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Kreativit�t f�r Weltverbesserer

Adobes Grossevent hat sich der Kreativität und den damit verbundenen Technologien verschrieben. Wir reisten vor Ort und stellten uns der kreativ orchestrierten Reiz­überflutung. Wie aber steht es um echte Innovationen und was inspirierte die Besucher?

joely tafanalo Man darf es ruhig sagen: Für eine Herstellermesse ist der knapp eine Woche dauernde Anlass in Kalifornien alles andere als billig. Der gelungene Mix aus Unterhaltung und Weiterbildung entschädigt aber für den grossen Aufwand. Wer die Max als reine Selbstbeweihräucherung abtut, unterschätzt, was neben den öffentlich übertragenen Keynotes sonst noch geboten wird. Die ersten zwei Tage der Woche stehen jeweils als Preconference im Programm. Von ganztägigen Designworkshops bis zu technischen Deep-Dives in spezifische Teilbereiche wurde einiges angeboten. An den drei Folgetagen lockten unzählige Sessions (Präsentationen/Informationen) und Labs (Workshops) die erwartungsvollen Besucher. Ich hatte dieses Jahr das Vergnügen, fünf Labs als Teachers Assistant beizuwohnen und damit die Speaker zu entlasten. Gold wert ist für mich der direkte Austausch mit Berufskollegen und Adobe-Mitarbeitern jeglicher Position. Dass dies auch durstig und hungrig macht, ist selbsterklärend. Die Organisatoren gaben sich auch hier keine Blösse und verköstigten während der Max tausende Kreative von morgens bis abends. Als besonderes Highlight zählen jeweils die Sneaks, ein amüsant moderierter Blick in die Forschungsabteilung des Softwareriesen. Gleich im Anschluss fand die legendäre «Adobe Bash» direkt am Meer statt, Embarcadero Marina Park von San Diego.

Neues in der Creative Cloud?

Je nachdem wie man die einzelnen Programme verwendet, sind die Neuerungen mehr oder weniger sichtbar. Die immer konsequenter angewandte Cloud-First-Strategie ist kaum mehr zu bremsen und will sicherstellen, dass Dateien oder einzelne Elemente geräte­übergreifend verfügbar bleiben. Alles mit dem Ziel, orts- und zeitunabhängig arbeiten zu können. Vorausgesetzt, man will oder braucht das auch.

Der wachsenden Herausforderung durch immer mehr und kurzlebige Inhalte (Content Velocity) versucht Adobe nicht nur mit digitalen Werkzeugen zu begegnen. Mit Adobe Stock Templates wurde die bestehende Plattform nun um Design-Inhalte erweitert. Der in CC integrierte Schriften-Dienst Typekit hat einen eigenen Marketplace bekommen, wo Schrifthersteller Fonts zu eigenen Konditionen verkaufen können. All dies soll Publishern helfen, schneller zum Ziel zu kommen.

Neben diesen spannenden Neuerungen wird der Hauptfokus schon seit mehreren Jahren auf die User Experience gelegt – zumindest offiziell. Dies mag stimmen, wenn man Neuentwicklungen wie beispielsweise Adobe Experience Design betrachtet. Bei täglicher Nutzung der Desktopprogramme fallen jedoch immer wieder Inkonsistenzen in Benutzeroberfläche oder Menüs auf. Dass bekannte Fehler nicht behoben wurden, höre ich zwar immer wieder, kann es so aber nicht bestätigen. Ziel müsste ein möglichst nahtloser Wechsel zwischen Programmen und Werkzeugen sein, damit man sich auf die Gestaltung konzentrieren kann.

Anlässlich der weltweit übertragenen Keynote präsentierten sich das Kader und die Evangelisten wie gewohnt als Förderer der Kreativität. So zeigten sie neben dem Videobereich (Premiere Pro und After Effects) auch mobile Lösungen wie Spark. Das Tool ist in drei Unterbereiche aufgeteilt und kommt sowohl als App als auch als Website daher. Mit Post werden Social-Media-Veröffentlichungen aufbereitet und verteilt, neu sogar ohne CC-Branding. Dank Page lassen sich blitzschnell Onepager-Websites mit Inhalten füllen und gestalten. Aus dem ehemaligen Voice wurde Video und dient nach wie vor der multimedialen Erstellung von Slides.

Für Aufsehen sorgte ein komplett neues 3D-Programm mit dem Projektnamen Felix. Project Felix wird noch in diesem Jahr als Beta-Version veröffentlicht und verspricht einfache Kombination von 2D- und 3D-Inhalten. Insofern ist auch diese Vorstellung keine absolute Neuheit aber der erste Eindruck scheint vielversprechend.

Doch wo blieben in der ganzen Show unser Arbeitspferde Photoshop, InDesign und Illustrator? Auf der grossen Bühne zog man es offensichtlich vor, Neuentwicklungen wie Adobe Experience Design (Beta) auszurollen oder auf verbesserte Mobile Apps wie Comp CC oder Spark hinzuweisen. Wer glaubt, deshalb seien keine wichtigen Neuerungen erschienen, täuscht sich. Im Adobe-Blog ist nachzulesen, dass die Designprogramme insgesamt 85 neue Funktionen erhalten haben.

