Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Heft-Archiv >> 2012 >> Publisher 5-12 >> Imaging >> Mittelformat ade�?

Mittelformat ade�?

In der Digitalfotografie schreitet die Entwicklung mit Riesenschritten voran, speziell im Kleinbildsektor, wo die Sensoren stetig grösser und leistungsfähiger werden. Jetzt geht die Post bei den Vollformat-DSLR-Kameras richtig ab. Da wird offensichtlich eine ganz neue Epoche in der Profifotografie eingeläutet.

Manfred Dubach Wie es vor Kurzem noch war: Bei den «grossen drei» Spiegelreflexherstellern – Canon, Sony und Nikon – lag der «Standard» im Vollformat schon seit geraumer Zeit zwischen 16 und 24 Megabyte. Das bisher für den reinen Profieinsatz zuständige Mittel- und Grossformat startet ab 31 Megabyte (Hasselblad H4D-31) und liegt mittlerweile bereits bei 80 (PhaseONE) und 200 Megabyte (Hasselblad H4D-200MS) – pro Bild !

In der Praxis werden gemäss Um­fragen über zwei Drittel der im Mittel- und Grossformat produzierten Bilder von Rückteilen mit Datenmengen zwischen 33 und 40 Megabyte fotografiert. Diese Datenmengen reichen problemlos für fast alle Anwendungen und Ansprüche auf der Ausgabeseite: Magazindruck für Abbildungen A4 bis A3+, Doppelseiteninserate, Grossposter und Art-Prints bis zu 60 × 80 cm, bei 40 MB circa 70 × 100 cm. Selbst mit moderaten Ausschnitten erfüllen die Datenmengen ihren Zweck.

Bis vor wenigen Monaten waren diese Bildgrössen ausschliesslich mit digitalen Mittelformatkameras oder Backs auf Fachkameras mit 33 bis 40 Megabyte realisierbar.

Ausser einigen Spezialgebieten wie für Museen, für Forschung oder in wissenschaftlichen Forschungsbereichen und in der Uhrenfotografie, wo noch höhere Auflösungen erforderlich sind, deckten das Mittelformat und das Grossformat alles ab. Das hatte jedoch auf Investitionsseite einen hohen Preis.

Kamerabody, 3 bis 4 Objektive, 33- oder 40-Megabyte-Rückteil, da kommen schnell einmal 30 000 bis 40 000 Franken zusammen.

Der Herausforderer

Mit dem Erscheinen der Nikon D800 und vor allem der D800E ist diese Vorherrschaft infrage gestellt. Plötzlich betritt mit Nikon ein Kleinbildhersteller das Revier der Mittelformat-Platzhirsche. Und dies gleich mit einer Standardauflösung von 36 Megabyte im Kleinbild-Vollformat. Eine D800E macht den «Grossen» ernsthaft Konkurrenz in Sachen Auflösung und vor allem mit einem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis. Immerhin ist das Topmodell Nikon D800E mit einem Gehäusepreis von etwas über 3000 Franken auf weiter Flur konkurrenzlos. Die bis heute bei den Händlern bestellten Stückzahlen sind beträchtlich. Ein umfangreiches Sortiment an Hochleistungsobjektiven, für diese Auflösung zwingend erforderlich, ist bereits erhältlich. Im Kostenvergleich mit den Mittelformatobjektiven sind sie massiv günstiger. Das wird mit Sicherheit Folgen haben. Die Konkurrenten sind aufgeschreckt und aufgerüttelt.

Fakten und Zahlen in der Praxis

Um hier einmal mit aller Deutlichkeit aufzuzeigen, welches Potenzial eine Bilddatei von 100 Megabyte in der Praxis bietet, müssen an dieser Stelle ein paar entscheidende Fakten bezüglich Bildgrösse, Auflösung und Rasterausgabe erwähnt werden: Die Bildauflösung für Offset- und Digitaldruck mit Rastern basiert auf dem so genannten Nyquist- oder Shannon-Theorem, das die physikalischen Vorgaben für die Auflösung und somit für die Schärfe definiert. In Kurzform heisst das, die gewünschte Ausgabegrösse eines Bildes ist abhängig von dessen Rasterweite im späteren Druck: Rasterweite × 2 × Inch (70 × 2 × 2,54 = 357 dpi).

Der Qualitätsfaktor 2 ist heute jedoch nicht mehr überall zwingend erforderlich und wird oft auf 1,8 bis 1,6 reduziert. Dies mit dem äusserst positiven Effekt, dass ein Bild dadurch bis zu 20 % grösser wird als vorher. Dies ist dank den heutigen, massiv verbesserten Rastertechnologien ohne Qualitätsverlust möglich.

