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Ab Fotos illustrieren

Fotorealistische Darstellungen in 3D nehmen in der Werbung immer mehr Platz ein. Kaum ein Autowerbespot, der nicht künstlich produziert wurde. Zum 3D-Künstler ist es ein weiter Weg, starten wir mit einfachen Visualisierungen, die das Sehen-Lernen zum Ziel haben.

Ralf Turtschi Die Aufgabe be­steht darin, von einem Foto eine massstabgetreue und glaubwürdige Zeichnung in Illustrator herzustellen. Es geht nicht darum, die Eigenschaften des Fotos exakt nachzubilden. Die Kunst der Illustration besteht aus der Simulation, dem Hinzufügen oder dem Weglassen. Im Ergebnis soll eine Illustration resultieren, die dem Original zum Verwechseln ähnlich sieht. In der Malerei ist dies auch als «Trompe- l’Œil» bekannt, die Vortäuschung realer Gegenständlichkeit mit malerischen Mitteln.

Weshalb sollte man von einer Fotografie eine Zeichnung anfertigen, wenn mit der Fotografie die ähnlichste Abbildung überhaupt vorhanden ist? Im Kleinen ist es oft so, dass Gegenstände verschmutzt wirken oder dass sie es an Präzision vermissen lassen. Eine gegossene Metallkante ist nicht wirklich kantig, sondern wirkt abgerundet. Die Illustration kann Details weglassen, die beim Gegenstand zwar vorhanden sind, die aber nicht wichtig sind. Die Zeichnung enthält die Möglichkeit, wie bei einer Bauanleitung die Kommunikation auf den Punkt zu bringen.

Der hier besprochene Lehrgang steht ab Januar 2017 auf der Lernplattform Mediametro.ch zur Verfügung. Für die erfolgreiche Bewältigung wird folgendes Vorwissen empfohlen: Man sollte Adobe Illustrators Zeichenwerkzeuge kennen, wissen, wie man Kurven und Vektoren zeichnet, wie man Ankerpunkte setzt und löscht, wie man Pfade zerschneidet und zusammensetzt und wie man mit Ebenen arbeitet. Die Lernenden erfahren, ganz genau hinzuschauen und exakt zu arbeiten.

Um Dinge zu visualisieren, benötigen wir das Originalstück. Nur am Original erkennen wir die Charakteristiken des Materials, bei der Fotografie geht vieles verloren. Beim Original können wir Schattenwirkung, Spiegelungen, Lichtreflexe usw. beobachten und richtig umsetzen. Oft ist die Fotografie in den Schattenpartien nicht in der Lage, die Details oder die Textur abzubilden. Es ist aus meiner Sicht optimal, wenn man den Gegenstand selber fotografiert und anschliessend im Bild und am Original studieren kann. Der Lehrgang geht davon aus, dass dieser Schritt individuell gemacht werden muss.

Es gibt komplexe Gegenstände mit Rundungen, unterschiedlichen Materialien und Strukturen (Beispiel Sackmesser) oder einfachere, die mehrheitlich aus geraden Linien bestehen (Beispiel Bleistift). Es ist sinnvoll, mit einer einfachen Figur zu beginnen und später mit komplexeren Gegenständen sein Know-how zu perfektionieren.

Für die Fotografie dieses Teils empfehle ich eine Kamera, die auf ein Stativ gestellt wird, eine weisse Unterlage und genügend Licht von allen Seiten. Es geht darum, den Gegenstand so abzulichten, dass die Schattenpartien nicht einfach schwarz sind, sondern in allen Bereichen Zeichnung vorhanden ist. Wer über kein Studio verfügt, kann sich ganz einfach mit Taschenlampen behelfen, um den Gegenstand auszuleuchten. Die Blende muss ganz zu sein, wir wollen eine möglichst grosse Schärfentiefe. Das Foto wird im Winkel von etwa 45 Grad von oben aufgenommen. Die Winkelgenauigkeit kann später eine Rolle spielen, wenn mehrere Gegenstände im gleichen Winkel visualisiert werden sollen. Runde Gegenstände sollten möglichst eingemittet stehen, perspektivische Verzerrungen sind später hinderlich.

Wir arbeiten in Illustrator mit einer Parallelperspektive, das heisst, die natürliche leichte Perspektive wird bewusst umgangen, weil die Zeichnung mit parallelen Hilfslinien einfacher herzustellen ist. Alle Geraden sollen sich an diesen parallelen Hilfs­linien orientieren (Abbildung oben).

Die Fotografie dieses Originals setzen wir als Vorlage in Illustrator ein und beginnen, Schicht für Schicht die Konturen zu zeichnen und mit einer Füllung zu versehen.

Ein gutes Vorstellungsvermögen hilft, zu unterscheiden, welche Teile vorne sichtbar sind und welche hinten teilweise verdeckt werden. Wo etwas nicht sichtbar ist, hat es keinen Wert, sich in Genauigkeit zu üben. Wie beim Autoschlüssel oben zu sehen, gibt es verschiedene Ebenen, die anzulegen sind und vernünftig beschriftet werden sollen. Je komplexer die Figur, desto einfacher wird der Zugriff zu den Konturlinien. Eine Figur entsteht durch die Schichtung von Flächen. Linien kommen nicht vor, oder werden im Menü Objekt > Pad > Konturlinie umgewandelt. Wir arbeiten mit Verläufen, Schattenwürfen und mit perspektivisch verzerrten Texten. Auslaufende Flächen werden mit dem gaußschen Weichzeichner bewältigt und die Transparenz hilft mit, weiche Kanten zu erzeugen.

Die Visualisierung von Gegenständen ist aus meiner Sicht eine hervorragende Sehschule. Die Lernenden beschäftigen sich mit dem Setzen und Bearbeiten von Vektoren, sie befassen sich ganz nebenbei mit Perspektive, Licht und Schatten, Erhebungen und Dellen. Die Farbgebung ist ebenfalls ein Thema. Ob Metall nun neutralgrau, leicht bläulich oder gelblich gezeigt wird, der Entscheid zieht sich durch alle Ebenen und weiteren Farbangaben. Der Autoschlüssel wurde hier nur in Graustufen realisiert. Bei der goldenen Kaffeekapsel stösst der Anwender auf das Problem, wie sich Gold farblich zusammensetzt und wie Gold variiert werden kann, welche Farben aus CMYK soll man zusetzen oder reduzieren?

Es kommt bei der Visualisierung nicht so sehr darauf an, das Bild möglichst wahrheitsgetreu und detailgenau umzusetzen, es geht um Glaubwürdigkeit in der gesamten Erscheinung. Dazu muss man tun, was wir alle aus Zeitmangel immer weniger machen: genau hinschauen.

Als Ergänzung zu diesem Beitrag finden Sie hier das vollständige Mediametro-Modul.

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