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Zeichnen nicht ohne Wenn und Aber

Die iPad-App Adobe Draw ist der Nachfolger von Adobe Ideas. Damit kann man mit Finger oder Stift zeichnen oder zeichnerische Vorarbeiten mobil erledigen, um diese später in Illustrator CC weiterzubearbeiten. Wie praxistauglich ist die App wirklich?

Andreas Burkard Apps zum Zeichnen auf den Tablets blühen wie die Blumen einer Frühlingswiese. Ob iDraw, Wacom Bambo Paper, Sumo Paint, Zen Brush und weitere Apps aus dem Store, sie alle versprechen das kinderleichte Zeichnen und Malen direkt auf dem Display des iPads.

Adobes Antwort

Auch Adobe steht da nicht abseits und hat mit Line, Sketch, Shape oder eben Draw eine ganze Reihe von Apps dazukonzipiert. Diese sind auf das iOS von Apple ausgerichtet, also für iPad Air, iPad 4 und iPad Mini. Adobe Draw ist nun zudem für Apples Smartphone verfügbar und dabei auf die grösseren Displays des iPhone 6 unter iOS 7.1 oder neuer ausgerichtet. Nach dem Bezug der App via App Store ist Adobe Draw dann über die Cloud mit Illustrator CC und auch Photoshop CC verbunden.

Geduldige Anwender, die das Zeichnen auf dem iPad lernen möchten, können eine gesamte Illustration mit Adobe Draw kreieren. Hilfsmittel dazu sind vorhanden. Adobe Draw ist auch hilfreich, um mobil schnell einen Entwurf zu machen. Die Weiterverarbeitung in dieser Arbeitsweise kann später in Illustrator CC oder Photoshop CC vorgenommen werden. Die Verbindung zwischen den erzeugten Draw-Inhalten zu Adobe Illustrator CC oder Photo­shop CC wird über das gültige Abo der Creative Cloud und der damit verbundenen Adobe ID hergestellt. Für die Apps fallen mit dem Abo der Creative Cloud keine weiteren Kosten an.

Updates, Updates, Updates …

Die Tablet-Apps von Adobe unterliegen dauernden Änderungen. Es ist eine Voraussetzung, dass man diese Vorgehensweise liebt oder damit umzugehen weiss. Ohne grosse Vorankündigung werden neue Funktionen hinzugefügt oder auch mal bestehende weggenommen. Auf der Zeitachse betrachtet, ist die Arbeit mit den Apps öfter unterschiedlich. Vieles kommt erst durch Ausprobieren zum Vorschein. Doch, weiss man nach einer Woche oder einem Monat noch, wie das ging? Die App-Entwicklung ist fliessend und stark auf dem Feedback der Kunden aufgebaut.

Zwängerei mit der Cloud

Typisch für diese Entwicklung ist zudem das Fallenlassen von Apps, wenn diese nicht mehr in die Firmenstrategie passen. So wurde beispielsweise die App Adobe Ideas bereits wieder eingestellt. Adobe Ideas war eigentlich als «kleiner Bruder» zu Illustrator gedacht. Adobe Draw ist nun der Nachfolger von Adobe Ideas. Ein Beispiel dieser schnellen Strategieänderungen des Herstellers ist das Senden der Zeichnung per E-Mail zu Adobe Illustrator. Adobe Ideas hat eine Zeichnung als PDF-Datei übermittelt, welche in Illustrator unabhängig von der Version als Vektordatei geöffnet werden konnte.

Zwar kann man auch in Adobe Draw eine Zeichnung noch per E-Mail senden, obwohl diese Möglichkeit bereits eine Stufe tiefer verborgen ist. Doch was Adobe Draw beim E-Mail-Versand übermittelt, wirkt höhnisch. Per E-Mail wird aus Draw ein Pixel-basiertes JPG-Format geschrieben! Die Vektordaten gibt Adobe Draw nur noch über die Cloud und nur für Illustrator CC preis.

Dies ist ein weiteres Beispiel, wie vehement die Cloud-Entwicklung von Adobe vorangetrieben wird. Rücksichtslos versucht Adobe, alle Prozesse ausserhalb der Cloud zu verunmöglichen. Heute sind es die für den typischen Publishing-Anwender teurer gewordenen Creative-Cloud-­Lizenzen, schon bald dann die Daten und danach wohl das gesamte System. Neue verzahnte Cloud-Lösungen, Wachstum durch Abhängigkeit der Anwender und Datensammlung, das scheint der Leitsatz der dynamischen, amerikanischen Firma zu sein.

Projekte anlegen

Die Benutzeroberfläche in Adobe Draw schweigt sich über die Vorgänge aus. Es gibt keine Hinweise und Erklärungen. Man ergründet die Vorgehensweise mit dem Antippen von Symbolen. Um loszulegen, muss man erst mal ein Projekt anlegen. Dies geschieht über das kleine Plus-Zeichen am linken Rand. Für die Benennung eines Projekts tippt man auf das Bearbeiten-Symbol. Erscheint dann ein Hakensymbol, so kann man in den Projektnamen tippen und diesen ändern.