Eine Vollformataufnahme der Nikon D800E liefert über 105 MB. Dies ergibt eine Bildgrösse von rund 60 × 40 cm bei 305 dpi im 60er-Raster. Hier besteht auch problemlos die Möglichkeit, einen Bildausschnitt von 70 % der Datenmenge zu verwenden. Es verbleibt immer noch eine Bildgrösse im Format A3  (30 × 42 cm) !

Wird dann noch der oben erwähnte Qualitätsfaktor von 1,7 für die Rasterung angewandt, vergrössert sich der A3-Bildausschnitt wieder um 15 % auf 35 × 50 cm statt 30 × 42 cm. Diese Zahlenbeispiele zeigen einfach und klar auf, welches Potenzial die Sensorauflösung einer Nikon D800E für fast alle Bildgrössen, die im Offset- oder Digitaldruck üblich sind, tatsächlich zu bieten hat. Das Vergrösserungspotenzial im Large Format und Fine Art Printing ist noch weitaus grösser. Hier liegen die Ausgabeauflösungen mit 200 dpi einiges tiefer als im Offsetdruck. Ein Inkjet-Print in höchster Fotoqualität mit einer gesamten Datenmenge von 105 Megabyte erreicht locker eine Bildgrösse von 90 × 60 cm.

Viel zu selten genutzte Option

Eine andere oft vergessene und wenig angewandte Option, die aber sogar in der hoch anspruchsvollen Studiofotografie oft zum Einsatz kommt, ist die moderate Dateninterpolation.

Wenn ein Grunddatensatz von rund 100 Megabyte zur Verfügung steht, ist minimales Interpolieren auf maximal 120 % der Ursprungsdatei noch selten ein Problem gewesen, nicht einmal für Photoshop. Das Programm ist ja nicht gerade als der «Interpolationsheld» bekannt. Voraussetzung dafür sind jedoch «echte Daten» und eine hohe Bildschärfe (siehe Bilder «Uhrendetail» rechts).

Die Limitierung auf höchstens 120 % deshalb, weil hierbei die maximale Datenqualität erhalten bleibt. Dies ist vom Autor in der Praxis vielfach erprobt (Uhren, Möbel, Gemälderepros) und kann jederzeit bewiesen werden. Mit spezialisierten Interpolationsprogrammen wie Genuine Fractals oder Alien Skin sind solche «Minivergrösserungen» bezüglich Qualitätsverlust überhaupt kein Problem.

Lassen Sie mich an dieser Stelle an einem Beispiel aufzeigen, wie das mit oben erwähnten Fakten abläuft: Raw-Aufnahme mit Dateigrösse 105 Megabyte, Bearbeitung in einem Raw-Konverter, verlustfreie Interpolation auf 115 %, statt Rasterfaktor 2 nur 1,8 (260 dpi), erreichbare Bildgrösse ohne Ausschnitt: 82 × 55 cm statt 62 × 41 cm, Druckplattenbelichtung mit modernster Rastertechnologie im 60er- bis 70er-Raster. Das entspricht einem Bild mit rund 40 % grösserer Fläche. Bei Fine-Art-Prints liegt die erzielbare Grösse bei 105 × 70 cm. Fine-Art-Prints werden nicht autotypisch gerastert, sondern mit Inkjetdruckern ausgegeben.

Was soll eigentlich diese technische Zahlenspielerei ?

Nun, damit soll der provokante Titel den realen Zusammenhang zwischen den technischen und physikalischen Fakten der Praxis in Bezug zur Ökonomie und zu den Gesetzen unseres Marktes aufzeigen. Die Praxis ist seit Jahrzehnten immer gleich: Bilder werden in Magazinen im 60er- und 70er-Raster, bei Uhren- und Schmuckkatalogen mit 70er- bis 90er-Raster gedruckt. Sie werden an Ausstellungen auf Fotopapier in Grossformaten gezeigt, auf Tablets und mit Beamern präsentiert … Bei all diesen Präsentationsformen steht der Mensch als Betrachter im Mittelpunkt, er sieht sich mit seinen Augen alles an und freut sich darüber. Da der Mensch nun als Massstab auftritt, ist folglich das Mass aller Dinge das Auflösungsvermögen seiner Augen. Siehe dazu inwa.beepworld.de/grenzaufloesung.htm.