Die Klassiker nähern sich an

Bei näherer Betrachtung der neuen Versionen in CC 2017 fällt auf, wie sehr sich InDesign, Illustrator oder Photo­shop optisch und funktional immer mehr angleichen. Was das eine Programm schon immer konnte, kann das andere jetzt vielleicht auch. Und auch die Benutzeroberfläche wurde stark überarbeitet. Der bereits mit CC 2015 eingeführte Einstiegsarbeitsbereich hat Freunde und Kritiker. Das Fenster für neue Dokumente hat jedoch – wie ich finde – Potenzial. Nicht zuletzt dank der integrierten Vorlagen-Suche. Der Umgang mit Typografie (SVG-Fonts, OpenType und Glyphen) wurde allgemein verbessert und auch die Leistung soll wie üblich besser geworden sein. Dies muss in der Praxis aber erst noch bestätigt werden.

Adobe Experience Design

An Adobe XD (Beta) führt momentan kein Weg vorbei. Das vormals Project Comet genannte Programm dürfte den Bereich App- und Webdesign nachhaltig verändern. Es gibt zwar gute Werkzeuge für jeden Teilbereich des UX, aber noch keine integrierte Lösung. Die Mac-Version ist seit diesem Frühling innerhalb der CC verfügbar, die Windows-Version steht in den Startlöchern. So wird in absehbarer Zeit endlich ein Tool für Design, Prototypen und Sharing für die beiden relevanten Plattformen zur Verfügung stehen.

Da im XD-Team die Sprintlänge einen Monat beträgt, kommen im gleichen Rhythmus Updates heraus. Wir können also schon bald von gleichzeitiger Zusammenarbeit an einem Projekt und einer Versionierungszeitleiste profitieren. Anlässlich der Max wurde die voll einsatzfähige Beta-Version 0.6 veröffentlicht, welche seitdem für alle CC-User verfügbar ist. Während eines Workshops an den swiss publishing days in Bern mit der aktuellsten Version war ich erfreut, wie positiv die Teilnehmer die ersten Schritte in Adobe XD erlebten.

Project Nimbus

Eines der vielbeachteten neuen Projekte war Nimbus. Bryan O'Neil Hughes, Product Manager im Bereich digitale Bildbearbeitung, stellte während der Keynote dieses neue browserbasierte Bildbearbeitungstool vor. Es gibt auf dem Markt bereits eine handvoll Online-Bildeditoren, doch Adobe wird einmal mehr versuchen, die Masslatte neu zu setzen. Was so manche nicht wissen – auf lightroom.adobe.com können schon heute Bilder nicht-destruktiv bearbeitet und verwaltet werden. Insofern ist Project Nimbus spannend aber nur bedingt innovativ. In diesem oder ähnlichen Projekten pflegt Adobe eine enge Zusammenarbeit mit Universitäten auf der ganzen Welt. Nun scheint dieses Experiment in Richtung finales Produkt zu gehen. Hier zeigt sich, dass Erkenntnisse aus den mobilen Apps auch zurück auf den Desktop oder in den Browser fliessen.

Blick hinter die Kulissen

Auch dieses Jahr waren die Sneaks, die Sneak Previews, ein Garant für einen vollen Saal. In diesen Sessions werden experimentelle Entwicklungen in einem sehr frühen Stadium gezeigt. Der Hype ist jedes mal entsprechend hoch. Adobe-Mitarbeiterin und Ex­trem-Schwimmerin Kimberley Chambers moderierte zusammen mit dem kurzfristig eingesprungenen Comedy-Star Jordan Peele. Bier und Snacks sowie köstliche Unterhaltung – der mit Spannung erwartete Blick hinter die Kulissen konnte beginnen. Fast ein Dutzend Sneaks wurden von Mitarbeitern gezeigt, die sonst nie auf der grossen Bühne stehen. Viele der gezeigten Tools nutzen bereits die am Tag zuvor erwähnte künstliche Intelligenz. Während der ersten Keynote wurde «Sensei» vorgestellt, ein Framework, in dem die vernetzten und intelligenten Funktionen künftiger Adobe-Produkte zusammengefasst sind. Ob die in den Sneaks gezeigten Produkte jemals eigenständig oder als Funktionen in einem Programm erscheinen werden, ist völlig offen, der Spassfaktor war jedoch hoch.

Harte Tatsachen

Im gut besuchten Community Pavillon haben auch Sponsoren sowie Hardwarehersteller ihre Präsenz. Bemerkenswerterweise war Apple nicht vertreten. Weltweit mögen zwar viele Kreative traditionell auf Apple setzen, den grossen Auftritt hatten hier aber die Anderen. Neben Dell und HP präsentierte Microsoft als Hauptsponsor seine Innovationen und liess auch mich, den All-In-One-PC namens Surface Studio ausprobieren. Die all­gemeine Tendenz zu mehr Video und Virtual Reality widerspiegelte sich augenfällig in den anwesenden Marken. Alle wollten sie die Aufmerksamkeit der anwesenden Adobenutzer erhaschen. Schön war, dass neben den ganzen Tec-Companies auch zahlreiche Anbieter rund um handwerkliche Technologien wie Siebdruck und Kreativpapiere zur Stelle waren.

