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Katzen statt kleckern

Was ist eigentlich dieses komische Social Media? Wie kann ich es für mein Unter­nehmen nutzen? Und was machen all diese Katzen hier?

Anna-Barbara Winzeler Am 19. Juni 2013 entdeckte die Bundesrepublik Deutschland Neuland.

Doch, wirklich! Barack Obama war zu Besuch in Berlin, die NSA-Affäre rollte gerade erst an, und dann äusserte Angela Merkel an einer Pressekonferenz: «Das Internet ist für uns alle Neuland.»

Und das Internet so:

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Eigentlich ist das Internet der Traum eines jeden Marketing-Menschen: Geringe Kosten, viel Platz, multimediale Inhalte. Allerdings: Ein Patentrezept gab und gibt es nicht. Und gerade, als sich die Wirtschaft an die Digitalisierung zu gewöhnen begann, kam auch noch dieses Social Media um die Ecke.

Was ist denn nun eigentlich dieses komische Social Media?

Alle reden von Social Media. Meistens sind damit Social Networks wie Facebook, Twitter oder Snapchat gemeint. Irgendwie geht es um Vernetzung, um online, um Gleichberechtigung von Leser und Schreiber, um Plattformen. Und man kann Werbung machen. Jeder kann mitmachen, egal, ob Einzelperson oder Grossunternehmen. Man kann sich anfreunden, einander folgen, Sachen kommentieren, Fragen stellen, Artikel schreiben. Hashtags setzen.

Und genau hier liegt der Schlüssel zu den meisten Definitionen von «Social Media»: «User Generated Content», also «benutzergenerierter Inhalt», aber die deutsche Version klingt ähnlich ahnungslos wie «Neuland».

Social Media oder vielmehr Social Networking bedeutet: Jeder kann seine Gedanken, Informationen und Daten online stellen, sei es nun Chuck Norris, der Chefredaktor der FAZ oder seine nette Nachbarin mit der weiss gefleckten Katze. Theoretisch sogar die Katze:

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Im Internet sind alle gleich. Sowieso gibt es fast nichts derart Exemplarisches für Erfolg in den sozialen Netzwerken wie Katzenbilder: praktisch inhaltsfrei, kurzweilig und immer wieder lustig. Noch besser sind GIFs – ja, GIF hat überlebt, als Kurzvideo in Endlosschleife, denn: Wer braucht schon Inhalte oder Fakten, wenn die Alternative ein Katzenvideo ist?

Blogito ergo sum

Denn darum geht es in den sogenannten «sozialen» Netzwerken. Es geht nicht um Inhalt, nicht um Fakten. Es geht darum, gehört zu werden. Und wer am lautesten und häufigsten schreit, wird am ehesten gehört – exemplarisch zu beobachten bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016. Ausschweifende Blogger, inszenierte Selbstdarsteller und clevere Nerds sind die Könige des Internets, ihre Äusserungen werden tausendfach geteilt und kommentiert. Ihre Meinung zählt – oftmals viel mehr als alle Fakten.

Und weil Facebook, Twitter und Co. grösstenteils aus Amerika stammen, kann im #Neuland jeder erfolgreich werden, wenn er sich an die Regeln hält und hart arbeitet. Facebook kennt sogar ein ganz einfaches Rezept dazu und teilt es bereitwillig mit dem geneigten User – ob dieser nun will oder nicht:

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    «Facebook-Texte werden eher überflogen. Fasse dich für eine bessere Reaktion auf deinen Beitrag kurz.»
    «Versuche einfach, Produkte oder Dienstleistungen im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen.»

Ganz einfach, oder? Allerdings sollte man das mit dem bestmöglichen Licht nicht übertreiben. Das facebook’sche Patentrezept verrät einiges über dessen Selbstverständnis. Facebook hat längst begriffen, dass es nicht um den Inhalt geht, sondern darum, wie er präsentiert wird. Niemand stellt negativen Content auf Facebook, denn es geht um Vermarktung. Oder würden Sie der Welt einen misslungenen Entwurf zeigen? Einen misslungenen Druck? Nein? Eben.

Dazu kommen bei Facebook und Konsorten zunehmend Algorithmen zum Einsatz. An sich eine gute Sache: Im Dickicht aller abgesetzten Tweets, Posts und Gefällt-mir-Angaben soll jedem Nutzer das gezeigt werden, was ihm nützt oder gefällt. Das Problem für viele Werber: Wer nicht Unsummen bezahlt, kommt nur mit viel Mühe und Fleiss auf die Feeds der Zielgruppe. Oder gar nicht. Wer sich dem Algorithmus nicht anpasst, wird gnadenlos aussortiert. Deshalb lohnt es sich durchaus, sich durch die User-Manuals der jeweiligen Plattformen zu kämpfen.

Content follows Form

Also, was tun? Möglichst viele schön inszenierte Produktbilder auf Instagram stellen? Alle 20 Minuten twittern? Halt, stopp, ganz langsam:

  • Das Wichtigste zu Beginn: Halten Sie sich kurz. Egal, was Sie machen.
  • Überlegen Sie sich, wer Ihre Zielgruppe ist. Sprechen sie U20er oder Ü50er an? Und: Wollen Sie eine bestehende Kundengruppe behalten oder neue Kunden generieren?
  • Wo ist Ihre Zielgruppe unterwegs? Dazu eine Faustregel: unter 25 Snapchat, Youtube und Instagram, unter 45 Twitter und Onlinezeitungen, unter 65 Facebook und Print. Je jünger die Zielgruppe ist, desto höher muss die Frequenz der Werbung sein. Frauen sind grundsätzlich eher an «schönen» Bildern interessiert, Männer an «witzigem» Content. Das ist natürlich eine stupide Verallgemeinerung, im Werbe-Alltag geht sie aber meistens auf.
  • Wo liegen die Stärken der passenden Plattform? Decken sich diese mit denen Ihrer Firma?
  • Was benötigen Sie an Content? Brauchen Sie ästhetisch inszenierte Bilder für Instagram, Snapchat und Facebook? Gut geschriebene Texte für Onlinezeitungen und Print? Videos für Youtube, Instagram, Facebook, Onlinezeitungen? Alles auf einmal? Oder einfach nur jemanden, der für Twitter alles auf 144 Zeichen inklusive möglichst origineller Hashtags herunterbricht?
  • Die sozialen Medien sind Zeitfresser, egal ob im Konsum oder in der Bewirtschaftung. Haben Sie das Personal, um das Ganze in einer nützlichen Frequenz zu bespielen? Können Sie auf mögliche Kommentare reagieren?
  • Haben Sie überhaupt genug Content, um Ihre Kanäle in einer regelmässigen Frequenz zu bespielen? Wenn Sie nur alle drei Monate ein Update machen, werden Sie in der News-Flut untergehen. Ein Post pro Woche ist das absolute Minimum, schnelllebige Plattformen wie Twitter oder Snapchat erfordern praktisch tägliche Bespielung.
  • Wie kann man mit Ihrem Content interagieren? Gibt es Testimonials, kann man ein Quiz daraus machen, gibt es etwas zu gewinnen? Warum sollte man Ihre Beiträge teilen? Wie können Sie Ihre Community aktiv einbinden?
  • Wie können Sie Ihre Produkte am besten mit Katzen kombinieren?