Ein Projekt besteht aus fünf Zeichnungen. Weitere Zeichnungen können hinzugefügt werden. Dazu tippt man auf das entsprechende Symbol oben rechts bei der Projektleiste. Tippt man im Bearbeitungsmodul auf eine Zeichnung, so wird die gesamte Zeichnung temporär in oranger Farbe abgedeckt. In diesem Zustand kann man ein Zeichnungsblatt duplizieren. Diese Methode ist ideal, um davon neue Varianten zu erstellen. Auch kann man so eine Zeichnung innerhalb eines Projekts löschen.

Die Oberfläche

Ein zweifaches Tippen auf ein Zeichnungsblatt führt zum Zeichnungsmodus. Auch hier ist alles auf das Wesentliche reduziert. Es stehen fünf unterschiedliche Pinsel und Stifte zur Verfügung. Über die Bedeutung geben bloss deren Abbildungen eine vage Auskunft. Ob Schräg-, Rund- oder Kalligrafiepinsel, jeder ausgewählte Pinsel und Stift lässt sich in der Farbe, der Deckkraft und der Grösse einstellen.

Oben rechts im Zeichnungsmodus sind weitere fünf Symbole angebracht. Von links beginnend geht es um das Senden der ausgewählten Zeichnung als Creative-Cloud-File, direkt zu Photoshop CC oder Illustrator CC, sowie die erwähnte Freigabe per E-Mail. Gleich daneben können Hardwarestifte, allem voran Adobe Ink&Slide, konfiguriert werden. Ein weiteres Symbol zeigt vorgefertigte Formen. Dazu gehören Linien und Grund­formen wie Kreise, aber auch Sujets als so genannte Stempel. Beim Antippen des Symbols mit den drei Kreisen, dem so genannten Scheibenspiegel, können diese Formen verschoben, gedreht und skaliert werden. Zeichnet man in diesem Scheibenspiegel­modus, so folgt die Strichführung exakt der ausgewählten Form. Man kann so unter anderem Grundformen wie eine gerade Linie oder einen Kreis zeichnen. Mit einem zweifachen Tippen wird die gesamte Form erstellt. Bei den Stempelformen kann man so beispielsweise vorgegebene Silhouetten von Personen erstellen. Ein erneutes Tippen auf das Symbol des Kreises beendet den Formzeichnungsmodus. Das Symbol ganz rechts ist schliesslich der Vollbildmodus.

Mit Gesten arbeiten

Fingergesten sind ein wesentlicher Bestandteil bei der Arbeit mit Adobe Draw. Mit dem Zusammenziehen von zwei Fingern zeigt eine Rasteransicht alle Zeichnungen innerhalb eines Projekts an.

Ein richtiges Muss ist das Beherrschen von Undo&Redo, das Rückgängigmachen und das Wiederherstellen von Arbeitsschritten. Dazu streicht man mit zwei Fingern nach links. Macht man mit der gleichen Geste eine Bewegung nach rechts, wird wiederhergestellt. Hält man zwei Finger auf der Zeichnung gedrückt, so löst dies einen Verschiebevorgang der Zeichnungs­fläche aus.

Mit Ebenen arbeiten

In Adobe Draw stehen Ebenen zur Verfügung. Unterhalb der Zeichnungsebene befindet sich eine Fotoebene. Dabei wird über die Cloud vom Creative Market, aber auch von den Fotos auf dem iPad eine Vorlage für die Nachzeichnung eingefügt.

Bis zu zehn neue Zeichnungsebenen können hinzugefügt werden. Tippt man lange auf eine Ebene, dann lässt sich diese Ebene anders anordnen. Ebenen lassen sich ein- und ausblenden, spiegeln, duplizieren, in der Deckkraft ändern und löschen. Die Ebenen bleiben nur beim Senden an Illustrator CC erhalten.

Mit dem Finger zeichnen

In Adobe Draw lässt sich vollständig mit dem Finger zeichnen. Dabei gedeihen vor allem Schriftzüge wunderbar. Man ist erstaunt über die Feinheit und die Präzision der Strichführung. Die Methode, mit dem Finger Schriftzüge und Formen in Adobe Draw zu kreieren, ist ein überzeugendes Einsatzgebiet und dazu hat es viele Verwendungen.

Mit dem Finger und unter Beherrschung der Gesten lässt sich auch sehr flüssig zeichnen. Mit dem Spreizen der Finger kann die Ansicht stark vergrös­sert werden, um feine Details umzusetzen.

Auch lassen sich mit dem Finger im Scheibenspiegelmodus einfach Formen nachzeichnen oder Stempel einfügen.

Mit dem Stift zeichnen

Momentan unterstützen drei Stifte das Zeichnen in Adobe Draw. Das ist einerseits Adobe Ink&Slide. Anderseits der Stift Jot Touch der Firma Adonit (www.adonit.net) und neu auch der Wacom-Stift FiftyThree.

Adobe Ink&Slide besteht aus zwei Komponenten. Ink ist der druckempfindliche Stift und Slide ist die Möglichkeit, die vorgegebenen Formen vereinfacht nachzuzeichnen oder Stempelformen einzufügen.

