fiverr und Konsorten ausgelagert werden können, in der Schweiz verloren gehen.

Taugt es?

Aber wie überzeugend ist denn nun die Arbeit, die von den Online-Freistellern geleistet wird? Der Publisher hat Walter Huber von PQF Imaging als Experten hinzugezogen. Sein Urteil: Die Ergebnisse sind weder besonders gut ausgeführt noch in der Praxis brauchbar.

Wie bereits erwähnt ist schon das Ausgangsmaterial ungünstig. Ein guter Publisher wird seinem Kunden gleich zu Beginn mitteilen, dass das Bild kaum geeignet ist. Weder auf Doopic noch auf Fiverr wurde überhaupt gefragt, wozu das Bild benötigt wird. Gerade im Direktvergleich mit der Arbeit, die sich der (professionelle) Fotograf mit dem Bild gemacht hat, ist die Bearbeitung durch semiprofessionelle Anwender ungenügend.

Doopic – die Mogelpackung

Das rechte Bild wurde von Doopic bearbeitet. Bereits auf den ersten Blick erscheint es wenig professionell. Dabei stimmt es hinter den Kulissen über weite Strecken: Der Farbraum ist korrekt, die ursprüngliche TIFF-Formatierung wurde beibehalten. Die Datei enthält mehr als eine Ebene, zur Überprüfung des Freistelleffekts wurde eine weisse Ebene eingezogen. Die Genauigkeit ist absolut recht gut, relativ aber nicht besonders: Die einzelnen Haarsträhnen hätten entfernt werden sollen. Generell sind alle Konturen sehr hart. Gerade an der Jacke sieht man auch die mangelhafte Kantenpflege. Da der Publisher nur ein einziges Bild in Auftrag gegeben hat, muss er ausserdem den nur versteckt deklarierten Aufschlag-Mindestbestellwert mitbezahlen: Wurde die Freistellung mit 0,83 Euro pro Bild beworben, steht auf der Rechnung ein Nettobetrag von 11,89 Euro.

Fiverr – der Unkonsequente

Grundsätzlich erscheint Fiverr als der bessere Lieferant, auch in preislicher Hinsicht. Gut, man bezahlt trotzdem sechs Dollar statt fünf, aber laut dem Experten Huber wäre ein leicht höherer Preis sogar gerechtfertigt. Das als TIFF-Datei abgegebene Porträt wurde als PNG mit 3456 × 5184 Pixeln bei 300 Pixeln pro Zoll zurückgegeben. Der Farbraum wurde von eciRGB v2 auf sRGB abgeändert. Es existiert nur eine einzige Ebene. Die Genauigkeit ist absolut gesehen relativ gut, bei relativer Betrachtung sogar sehr gut. Die Konturen sind relativ gut, aber nicht mit gleichmässiger Sensibilität. Besonders gut zeigt sich das am Ohr links. Besonders interessant sind natürlich die Haare, dort wurde sauber gearbeitet, allerdings nicht konsequent: Die Haarsträhne rechts wurde zwar wegretouchiert, auf dem Aufschlag der Bluse links ist dagegen eine andere Haarsträhne sichtbar geblieben.

Publisher, seid einzigartig!

Hätte es ein Schweizer Spezialist besser gekonnt? Vermutlich, belegen kann es der Publisher aber nicht, denn sämtliche angefragten Experten wollten den Job aus nicht genannten Gründen nicht übernehmen – womöglich, weil es in der Schweiz keinen allgemeinen Standard für die Arbeit gibt und die Anforderungen deshalb unbekannt und damit mit einem gewissen Risiko verbunden sind. Deshalb bleibt vorerst zu konstatieren: Die Zeit der Handarbeit für einheimische Fachleute ist bald vorbei. Mechanische Tätigkeiten wie die Freistellung von Bildern oder die Erstellung von Infografiken werden höchstwahrscheinlich aus den Portfolios verschwinden. Clickworker können bereits eine ganze Reihe an Aufgaben übernehmen, die bis vor etwa fünf Jahren ganz selbstverständlich zum Grafikdesigner geführt haben. Dieser Trend wird sich vermutlich fortsetzen.

Allerdings eignet sich nicht alles zum Crowdsourcing: Dafür braucht es klar definierte Aufgaben, die genauso universell einsetzbar sein müssen wie sie personalisierbar sind. Konkret müssen es repetitive Aufgaben sein, die damit immer einen mechanischen Charakter haben. Die Bildfreistellung gehört sicher dazu, die dazugehörige Beratung aber nicht. Alles, was direkten Kundenkontakt erfordert, eignet sich kaum zur Digitalisierung.

Denn die digitale Transformation ist bereits in vollem Gange. Wer nicht von ihr überrollt werden will, muss jetzt handeln. Deshalb muss der Fokus aller, die in der grafischen Branche tätig sind, auf einer gewissen Spezialisierung liegen. Um zu überleben, braucht es Einzigartigkeit – und den direkten Kundenkontakt. Im Gegensatz zum Clickworker in Mazedonien oder Indien können Sie ihrem Kunden gegenübersitzen. Sie können mit ihrem Kunden besprechen, was dieser wirklich will. Sie können dem Kunden ein Logo anbieten, das nicht nur «unique» ist, sondern auch zu den Wünschen und Vorstellungen des Kunden passt.

Ebenfalls wichtig ist die Vernetzung: Wenn schon Digitalisierung, dann richtig. Fotografen und Publisher sollten zusammenarbeiten: Es ist auch im Interesse des Fotografen, dass seine Bilder ordentlich nachbearbeitet werden. Den Kunden freut das auch. ↑