Es gibt nicht DEN Kreativen

Spätestens inmitten der riesigen Menschenmenge im San Diego Convention Center wurde klar, wie vielseitig die Nutzer der Adobe-Programme sind. Vom Einsteiger zum Trainer bis zum Power-User waren alle Altersklassen vertreten. Noch unterschiedlicher ist die Creative Community, wenn es um die Verwendungszwecke von InDesign, Photoshop, Illustrator und Co. geht. In seiner Keynote erwähnte CEO Shantanu Narayen unsere Welt, die immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint. Er stellte die kreativen User als Weltverbesserer mithilfe guter Gestaltung dar. Ausser künstlerischen Illustratoren und Grafikern gibt es noch zahlreiche Publisher in klassischen Bereichen wie in den Druckvorstufen, in Marketingabteilungen oder in Verlagen. All diese kamen im Hype der Keynotes eher zu kurz. Im Gespräch mit anderen Community Professionals fand ich heraus, dass die Cloud-Thematik interessanterweise ausserhalb Europas weniger Polemik zu verursachen scheint. In der Frage, was den Fortschritt spezifischer Publishing-Funktionen betrifft, war man sich schon einiger. Ich konnte mit einigen Mitarbeitern von Bildungseinrichtungen und Agenturen sprechen, die das Zusammenspiel der Mobile Apps mit den Desktopprogrammen schon rege nutzen. Insgesamt stellte ich fest, dass Profis aus den Bereichen Print, Web oder Video ausserhalb der Schweiz definitiv besser vernetzt sind, weshalb ich diesen Austausch während der Max besonders schätzte.

Blick in die Zukunft

Wie bereits erwähnt, setzt Adobe zurzeit stark auf Technologien rund um das bewegte Bild. Ob und welche Lösungen sich hier etablieren, hängt nicht zuletzt von der Entwicklung des Marktes ab. Character Animator CC hat bereits seinen fixen Platz in der Filmbranche gefunden, andere Entwicklungen wie Project Felix werden sich noch behaupten müssen. Die gross aufgezogene, multimediale Show konnte nicht davon ablenken, dass in einigen Bereichen (Publishing?) eine gewisse Sättigung erreicht ist. Bleibt zu hoffen, dass Adobe sich nicht auf den Lorbeeren ausruht und wieder konsequenter umsetzt, was wir treuen Kunden wirklich brauchen. Cloud­basiert dürfte mehr Akzeptanz finden, wenn wirkliche Mehrwerte und Optionen geboten werden. Die Zukunft liegt in der Cloud und dies nicht erst seit Adobe CC – viele Anbieter haben bereits tolle browserbasierte Lösungen zur Contenterstellung. Adobe muss und wird hier nachziehen und künftig hoffentlich wieder für echte Innovationen sorgen.

Vegas, Baby!

Wer gerne einmal selber mit dabei sein möchte – die nächste Adobe Max findet vom 16. bis 20. Oktober 2017 in Las Vegas statt. Informationen finden Sie auf der Website – Tipps gibt es jederzeit bei mir persönlich.

Die Sneaks 2016

#Stylit – malen auf Papier, über­tragen auf 3D

#Syncmaster – neuartige Video­synchronisierung anhand Audiospur

#ColorChameleon – layoutüber­grei­fende Farbanpassung von Bild- und Grafikelementen

#LoopWelder – intelligentes Loop­ing von Kurzvideos

#ContceptCanvas –layoutbezogene, intelligente Bildsuche

#InterVector – vektorbasiertes Nachzeichnen direkt ab Fotos

#Wetbrush – Ölfarben realistisch malen

#QuickLayout – Layout­ im Browser

#SkyReplace – automatisches ­Er-setzen bestimmter Bildteile

#VoCo – texteditierbare Sprachdatei

#CloverVR – 360-Grad-Video­-be­ar­beitung

Zum Nachlesen

Offizielle Adobe MAX Seite

max.adobe.com

Alle CC Neuerungen

adobe.com/ch_de/creativecloud/features.html

Adobe Stock Marketplace

stock.adobe.com/templates

Typekit Marketplace

typekit.com/marketplace

Adobe Spark

spark.adobe.com

Stylit (Sneak)

stylit.org

Feature Request/Bug Report Form

adobe.com/products/wishform.html

Adobe Experience Design

adobe.com/products/experience-design.html

Project Felix

adobe.ly/felix

Der Autor

Joely Tafanalo ist Interaction-Designer, Trainer und Adobe Community Professional. Seine Firma Toughmedia bietet Kommunikations­design, Profi-Schulungen und mehrsprachige Beratung rund um die Creative Cloud. Digicomp Academy setzt im Fachbereich Publishing auf ihn.

E-Mail: info@toughmedia.ch

Twitter: @toughmedia