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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


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Wer sich zuerst bewegt � verliert?

Wenn man tagtäglich im Kundenauftrag Daten erzeugt, korrigiert und für die Ausgabe vorbereitet, fällt einem irgendwann auf, dass in «unserer» Software etwas grundsätzlich faul ist: Die Softwareanbieter haben irgendwann aufgehört, sich der Schaffung neuer Möglichkeiten für die Druckbranche zu widmen.

Jason Harder Und dass wir, bei stetig verkürzten Upgradezyklen, eher mit neuen Bugs zu kämpfen haben, als dass alte beseitigt werden, nehmen wir mit einer erstaunlichen Duldungsstarre hin. Wir haben ja Aufträge zu erledigen. So, dass Kunden zufrieden sind.

  • Es ist in beeindruckender Weise unbedienbar für Einsteiger.
  • Es gibt widersprüchliche Einstellungen zwischen Betriebssystem und Anwendung.
  • Selbst Profis straucheln schnell bei Erläuterungen zu «richtigen» Settings.
  • Es gibt eine qualitative und quantitative Expansion bei Farbräumen und Bedruckstoffen, die in den Programmen «nicht stattfindet».

Und wie haben die Softwareanbieter in den letzten 20 Jahren auf diese Veränderungen reagiert? Gar nicht. Wir sitzen noch immer vor den gleichen Dialogen wie im letzten Jahrtausend – die weder spiegeln, dass es hochpigmentierte Farben, Monitore mit DCI-P3-Farbraum, noch, dass es optisch aufgehellte Bedruckstoffe gibt. Obwohl wir heute eine gigantische Bandbreite von Ausgabemöglichkeiten und eine beeindruckende Rechenleistung zur Verfügung haben, lassen uns die Betriebssystem- und Softwareanbieter im Regen stehen. Wir müssen weiterhin so tun, als wäre es State of the Art, halbwegs stabil im Offset zu drucken. Wir müssen Farbräume beschneiden, um auf verschiedenen Ausgabesystemen einen ähnlichen Eindruck zu erzielen. Wir müssen PDFs mit grobem Werkzeug zurechtdengeln. Wir müssen so tun, als wüssten wir, was der optische Aufheller am Ende für ein Druckbild liefern wird.

Warum werden wir immer wieder in sRGB/coated zurückgezwungen? Eigentlich zeigt uns das steinzeitliche Grauen des Farbmanagements gleich auf zwei Feldern, wie verlassen wir sind: Einerseits werden Datenerzeugung und die Befüllung der Ausgabekanäle immer komplexer – während andererseits die gezielte Schulung der Gestalter immer dürftiger wird. Demnach wäre es die Aufgabe der Software, dem Gestalter belastbare Hilfen anzubieten, die es ihm erlauben, zu einer technisch korrekten Ausgabe zu kommen. Das gilt, am Rande bemerkt, nicht nur für das Drucken, sondern auch für Fotografie, Digitaldruck, Webanwendungen. Die Bedienbarkeit des Farbmanagements, die Auftrennung in Einstellungen beim Betriebssystem und Einstellungen in den Innereien der eingesetzten Software, ist für kaum einen datenerzeugenden Anwender im Tagesgeschäft nachvollziehbar.

Zudem fand schlichtweg überhaupt keine Weiterentwicklung statt. Eigentlich m�ssten wir im Jahr 2017 ein exibles, zeitgem�sses Austauschformat haben, das tats�chlich medienneutral ist, Vekto- rinformation bevorzugt, webtauglich ist – und �ber ein f�r jeden Prozessbeteiligten nachvollziehbares dateibegleitendes (und damit korrigierbares) Farbmanagement abgewickelt wird. Doch wir reduzieren weiter auf 256 Abstufungen pro Kanal. Wir haben noch immer keinen Umgang f�r Bilddaten, die auf allen Kan�len den gleichen visuellen Eindruck hinterlassen – aber dennoch den m�glichen Farbraum optimal nutzen sollen.

Das echte Problem, das aus der Abwesenheit von Entwicklung in diesem Umfeld erw�chst, ist, dass es auf potenziellen Nachwuchs extrem abschreckend wirkt. Sich mit all den Problemen besch�ftigen zu m�ssen, die daraus erwachsen, dass wir in einer vernetzten Welt mit Werkzeugen aus Zeiten der Filmbelichtung unterwegs sind, ist keine attraktive Perspektive f�r einen Berufseinsteiger, der Inhalte f�r viele Ausgabekan�le produzieren m�chte – wie der Bundesverband Druck & Medien BVDM in seinen am 18. Mai 2017 ver� entlichen Ausbildungszahlen f�r Deutschland eindrucksvoll untermauert.1 

�rgerlich an dieser Situation ist, dass wir fr�her mit arg begrenzter Rechen- leistung und technischen Grenzen k�mpfen mussten. Doch heute sind viele dieser Grenzen aufgehoben – die Softwarehersteller sehen dennoch keinen Grund, unsere Werkzeuge an die aktuellen M�glichkeiten anzupassen, uns diese M�glichkeiten nutzbar zu machen. Denn diese Unternehmen generieren immer weniger Umsatz �ber den Verkauf unserer Werkzeuge. Dass das auch daran liegt, dass sie nicht in unsere Branche investieren, m�ssen sie endlich zu sp�ren bekommen. 

Was können wir konkret tun?

Unsere Zwischenhändler stärker aktivieren und mit Informationen versorgen. Bei Direktkontakten mit Herstellern sehr deutliche Rückmeldungen geben. Lizenzbezüge an herstellerseitige Leistungszusagen koppeln. Mehr öffentlich sichtbare Kommunikation untereinander. Kurz: Auf allen uns verf�gbaren Ebenen m�ssen wir fordernder, lauter und pr�senter werden. Machen wir Druck! 

Jason Harder verantwortet als Head of Technical Innovation einer Frankfurter Produktionsagentur die Optimierung und Automatisierung von Druckprozessen internationaler Werbekunden. Sein Wissen teilt und diskutiert er auf seinem Blog printpraxis.net.


1 BVDM: «Ausbildungsverträge in der Druck- und Medienindustrie 2015/2016»
https://www.bvdm-online.de/druckindustrie/ausbildungszahlen/