Der Stift muss erst über die App Adobe Draw verbunden werden. Dies geschieht, indem man den Stift einschaltet und danach in Adobe Draw auf das Stiftsymbol oben rechts im Fenster tippt. Dort muss man den aktivierten Stift auf eine bestimmte Fläche halten, so lange bis eine Anzeige aufzeigt, dass er nun mit Adobe Draw verbunden ist. Auch Voreinstellungen zum Stift lassen sich an gleicher Stelle konfigurieren, wie beispielsweise die Haltung des Stiftes in der Hand. Das Design des Stiftes ist gelungen und er liegt ergonomisch gut in der Hand.

Doch die Arbeit mit dem neuen Stift verhält sich enttäuschend mühsam und umständlich. Der Stift ist ungenau und die Strichführung ist je nach Pinsel nicht exakt dort, wo man ansetzt. Liegt die Hand auf dem Tablet, so ist die Gefahr gross, dass dadurch die Zeichnung verschoben wird oder dass unabsichtlich neue Striche entstehen. Das verhindert auch der Vollbildmodus nicht. Als Lösung kann man über die Voreinstellung das Halten des Stifts in der Hand ändern oder man versucht, den Stift ohne Handkontakt mit dem Tablet zu verwenden. Dies steht jedoch im Widerspruch zur natürlichen Arbeitsweise.

Überteuertes Spielzeug

Das Zeichnen in der App Adobe Draw unter Zusatz von Ink&Slide wird zur Spielerei. Wie vom Hersteller gewohnt, hinterlegt er in seinen Community-­Kanälen tolle Beispiele als Beweis für die vielen Einsatzgebiete und deren Praxistauglichkeit. Doch ob diese wirklich alle vollständig in Adobe Draw erstellt wurden, ist zu bezweifeln. Und wenn, dann sind diese Beispiele unwirtschaftliche Spielereien einer dem Hersteller ergebenen Anwenderschaft. Jeder sonstige digitale Zeichner arbeitet für aufwendige Projekte längst direkt in Illustrator oder Photoshop auf einem professionellen Wacom-Grafiktablett – auch in der Entwurfsphase. Er ist damit wesentlich flexibler, besser ausgestattet und effizienter. Auch Neueinsteiger sind für grosse und detailreiche Zeichnungen auf einem Grafiktablett von Wacom ungleich besser aufgehoben als auf dem iPad in Adobe Draw mit der überteuerten Stiftlösung.

Für Adobe Ink&Slide zahlt man hierzulande zwischen 215 und 245 Franken. Dies ist ein stolzer Preis, wenn man den Nachteil berücksichtigt, den ein iPad für das präzise Zeichnen mit Stift mit sich bringt. Etwa die Hälfte kostet der Adobe-Draw-kompatible Stift Jot Touch von Adonit. Der FiftyThree, der druckempfindliche Stift von Wacom, kostet schliesslich gerade einmal 60 Franken.

iPad zu klein, Display zu glatt

Doch der Hauptgrund, warum beim Zeichnen mit dem Stift in Adobe Draw nicht wirklich Freude aufkommt, ist die Tatsache, dass das iPad-Display dazu einfach zu klein ist.

Ausserdem ist für präzises Zeichnen mit dem Stift das Glas des iPad-Displays zu glatt. Das absolut blanke und ebenmässige Glas eines iPads gibt der Kugel des Stifts keinen Halt, so wie dies beim Papier oder auch beim Wacom-Grafiktablett der Fall ist. Selbst Bamboo, das Einsteigermodell von Wacom, hat eine Oberfläche mit einem gewissen Widerstand, welcher eine griffige und natürlichere Stiftführung ermöglicht.

Datenformate und freie Bühne

Beim Senden an Illustrator CC erzeugt Adobe Draw ein eigenes .draw-Format. Dieses .draw-Format wird über die Cloud im Filesystem des Anwenders abgelegt. Die vektorbasierte Datei ist nach dem Senden automatisch in Adobe Illustrator CC geöffnet. Dieser schnelle Datenaustausch ist erstaunlich und zeigt zugleich eine Stärke in der Zusammenarbeit. In Illustrator CC kann eine Nachbearbeitung und die Speicherung in gängige Formate erfolgen. Das .draw-Format lässt sich nicht in InDesign platzieren, es muss erst umgewandelt werden. Beim Senden an Photoshop CC wird ein PNG-Format erzeugt, mit Unterstützung der Transparenz, aber ohne Ebenen.

Weiter lässt sich eine Zeichnung aus Draw in die Creative Cloud kopieren. Dazu wird eine PNG-Datei erstellt, welche im Ordner Creative Cloud Files abgelegt wird. Über den eigenen CC-Account kann man diese Dateien im Browser verwalten, teilen, herunterladen oder auf Béhance, der grossen Adobe-Bühne, veröffentlichen.

Der Autor

Andreas Burkard ist seit vielen Jahren spezialisiert auf die interne Ausbildung von Teams und Abteilungen im Bereich Marketing, Kom­munikation und Publikation auf den aktuellen Programmen und deren Workflow. Er unterstützt Firmen beim Aufbau interner Projekte.www.BurkardPublishing.ch