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Scribus Operaticus

Die freie DTP-Software Scribus hat geholfen, die Wiederaufführung einer Oper an einem grossen Opernhaus allen Schwierigkeiten zum Trotz zu einem Kinderspiel zu machen.

christoph Schäfer Um die Aus-gangslage im Opernbetrieb zu verstehen, muss man den Unterschied zwischen einer Neuinszenierung und einer Wiederaufführung kennen. Bei einer Wiederaufführung handelt es sich um genau das, was das Wort sagt: Bühnenbild, Kostüme und eben auch die Intentionen des ehemaligen Dirigenten werden rekonstruiert, selbst nach Jahrzehnten. Was die genannten Intentionen angeht, so finden diese ihren Niederschlag in den Einzeichnungen des Dirigenten in den Partituren und den einzelnen Stimmblättern.

Scanner-PDF

Eine Wiederaufführung stösst häufig auf das Problem, dass die Notenblätter der Originalaufführung in einem physischen Zustand sind, der die Nutzung durch das Orchester ausschliesst.

Mitarbeitern eines Opernhauses bleibt also nur die Alternative, die kommentierten Notenbögen einzuscannen und sie erneut auszudrucken. Unglücklicherweise gerät ihnen dabei oft die Bindung ins Gehege, was dazu führt, dass zumindest einige Seiten «schief» eingescannt werden.

Im rekonstruierten Fall hatte der Scanner eine PDF-Datei mit allen kommentierten Seiten erzeugt, und die Fachbearbeiterin sah sich mit dem Problem konfrontiert, das sehr unbefriedigende Scan-Ergebnis raschestmöglich in brauchbare Notenblätter für das Orchester zu verwandeln. Dank Scribus war sie in der Lage, dieses Ziel in kürzester Zeit zu erreichen.

Voreinstellungen

Scribus bietet schon beim Anlegen eines neuen Dokuments mehr Optionen an als vergleichbare Programme. In Zusammenhang mit dem vorliegenden Projekt wurden folgende Einstellungen notwendig: Als Dokumentlayout wurde Doppelseite gewählt. Da für Notenblätter ein spezielles Seitenformat üblich ist, wurde dieses als Benutzerdefiniert per Hand eingegeben. Auch Werte für die Seitenränder wurden den speziellen Vorgaben entsprechend angepasst, obwohl der Satzspiegel hier nur als visuelle Orientierung dient. Die für unser Beispiel verwendete Spielstimme war die Harfe, weswegen sich die benötigte Seitenzahl auf fünf beschränkt. Zusätzlich wurde die Option Dokumenteinstellungen nach dem Erstellen öffnen ausgewählt.

Scribus erstellt nun das Dokument und öffnet die Einstellungen für dasselbe, die einen Neuling schon einmal erschlagen können, denn in Scribus lässt sich fast alles konfigurieren. Für das vorliegende Projekt sind aber hier nur drei Punkte wichtig, nämlich zunächst die Sichtbarkeit der Hilfs­linien. Hier wurde die Option Im Vordergrund ausgewählt. Unter Werkzeuge wurde eine andere Standardschrift für später hinzuzufügende Textrahmen eingestellt sowie für Bildrahmen Bild an Rahmen anpassen festgelegt.

Rahmen

Nun galt es, die komplette PDF-Datei zu importieren. Dazu wurde ein besonderes Scribus-Feature verwendet, nämlich das Einfügen multipler Text- und Bildrahmen (Einfügen > Rahmen …). Im erscheinenden Dialog wurden die folgenden Optionen ausgewählt: Reiter Typ: Bildrahmen; Reiter Platzierung: Alle Seiten, Oben links (Seite); Reiter Grösse: Seitengrösse. Unter Optionen wurde die PDF-Datei ausgewählt, und nach einem Klick auf OK erzeugte Scribus auf jeder Seite einen Bildrahmen, in welchem die PDF-Datei geladen war.

