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Die Polygrafenausbildung im Diskurs

Als Projektleiter der Reformkommission «BiVo Polygraf» hat sich Peter Theilkäs den schriftlichen Fragen von Ralf Turtschi gestellt und ist zusätzlich Rede und Antwort gestanden.

PUBLISHER Herr Theilkäs, im letzten Publisher war zu lesen, die Betriebe müssten mehr Lehrplätze schaffen. Gibt es eine fundierte Bedürfnisanalyse für den künftigen Bedarf an Nachwuchskräften?

THEILKÄS Im Februar 2005 hat Viscom eine umfassende Bedarfsanalyse für die grafische Branche/visuelle Kommunikation unter dem Titel «Arbeitsmarkt 2010» herausgegeben. Umfragen und Interviews mit Branchenfachleuten bildeten die Basis für  Bildungsinhalte und Ausbildungsrichtungen. Wir gehen heute davon aus, dass sich die jährlichen Lehrvertragsabschlüsse zwischen 250 und 300 einpendeln werden.

PUBLISHER Bildungspolitisch müsste man doch möglichst vielen der 50 bis 100 geschätzten Bewerberinnen und Bewerbern pro Polygrafenlehrstelle den Einstieg in die Berufswelt ermöglichen. Ist die Behauptung falsch, dass die Anforderungen an die Betriebe zu hoch sind, dass sie nicht mehr ausbilden können?

THEILKÄS Mit der nunmehr seit zwei Jahren gültigen Bildungsverordnung mit den beiden Fachrichtungen sind die Anforderungen nicht grösser, sondern anders geworden. Die Fachrichtung «Produktion» umfasst etwa das, was im Vorgängerreglement aufgeführt war, selbstverständlich ergänzt um die technologischen und marktspezifischen Neuerungen. In der Fachrichtung «Mediengestaltung» hat man Wert darauf gelegt, dass der Typografie wieder mehr Beachtung geschenkt wird, eine Forderung, die immer wieder von betrieblicher Seite gestellt wurde.

PUBLISHER Was unternimmt der Viscom konkret, um neue Lehrstellen zu schaffen?

THEILKÄS Bezüglich der Polygrafenbildung brauchen wir in unseren Betrieben keinen Sondereffort zu machen. Mit dem neuen Angebot haben wir aber – dies auch eine Forderung seitens unserer Betriebe – Werbeagenturen und Grafikateliers angeschrieben, besucht und zu unseren Infoveranstaltungen eingeladen, die wir im Vorfeld durchgeführt haben. Das Resultat ist spürbar, kommen doch heute mehr als 10% der Lernenden aus diesen Unternehmen. Schliesslich ist es nicht der Verband, der Lehrstellen schafft, es sind die Betriebe, die entscheiden, wie viele Lernende sie ausbilden wollen. Wir haben einzig die Plattform und die Instrumente dafür bereitzustellen.

PUBLISHER Der Bildungsplan ist in der Formulierung der Ausbildungsthemen vage. Auch der Modelllehrgang bringt den Betrieben keine Klarheit. Was versteht man unter «multime­diale Präsentationen herstellen»? Kann ein Betrieb PowerPoint ausbilden, ein anderer Flash, ein dritter PDF? Im Bildungsplan bleibt das ja offen. Wenn ich betrieblich PowerPoint schule, können Sie doch nicht später die PDF-Features prüfen, oder?

THEILKÄS Bildungspläne haben die Aufgabe, nach Leitzielen differenziert die zu unterrichtenden Tätigkeiten produkteneutral nach Lernort, Lernzeitpunkt und Fachrichtung in der entsprechenden Taxonomiestufe zu beschreiben. Bewusst wird darauf verzichtet, Produktenamen zu verwenden. Wenn Sie nun danach fragen, was «Multimediale Präsentation» bedeutet, dann geht es in diesem Leitziel darum, Anwenderprogramme für die Erstellung einfacher Websites nach Vorgabe einsetzen zu können und einfache Sachverhalte mit einer geeigneten Präsentationssoftware (z. B. eben PowerPoint) fachlich und methodisch richtig aufzubereiten. Zur allgemeinen Beruhigung sei angefügt, dass «Multimedia und Website» kein Prüfungsfach in der praktischen Lehrabschlussprüfung sein wird.

PUBLISHER Wie ist es zu erklären, dass man laut Bildungsplan, Seite 22, in der Fachrichtung Produktion in den Betrieben Multimedia und Website herstellen muss, in der Fachrichtung Gestaltung hingegen nur Websites, aber keine Multimediaproduktion?