Schärfe und Auflösung hängen bekannterweise immer direkt mit dem Betrachtungsabstand zusammen. Das Auflösungsvermögen unserer Augen liegt im Nahbereich bei 200 bis 300 dpi. Dies entspricht dem Betrachten einer Zeitschrift im Format A4 aus etwa 25 cm Abstand. Bereits bei einem Kleinposter mit einer Grösse von 50 × 70 cm und einem Betrachtungsabstand von 1 m sinkt die Auflösung distanzbedingt auf etwa 100 dpi. Macht nichts, wir sehen trotzdem alles und auch noch scharf genug. Bei einem Werbeplakat von 130 × 100 cm Grösse, betrachtet aus 2 bis 3 m, liegt die Auflösung noch bei rund 50 dpi! Deshalb haben Weltformatplakate in der Regel nur einen 30er- oder 40er-Raster. Schauen Sie ein solches Plakat einmal aus 25 cm Distanz an.

Das macht alles sehr wohl Sinn, denn man stelle sich mal vor, ein Werbeplakat im Weltformat 90 × 128 cm würde mit einem 60er-Raster ge-druckt. Ein solches CMYK-Bild hätte erstens 630 Megabyte, wir würden jedoch aus 2 bis 3 Metern Distanz keinerlei Schärfe- und Detailunterschied erkennen – verglichen mit der Druckversion im 40er-Raster. Der einzige Unterschied ist die Datenmenge, sie beträgt 44 statt 630 Megabyte, also 15-mal weniger.

Nichts bleibt, wie es war

Deshalb nun mein provokantes Statement : Mit dem Erscheinen einer Kamera wie der Nikon D800E wird in jeder Hinsicht eine gänzlich neue Ära in der professionellen Fotografie eingeläutet, speziell im Mittel- und Grossformat. Dies einerseits basierend auf den erwähnten physikalischen Gesetzen und andererseits aufgrund der anatomisch bedingten Fakten des menschlichen Auges. Der dritte Faktor ist rein ökonomischer Natur, der aber offenbar gerade in der heutigen «Finanzkrisenzeit» immer wichtiger zu werden scheint. Oft ist zu wenig Geld vorhanden, die Budgets sind kleiner geworden.

Mit niedrigeren Investitions- und somit Produktionskosten ist man konkurrenzfähiger. Dies entspricht doch ganz dem Trend nach «immer schneller, immer günstiger». Das wird sich übrigens auch auf den Mietbereich auswirken. Die Kosten für eine gemietete Ausrüstung werden massiv sinken müssen. Sonst kauft man sich die Ausrüstung gleich selbst, wie folgender Vergleich illustriert:

Eine Mittelformatausrüstung (Body mit 40-Megabyte-Oneshot-Back und drei Optiken plus etwas Zubehör kostet rund 30 000 Franken. Eine Ausrüstung mit der annähernd gleichen Auflösung von 36 Megabyte im Falle einer Nikon D800E wird weniger als ein Drittel davon kosten, also etwa 9 000 Franken.

Die Qualität der Bildergebnisse der D800E, das sei hier erwähnt, sind zu 90 % gleichwertig hoch wie im Mittelformat. Das haben unsere eigenen Vergleichstests gezeigt. Auch diverse Tests im Internet, bei denen Profifotografen ihr bisheriges Mittelformat-Back mit einer Nikon D800E vergleichen, zeigen im direkten Vergleich nur geringfügige Unterschiede (www.photigy.com/nikon-d800e-test-review-vs-hasselblad-h4d40-35mm-against-medium-format).

Der Ausstattungs- und Arbeitskomfort einer Kleinbildausrüstung gegenüber dem Mittelformat ist hier noch nicht einmal gegenübergestellt. Dazu gehören etwa schnellere Bildserien, ein geringeres Gewicht, hohe ISO-Werte, grosse Objektivvielfalt und umfangreiches Zubehör.

Erfahrung und Kompetenz

Der Autor arbeitet seit den Anfängen vor über 20 Jahren mit der digitalen Fotografie, am Anfang mit Zeilenscannern auf Grossformatkameras, die bereits Auflösungen von 120 bis 380 Megabyte erreichten, mittler-weile werden Kamerabacks mit 1-, 4- und 16-Shot-Multishottechnologie bis 250 Megabyte eingesetzt. Die Einsatzbereiche liegen schwerpunktmässig im Studio (Kunstrepros, Uhrenfotografie, Stilllife). Nach etlichen anspruchsvollen Direktvergleichen mit Fachkameras, Schneider-Digitar-Optiken und Multishotbacks als Referenz wurde nach bestandenen Tests eine D800E angeschafft.