Hilfslinien

Um die einzelnen eingescannten Seiten einheitlich ausrichten zu können und eine Art «Grundlinienraster» für Noten zu erzeugen, sollten zunächst horizontale Hilfslinien eingezogen werden. Dazu musste eine passende Seite ausgewählt werden. Leider ermöglicht es der Import von mehrseitigen Grafikformaten wie PDF oder PostScript noch nicht, diese sequenziell zu importieren, sodass man Seiten für jeden Rahmen manuell auswählen muss. Dies geschah über die «Kommandozentrale» von Scribus, die Eigenschaftenpalette, die sich per F2 aufrufen lässt, und zwar im Reiter Bild. Bei mehrseitigen Dateien kann man hier die gewünschte Seite auswählen.

Am besten eignete sich in der eingescannten Spielstimme Seite fünf. Hilfslinien lassen sich in Scribus ganz einfach aufziehen, indem man in das Bildschirmlineal klickt und die Hilfslinie bei gedrückter Maustaste auf die aktuelle Seite zieht. Dies ermöglicht die visuelle Erzeugung und Anpassung dieser Linien, was in diesem Fall gegenüber einer ebenfalls möglichen numerischen vorzuziehen war. Nachdem die Hilfslinien auf Seite fünf an Ort und Stelle waren, wurden Sie mittels des Hilfsliniendialogs (Seite > Hilfslinien bearbeiten …) auf alle Seiten angewandt.

Feinarbeit

Nun ging es darum, die Darstellung der einzelnen Seiten innerhalb der Bildrahmen zu optimieren. Dabei waren ganz unterschiedliche Scribus-Operationen vonnöten. Um etwa die schief eingescannte Seite drei zurechtzurücken, wurde der Bildrahmen unter Zuhilfenahme des X, Y, Z-Reiters der Eigenschaftenpalette um 0,3 Grad gedreht.

Auf Seite vier musste der Inhalt des Bildrahmens herunterskaliert werden, weil im Original zwei Notenzeilen mit über den vorgesehenen Bundsteg hinausgehenden Anweisungen überklebt worden waren. Auch dies liess sich mit der Eigenschaftenpalette bewältigen, indem dort im Bild-Reiter Freie Skalierung ausgewählt wurde. Zur proportionalen Skalierung wurde das Ketten-Symbol angeklickt und anschliessend die PDF-Seite in den Satzspiegel zurückskaliert.

Schikane Drucker

Ein weiteres Problem stellte der Kopierer dar, der zum Ausdrucken verwendet wurde und der mit dem benutzerdefinierten Format so seine Schwierigkeiten hatte. Weil alle rechten Seiten nicht wie die linken ausgedruckt wurden, mussten die Bildrahmen auf diesen Seiten nach oben verschoben werden.

Hier kam ein weiteres Scribus-Feature zum Tragen, nämlich die Dokumentstruktur im Menü Fenster. Letztere erlaubt es, mehrere Objekte auf bestimmten Seiten bei gedrückter Shift-Taste mit der Maus auszuwählen, ohne dass dazwischenliegende Seiten beziehungsweise Objekte davon betroffen sind. Nach der Auswahl liessen sich die Bildrahmen auf der rechten Seite kollektiv verschieben.

Optimierung

Zum Schluss waren noch ein paar Schönheitskorrekturen notwendig. So fehlte auf den Seiten vier bis fünf auch im Original die Seitennummer. Diese liess sich leicht nachtragen, indem an den betreffenden Stellen ein kleiner Textrahmen aufgezogen wurde. Nach einem Doppelklick auf den Textrahmen konnte mittels Einfügen > Zeichen > Seitenzahl eine automatische Seitenzahl eingefügt und typografisch mit dem Text-Reiter der Eigenschaften­palette angepasst werden.

PDF-Export

Nachdem die Notenblätter für die Spielstimme entsprechend den Vorgaben des Opernhauses und den technischen Voraussetzungen optimiert worden waren, ging es nur noch darum, die Scribus-Datei in das PDF-Format zu exportieren. Weil die Voreinstellungen von Scribus für den vorliegenden Fall ausreichend waren, mussten diese nicht verändert werden.

Das Ergebnis ist ein für die Musiker eines Orchesters bestens brauchbarer Ausdruck.

Hier finden Sie weitere Screenshots zu Scribus in der Praxis.