Nichts fr Ungeduldige
Die Gittertechnik setzt dort an, wo Verläufe nicht hinkommen. Sie ist etwas vom Feinsten, was Illustrator im Bereich plastische Darstellung zu bieten hat. Mit der entsprechenden Übung kann diese Methode effizient und vor allem beeindruckend eingesetzt werden.
Andreas Burkard Der Ausdruck Gitter stammt eigentlich aus den 3D-Programmen, wo mittels Gittermasken auf Körpern realistische Oberflächen erzeugt werden. Die Gitterfunktion aus Adobe Illustrator hat eine ähnliche Aufgabe. Im Unterschied zu den 3D-Programmen muss man aber eine Gittermaske selbst erstellen, ausrichten und Farbabstufungen einfügen.
Ein Gitterobjekt ist ein mehrfarbiges Objekt, auf dem Farben in verschiedene Richtungen und mit weichen Übergängen von einem Punkt zum anderen fliessen. Beim Gitterobjekt durchkreuzen zahlreiche Gitterlinien das Objekt und bieten so eine Möglichkeit, Farbübergänge auf Gitterpunkten und -flächen zu erstellen.
Die Gittertechnik in Illustrator ist nichts für Ungeduldige. Doch mit zunehmender Routine kann die auflösungsunabhängige Gittertechnik effizient angewandt werden. Bei einer exakten Vorgehensweise sind die Resultate beeindruckend.
In der Regel beruht die Gittertechnik auf einer handgezeichneten Vorlage oder einem detailreichen Foto. In diesem Beispiel wird der menschliche Magen anhand einer Zeichnung mit der Gittertechnik von Illustrator dargestellt. Die Zeichnung weist Lichter und Schatten auf. Der Magen ist in zwei Bereiche unterteilt, welche sich gut voneinander abheben müssen.
Die Vorlage wird zuerst in Illustrator platziert. Danach wird die Grundform mit dem Zeichenstift sorgfältig erfasst. Mit dem Werkzeug Messer wird die aktivierte Grundform in zwei geschlossene Flächen aufgeteilt. Die Formen mittels Ebenen zu schichten, ist hilfreich.
Die Gittertechnik erfordert von einer Grundfarbe viele Farbabstufungen. Man muss sich zur Anzahl der Farben und der Farbabstufungen vorab Ge-danken machen. Einerseits kennt Illustrator die Farbhilfe, wo anhand einer Basisfarbe Abstufungen aufgeführt werden. Andererseits gibt es auch den feinen Trick mittels Angleichungen. Dazu erstellt man in Illustrator eine weisse Linie und eine andere Linie in der Grundfarbe. Diese beiden Linien aktiviert man und wählt aus dem Menü Objekt > Angleichen > Angleichen erstellen. Die Hauptfarbe passt sich so wunderbar abgestuft der weissen Farbe an. In den Angleichen-Optionen > Abstand > Festgelegte Stufen gibt man die Menge der Abstufungslinien ein, beispielsweise 12 Stück. Danach wählt man Menü Objekt > Umwandeln, wodurch effektiv 12 Objekte entstehen. Im Anschluss achtet man darauf, dass diese Objekte ausgewählt sind, und wählt in den Optionen der Farbfelder Ausgewählte Farben hinzufügen. So erhält man zeitsparend harmonisch abgestufte Farben, welche man später für die Gitterpunkte und die Gitterflächen benutzen kann.
Als Erstes erhalten die beiden Flächen die Grundfarbe. Danach unterteilt man mit dem Werkzeug Gitter, möglichst anhand der Lichter und Schatten, erst die eine, dann die andere Fläche. Wenn sich dabei die Übergänge nicht harmonisch zu den Lichtern und Schatten der Zeichnung einfügen, kann man später die Gitterpunkte und die Gitterflächen mit dem Direktauswahlwerkzeug verschieben und neu ausrichten.
Nun sind beide Flächen in je ein Gitterobjekt umgewandelt. Am Schnittpunkt zweier Gitterlinien befinden sich spezielle Ankerpunkte, die sogenannten Gitterpunkte. Gitterpunkte werden als Rauten dargestellt und haben die gleichen Eigenschaften wie Ankerpunkte, können darüber hinaus aber auch Farbe annehmen. Wenn man Gitterpunkte mit dem Direktauswahlwerkzeug auswählt, können diese gelöscht oder anders positioniert werden.