Der Umbruch hat bereits begonnen

Was für ein Fazit kann man hier ziehen? Der Trend der Profifotografie, sei es im Studio, für Architekturaufnahmen oder Landschaftsfotografien, für Mode und anderes, geht mit der Entwicklung von Kameratypen wie der Nikon D800E eindeutig in Richtung Kleinbild-DSLR-Kameras. Dies gilt mit Sicherheit auch für den «High-End-Bereich», der bisher vom Mittel- und Grossformat allein in Anspruch genommen wurde. Natürlich gibt es Anwendungen in Wissenschaft, Archivierung und auch bei Spezialgebieten, wo die ganz hohen Auflösungen von 60, 80 und mehr Megabyte erforderlich sind. Diese Bereiche sind jedoch klar in der Minderheit. In der Gesamtbetrachtung mit vorgängig beschriebenen Tatsachen bleiben die «Hochleistungspixelmaschinen» irgendwie fragwürdig. Wir als Betrachter sehen mit unseren limitierten Augen nun einmal weder mehr noch besser.

Es gibt übrigens für den zwingend erforderlichen Einsatz einer Mittelformatkamera im Profibreich eine etwas skurrile Rechtfertigung, die ich tatsächlich schon von verschiedenen Fotografen gehört und auf Blogs im Internet gelesen habe: Wenn ein Kunde auf dem Set oder im Studio «nur eine Kleinbildkamera» sieht und das gleiche Kameramodell privat für Hobby­zwecke auch selbst benutzt, könnte er sich doch fragen, warum der Fotograf ein so hohes Honorar verlangt. Ist seine Ausrüstung jedoch fünf, sechs oder auch sieben Mal teurer, muss sie zwingend auch viel besser sein, wodurch sich dann auch ein entsprechendes Tageshonorar rechtfertigt …

Falls dies zu den Hauptargumenten für die Investition und den Einsatz von teurem Mittelformat zählt, muss man sich ernsthaft fragen, ob man hier wohl im falschen Film gelandet ist. Als ökonomischer Fakt bleibt: Bildproduktion mit solchen Kleinbild-DSLR-Kameras sind ohne Qualitätseinbussen erheblich günstiger und einfacher. Ausserdem ist Video gleich auch noch mit eingebaut.

Kosten- und Preisdruck sind heute nun einmal mehr und mehr im Vordergrund. Andauernde «Preiskriege» unter Kunden, Lieferanten und Herstellern verdeutlichen dies rund um den Globus. Gesehen übrigens beim Kamerahersteller Sigma am Beispiel seiner Sigma SD-1 mit einem Bodypreis von etwa 6500 Franken im Januar 2012. Kaum waren die Preise der Nikon D800 bekannt, wurde der Body über 60 % günstiger. Zurzeit kostet er noch 2500 Franken.

Was bleibt zum Schluss?

Betrachten wir die heutigen, zeitgemässen Kommunikationsformen mit Internet, Tablets und Smartphones. Da wird schnell einmal klar, dass das Bild allein nur selten vorkommt, es ist meist Teil der Gesamtinformation. Auch in Magazinen und Katalogen lesen wir den Text, Bilder werden kurz betrachtet, dann wird umgeblättert. Vielleicht sind die «Pixelboliden» schon bald den Dinosauriern gleichzustellen und müssen weichen. Man wird sehen. Nischen wird es sicherlich immer geben, Nischen aber sind immer klein und in Nischen hat es wenig Platz.

Vielleicht verhält es sich wie mit den Autos : Es gibt unzählige Modelle, die wenigsten aber sind mit 6- oder 8-Zylinder-Motoren mit 4-Liter-Hubraum bestückt und bringen es auf 280 Sachen. Obwohl auf dem überlasteten Strassennetz auch diese Boliden nur 120 km/h fahren können oder gar im Stau stehen, gibt es sie doch (noch). Für den einen oder anderen mögen all diese Betrachtungen und Gedanken etwas provokant sein. Die Entwicklung vor mehr als 25 Jahren, als ein Macintosh-Computer einer ganzen Branche über die Jahre hinweg langsam den Boden unter den Füssen wegerodierte, war jedenfalls auch nicht aufzuhalten. Ebenso in der Fotografie : 1993 wurden die ersten Scanbacks für unbewegte Objekte von den meisten Fotografen jahrelang als Unsinn abgetan, seither blieb kein Stein mehr auf dem anderen …

Eines ist jedoch auch mit dem Einsatz einer Nikon D800 gewiss : Ihren Computer müssen Sie mit den nun erzeugten doppelten Datenmengen vermutlich bald ersetzen. Die nahe Zukunft wird zeigen, was die banalen Bezeichnungen Nikon D800 und D800E bewirken werden.

Der Autor

Manfred Dubach ist seit vielen Jahren anerkannter Spezialist im Bereich ­Digitalfotografie und Weiterverarbeitung für Faksimilearbeiten. Er arbeitet für Buchverlage, Museen, Industrie- und Gewerbekunden. Dubach.digital GmbH ist als Produktionsagentur Anbieter von Fotografie, Grafik- und Webdesign.

www.dubach-digital.ch