THEILKÄS Daran kann der Unterschied zwischen den beiden Fachrichtungen schön aufgezeigt werden und auch die Art, wie tief dieser zukunftsträchtige Bereich unterrichtet werden soll. Ab dem 3. Semester steht das Thema für beide Fachrichtungen sowohl in der Berufsfachschule als auch im Betrieb auf dem Lehrprogramm. Es wird also gleichwertig vermittelt. Nur noch im 7. Semester und nur noch im Lernort «Betrieb», Fachrichtung «Medienproduktion», steht das Leistungsziel 7.1.5 «Herstellen einer einfachen Multimediaproduktion» auf dem Programm. Damit sollen im Sinne der Medienkonvergenz-Tauglichkeit von Polygrafen/-innen EFZ einfache Anwendungen vermittelt werden. Im ÜK soll dafür gesorgt werden, dass auch Lernende in den Genuss kommen, die in ihrem Betrieb in diesem Bereich keine oder zu wenig Gelegenheit dafür haben.

PUBLISHER Ich bin der Auffassung, dass die Themenbreite in der Ausbildung zulasten der praktischen Fertigkeit in der Tiefe geht. Die jungen Lehrabgänger wissen von allem etwas, können aber zu wenig.

THEILKÄS Genau hier liegt die Krux. Sollen wir etwas, das in unserem «Einzugsbereich» liegt, fahren lassen nur weil es nicht mehr genau der – ich sage es drastisch – Bleisetzerära entspricht? Die heutigen und noch viel mehr die künftigen Polygrafen/-innen müssen medienkonvergent ausgebildet werden, um danach praxistauglich agieren zu können. Dies war einer der Hauptgründe, weshalb wir das Berufsbild in zwei Fachrichtungen aufgeteilt haben.

PUBLISHER Dem Thema Bilderfassung sind inzwischen die Vorlagen abhanden gekommen, da heute 99% digitale Bilddaten in die grafische Branche gelangen. Mit einem Winkelzug wird nun bereits in ÜKs mit Digitalkameras «Bilddatenerfassung» betrieben. Man kann doch nicht den Bildungsplan, der für Scanner geschrieben wurde, nun auf Digitalkameras übertragen, das sind doch zwei Paar Schuhe!

THEILKÄS Ein gutes Beispiel, das aufzeigt, wie schnell die Entwicklung läuft. 2006, als wir die BiVo abgeschlossen haben, war das Thema Digitalkamera in dieser Schärfe noch nicht erkennbar. Ich bin aber entschieden der Ansicht, dass sich Polygrafen/-innen in dieser Materie auskennen müssen. Die eigens dafür eingesetzte Kommission für Berufsentwicklung und Qualität wird im Rahmen der Bewirtschaftung des Berufsbildes sicher auch da den Hebel ansetzen.

PUBLISHER Es gibt die Teilprüfung nach dem 2. Lehrjahr im Umfang von 7–8 Stunden und die Abschlussprüfung im Umfang von 14–16 Stunden. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie die Lernenden Gestaltung, Multimedia und Websites und Datenausgabe in dieser Zeit praktisch umsetzen sollen. Und laut BiVo muss der Nachweis erbracht werden, dass die Fachkompetenzen von a bis l in Art. 4 der BiVo erworben worden sind. Haben Sie eine Vorstellung?

THEILKÄS Bekanntlich wird erst ab dem 3. Bildungsjahr fachrichtungs­spezifisch ausgebildet. Das heisst, dass die Teilprüfungen, die in diesen Tagen jetzt erstmals nach der neuen Verordnung durchgeführt werden, für alle gleichlautend sind. Ich habe die Aufgaben anlässlich der Präsentation vor den Chefexperten verifiziert; es werden faire, dem Bildungsstand angemessene Aufgaben gestellt. In den nächsten Monaten werden sich zwei Arbeitsgruppen mit Spezialisten aus Produktion und Gestaltung an die Ausarbeitung der praktischen Aufgaben des Qualifikationsverfahrens machen. Auch hier werden Aufgaben ausgearbeitet, die dem Wissensstand und dem Können der Kandidaten/-innen entsprechen werden und gleichzeitig garantieren, dass die jungen Berufsleute praxistauglich sein werden.

PUBLISHER Aus den Schulen und von den Lernenden hört man, dass die grosse Mehrheit aller Polygrafen heute im Betrieb nie gestalten können. Aber weshalb ist dann im Bildungsplan 1.1.10 von Freihandzeichnen die Rede? Wie passt das zusammen?