Nun muss man mit dem Direktauswahlwerkzeug oder mit dem Polygon-Lasso-Werkzeug die Gitterpunkte auswählen und so verschieben, dass diese zu den Lichtern und Schatten der Vorlage passen.
Bei der «grossen Magenkrümmung» beginnt man mit den äussersten Punkten, wählt diese aus und weist den Gitterpunkten die dunkelste der abgestuften Farben zu. Danach wählt man die Gitterpunkte der zweiten Gitterlinie aus und fügt diesen Gitterpunkten eine weniger dunkle Farbe zu. Man muss sich nun Gitterlinie für Gitterlinie durcharbeiten und immer darauf achten, dass abgestufte Farbübergänge entstehen.
Eine Knacknuss bildet der Übergang der zwei aneinanderliegenden Formen beim so genannten Magenpförtner. Dazu müssen beim Übergang die Punkte der beiden Formen übereinandergelegt werden. Die Formen werden zuerst auf separate Ebenen gelegt. Dies erleichtert das Auswählen der Gitterpunkte. Gute Dienste leistet auch die Platzierungshilfe aus dem Menü Ansicht > An Punkt ausrichten. Diese eingeschaltete Option richtet einen ausgewählten Ankerpunkt durch magnetische Unterstützung exakt über einen anderen Ankerpunkt aus.
Hat man die einzelnen Abschlusspunkte einer Form ausgewählt, färbt man die Gitterlinie so ein, dass sich diese von der anderen Form abhebt. Die Gitterpunkte der rechten Form bekommen eine dunkle Farbe, die Punkte der linken Form eine hellere. Da die Punkte die gleiche Position aufweisen, fügt sich dieser Übergang harmonisch ein.
Die Gittermethode gibt es in Adobe Illustrator nun schon seit geraumer Zeit. Vor gut drei Jahren führte Adobe mit Illustrator CS 5 die transparenten Gitterpunkte und -flächen ein. Das heisst, ausgewählte Gitterpunkte oder Gitterflächen können im Bedienfeld Transparenz eine reduzierte Deckkraft aufweisen. Die Füllmethode Normal kann man dagegen nicht verändern.
Durch diese Verbesserung kann auch die Anforderung eines auslaufenden Bereiches sehr einfach gelöst werden. Man wählt mit dem Direktauswahlwerkzeug oder mit dem Lasso-Werkzeug die Endpunkte an der betroffenen Stelle aus und gibt im Bedienfeld Transparenz > Deckkraft > Null Prozent ein. Zur Überprüfung wählt man im Menü Ansicht > Transparenzraster einblenden aus.
In einem weiteren Schritt wird die Darstellung verfeinert. Die gesamte Gittergrafik wird zuerst in eine neue Ebene dupliziert und danach ausgewählt. Man kann im Bedienfeld Transparenz nun bei der ausgewählten Grafik mit verschiedenen Füllmethoden und der Deckkraftreduzierung experimentieren.
Eine gute Wahl ist dabei die Füllmethode Multiplizieren. Diese ergibt einen noch plastischeren Eindruck. Die Farbübergänge erscheinen weicher. Optional kann man bei der linken Gitterform die Deckkraft leicht verringern, sodass sich die beiden Formen noch ein bisschen mehr voneinander abheben.
Zum Schluss werden die Kanten der Grundform weicher gestaltet. Dazu wählt man beim ausgewählten Objekt aus dem Menü Effekte > Stilisierungsfilter > Weiche Kante aus. Das Dokument wird als Adobe-Illustrator-Datei (.ai) gespeichert.
Andreas Burkard arbeitet in der Mediengestaltung und in der Ausbildung. Das komplette Modul der Illustrator-Gittertechnik befindet sich in der Lernwerkstatt des VSD (Verband Schweizer Druckindustrie, vsd.ch > Lernwerkstatt). Er macht individuelle Trainings und Beratung rund um das Thema Publishing und ist als Trainer und Fachbereichsleiter Publishing bei der Digicomp Academy AG an deren Standorten Zürich, Bern, Basel, St. Gallen und Luzern engagiert.