THEILKÄS Im Stoffplan des Grundbildungsjahres ist tatsächlich dieses Leistungsziel aufgeführt. Dies mit gutem Grund, sollen doch alle Lernenden fit gemacht werden, eine einfache Gestaltungsskizze verfassen zu können, und sei dies «nur» für die Gestaltung eines Inserates, wie es auch an der Teilprüfung gefordert wird. Erreicht wird dieses Ziel am besten, in dem Grundlegendes vermittelt wird, und dazu gehören die Grundelemente des Freihandzeichnens.

PUBLISHER Wie soll der ins Leben gerufene Ausbildungsverbund in der Praxis funktionieren, wenn weder Lehrbetriebe noch der Verband zur Zeit des Lehrabschlusses wissen, wer alles sonst noch ausbildet?

THEILKÄS Die Ausbildungsverbund­idee ist tatsächlich schwierig in der Praxis umzusetzen. Viscom stellt heute den ausbildenden Betrieben ein Formular zur Verfügung, in dem nach Leitzielen differenziert aufgeführt werden kann, wo man eigenständig ausbilden kann und wo Kompetenzen «von aus­sen» benötigt werden. Die Initiative liegt aber klar beim Betrieb. Inwieweit das «Onlineschalten» die Problematik entschärfen würde, kann aus heutiger Sicht schwer eingeschätzt werden, müssen doch viele Faktoren stimmen, damit es zu einem Bildungsverbund kommen kann. Trotzdem: Im Rahmen des Bildungsportals wird Viscom weitere Verbesserungen anstreben.

PUBLISHER Die Qualitätskommis­sion hat es in der Hand, das Berufsbild den Anforderungen der Praxis anzupassen. Sind nicht genau die gleichen Leute in der Kommission, die schon bei der Schaffung des Berufsbildes dabei waren? Wäre da nicht Transparenz angebracht, indem man die Personen der Kommission wie im Parlament namentlich nennen würde?

THEILKÄS In Geheimniskrämerei machen wir nicht. Die Kommission hat nach der konstituierenden Sitzung vom 20. Oktober 2008 am 17. März ihre erste «Vollsitzung» durchgeführt. (Im Kasten unten sind die Vertreter aufgeführt.)

PUBLISHER Was halten Sie von qualifizierten Bildungswegen, mit einer Grundbildung in der vierjährigen Lehre und späteren ergänzenden Ausbildungsmodulen mit anerkannten Diplomen für die Polygrafenausbildung? Würde so etwas nicht zur Entschlackung beitragen?

THEILKÄS Genau das machen wir heute. Wir bieten eine 12 Module umfassende Grundbildung in zwei Fachrichtungen an, die nach 4 Jahren zum Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis EFZ führt. Die Inhalte sind gemäss pädagogischer Überprüfung seitens BBT nicht überladen, dies insbesondere nach der Aufteilung in die beiden Fachrichtungen «Mediengestaltung» und «Medienproduktion». Danach steht mit den für die Polygrafenbildung infrage kommenden Berufsprüfungen ein umfassendes Weiterbildungsangebot in den Bereichen Sprache, Gestaltung, Technik, Koordination und VAD/VID auf der Ebene der reglementierten Weiterbildung zur Verfügung, die alle mit dem eidgenössischen Fachausweis (EFA) abgeschlossen werden können.

Herr Theilkäs, wir danken Ihnen für die Ausführungen.

 

Die Qualitätskommission

Die BiVo, Art. 23, schreibt eine Kommission für Berufsentwicklung und Qualität Polygraf/-in EFZ vor, die das Berufsbild laufend kontrolliert und allenfalls anpasst. In der Kommission sitzen nachfolgende Vertreter.

Arbeitgebervertreter: Andi Amrein, Kromer Print AG, Lenzburg; Piero Jörin, Tamedia Medien AG, Zürich; Peter Theilkäs, Viscom, Bern (Vorsitz). Arbeitnehmervertreter: Richard Frick, Berufsfachschullehrer, Bonstetten; Hans Kern, Comedia, Bern; der dritte Sitz ist vakant. Berufsfachschulen: Silvano Colombo, Gewerbliches Berufs- und Weiterbildungszentrum, St. Gallen; Kurt Diriwächter, BBZB Luzern, Luzern. Überbetriebliche Kurse: Roger Ammann, CCIE, Bretigny VD (Vertreter franz. Schweiz); Hans-Rudolf Negri, reg. ÜKK Bern, Bern. Vertreter Bund und Kantone: Columban Ruffner, BBT, Bern; Hans-Jörg Lüscher, MBA, Kanton Bern, Bern. Vertreterin PBS: Rosmarie Schmid, Bern (Sekretariat).

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